Nr. 23/2014
Privatsphäre / Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen / Menschenwürde

(X. und Y. c. «Basler Zeitung» und «BaZonline») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 20. August 2014

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Zusammenfassung

Auch wenn öffentliche Gelder im Spiel sind, hat ein Sozialhilfebezüger Anrecht auf Schutz seiner Privatsphäre. Der Schweizer Presserat hat deshalb die «Basler Zeitung» und «BaZonline» zurückgepfiffen, weil sie in einem Artikel vom November 2013 das Bild eines Sozialhilfebezügers mit Details über dessen Werdegang veröffentlicht hatten.
Die Redaktion begründete die Publikation damit, es bestehe ein öffentliches Interesse, denn die Allgemeinheit finanziere die Sozialhilfe. Zudem sei das Bild im öffentlichen Bereich gemacht worden. Dem widerspricht der Presserat. Das öffentliche Interesse am Thema rechtfertigt noch lange nicht die Identifizierung einer einzelnen Person durch Bild und Text, selbst wenn deren Name nicht genannt wird. In den Richtlinien des Presserats heisst es dazu klar, dass «auch im öffentlichen Bereich das Fotografieren (…) von Privatpersonen nur dann ohne Einwilligung der Betroffenen zulässig ist, wenn sie nicht herausgehoben sind». Der Sozialhilfebezüger war auf dem Foto jedoch klar hervorgehoben. Und die detaillierten Informationen über sein Leben machten ihn identifizierbar.

Résumé

Quand bien même des fonds publics sont en jeu, une personne assistée par l’aide sociale a droit au respect de sa sphère privée. Le Conseil suisse de la presse a dès lors rappelé à l’ordre la «Basler Zeitung» et «BaZonline» pour avoir publié en novembre 2013 un article contenant la photo et des détails sur la carrière d’un bénéficiaire d’une aide sociale.

La rédaction justifiait la publication en déclarant qu’il y avait un intérêt public à cela du moment que c’est la communauté qui finance l’aide sociale. En outre, la photo a été prise en un lieu public. Le Conseil de la presse conteste ce point de vue. L’intérêt que porte le public à ce thème ne justifie  de loin pas la révélation de l’identité d’une personne par le texte et l’image, cela même si le nom n’a pas été indiqué. Les directives du Conseil de la presse disent clairement que de prendre en photo une personne même dans un lieu public n’est autorisé sans l’assentiment de la personne concernée que si celle-ci n’est pas mise en évidence. Or, le bénéficiaire de l’aide sociale a été nettement mis en relief sur la photo. Et les informations détaillées sur sa vie l’on rendu identifiable.

Riassunto

Che una persona sia beneficiaria dell’ente pubblico non comporta necessariamente che debba rinunciare alla protezione della sua sfera privata. Il Consiglio della stampa ha criticato la „Basler Zeitung“ e la „BaZonline“ che avevano pubblicato in un articolo nel novembre 2013 la foto di una persona beneficiaria di un sussidio statale corredandola di alcuni particolari sulla medesima. La redazione sostiene che il caso narrato ha a che fare con i servizi sociali e la persona è stata fotografata non in un luogo privato ma pubblico. L’interesse pubblico sarebbe evidente. Il Consiglio della stampa ritiene invece che – pur non essendone stato menzionato il nome  – ritrarre da vicino una persona o renderla in altro modo riconoscibile senza il suo permesso è in contrasto con la Direttiva 7.1: “È possibile fotografare o filmare persone private senza il loro consenso in spazi pubblici solo se l’immagine non le pone in evidenza”. Inoltre, i particolari circa la sua vita contenuti nell’articolo lo rendevano chiaramente identificabile.


I. Sachverhalt


A.
Am 13. November 2013 erschien in der «Basler Zeitung» (BaZ) unter dem Titel «Aufruf zum Krieg gegen Ungläubige» und auf «BaZonline» unter dem Titel «Basler Muslime rufen zum heiligen Krieg auf» ein Artikel von Daniel Wahl über eine Standaktion des Islamischen Zentralrats Schweiz (IZRS) in Basel, an der muslimische Schriften verteilt worden seien, darunter laut dem Artikel auch eine «Hetzschrift» mit dem Titel «Das Buch der vereinfachten Rechtswissenschaft», welche die Scharia postuliere,. Der Bericht kritisiert die passive Rolle der zuständigen Religionsbeauftragten. Der Artikel wurde mit mehreren Fotos illustriert, eines davon zeigt S. S., wie er in der Nähe des Standes ein Buch anschaut.

B. Am 16. November 2013 berichtete Mischa Hauswirth wiederum in beiden Medienerzeugnissen unter dem Titel «Schweizer Mafia Kriminelle» über den Sozialbezüger S. S. Er wohne mittlerweile in einem Hotel, nachdem er seine vorherige Miete drei Jahre lang nicht bezahlt habe. Wegen auffälligen Verhaltens sei er der Polizei bekannt, u.a. wegen eines Kartons mit der Aufschrift: «Schweizer Behörden Mafia Kriminelle. Sie töten mich», den er ins Fenster gehängt habe. Der Artikel ist mit einem vergrösserten Ausschnitt des erwähnten Bildes zum Artikel vom 13. November 2013 illustriert, der Stand des IZRS ist weggeschnitten. Das Foto ist mit der Legende versehen: «Aufruf zur Gewalt. S. S. liest auf Arabisch in einem Buch, das die Tötung von Christen fordert und Auspeitschungen gutheisst.»

C. Am 21. November berichtete Mischa Hauswirth unter dem Titel «Sozialhilfebezüger in Hotels» nochmals über S. S. und lässt darin auch das Sozialamt Basel zu Wort kommen.

D. Am 17. November beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat gegen den Artikel vom 16. November 2013 von Mischa Hauswirth und macht eine Verletzung der Ziffern 7 und 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend.

E. Am 20. November geht eine ähnlich lautende Beschwerde von Y. ebenfalls gegen den Artikel vom 16. November 2013 beim Presserat ein.

F. Beide Beschwerdeführenden kritisieren den durch den Journalisten gemachten Bezug zwischen der Standaktion des IZRS und S. S. Die «Blossstellung» von S. sei von keinem öffentlichen Interesse gedeckt und verletze seine Privatsphäre. Der Artikel diene nur dazu, mittels eines hilflosen Menschen irakischer Herkunft Stimmung gegen eine ganze Gruppe, die Muslime, zu machen, was eine Verletzung der Menschenwürde darstelle.

G. Am 5. Februar 2014 nahm die anwaltlich vertretene BaZ Stellung zu den beiden Beschwerden. Sie verneint eine Verletzung der «Erklärung». Es gebe sehr wohl ein öffentliches Interesse, über die Handhabung von Sozialhilfeleistungen zu berichten, da sie die Allgemeinheit finanziere, dies umso mehr, als sich S. S. abfällig gegenüber Behörden und Dritten verhalten habe. Die BaZ macht geltend, dass S. nicht namentlich genannt werde und weder Unwahrheiten verbreitet würden, noch eine «unnötige Herabsetzung» erfolge. Die Privatsphäre von S. werde nur offengelegt in Bezug auf sein Handeln gegenüber dem Sozialamt und anderen Behörden. Der Artikel enthalte keine diskriminierenden Anspielungen, weder gegen S. noch gegen eine ganze Gruppe (Muslime), da S. nur als irakischer Staatsangehöriger und als Passant mit einem Buch der Standaktion des IZRS beschrieben werde.

H. Das Präsidium des Presserats vereinigte die beiden Beschwerden und wies sie seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Peter Liatowitsch, Markus Locher und Franca Siegfried an.

I. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 4. Juni 2014 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Zur Illustration des Artikels «Schweizer Mafia Kriminelle» vom 16. November 2013 über den Werdegang von S. S. wird das Bild, das am 13. November 2013 veröffentlicht worden war, nochmals verwendet, diesmal jedoch nur Teile davon, d.h. ohn
e den Informationsstand des Islamischen Zentralrats, aber dafür vergrössert und mit einer Fokussierung auf S. Der Stand des IZRS wird zu Beginn des Artikels erwähnt, danach folgen Details aus dem Leben von S. Die Beschwerdegegnerin ist der Ansicht, S. habe nicht in die Kamera geschaut, sondern in ein Buch, er sei somit «beinahe unmöglich» zu identifizieren. Der Presserat kann dieser Argumentation nicht folgen. Richtlinie 7.1 über den Schutz der Privatsphäre hält fest, dass im öffentlichen Bereich das Fotografieren oder Filmen von Privatpersonen nur dann ohne deren Einwilligung zulässig ist, wenn sie auf dem Bild nicht herausgehoben werden. Dadurch dass S. nun nicht mehr als Passant, der neben dem Stand der IZRS steht, sondern allein und vergrössert abgebildet wird, wird er herausgehoben und ist erkennbar. Zudem werden weitere Details zu seiner Person und zu seinem Werdegang genannt, welche ihn auch ohne Nennung seines Namens identifizierbar machen. Damit wurde seine Privatsphäre (Ziffer 7 der «Erklärung») verletzt.

2. Kontrovers diskutiert hat der Presserat die Aufmachung des Artikels in Verbindung mit Bild und Bildlegende. Auf den Titel «Schweizer Mafia Kriminelle» folgt in der Onlineversion der Lead: «Der irakische Sozialhilfebezüger S. S. bezahlte drei Jahre lang keine Miete und wohnt jetzt im Hotel – auf Kosten des Sozialamts. Nebenbei beschimpft er Schweizer, Polizei und Behörden.» Es folgt der Hinweis auf das Foto von S. neben dem Stand des Zentralrats, wo Muslime islamische Schriften sowie den Koran an Interessierte und Passanten verteilten. S. blättert an diesem Stand, an dem laut BaZ auch «Hetzschriften» verteilt würden, in einem Buch, womit eine Nähe von S. zu diesen Inhalten hergestellt wird. Diese kulminiert in der Bildlegende «Aufruf zur Gewalt. S.S. liest auf Arabisch in einem Buch, das die Tötung von Christen fordert und Auspeitschungen gutheisst».

Zwar blättert S. in einem Buch, aber für die Leserin und den Leser ist nicht ersichtlich, ob es sich um besagte «Hetzschrift» handelt. Dies wird mit der Bildlegende suggeriert bzw., dass S. deren Inhalt gutheisst. S. wird nicht direkt angeschuldigt, die Unterstellung bleibt quasi in der Luft hängen. Die Wahl des Titels und die Erwähnung seines auffälligen Verhaltens gegenüber Behörden verdichten diese Suggestion zusätzlich. Ziffer 7 der «Erklärung» untersagt sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen. Der Presserat kommt zum Schluss, dass Bildlegende und Einleitung knapp unterhalb der Schwelle einer Verletzung bleiben. Allerdings wird S. auf perfide Weise in die Nähe von muslimischen Fundamentalisten gerückt. Als perfid erachtet der Presserat auch, wie der Übergang im Text von der Standaktion des IZRS zur persönlichen Geschichte von S. erfolgt. Er erkennt zudem nicht, inwiefern diese Geschichte eine Fehlfunktion der Behörden aufzudecken vermag.

3. Die Beschwerdeführenden machen weiter geltend, mit der Blossstellung eines hilflosen Menschen werde dessen Würde verletzt, gleichzeitig auch die Menschenwürde einer ganzen Gruppe, derjenigen der Muslime. Ziffer 8 der «Erklärung» verlangt die Respektierung der Menschenwürde und den Verzicht auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben. Im kritisierten Artikel wird der Fall von S. S. jedoch nicht auf eine ganze Gruppe von Muslimen oder alle Muslime verallgemeinert. S. selbst wird nicht auf Grund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Staatsangehörigkeit oder seiner Religion diskriminiert. Der Journalist pickt das Beispiel eines Sozialhilfeempfängers heraus und versucht damit zu zeigen, dass er als Sozialhilfebezüger mit seinem Verhalten in der Schweiz kein Anrecht habe, im Hotel zu wohnen. Dass er Iraker ist, spielt dabei keine Rolle. S. wird nicht als Muslim bezeichnet. Der Journalist versucht zwar, ihn in die Nähe von Fundamentalisten zu rücken, womit er seine These des undankbaren Sozialbezügers zu festigen sucht. Punkt 8 der «Erklärung» ist damit jedoch nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Die «Basler Zeitung» und «BaZonline» haben mit dem Artikel «Schweizer Mafia Kriminelle» Ziffer 7 (Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt, indem S. S. zu Unrecht auf dem abgebildeten Foto herausgehoben und identifizierbar wurde.

3. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. Die «Basler Zeitung» und «BaZonline» haben Ziffer 7 (unter dem Gesichtspunkt des Verbots sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen) sowie Ziffer 8 (Menschenwürde) der «Erklärung» nicht verletzt.