I. Sachverhalt
A. Im Juli 1997 wurde die aus Südafrika stammende X. vom Zürcher Geschworenengericht in einem Indizienprozess schuldig gesprochen, 1995 einen Mann ermordet zu haben. Das Gericht verurteilte sie zu zwölf Jahren Zuchthaus. X. bestritt die Tat und hält bis heute an dieser Darstellung fest. Sie verbüsst ihre Strafe in der Frauenstrafanstalt Hindelbank. Am 1./2. Juli 2001 wurde ihr erstmals ein zweitägiger Hafturlaub gewährt. Sie verbrachte das Wochenende mit ihrer Schwester. Am Walensee traf die Journalistin Verena Schoder von den «Obersee Nachrichten» X. und ihre beiden Töchter im Alter von 14 und 12 Jahren sowie die Schwester von X. Verena Schoder hatte zuvor mit den beiden Frauen abgesprochen, einen Bericht über den ersten Hafturlaub und über das Leben im Gefängnis zu schreiben. Sie habe gesagt, dass die «Obersee Nachrichten» für einen Frontartikel 200 Franken zahlten, erklärte die Journalistin in einer späteren Stellungnahme (Duplik Seite 3). Das Geld habe sie X. bei dem einstündigen Treffen übergeben. Verena Schoder machte auch Fotos von X., ihrer Schwester und den Kindern.
B. In der über das Oberseegebiet hinaus verteilten Grossauflage der «Obersee Nachrichten» vom 5. Juli 2001 war der grösste Artikel auf der Frontseite der Anriss (plus Bild) über X.: «Erster Hafturlaub für verurteilte Mörderin», lautet der Titel, darüber steht die Oberzeile: «X. genoss zwei Tage Sun und Fun mit ihrer Schwester M.F.». Im Originaltext sind diese und alle folgenden Namen voll ausgeschrieben. Bereits im Frontanriss werden «ihre Töchter R. (14) und C. (12)» erwähnt. Der Hauptartikel, der beinahe die gesamte Seite 11 füllt, steht unter dem Titel «Erster Hafturlaub nach vier Jahren Zuchthaus: X. (32) weinte Tränen der Freude». Auf zwei der drei Bilder dieser Seite sind auch die beiden Töchter zu sehen. Unter dem Hauptbild steht die Legende: «Das Schicksal hat sie zusammengeschweisst: Die als Mörderin verurteilte X. (links), ihre beiden Töchter R. und C. (hinten) sowie Schwester M.F. (rechts).» Unter dem zweiten Foto steht: «Kurze Glücksmomente für Mami A.: ‹Ich geniesse jede Minute mit meinen Schätzchen R. und C.›». Im Text steht überdies, es sei ein Trost für X., «dass die Kinder bei ihrem geschiedenen Ehemann gut aufgehoben seien.»
C. Der Vater, der die elterliche Sorge über die Kinder hat, erfuhr erst einige Zeit später von der Publikation, da er ausserhalb des Gebiets wohnt, in dem die «Obersee Nachrichten» verteilt werden. Er beauftragte eine Rechtsanwältin mit der Wahrung seiner Interessen. Diese schrieb am 31. Juli 2001 der Redaktionsleitung der «Obersee Nachrichten» und beschwerte sich über die Verletzung der Persönlichkeit der beiden Kinder und ihres Mandanten. Da der Familienname E. sehr selten sei, sei dessen Nennung problematisch für ihren Mandanten und die Familie seines Bruders, weil man einen Zusammenhang zwischen ihnen und einer Mörderin mache. Der Artikel erwecke zudem den irrigen Eindruck, dass die Kinder nur während der Strafverbüssung der Mutter bei ihrem Vater lebten. Dabei seien die Mädchen im Alter von vier und sechs Jahren bei der Scheidung dem Vater zugesprochen worden. Die Anwältin erklärte, ihr Mandant und seine Kinder hätten einen Anspruch auf Genugtuung, deshalb erwarte sie diesbezüglich einen Vorschlag der Redaktion.
D. Der Anwalt der «Obersee Nachrichten» bestritt in seinem Antwortschreiben vom 9. August 2001, dass der Beitrag über X. eine Persönlichkeitsverletzung enthalte. Bei den Fotoaufnahmen sei kein Druck auf X. und ihre Kinder ausgeübt worden. Die Mädchen hätten sehr wohl gewusst, auf was sie sich einliessen, ihr Gesichtsausdruck auf den Bildern mache deutlich, dass es ihnen besonderen Spass gemacht habe. Auf die Zustimmung des Vaters könne es hier nicht ankommen, schon gar nicht, wenn die leibliche Mutter den Entscheid mittrage. Auch die Nennung des Familiennamens sei nicht persönlichkeitsverletzend, wenn sie mit Einwilligung der betroffenen Hauptperson geschehe. Für eine Genugtuung fehle deshalb die rechtliche Grundlage.
E. In ihrem Schreiben vom 5. September 2001 bekräftigte die Anwältin des Vaters ihre Auffassung, es liege eine Verletzung der Persönlichkeit der Mädchen und des Vaters vor. Die Mädchen hätten zwar ihre Zustimmung gegeben, das grössere Foto zu publizieren, allerdings hätten sie mangels Erfahrung und intellektueller Fähigkeiten die Tragweite ihres Entscheids nicht abschätzen können. Insbesondere hätten sie sich nicht vorstellen können, dass ihre Mutter in diesem Zusammenhang als Mörderin bezeichnet und die für die Kinder schon weit zurückliegende Straftat und der Prozessverlauf nochmals wiedergegeben werde. Die Namensnennung habe dem Vater geschadet, als Selbständigerwerbender habe er seit der Publikation des Artikels keine neuen Aufträge erhalten. Die Anwältin forderte von der Zeitung eine schriftliche Entschuldigung und die Verpflichtung, in Zukunft weder den Familiennamen E. zu nennen, noch Fotos von den Kindern oder anderen Familienmitgliedern zu publizieren. Zur Deckung der Kosten der rechtlichen Vertretung seien ihrem Mandanten überdies 10’000 Franken zu bezahlen und den beiden Töchtern je ein Sparkonto von 2000 Franken zu eröffnen. Überdies müsse die Zeitung 5000 Franken an eine anerkannte wohltätige Organisation zahlen.
F. Der Anwalt der «Obersee Nachrichten» bestritt in seiner Antwort vom 24. September 2001 erneut, dass die Zeitung eine Persönlichkeitsverletzung begangen habe. Seine Klientschaft sei aber bereit, «in Zukunft weder Bilder der Kinder, noch deren Vor- und/oder Familiennamen zu publizieren». Hingegen wolle sich die Zeitung nicht dazu verpflichten, auf die Nennung des vollen Namens von X. generell zu verzichten. Im Zweifelsfall werde sie sich aber darauf beschränken, Initialen zu verwenden.
G. Mit Eingabe vom 5. November 2001 erhob die Anwältin des Vaters beim Presserat Beschwerde gegen die «Obersee Nachrichten» und die Redaktorin Verena Schoder.
H. Das Präsidium des Presserates übertrug die Behandlung der Beschwerde der 3. Kammer, der Esther Diener-Morscher als Präsidentin sowie Judith Fasel, Gina Gysin, Peter Liatowitsch, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann angehören. Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihren Sitzungen vom 21. März und 16. Mai 2002 und auf dem Korrespondenzweg.
I. Der Beschwerdeführer rügt, der Artikel der «Obersee Nachrichten» vom 5. Juli 2001 verstosse gegen die Ziffern 7 (Verletzung der Privatsphäre) und 4 (Unlautere Methoden bei der Beschaffung von Bildern) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung» genannt).
Zur Begründung führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen die Argumente an, die bereits in der vorausgegangenen Korrespondenz mit den «Obersee Nachrichten» genannt worden sind. Die Nennung des Namens der Töchter habe deren Privatsphäre verletzt. Weder die Mädchen, noch deren Vater hätten dem zugestimmt. Ein öffentliches Interesse an der vollen Namensnennung sei nicht erkennbar.
Auch die Publikation der Fotos sei eine Verletzung der Privatsphäre. Zwar hätten die beiden Mädchen ihre Zustimmung gegeben, fotografiert zu werden, aber wegen ihres jugendlichen Alters seien sie gar nicht in der Lage gewesen, einer Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte rechtmässig zuzustimmen. Das ältere Mädchen habe trotz seiner 14 Jahre kaum das intellektuelle Vermögen seiner zwölfjährigen Schwester. Dies hätte der Journalistin im Gespräch auffallen müssen. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen hätten beide die 6. Klasse besucht Ausserdem hätten die Mädchen beim kleinen Foto ausdrücklich gesagt, sie wollten nicht, dass es in der Zeitung erscheine.
Der Beschwerdeführer macht des weiteren geltend, die Methode der Bildbeschaffung sei als Ganzes unrechtmässig und unlauter gewesen. Den Mädchen sei erklärt worden, man wolle einen Artikel schreiben über den ersten Hafturlaub der Mutter und über ihr Leben im Gefängnis. Die beiden Kinder hätten sich nicht vorstellen können, dass der Artikel die Mutter als Mörderin bezeichne und die Straftat sowie den Prozessverlauf detailliert schildere. An dieser Wiederholung habe keinerlei öffentliches Interesse bestanden.
K. Auf Anfrage des Sekretariats des Presserats erklärte die Vertreterin des Beschwerdeführers, dass zur Zeit kein straf- oder zivilrechtliches Verfahren eingeleitet sei. Es werde aber ein zivilrechtliches Verfahren erwogen.
L. In seiner Beschwerdeantwort vom 10. Dezember 2001 beantragt die Beschwerdegegnerin, der Presserat solle auf die Beschwerde nicht eintreten, da der Beschwerdeführer den Presserat «ganz offensichtlich instrumentalisieren» wolle, um in einem späteren Gerichtsverfahren «exorbitante Zivilforderungen» zu stellen. Als Beleg führt die Beschwerdegegnerin die vorausgehende Korrespondenz und die Genugtuungsforderungen des Beschwerdeführers an (siehe oben unter E.). Mangels Vollmacht der Kinder sei auf deren Feststellungsbegehren nicht einzutreten. Dem Beschwerdeführer selbst gehe es «ausschliesslich um die prozessuale Durchsetzung von pekuniären Begierlichkeiten», welche den Schutz des Presserats nicht verdienten.
Materiell meint die Beschwerdegegnerin, in den meisten Medien sei von Anfang an der volle Name von X. publiziert worden. Die «Obersee Nachrichten» hätten bereits mehrere Artikel über den Fall E. geschrieben, ohne dass der Beschwerdeführer interveniert hätte. Die Journalistin Verena Schoder habe nach dem Grundsatz von Treu und Glauben und unter Würdigung alle Umstände auf eine Einwilligung der Kinder zur Namensnennung und Bildveröffentlichung schliessen dürfen. Als es nach Ende des Interviews um das Fotografieren von X. und ihrer Schwester gegangen sei, hätten die beiden Mädchen unbedingt aufs Foto gewollt. Die Redaktorin habe anfänglich abgelehnt, doch die Mädchen hätten ihre Mutter solange bestürmt, bis diese einwilligte. Das Posieren der Mädchen auf den Bildern beweise, dass sie keineswegs gegen ihren Willen abgelichtet worden seien.
Nach Ansicht des Beschwerdegegners habe die Zustimmung der Mädchen genügt, eine zusätzliche Zustimmung von Elternseite sei nicht nötig gewesen. Sollte man aber eine solche Doppelzuständigkeit bejahen, so müsste die obhutsberechtigte Mutter während der Besuchszeiten diese Doppelzuständigkeit ausüben können. Mit anderen Worten: Die Zustimmung der Mutter sei gültig gewesen.
M. In der Replik vom 21. Januar 2002 betont der Beschwerdeführer, die Mädchen seien von der Journalistin nicht gefragt worden, ob sie mit der Publikation ihrer Namen einverstanden seien. Eine Vollmacht der unmündigen Mädchen sei nicht nötig, da der Vater als ihr gesetzlicher Vertreter handle. Die Beschwerde beim Presserat sei kein sogenanntes absolut höchstpersönliches Recht, zu dem die Kinder ihre Zustimmung hätten geben müssen. Der Replik lag dennoch eine am 15. Januar 2002 datierte und mit «Vollmacht» überschriebene Erklärung der beiden Mädchen bei, sie seien nicht einverstanden mit dem Artikel, den die «Obersee Nachrichten» über ihre Mutter und sie publiziert hätten: «Wir wollten immer, dass unser Vater alles macht, was möglich ist, um dagegen zu protestieren und die Zeitung und die Reporterin dafür zu bestrafen.»
Zum Einwand der Gegenseite, der Beschwerdeführer habe sich in früheren Fällen, da der Name E. im Zusammenhang mit dem Mord genannt worden war, nicht dagegen gewehrt, erklärt der Beschwerdeführer, er sei damals von der Situation überfordert gewesen. Als 30 Jahre alter Vater habe er allein für die beiden kleinen Mädchen sorgen müssen. Auch hätten es seine finanziellen Mittel nicht erlaubt, sich zu wehren.
Bezüglich der publizierten Bilder bekräftigt der Beschwerdeführer die bereits geäusserten Vorwürfe. Auch wenn die beiden Mädchen mit auf das Foto gewollt hätten, «wäre es Ausdruck der journalistischen Ethik gewesen, dieses Bild nicht in einem Artikel zu verwenden, bei dem die Mädchen als Töchter einer Mörderin erscheinen».
N. Die Duplik vom 22. Februar 2002 der Beschwerdegegnerin enthält eine längere persönliche Stellungnahme, in der die Redaktorin Verena Schoder aus ihrer Sicht die Begegnung mit X. und den Mädchen schildert. Sie sei darauf eingestellt gewesen, «den Artikel mit der Mutter zu schreiben – und nichts weiteres». Die Kinder hätten selbst fotografiert werden wollen, «ja sie drängten sich geradezu auf». Es seien Mädchen in der Pubertät und keine kleinen Kinder mehr. Sie hätten auch gewusst, dass ihre Mutter als Mörderin galt. Die Journalistin habe selbst mitgehört, wie sie ihnen am Tisch erklärte, dass sie natürlich keine Mörderin sei.
Im juristischen Teil der Duplik stellt sich die Beschwerdegegnerin auf den Standpunkt, dass die Nennung des Familiennamens E. auch unter ethischen Gesichtspunkten kein Tabu sei, da X. als relative Person der Zeitgeschichte Eingang in die Öffentlichkeit gefunden habe. «Die obhutsberechtigte Mutter hatte sich wissentlich und willentlich mit den beiden Kindern in die Medienöffentlichkeit begeben.» Nach den Zusicherungen der Beschwerdegegnerin, künftig auf Namensnennung zu verzichten, fehle diesbezüglich auch ein Feststellungsinteresse in rechtlicher und ethischer Hinsicht.
O. In der Beratung der. 3. Kammer vom 21. März 2002 stellte sich die Frage, ob die Zahlung von Fr. 200.– an X. gegen Richtlinie 4.3 zu Ziffer 4 der Erklärung verstosse. Diese Richtlinie verbietet ausser in Ausnahmefällen die Bezahlung von Informanten. Die Kammer beschloss, dem Vertreter der «Obersee Nachrichten» Gelegenheit zu geben, nachträglich noch dazu Stellung zu nehmen.
P. In seinem Schreiben vom 4. April 2002 erklärte der Vertreter der Beschwerdegegnerin die Zahlung «einer kleinen Spesenentschädigung» entspreche den Gepflogenheiten zahlreicher Medien. Man habe der vierköpfigen Familie ein Mittagessen spendieren wollen. Er verwies auf einen in den «Obersee Nachrichten» offenbar regelmässig erscheinenden Aufruf: «Etwas gesehen, etwas erlebt? Rufen Sie uns an! Für jede Meldung, die wir verwerten können, gibt es ein Honorar. Für jede gedruckte Titelstory sogar 100 Franken.»
II. Erwägungen
1. a) Die Beschwerdegegnerin stellt den Antrag, der Presserat möge nicht auf die Beschwerde eintreten, da der Beschwerdeführer ein zivilrechtliches Verfahren in der gleichen Angelegenheit erwägt. Diese Frage ist als erste zu klären.
b) Der vorliegende Fall fällt eindeutig in den Aufgabenbereich des Presserates gemäss Art. 1 des Geschäftsreglements. Wie Art. 15 festhält, kann der Presserat auch auf Beschwerden eintreten, wenn bereits ein Gerichtsverfahren in gleicher Sache eingeleitet oder angekündigt worden ist. Nichteintreten ist nur dann geboten, wenn die folgenden Kriterien kumulativ erfüllt sind:
– Die manifeste Gefahr der Beeinflussung eines hängigen Gerichtsverfahrens überwiegt das Interesse des Beschwerdeführers an einer Stellungnahme des Presserates eindeutig,
– und es stellen sich keine grundlegenden berufsethischen Fragen im Zusammenhang mit der Beschwerde.
Es ist offensichtlich, dass dieser doppelte Grund im vorliegenden Fall fehlt. Wenn bereits jede Eventualität eines späteren Gerichtsprozesses zum Nichteintreten führen würde, beraubte sich der Presserat der Möglichkeit, in manchen wichtigen Fragen der Berufsethik Stellung zu nehmen. Dabei ist zu beachten, dass der Presserat wohl den gleichen Sachverhalt wie ein allfälliges Gericht beurteilt, jedoch nicht die gleichen Normen anwendet. Richtschnur für den Presserat sind die berufsethischen Grundsätze, wie sie in der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» sowie in den erläuternden Richtlinien dazu festgehalten sind. Zudem kann der Presserat, anders als die Gerichte, nur Stellungnahmen abgeben und weder Sanktionen verhängen, noch einer Partei eine Entschädigung zusprechen.
Auf die vorliegende Beschwerde ist deshalb einzutreten.
2. Die Beschwerde rügt die Nennung der Vornamen der Kinder und des Familiennamens E. sowie die Publikation der Fotos der Kinder. Damit seien die Ziffern 7 und 4 der «Erklärung» verletzt worden. Diese Bestimmungen lauten in dem für die Beschwerde relevanten Teil:
Ziffer 7: «Sie (die Journalistinnen und Journalisten) respektieren die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt.»
Ziffer 4: «Sie bedienen sich bei der Beschaffung von Informationen, Tönen, Bildern und Dokumenten keiner unlauteren Methoden.»
3. Die Nennung des Namens und die Publikation von Bildern in den Medien kann einen massiven Eingriff in die Privatsphäre eines Menschen bedeuten. Der Presserat hat sich darum in seinen Richtlinien zur «Erklärung» eingehend mit dieser Problematik befasst.
Die Frage der Namensnennung wird in den Richtlinien im Zusammenhang mit der Gerichtsberichterstattung genannt. Richtlinie 7.5 verlangt von Medienschaffenden, dass sie während eines Gerichtsverfahrens der Unschuldsvermutung Rechnung tragen. Weiter heisst es dort: «Nach einer eventuellen Verurteilung haben Journalistinnen und Journalisten auf die Familie und die Angehörigen der/des Verurteilten, wie auch auf die Resozialisierungschancen Rücksicht zu nehmen.»
Richtlinie 7.6 behandelt die Namensnennung als Anwendungsfall der Unschuldsvermutung: Demnach haben Medienschaffende «grundsätzlich weder Namen noch andere Angaben (zu veröffentlichen), die eine Identifikation einer von einem Gerichtsverfahren betroffenen Person durch Dritte ermöglichen». Ausnahmen von dieser Grundregel sind zulässig, «wenn dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist», wenn eine Person beschuldigt wird, in einer politischen oder staatlichen Funktion Delikte begangen zu haben, wenn eine Person in der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist (diese Ausnahme sei aber mit Zurückhaltung anzuwenden), wenn die betroffene Person ihren Namen selbst öffentlich macht oder ausdrücklich einer Veröffentlichung zustimmt oder wenn die Namensnennung notwendig ist, um eine für Dritte nachteilige Verwechslung zu vermeiden.
Im Kontext der vorliegenden Beschwerde von besonderer Bedeutung ist schliesslich Richtlinie 7.4 über Kinder: «Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes; dies gilt auch für Kinder von Prominenten oder weiteren Personen, die Gegenstand des Medieninteresses sind. Besondere Zurückhaltung ist angezeigt bei der Berichterstattung im Zusammenhang mit Kindern (sei es als Opfer, mögliche TäterInnen oder als ZeugInnen) bei Gewaltverbrechen. Dies gilt vor allem bei Befragungen.»
4. Die Journalistin Verena Schoder hatte vor, für die «Obersee Nachrichten» eine Reportage über den ersten Wochenendurlaub von X. zu schreiben. Der Mordprozess gegen X. vor dem Zürcher Geschworenenprozess hatte 1997 und danach grosses Aufsehen erregt, vor allem deshalb, weil X. stets entschieden bestritten hatte, die Täterin zu sein. Noch heute erklärt sie, sie sei unschuldig verurteilt worden. Dies ist auch die Überzeugung ihrer Schwester und mancher Freunde. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass X. und ihre Schwester ein Interesse haben konnten, nach längerer Zeit wieder einmal ihre Darstellung der Dinge in den Medien kundzutun. Eine Reportage über die herzliche Begegnung der Mutter mit ihren Töchtern mochte aus der Sicht von X. geeignet sein, das in den Medien seinerzeit vorherrschende Bild von der impulsiven Mörderin zu korrigieren. Deshalb ist auch anzunehmen, dass X. selbst keine Einwände gegen die Nennung ihres vollen Namens hatte. Jedenfalls ist nichts Gegenteiliges bekannt.
5. Journalistinnen und Journalisten haben bei ihrer Arbeit nicht nur die Privatsphäre der Hauptperson ihrer Geschichte zu respektieren; sie haben auch auf die Privatsphäre von nahen Angehörigen gebührend Rücksicht zu nehmen. Dies gilt besonders bei der Berichterstattung über Verbrechen und Unfälle. Verena Schoder hatte bei ihrem Treffen mit X. auch deren Töchter kennengelernt. Mithin wusste sie, dass es in diesem Fall Angehörige mit gleichem Familiennamen gab, die mit dem Verbrechen – das allein der Grund war, weshalb die Journalistin sich für X. interessierte – überhaupt nichts zu tun hatten und die darum vor der damit verbundenen Publizität zu schützen waren. Auf keinen Fall hätte die Journalistin die vollen Namen und das Alter der Mädchen veröffentlichen dürfen. Der Schutz der Privatsphäre der Mädchen hätte es geboten, auch bei X. nur den ersten Buchstaben des Familiennamens zu nennen – egal, ob X. lieber ihren vollen Namen in der Presse gesehen hätte oder nicht. Ungeachtet des konkreten Falles ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass es die Berufsethik zuweilen Medienschaffenden gebietet, Menschen, über die sie berichten, auch vor sich selbst zu schützen. Auch Erwachsene können nicht immer abschätzen, auf was sie sich einlassen, wenn sie ihre eigene Privatsphäre und die ihrer Angehörigen den Medien preisgeben.
Auch ohne die Vornamen der Kinder und mit abgekürztem Familiennamen hätte Verena Schoder den genau gleichen Artikel schreiben können, der – dies sei ebenfalls festgehalten – die Person von X. einfühlsam porträtiert. Für die volle Namensnennung bei X. fehlt zudem das schützenswerte öffentliche Interesse. Es mag offen bleiben, ob sie im Zeitpunkt ihres Prozesses eine relative Person der Zeitgeschichte war, deren Namen genannt werden durfte (viele Medien taten dies auch damals nicht). Im Juli 2001 aber, sieben Jahre nach der Tat und vier Jahre nach dem Prozess, war sie dies bestimmt nicht mehr. Es wäre auch im Interesse der Reintegration von X. in die Gesellschaft gewesen (siehe Richtlinie 7.5 zu Ziffer 7), auf eine Nennung des Familiennamens zu verzichten.
Dadurch, dass Verena Schoder die Vornamen der beiden Töchter und den Familiennamen E. genannt hat, hat sie gegen Ziffer 7 der «Erklärung» verstossen und die Privatsphäre der Mädchen, aber auch jene des Vaters der Kinder verletzt.
6. Was über die Namensnennung gesagt wurde, gilt in noch grösserem Ausmasse für die Publikation der Fotos der beiden Mädchen. Wesentlich stärker als der Name macht die Porträtaufnahme einen Menschen identifizierbar. Darum ist der Abdruck eines Bildes in der Regel der tiefere Eingriff in die Privatsphäre.
Im Prinzip wusste dies auch Verena Schoder, und sie hat in ihrer Stellungnahme (Duplik S. 2–4) glaubhaft versichert, dass sie die Kinder ursprünglich gar nicht auf den Bildern haben wollte. Die Journalistin spürte hier selbst, dass die Mädchen nicht in den Bildbericht über den ersten Hafturlaub einer verurteilten Mörderin gehörten. Wie die meisten Kinder aber wollten die beiden Töchter auch fotografiert werden, aus purer Freude am Posieren und Kokettieren. Die Mädchen bedrängten die Journalistin und die Mutter. X. hatte offensichtlich nichts dagegen, sich als normale, liebende Mutter zeigen zu können. Es stellt sich gar nicht die Frage, ob der Vater oder die Mutter eine gültige Einwilligung geben konnten. In jedem Fall hätte die Journalistin nicht darauf eingehen dürfen. Sie hätte die schützenswerte Privatsphäre der Kinder im Auge behalten und wissen müssen, dass es für die Entwicklung der Mädchen schädlich sein kann, wenn sie in einem Bildbericht zu sehen sind, in dem ihre Mutter als Mörderin geschildert wird. Gerade weil Verena Schoder mitgehört hatte, wie X. ihren Töchtern versichert hatte, keine Mörderin zu sein, hätte sie auf die Mädchen Rücksicht nehmen müssen. Das lustvolle Posieren der Mädchen auf den Fotos entlastet die Journalistin keineswegs, im Gegenteil: Es lässt eher auf die Unreife von Kindern schliessen, die sich den Kontext, in welchem die Bilder publiziert werden, nicht vorstellen können.
Der Abdruck von Bildern, auf denen die beiden Töchter von X. zu erkennen sind, verstösst deshalb in krasser Weise gegen Ziffer 7 der «Erklärung».
7. Der Beschwerdeführer macht zudem eine Verletzung von Ziffer 4 der «Erklärung» geltend und meint, die Fotos seien mit unlauteren Methoden beschafft worden.
Dieser Vorwurf trifft so nicht zu. Nicht die Beschaffung der Bilder als solche war unlauter – alle Beteiligten waren einverstanden, sich für einen Artikel über X. fotografieren zu lassen –, sondern die spätere Verwendung verstiess gegen Ziffer 7, wie oben dargestellt. Nichts jedoch wäre dagegen einzuwenden gewesen, hätte Verena Schoder die betreffenden Fotos X. und ihren Töchtern privat zukommen lassen.
8. a) Richtlinie 4.3 zu Ziffer 4 der «Erklärung» statuiert: «Die Bezahlung von Informantinnen/Informanten, die nicht zum Berufsstand gehören, ist grundsätzlich nicht zulässig, da dadurch der Informationsfluss und der Inhalt der Information beeinträchtigt werden kann. Vorbehalten sind Fälle eines überwiegenden öffentlichen Interesses. Der Kauf von Informationen oder Bildern von Personen, die in ein Gerichtsverfahren verwickelt sind, ist untersagt. Vorbehalten ist die Rechtfertigung durch ein überwiegendes öffentliches Interesse, sofern die Information nicht auf andere Weise beschafft werden kann.»
Der Presserat hatte sich bisher noch nie zur Auslegung dieser Bestimmung zu äussern. Mit dem grundsätzlichen Verbot der Bezahlung von Informantinnen und Informanten soll offensichtlich verhindert werden, dass der Informationsfluss im Einzelfall durch kommerzielle statt durch publizistische Kriterien bestimmt wird. Ähnliche Probleme wie bei der Bezahlung von Informantinnen und Informanten stellen sich bei der Annahme von Geschenken durch Medienschaffende und bei der Bezahlung von Interviews.
b) In der Stellungnahme 2/92 i.S. «Bilanz» / «Finanz und Wirtschaft» hat der Presserat die Medienschaffenden aufgefordert, individuelle und exklusive Geschenke (wie Reisen, Benützung eines Autos, Sportartikel, Wertpapiere, Kunstgegenstände, Schmuck, Bargeld, Checks) von Veranstaltern abzulehnen. In seinen Empfehlungen zu den ethischen Normen und Regeln der «Washington Post» (Sammlung der Stellungnahmen 1989/90, S. 41ff.) empfahl der Presserat sich beim Entscheid betreffend Annahme oder Ablehnung eines Geschenks folgende Frage zu stellen: Würden sie es wagen, die Öffentlichkeit darüber zu informieren? Schliesslich hat der Presserat in der Stellungnahme 4/1995 i.S. Kur- und Verkehrsverein Zermatt in Weiterführung der zitierten Praxis ausgeführt, kleinere Geschenke dürften angenommen werden, wenn ihre Entgegennahme aus Sicht der Öffentlichkeit keinerlei Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Journalistinnen und Journalisten befürchten lässt. Hinsichtlich der Bezahlung von Interviewpartnerinnen und -partnern hält die Stellungnahme 1/1997 i.S. C. c. «FACTS» schliesslich fest, Interviews, die nur gegen ein Entgelt gegeben werden, seien in der Regel abzulehnen. Hingegen ist es «zulässig, Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern, die das Interview nicht aus massivem Eigeninteresse (wie: Wahlkampf, Vorstellung eines neuen Produkts oder Projekts) gegeben haben, hinterher für die Zeit und den Aufwand eine kleine Anerkennung zukommen zu lassen».
c) Diese für die Annahme von Geschenken und die Entschädigung von Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern formulierten Grundsätze lassen sich ohne weiteres auf die Bezahlung von Informantinnen und Informanten übertragen. Auch hier ist bei der wertenden Abgrenzung zwischen berufsethisch Zulässigem und Verpöntem aufgrund des Charakters (Auslagenersatz oder Lohn?), des Umfangs (geringfügiger oder erheblicher Betrag?) und des Zwecks der geldwerten Leistung (Wahrscheinlichkeit der Beeinflussung des Willens des Empfängers zur Weitergabe von Informationen, die ansonsten nicht ohne weiteres preisgegeben würden) eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.
d) In Ihrer Duplik vom 22. Februar 2002 (S. 3) führten die Beschwerdegegner aus, Verena Schoder habe X. «im Voraus (…) informiert, dass der Artikel auf die Frontseite kommt. Ich habe ihnen auch gesagt, dass wir für einen Frontartikel 200 Franken bezahlen. Die 200 Franken habe ich zum Termin mitgebracht und übergeben. X. hat das Geld gerne genommen.» In der ergänzenden Stellungnahme vom 4. April 2002 machte der Rechtsvertreter der Beschwerdegegner neu geltend, es habe sich um eine «nachträgliche Honorierung im Sinne einer Spesenübernahme» gehandelt. Verena Schoder «hatte mit der Schwester der Interviewten (…) ein Gespräch vereinbart, ohne dass die Interviewte ein Honorar gefordert oder dass die Journalistin im Vorfeld eine Honorierung angeboten hätte. Hingegen hat sie nach Absprache mit der Chefredaktion, im Wissen, dass eine Strafgefangene kaum finanzielle Mittel zur Verfügung hat, der ganzen Familie Spesen und Mittagessen offerieren wollen. Dass in diesem Fall das Informationshonorar doppelt so hoch ist wie üblicherweise in der Zeitung publiziert (…) ist einzig und allein auf die Tatsache zurückzuführen, dass bei diesem sonntäglichen Interview vier Personen im Restaurant anwesend waren: die Mutter, ihre Schwester und die beiden Kinder.»
e) Ungeachtet dieses offensichtlichen Widerspruches in der Darstellung des massgeblichen Sachverhalts zwischen Rechtsvertreter und Journalistin gelangt der Presserat in Würdigung der konkreten Umstände zum Schluss, dass die 200 Franken X. offenbar nicht entscheidend zur Abgabe des Interviews bestimmt haben. Als gemäss ihrer Darstellung unschuldig wegen Mordes Verurteilte hatte sie ein mögliches eigenes Interesse daran, ihre Optik der Dinge noch einmal durch die «Obersee Nachrichten» wiedergeben zu lassen. Dementsprechend ist eine Verletzung von Ziffer 4 der «Erklärung» zu verneinen.
Wenn gemäss der eigenen Darstellung von Verena Schoder aber das «Honorar» für X. (zwingende allein durch das Interview verursachte zusätzliche Auslagen sind soweit ersichtlich für sie nicht angefallen) bereits vor dem Gespräch angeboten wurde, war dies bei einer Strafgefangenen, die während längerer Zeit über kein erhebliches Einkommen verfügt, doch zumindest problematisch. In ihrer damaligen Situation war der Betrag von 200 Franken für X. nicht derart geringfügig, dass er von vornherein ungeeignet gewesen wäre, ihren Entscheid zur Einwilligung in ein Interview zu beeinflussen.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2. Die «Obersee Nachrichten» haben durch die Nennung der Vornamen der beiden Töchter des Beschwerdeführers einerseits und des Familiennamens andererseits gegen Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen. In erster Linie wurde dadurch die Privatsphäre der Töchter verletzt, in zweiter Linie jene des Beschwerdeführers.
3. Mit dem Abdruck von Fotos, auf denen die beiden Töchter zusammen mit X. zu sehen sind, haben die «Obersee Nachrichten» zusätzlich in krasser Weise die Privatsphäre der beiden Mädchen im Sinne von Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt. Dass die Aufnahmen auf Wunsch der Mädchen und mit Einwilligung der Mutter geschahen, enthob die Journalistin nicht ihrer berufsethischen Verantwortung. In diesem Fall hätte sie das Wohl der Kinder – das sie zu Beginn richtig erkannt hatte – über deren kurzfristige und kurzsichtige Wünsche stellen müssen.
4. Zur Beurteilung der berufsethischen Zulässigkeit der Bezahlung eines Entgelts für eine Information oder ein Interview ist in einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls auf den Charakter (Auslagenersatz oder Lohn?), den Umfang (geringfügiger oder erheblicher Betrag?) und den Zweck der geldwerten Leistung (Wahrscheinlichkeit der Beeinflussung des Willens des Empfängers) abzustellen.
5. Es ist berufsethisch zumindest problematisch, einer Strafgefangenen im Voraus ein Informationshonorar von 200 Franken für ein Interview anzubieten, da dieser Betrag für eine Person ohne erhebliches Einkommen nicht als derart geringfügig erscheint, dass er von vornherein ungeeignet wäre, den Entscheid zur Einwilligung in ein Interview zu beeinflussen.