Nr. 69/2011
Privatsphäre

(Vekselberg c. «Zentralschweiz am Sonntag») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 30. Dezember 20

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I. Sachverhalt

A. Am 18. September 2011 titelte die «Zentralschweiz am Sonntag»/Ausgabe Zug auf der Frontseite: «Vekselberg zieht an die Weinbergstrasse». Schon seit längerem werde gemunkelt, der russische Milliardär Viktor Vekselberg wolle in die Stadt Zug ziehen. «Nun aber ist er definitiv fündig geworden: Vekselberg hat an der Weinbergstrasse an bester Lage eine 6½-Zimmer-Wohnung für rund 5,5 Millionen Franken erworben. Bezugsbereit soll das luxuriöse Attika-Appartement Mitte des nächsten Jahres sein.»

Auf Seite 21 der gleichen Ausgabe erschien der zugehörige Bericht von Charly Kaiser (Titel: «Milliardär wohnt bald am Zuger Hang»; Lead: «Seit rund einem Jahr soll Viktor Vekselberg in Zug gemeldet sein. Nun hat sich der Russe eine Immobilie gekauft.»). 182 Quadratmeter messe die 6½-Zimmer-Wohnung, 158 Quadratmeter die zugehörige Terrasse. Die Wohnung werde «mit allem erdenklichen Luxus» ausgestattet. Der Kaufpreis von 5,5 Millionen sei für Vekselberg «ein Klacks». «Viktor Vekselberg war monatelang auf der Suche nach einer Bleibe in Zug (…) Denn in Zürich, wo der Russe vorher wohnte, ist die Pauschalbesteuerung nach einem Volksentscheid abgeschafft worden.»

Illustriert ist der Bericht mit einem Bild der Baustelle («Grandezza – Luxuswohnungen mit Seesicht – hier hat Viktor Vekselberg eine Wohnung gekauft»).

In den anderen Ausgaben der «Zentralschweiz am Sonntag» erschien eine Kurzfassung des Berichts, der ebenfalls die Weinbergstrasse als Adresse angibt und Angaben zu Fläche, Zimmerzahl, Kaufpreis sowie zum Zeitpunkt der Fertigstellung macht.

B. Am 26. September 2011 beschwerte sich der anwaltlich vertretene Viktor Vekselberg beim Presserat, die Berichte vom 18. November 2011 hätten seine Privatsphäre und damit die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

Gestützt auf die in den Artikeln der «Zentralschweiz am Sonntag» enthaltenen Angaben sei seine Wohnadresse leicht und ohne weitere Kenntnisse erkennbar, auch wenn die Hausnummer nicht publiziert wurde. An der Nennung seiner Wohnadresse bestehe kein öffentliches Interesse.

C. Am 15. November 2011 wies die ebenfalls anwaltlich vertretene Redaktion «Zentralschweiz am Sonntag» die Beschwerde als unbegründet zurück. Viktor Vekselberg sei eine öffentliche Person und verstehe sich selbst auch als solche. Er selber habe – unterstützt von PR-Profi Thomas Borer – seinen bevorstehenden Umzug nach Zug den Medien kommuniziert.

Die Frage, welches Zuger Domizil Personen der Zeitgeschichte beziehen, sei mit Blick auf die Themen «Zuger Wohnungsnot», «Immobilienpreise», «Pauschalbesteuerung» etc. von öffentlichem Interesse. «Der Preis ist relevant, weil pauschale Steuern bekanntlich aufgrund des Immobilienwertes erhoben werden. Als Bemessungsgrundlage gilt das Fünffache der Wohnungsmiete bzw. des Eigenmietwertes, der bei Neubauten bei 75 Prozent des Kaufpreises liegt.» Grösse und Lage einer Immobilie seien wichtig für die Einschätzung, ob die Besitzer hier ihren Lebensmittelpunkt haben oder «ob es sich um einen kaum belebten Steuersitz handelt, wobei im vorliegenden Fall die vergleichsweise bescheidene Wohnungsgrösse von 182 m2 eher dagegen spricht, dass ein derart vermögendes Ehepaar die meiste Zeit hier lebt. Die privilegierte Lage an der Zuger Weinbergstrasse spricht eher dafür.»

Der Vorwurf, die Nennung der ungefähren Adresse Vekselbergs tangiere dessen persönliche Sicherheit, sei insofern unhaltbar, als im kleinräumigen Zug der genaue Wohnort jedes Prominenten auch ohne Zeitungsartikel bekannt sei. «Bekanntermassen wurde auch die Hausnummer nicht genannt und nur eine Aufnahme des Rohbaus veröffentlicht.»

D. Am 28. November 2011 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 30. Dezember 2011 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, die Privatsphäre der einzelnen Person zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Der Presserat hat dazu in der Stellungnahme 10/2007 festgehalten, die Nennung einer privaten Wohnadresse in einem Medienbericht sei aussergewöhnlich und selbst dann geeignet, die Privatsphäre zu verletzen, wenn eine identifizierende Berichterstattung zulässig ist. «Eine derartige Angabe bedarf deshalb einer zusätzlichen Rechtfertigung. Denn selbst wenn eine Wohnadresse bereits aufgrund des Namens und weiterer Angaben unter Umständen durch Dritte herausgefunden werden kann, wird der Zugriff durch die direkte Nennung im Medienbericht wesentlich erleichtert.» Zudem würden derartige Angaben grundsätzlich die Gefahr unerwünschter Reaktionen bergen.

2.
Vorliegend hat die «Zentralschweiz am Sonntag» zwar die Hausnummer nicht genannt. Mit der Angabe der Strasse, dem Namen der Überbauung und dem Bild des Rohbaus ist die genaue Wohnadresse des Beschwerdeführers jedoch auch für denjenigen Personenkreis sehr einfach herauszufinden, dem die künftige Wohnadresse von Viktor Vekselberg nicht ohnehin schon bekannt ist.

3. Und um die Themen «Zuger Wohnungsnot», «Immobilienpreise», «Pauschalbesteuerung» öffentlich zur Diskussion zu stellen, ist es nicht notwendig, den Namen der Strasse zu nennen, an welcher der Beschwerdeführer künftig wohnt. Vielmehr hätte es für diesen Zweck genügt, das künftige Domizil beispielsweise mit «bevorzugter, privilegierter Wohnlage», «an privilegierter Hanglage in der Stadt Zug» oder mit einer vergleichbaren Bezeichnung zu umschreiben. Ebenso unverhältnismässig wie die genaue Benennung der Strasse war es unter den gegebenen Umständen auch, ein Bild des Rohbaus des künftigen Domizils von Viktor Vekselberg zu veröffentlichen.


III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Die «Zentralschweiz am Sonntag» hat mit dem am 18. September 2011 veröffentlichten Bericht über das künftige Zuger Domizil von Viktor Vekselberg die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Privatsphäre) verletzt. Die  namentliche Nennung der Strasse und die Veröffentlichung eines Bilds des Rohbaus des künftigen Domizils war unverhältnimässig.