Nr. 2/2003
Namensnennung bei einem Ermittlungsverfahren gegen einen Lehrer

(X. c. «Wochenblatt») Stellungnahme des Presserates vom 7. Februar 2003

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I. Sachverhalt

A. Das «Wochenblatt» (Anzeiger für das Schwarzbubenland und Laufental) berichtete in seiner Ausgabe vom 15. Oktober 2002 mit folgenden Titeln: «Lehrer mit sofortiger Wirkung freigestellt», «Die Kreisschule Leimental hat letzte Woche den Bezirksschullehrer X. mit sofortiger Wirkung freigestellt.» Dieser habe sich gegenüber einem Mitglied «als bezahlender Konsument von Kinderpornografie im Internet Ðgeoutetð.» Im Rahmen einer im September 2002 durchgeführten grossen Ermittlungsaktion gegen Internetkinderpornografie sei ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet worden. Wegen den bereits begonnenen Ferien habe sich die Schulbehörde in diesem Fall für eine offene Namensnennung entschieden. Sie wolle damit verhindern, dass die anderen Lehrkräfte wegen Ferienabwesenheit zum Gegenstand von wilden Spekulationen werden könnten.

B. Mit Beschwerde vom 15. Oktober 2002 gelangte der anwaltlich vertretene X. mit einer Beschwerde an den Presserat und rügte die in seinen Augen unzulässige Namensnennung durch das «Wochenblatt». Er beantragte, «es sei festzustellen, dass die Berichterstattung (…) die presserechtlichen Grundsätze auf Persönlichkeitsschutz und Unschuldsvermutung verletzt hat».

C. In einer Stellungnahme vom 9. Dezember 2002 beantragte die durch den Geschäftsführer der Medien der Vogt-Schild / Habegger Medien AG vertretene Redaktion des «Wochenblatts», die Beschwerde sei vollumfänglich abzuweisen.

Die für den beanstandeten Artikel verantwortliche Redaktorin habe sich auf eine Medienmitteillung der Kreisschule Leimental gestützt. Darin sei darauf hingewiesen worden, dass die volle Namensnennung absichtlich erfolge, um andere Lehrkräfte der Schule vor falschen Verdächtigungen zu schützen. Zudem sei der Medienbeauftragte der Solothurner Regierung als Kontaktperson angegeben gewesen. Die Redaktorin «hatte aufgrund der schriftlich vorliegenden Medienmitteilung allen Grund zur Annahme, dass die volle Namensnennung seitens der Kreisschule Leimental sowohl rechtlich wie auch menschlich und psychologisch wohl überlegt war. Die Nennung eines professionellen Informations- und Medienbeauftragten auf Regierungsstufe als offizielle Auskunftsperson liess es überflüssig erscheinen, die Nennung des vollen Namens des Betroffenen im eigenen Organ noch eingehend zu diskutieren und die Pros und Contras abzuwägen.»

In der Medienmitteilung sei zudem festgehalten gewesen, dass sich der betroffene Lehrer selber gegenüber einem Mitglied der Schulleitung «geoutet» habe. «Für jeden Leser der Medienmitteilung war also klar, dass bereits ein Geständnis und nicht nur ein Verdacht vorlag.» Schliesslich könne die These des Beschwerdeführers, er sei als Bezirksschullehrer keine Person des öffentlichen Lebens, so nicht aufrechterhalten werden. Wenn ein Bezirksschullehrer, «dem Dutzende von Eltern ihre Kinder nicht nur zur reinen Ausbildung, sondern auch zur Erziehung zu rechtschaffenen Mitgliedern unserer Gesellschaft anvertrauen, in einer perversen Art zu Pädophilie neigt, ist er – wegen einer spezifischen Funktion – eben doch eine Person des öffentlichen Lebens.»

D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

E. Am 13. Dezember 2002 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 7. Februar 2003 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» ist die Privatsphäre der einzelnen Personen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Die Richtlinie 7.6 (Namensnennung) zur «Erklärung» hält fest, dass «Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich weder Namen nennen, noch andere Angaben machen, die eine Identifikation einer von einem Gerichtsverfahren betroffenen Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden». Die Richtlinie nennt allerdings auch Ausnahmen von dieser Grundregel:

– Überwiegendes öffentliches Interesse (inhaltlich unbestimmte «Generalklausel»); – Nennung eines politischen oder amtlichen Funktionsträgers, soweit das Delikt einen Bezug zu dieser Funktion hat; – Gefahr von Verwechslungen, falls der Name nicht genannt wird; – Wenn die Person bereits allgemein bekannt ist – wobei meist die Medien im konkreten Fall für die Bekanntheit gesorgt haben, weshalb diese Ausnahme mit besonderer Zurückhaltung anzuwenden ist; – Ausdrückliche Einwilligung der Betroffenen.

Schliesslich bekräftigt die Richtlinie 7.5 zur «Erklärung», dass bei der Gerichtsberichterstattung der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen ist. «Nach einer eventuellen Verurteilung haben Journalistinnen und Journalisten auf die Familie und die Angehörigen der / des Verurteilten, wie auch auf die Resozialisierungschancen Rücksicht zu nehmen.»

2. Die Redaktion des «Wochenblatts» beruft sich vorliegend sinngemäss auf zwei dieser Ausnahmen: Der Beschwerdeführer sei als Lehrer ein amtlicher Funktionsträger, und zudem habe wegen der Ferienzeit die Gefahr von Verwechslungen bestanden.

3. a) Der Presserat hat in seiner Stellungnahme 6/99 i.S. X. c. «Blick» darauf hingewiesen, dass bei Politikern oder Trägern öffentlicher Funktionen die Namensnennung unangebracht ist, wenn der Gegenstand der Berichterstattung allein das Privatleben betrifft. Anders ist es hingegen, wenn ein Zusammenhang zwischen einem Strafverfahren und einer öffentlichen Funktion zu bejahen ist. Die anerkannte Kritik- und Kontrollfunktion der Medien kann nicht erst bei der Hauptverhandlung oder nach dem Urteil einsetzen. Das öffentliche Interesse an einer Namensnennung ist um so höher zu gewichten, je gewichtiger die Stellung des Betroffenen ist. Ebenso ist in die Interessenabwägung die Schwere der zur Diskussion stehenden Delikte einzubeziehen. Schliesslich ist auch zu berücksichtigen, wie konkret ein Verdacht erscheint.

b) Vorliegend ist ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers und dem ihm vorgeworfenen Verhalten insofern gegeben, als es aus Sicht von Schulbehörde, Eltern und Kindern nicht zumutbar erscheint, dass ein Konsument von Kinderpornografie weiterhin pädagogische Aufgaben wahrnimmt. Insofern ist der Gegenstand der strafrechtlichen Ermittlungen nicht einfach dem Privatleben des Beschwerdeführers zuzuordnen, obwohl aufgrund der dem Presserat eingereichten Unterlagen nicht davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer allfällige pädophile Neigungen im Schulunterricht auslebte und somit kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der vorgeworfenen deliktischen Tätigkeit und der öffentlichen Funktion besteht. Auch wenn der gegenüber einem Pädagogen erhobene Vorwurf schwer wiegt, Kinderpornographie im Internet konsumiert zu haben, spricht insbesondere die heutzutage im Vergleich zu anderen Berufen nicht besonders herausragende Stellung eines einfachen Bezirksschullehrers gegen eine Namensnennung. Eine Namensnennung ist deshalb bei einem Lehrer ohne besondere leitende Funktionen in der Regel ebenso ungerechtfertigt wie bei einem einfachen öffentlich-rechtlich Angestellten der Verwaltung oder einem gewöhnlichen Arbeitnehmer. Hinzu kommt, dass die Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer im Zusammenhang mit einer grossangelegten gesamtschweizerischen Polizeiaktion gegen Kinderpornografie im Internet stehen. Auch unter diesem Gesichtspunkt erschiene es unverhäl
tnismässig, den Beschwerdeführer quasi stellvertretend für eine grosse Zahl von mutmasslichen Konsumenten von Internetpornografie herauszugreifen und in der Öffentlichkeit blosszustellen.

4. Bei «Verwechslungsgefahr» im Sinne von Richtlinie 7.6 ist eine Namensnennung ausnahmsweise zulässig, weil damit eine durch die Medienberichterstattung bewirkte Gefahr falscher Verdächtigungen vermieden werden soll. Ausgehend von der Argumentation der betroffenen Schulbehörde konnten bei einem Verzicht auf die Namensnennung – ohne begleitende Massnahmen – tatsächlich falsche Gerüchte und Anschuldigungen in Umlauf kommen. Selbst dann müssen Journalisten aber prüfen, ob die Namensnennung verhältnismässig ist, oder ob es nicht weniger weit gehende Möglichkeiten gibt, Verwechslungen zu vermeiden. Der Medienmitteilung der betroffenen Kreisschule ist zu entnehmen, dass die Lehrerschaft gleichzeitig mündlich, die Schüler und Eltern schriftlich über die Freistellung des Beschwerdeführers orientiert wurden. Unter diesen Umständen war die Gefahr von Verwechslungen aber wirksam gebannt, denn dank direkter Kommunikation durch die Schulbehörde war das direkte Umfeld von Schule und Beschwerdeführer innert kürzester Zeit im Bilde. Die einen wesentlich grösseren Kreis von Adressaten erfassende namentliche Kommunikation durch das «Wochenblatt» war damit nicht mehr zwingend notwendig und somit unverhältnismässig.

5. Soweit die Redaktion des «Wochenblatts» weiter geltend macht, angesichts der ausdrücklichen Aufforderung der Schulbehörde an die Medien, den Namen des Beschwerdeführers offen zu nennen, sei eine eigene Prüfung dieser Frage durch die Zeitung nicht mehr notwendig gewesen, ist auf die seit der Stellungnahme 8/94 i.S. X. c. «Blick» (bestätigt in 7/99 i.S. Affäre L.) geltende Praxis des Presserates hinzuweisen. Danach sind Medienschaffende auch dann verpflichtet, nach medienethischen Kriterien zu prüfen, ob eine Namensnennung gerechtfertigt ist, wenn ein Name von einer Behörde zur Publikation freigegeben worden ist. Vorbehalten sind einzig Fälle, bei denen ein Name z.B. im Rahmen einer direkt übertragenen Pressekonferenz einer Behörde bereits derart publik geworden ist, dass ein Verzicht auf die Namensnennung in den Medien realitätsfremd wäre. Vorliegend hat die Schulbehörde zwar das direkte Umfeld der Schule, nicht aber die breite Öffentlichkeit selber informiert, so dass das «Wochenblatt» aufgrund einer eigenen Prüfung zum Schluss hätte kommen müssen, entgegen der Empfehlung der Behörde auf die Namensnennung zu verzichten.

6. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus eine Verletzung der Richtlinie 7.5 (Unschuldsvermutung) geltend macht, braucht der Presserat auf diese Rüge nicht näher einzugehen. Denn die Frage, ob das «Wochenblatt» die strafrechtliche Unschuldsvermutung ungegenügend respektiert hat, würde sich insbesondere dann stellen, wenn die identifizierende Berichterstattung berufsethisch als zulässig zu erachten wäre. Dies ist aber nach dem oben Ausgeführten zu verneinen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist.

2. Eine namentliche Berichterstattung über ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren ist bei einem Lehrer ohne besondere leitende Funktionen in der Regel ebenso ungerechtfertigt wie bei einem einfachen öffentlich-rechtlich Angestellten der Verwaltung oder einem gewöhnlichen Arbeitnehmer.

3. Eine namentliche Berichterstattung zur Vermeidung von Verwechslungen und falschen Anschuldigungen ist dann unverhältnismässig, wenn die Verwechslungsgefahr durch weniger weit gehende Massnahmen vermieden werden kann.

4. Medienschaffende sind auch dann verpflichtet, nach medienethischen Kriterien zu prüfen, ob eine Namensnennung gerechtfertigt ist, wenn ein Name von einer Behörde zur Publikation freigegeben worden ist.