I. Sachverhalt
A. Am 13. Januar 2006 veröffentlichte die «Toggenburger Zeitung» unter dem Titel «Ein Dasein als Hochstapler. Wie man mit mutwillig gemachten Schulden durch das Leben kommt» einen von Redaktor Bernard Marks gezeichneten Bericht über einen Herrn «Josef Schwindler» (Name von der Redaktion geändert). Die Zeitung schildert anhand der Akten eines Strafgerichtsverfahrens aus dem Kanton Appenzell Ausserrhoden, «Schwindler» sei wegen gewerbsmässigen Betrugs und anderer Vermögensdelikte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren Zuchthaus verurteilt worden. «Der Schaden geht fast in die Millionen Franken, doch Schwindler ist frei. Er lebt, als wäre nichts gewesen.» «Schwindler» sei gemäss seinen Angaben «seit 45 Jahren mit Leib und Seele Journalist. (…) Den Namen dieses seriös wirkenden Herrn wollen wir der Vorsicht halber nicht nennen, um uns abzusichern.» Der Artikel nennt sowohl den Namen («Y.») als auch den genauen Standort («leer stehende Räume der Z. in W.») einer von «Schwindler» «neu gegründeten» und später Konkurs gegangenen Firma ebenso wie die Firmen von Geschädigten. Der «68-jährige Schwindler» habe es sich selber immer gut gehen lassen. Er habe viel bestellt, aber nie bezahlt. Illustriert wird der Artikel mit einem Foto eines Mannes vor einer Kaffeetasse, dessen gepixeltes Gesicht unkenntlich ist.
B. Am 10. Februar 2006 publizierte die «Toggenburger Zeitung» eine von X. mit vollem Namen gezeichnete Gegendarstellung. Darin entgegnet er, das Urteil des Kantonsgerichts von Appenzell Ausserrhoden sei entgegen der Darstellung im Artikel vom 13. Januar noch nicht rechtskräftig, weshalb für ihn nach wie vor die Unschuldsvermutung gelte. Die strafrechtlich durch die erste Instanz beurteilten Geschäfte seien teilweise ohne sein Wissen geschehen. Teils hätten ihm wichtige Informationen gefehlt. Zudem seien auch nicht alle angeblich geschädigten Firmen effektiv zu Verlust gekommen.
In einer «Erwiderung» weist Verleger Walter Sonderegger darauf hin, nachdem die Zeitung selber sich bemüht habe, seine Anonymität zu wahren, gebe X. seine Identität mit der Gegendarstellung nun unverständlicherweise selber preis. Der Redaktor der «Toggenburger Nachrichten» habe den beanstandeten Artikel auf der Basis des ihm vorliegenden Gerichtsurteils wahrheitsgemäss redigiert. Irgendwann werde dieses Urteil rechtskräftig und dann werde sich die Zeitung erlauben, X. heikle Fragen zum Gegendarstellungstext und dessen Wahrheitsgehalt zu stellen.
C. Am 19. März 2006 gelangte X. mit einer Beschwerde gegen die «Toggenburger Zeitung» an den Presserat. Deren in weiten Teilen unwahre Berichterstattung habe seine «ganze aufgebaute berufliche Karriere als Berufsjournalist mit Fachgebiet Pferdesport und Pferdezucht zunichte gemacht». Unter dem Vorwand einer möglichen Zusammenarbeit sei er von einem Redaktor der «Toggenburger Zeitung» zu einem Gespräch in ein Restaurant bestellt worden. Konkret sei er dort dann angefragt worden, «ob ich über Reiterinnen und Reiter sowie Pferde in der ‹Toggenburger Zeitung› berichten könnte». Das Urteil des Kantonsgerichts sei dagegen nicht Gegenstand der Besprechung gewesen. Das später in der Zeitung publizierte Foto sei beim Fachsimpeln über Kameras zufällig entstanden und von ihm nicht zur Publikation freigegeben worden. Mit ihrer Berichterstattung habe die «Toggenburger Zeitung» insbesondere gegen die Ziffern 1 (Wahrheitssuche), 3 (Unterschlagung von Informationen, Anhörung bei schweren Vorwürfen), 4 (Lauterkeit der Recherche) sowie gegen Ziffer 7 (identifizierende Berichterstattung, Unschuldsvermutung, sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.
D. Mit Brief vom 24. April 2006 nahm Bernard Marks, Redaktor der «Toggenburger Zeitung» Stellung zur Beschwerde. Er erläutert im Detail die Entstehung des Artikels und das Treffen mit X., sowie noch einmal ausführlich die schon im Artikel vom 13. Januar erhobenen Vorwürfe gegen X. Beigelegt ist dem Antwortschreiben eine Kopie des Urteils des Kantonsgerichts von Appenzell Ausserrhoden vom 20. August 2003 gegen X.
E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu. Ihr gehören Esther Diener Morscher als Präsidentin an sowie Thomas Bein, Judith Fasel, Claudia Landolt Starck, Peter Liatowitsch, Daniel Suter und Max Trossmann.
F. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 29. Juni 2006 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. a) Ziffer 7 der «Erklärung» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, die Privatsphäre des Einzelnen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Gemäss der Richtlinie 7.6 zur «Erklärung» (Namensnennung) sollten Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich weder Namen noch andere Angaben veröffentlichen, die eine Identifikation durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, beruflichem oder sozialem Umfeld gehören (vgl. u.a. die Stellungnahme 66/2004).
b) X. rügt, auf Grund der detaillierten Angaben im Artikel vom 11. Januar 2006 sei er trotz der Anonymisierung durch den fiktiven Namen Josef Schwindler und trotz des unkenntlich gemachten Gesichts auf dem Foto für alle, die ihn kennen, identifizierbar gewesen. Der Beschwerdegegner bestreitet dies. Die Zeitung habe sich fair darum bemüht, die Anonymität zu wahren. Erst durch die Gegendarstellung von X., die dieser mit vollem Namen unterschrieb, sei er für Dritte erkennbar gewesen.
c) Im Artikel der «Toggenburger Zeitung» vom 13. Januar 2006 werden zur Person «Josef Schwindler» verschiedene Angaben gemacht. Erwähnt werden Alter, Firmennamen, Firmensitz und geschäftliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Gerichtsverfahren sowie Ort und Zeitpunkt des Gerichtsverfahrens. Bereits auf Grund dieser Angaben – insbesondere die Angabe des Firmennamens und des Sitzes – war die Person «Josef Schwindler» über den Kreis der involvierten Personen hinaus für interessierte Dritte ohne weiteres identifizierbar. Hinzu kommen die Angaben über seine journalistische Tätigkeit, die ihn auch in diesem beruflichen Umfeld identifizierbar machen. Denn es dürfte im Toggenburg nicht viele 68-jährige Männer geben, die als Sportjournalisten tätig sind. Dazu kommt das publizierte Foto, das zusammen mit dem Text, auch wenn das Gesicht mit einem Raster unkenntlich gemacht wurde, weitere Identifizierungsmöglichkeiten gibt. Die Absicht des Artikels, über betrügerische Machenschaften zu berichten, hätte auch ohne Foto und ohne die Hinweise auf diese andere, vom Gerichtsverfahren nicht betroffene Tätigkeit des Beschwerdeführers realisiert werden können. Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass die Anonymisierung ungenügend war und dass die «Toggenburger Zeitung» die Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt hat.
d) Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob die «Toggenburger Zeitung» darüber hinaus auch durch die ungenügende Berücksichtigung der Unschuldsvermutung sowie durch die Veröffentlichung sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen gegen Ziffer 7 der «Erklärung» verstossen hat. Bezüglich der Unschuldsvermutung liegt dem Presserat weder ein Beleg über die allfällige Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils noch über den von X. behaupteten Weiterzug ans Obergericht vor. Jedenfalls wäre die «Toggenburger Zeitung» aber vor der Publikation verpflichtet gewesen, die Frage der Rechtskraft der Verurteilung zu klären. Und in Bezug auf die vom Beschwerdeführer behaupteten – auf die Strafverfahrensakten gestützten – sachlich ungerechtfertigten Anschuldigungen ist anzumerken, dass deren Klärung Sache der zuständigen Strafjustizbehörden ist.
2. a) Wie der Presserat schon früher festgehalten hat, kann aus der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journali
sten» keine Verpflichtung zu «objektiver» Berichterstattung abgeleitet werden. Auch parteiergreifender Journalismus ist berufsethisch zulässig. Allerdings ist gerade anwaltschaftlicher Journalismus nur dann glaubwürdig, wenn die den kritischen Wertungen zugrunde liegenden Fakten sorgfältig und möglichst umfassend recherchiert werden. Zudem hat sich auch eine parteiergreifende Berichterstattung an minimale Fairnessstandards zu halten. Soweit in einem Medienbericht schwere Vorwürfe gegen Personen erhoben werden, sind diese vor der Veröffentlichung mit den Vorwürfen zu konfrontieren; ihre Stellungnahme muss in den Bericht einfliessen (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung», vgl. dazu u.a. die Stellungnahmen 17/2000, 27/2000 und 32/2002).
b) Entsprechend war es der «Toggenburger Zeitung» zwar unbenommen, gestützt auf die ihr von ungenannter Stelle zugegangenen Unterlagen aus dem Gerichtsverfahren vor dem Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden anonymisiert über den Fall X. zu berichten. Angesichts der gegenüber ihm im Artikel vom 13. Januar erhobenen schweren Vorwürfe, wäre die Zeitung jedoch verpflichtet gewesen, ihn vor der Publikation nicht bloss generell (betreffend einer möglichen journalistischen Zusammenarbeit), sondern konkret mit den ihm auch im Rahmen des Gerichtsverfahrens vorgehaltenen massiven Verfehlungen zu konfrontieren. Weder bestand ein zeitlicher Druck (das Urteil stammt aus dem Jahr 2003), noch gab es andere zwingende Gründe, von einer Anhörung abzusehen, weshalb die «Toggenburger Zeitung» auch die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» verletzt hat.
3. a) Ziffer 4 der «Erklärung» auferlegt den Journalistinnen und Journalisten das Gebot, sich bei der Beschaffung von Informationen keiner unlauterer Methoden zu bedienen. Dazu statuiert die Richtlinie 4.6, dass «Journalistinnen und Journalisten (…) ihre Gesprächspartner über das Ziel des Recherchegesprächs informieren» sollen.
b) Nach der weitgehend übereinstimmenden Darstellung der Parteien wurde X. bei der Einladung zu einem Treffen mit einem Redaktor der «Toggenburger Zeitung» nicht darauf hingewiesen, dass dieses im Zusammenhang mit der Recherche des Redaktors zu einem geplanten Artikel stand. Vielmehr wurde als Grund für das Treffen ein gemeinsames Gespräch über Pferdethemen und eine mögliche journalistische Zusammenarbeit vorgeschoben. Ebenso wenig waren die Verurteilung von X. und der in diesem Zusammenhang geplante Artikel Gegenstand des Gesprächs. Im Bericht selber wurde dann jedoch auf das Gespräch an mehreren Stellen direkt Bezug genommen und Zitate von X. aus dem Treffen wurden in den Text eingebaut. Durch die mangelnde Aufklärung über den Gesprächszweck hat die «Toggenburger Zeitung» die Richtlinie 4.6 zur «Erklärung» verletzt.
c) Ebenso wie über den eigentlichen Zweck des Gesprächs wurde X. auch über den Verwendungszweck des beim Gespräch von ihm entstandenen Fotos im Unklaren gelassen. Ungeachtet davon, ob das Bild von X. – wie dies Redaktor Bernard Marks geltend macht – bei der Demonstration der Kamera entstand oder von Anfang an zur Publikation vorgesehen war, durfte es jedenfalls nicht ohne ausdrückliche Einwilligung des Betroffenen zur Illustration des Artikels verwendet werden. Dies gilt auch dann, wenn das Gesicht des Beschwerdeführers für die Publikation unkenntlich gemacht wurde. Auch hier wäre die «Toggenburger Zeitung» zudem verpflichtet gewesen, X. bereits bei der Aufnahme über den möglichen weiteren Verwendungszweck des Bildes zu informieren.
4. Auch wenn die Anwendung des Gegendarstellungsrechts (Art. 28gff. ZGB) Sache der Gerichte und nicht des Presserates ist, bleibt abschliessend über die bereits festgestellten Mängel im Verhalten der «Toggenburger Zeitung» hinaus anzumerken, dass sich die ausführliche «Erwiderung» des Verlegers der «Toggenburger Zeitung» in manifester Weise über die gesetzliche Bestimmung gemäss Art. 28k ZGB hinwegsetzt, wonach das Medienunternehmen zur Gegendarstellung lediglich die kurze Erklärung beifügen darf, ob es an seiner Tatsachendarstellung festhält oder auf welche Quellen es sich stützt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2. Die «Toggenburger Zeitung» hat mit der Publikation des Artikels «Ein Dasein als Hochstapler» die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journa-listen» verletzt, weil X. darin aufgrund von Text und Bild über sein näheres Umfeld hinaus für Dritte ohne grossen Aufwand identifizierbar war.
3. Angesichts der im Bericht gegenüber X. erhobenen schweren Vorwürfe hätte die «Toggenburger Zeitung» X. zudem zwingend vor der Veröffentlichung dazu anhören und seine Stellungnahme im Artikel zumindest kurz wiedergeben müssen. Indem sie dies unterliess, hat sie die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
4. Die «Toggenburger Zeitung» wäre schliesslich verpflichtet gewesen, den Beschwerdeführer sowohl über Ziel und Zweck des mit ihrem Redaktor vereinbarten Treffens, als auch über die mögliche Veröffentlichung des während des Treffens gemachten Fotos zu informieren. Die Zeitung hat deshalb auch gegen die Richtlinie 4.6 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.