Zusammenfassung
Das Internet ist kein Selbstbedienungsladen für Fotos von Privatpersonen. Der Schweizer Presserat erinnert «Blick» und «Blick.ch» daran und heisst eine Beschwerde teilweise gut.
Am 23. September 2015 publizierten «Blick» und «Blick.ch» einen Artikel über einen Unfall bei einer Armeeübung. Dabei starb ein WK-Soldat. Der Artikel ist mit den Fotos des Verunfallten und von Armeechef André Blattmann bebildert.
Gleichentags wurde Beschwerde eingereicht: «Blick» habe das Bild ohne Erlaubnis von der Homepage des Turnvereins des verstorbenen WK-Soldaten übernommen. An der Veröffentlichung des Fotos des Toten bestehe kein öffentliches Interesse.
«Blick» und «Blick.ch» entgegneten, der Turnverein habe der Redaktion erlaubt, das Foto zu übernehmen. Ein Toter habe zudem keine Privatsphäre, auch medienethisch nicht.
Unter Hinweis auf seinen Entscheid zum schweren Car-Unfall bei Siders (73/2012) hält der Presserat fest, dass es grundsätzlich zulässig ist, Bilder verstorbener Opfer eines Verkehrsunfalls zu zeigen, soweit die Angehörigen explizit mit der Veröffentlichung einverstanden sind. Medien dürfen Informationen und Bilder, die Private im Netz öffentlich machen, aber nicht voraussetzungslos weiterverbreiten. Es genügte somit nicht, dass «Blick» die Erlaubnis des Turnvereins einholte, um das Bild des Toten zu publizieren.
«Blick» hatte mit den Eltern des WK-Soldaten gesprochen, sie werden im Artikel zitiert. «Blick» hätte die Eltern um Erlaubnis für die Veröffentlichung des Bildes fragen müssen oder auf dessen Publikation verzichten.
Résumé
Internet n’est pas un libre-service de photos de particuliers. Le Conseil suisse de la presse l’a rappelé au «Blick» et à «Blick.ch» et accepte partiellement une plainte.
Le 23 septembre 2015, le «Blick» et «Blick.ch» ont publié un article relatant un accident intervenu lors d’un exercice militaire à grande échelle. Un soldat en cours de répétition avait trouvé la mort cette occasion. L’article était illustré de photos du militaire décédé et d’André Blattmann, chef de l’Armée.
Le Conseil de la presse a reçu une plainte le jour même: le «Blick» et «Blick.ch» avaient repris l’image, sans autorisation, du site internet du club sportif du soldat. La publication de la photo du mort ne présentait aucun intérêt public.
L’avocat du «Blick» et de «Blick.ch» a expliqué que la rédaction avait reçu l’autorisation de reprendre la photo du club sportif. De plus, un mort n’aurait pas de sphère privée, y compris au plan de l’éthique des médias.
Renvoyant à la position qu’il avait prise au sujet du grave accident de car intervenu près de Sierre (73/2012), le Conseil de la presse constate qu’on peut en principe admettre que les photos de victimes d’un accident de la route soient montrées pour autant que leur famille ait explicitement donné son accord. Les médias ne peuvent diffuser sans autre les informations et les images que les particuliers diffusent sur Internet. Il ne suffit donc pas que le «Blick» ait demandé l’autorisation du club sportif de publier la photo du militaire décédé.
Il ressort en outre de l’article paru le 23 septembre 2015 que le «Blick» s’était entretenu avec les parents de la victime puisqu’il les cite dans le texte. Le «Blick» aurait donc dû leur demander l’autorisation de publier l’image du soldat ou renoncer à la publier.
Riassunto
Internet non è un «self service» di fotografie di private persone. Il Consiglio della stampa lo ricorda al «Blick» e a «Blick.ch» accogliendo parzialmente un reclamo. La notizia pubblicata da entrambi il 23 settembre 2015 si riferiva a un incidente avvenuto durante una manovra militare in cui aveva trovato la morte un milite che frequentava il corso di ripetizione. Nel servizio pubblicato figuravano le foto del soldato deceduto e del comandante in capo dell’Esercito, André Blattmann. Un reclamo è giunto al Consiglio della stampa il giorno stesso della pubblicazione, indicando che la foto del milite era stata ripresa dal sito Internet di una società di ginnastica in cui la vittima era attivo. La pubblicazione non sarebbe di alcun interesse pubblico. Il legale del «Blick» e di «Blick.ch» fa valere che la ripresa della foto era stata autorizzata dal club e che un morto non può avere una sfera privata da tutelare secondo l’etica dei media.
Il Consiglio della stampa ribadisce la posizione assunta dopo l’incidente del torpedone accaduto presso Sierre (presa di posizione 73/2012): ricavare le foto delle vittime da Internet è lecito se le famiglie lo consentono esplicitamente. La ricerca di informazioni e di immagini in un sito è certamente lecito, ma per la pubblicazione delle foto l’assenso della società sportiva non basta. Dal servizio pubblicato il 23 settembre risulta che i colleghi del «Blick» si erano intrattenuti con i parenti della vittima, che l’articolo del resto citava. In quella occasione, il giornalista avrebbe potuto chiedere il permesso di usare la foto e in caso di diniego avrebbe potuto rinunciarvi.
I. Sachverhalt
A. Am 23. September 2015 publizierten «Blick» und «Blick.ch» unter dem Titel «Ich fühle nur Trauer» und mit dem Lead «Tobias W. (✝27) stirbt bei WK-Unfall auf dem Hauenstein. Armee-Chef André Blattmann ist erschüttert» einen Artikel über einen Unfall bei einer grossen Armeeübung. Dieser hatte den Tod eines WK-Soldaten zur Folge. Der Artikel ist mit den Fotos des verstorbenen Armeeangehörigen und von Armeechef André Blattmann bebildert und mit folgender Bildlegende versehen: «Tobias W. (✝27) kam bei einer Armeeübung ums Leben. Angehörige und Freunde legten an der Unfallstelle Blumen nieder.»
B. Gleichentags reichte X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen die Veröffentlichung des Bilds des WK-Soldaten ein. Er macht eine Verletzung der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend, konkret der Ziffern 3 (unkorrekte Angabe der Quelle, da «Blick» als Quelle erscheine), Ziffer 4 (Übernahme des Bildes von der Homepage des Turnvereins Ramsen, wobei «Blick» den Rechteinhaber nicht kontaktiert habe und somit eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild begangen habe), Ziffer 7 (Nichtrespektierung der Privatsphäre, da das Bild illegal beschafft worden sei. Im Artikel gehe es um André Blattmann, es bestehe kein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung des Fotos des Toten) sowie Ziffer 8 (Missachtung der Würde der Angehörigen des Verstorbenen). Wäre eine Publikation des Bildes von den Angehörigen erwünscht gewesen, hätten sie «Blick» das Bild zur Verfügung gestellt.
C. Am 4. Januar 2016 nahm der Rechtsvertreter von «Blick» und «Blick.ch» Stellung zur Beschwerde und beantragte die Abweisung der Beschwerde mit folgender Argumentation: Der behauptete Verstoss gegen Ziffer 3 des Pressekodex sei unbegründet. Es stehe nirgendwo, dass das Personenbild des Verstorbenen von «Blick» sei; die Quelle des Bildes sei der Redaktion zudem bekannt gewesen, sie habe mit dem Turnverein Ramsen, von dessen Homepage das Bild stamme, zuvor gesprochen und dessen Erlaubnis eingeholt. Entsprechend falsch sei der Vorwurf eines Verstosses gegen Ziffer 4: Entgegen der Aussage des Beschwerdeführers sei mit dem Turnverein gesprochen worden. Insbesondere das Recht am eigenen Bild sei jedoch nicht durch Ziffer 4 geregelt. Der Vorhalt der illegalen Beschaffung des Bildes sei unbegründet und unsubstantiiert. Worin ein Verstoss gegen Ziffer 7 bzw. wessen Privatsphä
re liegen solle, bleibe unerklärt. Der Tote habe keine Privatsphäre, auch medienethisch nicht. Ziffer 8 zu erwähnen sei unsinnig, ein Verstoss liege ganz offensichtlich nicht vor
D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Peter Liatowitsch, Markus Locher und Franca Siegfried an. Matthias Halbeis und Franca Siegfried traten als Mitarbeiter der «Blick»-Gruppe gestützt auf Art. 15 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserats von sich aus in den Ausstand.
E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 10. März 2016 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Ziffer 3 der «Erklärung» verlangt, dass Journalisten nur Informationen, Dokumente, Bilder und Töne veröffentlichen, deren Quellen ihnen bekannt sind. «Blick» und «Blick.ch» haben das Foto nach eigenen Angaben von der Homepage des Turnvereins Ramsen übernommen und beim Turnverein um Erlaubnis dafür gefragt. Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass gar nicht nachgefragt wurde. Für den Presserat besteht kein Anlass, an der Darstellung des «Blick» zu zweifeln. In der Printausgabe ist das Bild links wie folgt gekennzeichnet: «Fotos: EQ Images, Ralph Donghi, BLICK». In der Onlineausgabe steht nach der Bildlegende «BLICK». Die Branche handhabt die Quellenangabe bei der Verwendung von Fotos, die zum Teil von Privaten stammen und deren Urheber der Redaktion somit bekannt sind, unterschiedlich. Am verbreitetsten ist: «zvg» (zur Verfügung gestellt). Im Sinne der Herstellung von Transparenz für den Leser empfiehlt der Presserat eine präzise Quellenangabe (hier Turnverein Ramsen). Dem «Blick» war die Quelle des Bildes offensichtlich bekannt. Es liegt deshalb kein Verstoss gegen Ziffer 3 der «Erklärung» vor.
2. Ziffer 4 der «Erklärung» hält fest, dass Journalistinnen und Journalisten sich bei der Beschaffung von Informationen, Tönen, Bildern und Dokumenten keiner unlauteren Methoden bedienen. Der Beschwerdeführer macht geltend, «Blick» habe das Bild von der Homepage des Turnvereins übernommen, ohne diesen um Erlaubnis zu bitten. Wie erwähnt besteht für den Presserat kein Anlass, die Darstellung des «Blick», wonach er beim Turnverein um Erlaubnis gebeten hat, in Zweifel zu ziehen. Sind keine unlauteren Methoden bei der Bildbeschaffung angewendet worden, ist auch Ziffer 4 der «Erklärung» nicht verletzt.
3. Ziffer 7 der «Erklärung» auferlegt Medienschaffenden die Pflicht, die Privatsphäre der einzelnen Personen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Der Beschwerdeführer sieht eine Verletzung der Privatsphäre darin begründet, dass das Bild illegal beschafft worden sei. Im Artikel gehe es um André Blattmann, es bestehe kein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung des Fotos des Toten. «Blick» hingegen ist der Ansicht, dass Tote keine Privatsphäre haben.
In seiner Stellungnahme zum schweren Car-Unfall bei Siders hat der Presserat präzisiert, dass es grundsätzlich zulässig ist, Bilder verstorbener Opfer eines Verkehrsunfalls zu zeigen, soweit die Angehörigen explizit mit der Veröffentlichung einverstanden sind und die Fotos zur Verfügung stellen (73/2012). Im gleichen Entscheid hielt der Presserat in Bezug auf die Publikation von Bildern aus einem Blog fest, dass Medien Informationen und Bilder, die Private im Netz öffentlich machen, nicht voraussetzungslos weiterverbreiten dürfen. Öffentlichkeit bedeutet in Bezug auf das Internet nicht zwingend auch «Medienöffentlichkeit». Entscheidend ist – nicht nur im Internet – mit welcher Absicht jemand sich im öffentlichen Raum exponiert. Selbst wenn der Blog öffentlich zugänglich und für jedermann einsehbar war, ist daraus nicht abzuleiten, dass die Bilder damit automatisch für die Berichterstattung über den Carunfall freigegeben waren. Mit diesem Fall ergänzte der Presserat die Richtlinie 7.8. um den Satz: «Journalistinnen und Journalisten dürfen Bilder, auf denen Verstorbene herausgehoben sind – es sei denn das öffentliche Interesse überwiege – nur dann publizieren, wenn die Angehörigen die Bilder explizit freigeben.» Es genügte also nicht, dass «Blick» die Erlaubnis des Turnvereins Ramsen einholte, um das Bild des Verstorbenen zu publizieren.
Richtlinie 7.8. unterstreicht zudem, dass Journalistinnen und Journalisten sich besonders zurückhaltend gegenüber Personen zeigen, die sich in einer Notlage befinden oder die unter dem Schock eines Ereignisses stehen sowie bei Trauernden. Aus dem Artikel vom 23. September 2015 geht hervor, dass «Blick» mit den Eltern des Verstorbenen gesprochen hat, denn sie werden im Text zitiert. «Blick» hätte also die Eltern des WK-Soldaten um Erlaubnis für die Veröffentlichung des Bildes fragen oder auf die Publikation verzichten müssen.
4. Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, die Publikation des Bildes habe die Würde der Angehörigen verletzt. Gestützt auf Ziffer 8 der «Erklärung» (Menschenwürde) liegen die Grenzen der Berichterstattung in Text, Bild und Ton über Kriege, terroristische Akte, Unglücksfälle und Katastrophen dort, wo das Leid der Betroffenen und die Gefühle ihrer Angehörigen nicht respektiert werden. In all diesen Fällen müssen die Redaktionen selbst abwägen, ob Information, Ton oder Bild das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit übersteigt. Die Publikation des Fotos des WK-Soldaten in «Blick» und «Blick.ch» ist nicht entwürdigend, weder für den Verunfallten selbst noch für dessen Angehörige. Eine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» liegt deshalb nicht vor.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. «Blick» und «Blick.ch» haben mit der Veröffentlichung des Fotos des verstorbenen WK-Soldaten ohne Zustimmung seiner Eltern Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.