Nr. 25/2008
Namensnennung

(X. c. «Tages-Anzeiger» / «ZürichseeZeitung») Stellungnahme des Presserates vom 22. Mai 2008

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Zusammenfassung

Resumé

Riassunto

I. Sachverhalt

A. Vom September 2007 bis Januar 2008 berichtete die Regionalausgabe für das rechte Zürichseeufer des «Tages-Anzeiger» sowie die «Zürichsee-Zeitung» in mehreren Artikeln über einen Konflikt in Stäfa. Es ging dabei um die Nutzung einer Wohnung mitten in einem Wohnquartier durch die Sterbehilfe-Organisation Dignitas.

B. Am 21. September 2007 berichtete die Zeitung («Gemeinde erlässt Nutzungsverbot») über einen Beschluss des Stäfner Gemeinderates: für die von der Sterbehilfe-Organisation Dignitas als Sterbewohnung genutzte Wohnung an der Y.-Strasse sei eine baurechtliche Bewilligung notwendig, sofern sie weiter für die Sterbebegleitung genutzt werden sollte; vom rechtmässigen Zustand her dürfe die Wohnung nur zu Wohnzwecken genutzt werden. Eine entsprechende Mitteilung sei, so der Bericht, an die Dignitas und «an den Eigentümer der Wohnung, den X. aus Stäfa» ergangen.

C. Am 5. Oktober 2007 berichtete der «Tages-Anzeiger» in seiner Ausgabe für das Rechte Ufer unter dem Titel «Dignitas aus Rache nach Stäfa geholt» ausführlich über einen Konflikt unter den Bewohnern der Liegenschaft, in welcher die von der Dignitas genutzte Wohnung liegt. Dargelegt wird, wie die Bewohner der Liegenschaft sich zunehmend zerstritten hätten, so dass nach einer konfliktgeladenen Versammlung der Stockwerkeigentümer der Streit schliesslich vor dem Friedensrichter gelandet sei. Gegenüber gestanden seien sich auf der einen Seite das im Bericht namentlich genannte Ehepaar X., auf der anderen Seite die restlichen Eigentümer. Im Bericht zu Wort kommen diverse Anwohner, die aus ihrer Perspektive heraus schildern, wie das Ehepaar X. den Konflikt schuldhaft verursacht habe; die Lage sei schliesslich so unerträglich geworden, dass diese ausgezogen seien. Aus Rache habe darauf X. seine Wohnung an die Dignitas vermietet. Die dazu von der Journalistin des «Tages-Anzeigers» befragte Assistentin des Anwalts von X. bestreitet diese Sichtweise.

D. Am 24. November 2007 erschien im selben Regionalsplit des «Tages-Anzeiger» ein weiterer Bericht («Minelli sucht Anwohner in Stäfa auf») zum Konflikt der Eigentümer an der Y.-Strasse. An einer Eigentümer-Versammlung sei unangemeldet Ludwig A. Minelli aufgetaucht und habe Interesse gezeigt, die Wohnung zu kaufen und privat zu nutzen. «Der Eigentümer der Wohnung, X., hat ihm diese zum Kauf angeboten.»

E. Am 29. November 2007 berichtete die «Zürichsee-Zeitung rechtes Ufer» («Wer will das Sterbezimmer bewohnen»), Dignitas wolle die am 26. September polizeilich versiegelte, ehemalige Sterbewohnung in Stäfa nun zum Wohnen nutzen. Über das entsprechende Gesuch habe der Gemeinderat noch nicht entschieden. In einem separaten Kasten wurde erwähnt, «der Eigentümer der Wohnung, X., habe den Bewohnern der Liegenschaft allerdings mitgeteilt, dass Ludwig A. Minelli am Kauf der Wohnung interessiert sei».

F. Am 22. Januar 2008 erwähnte der «Tages-Anzeiger»-Regionalsplit den Namen des X. gleich in zwei Artikeln. Im ersten Bericht «Unkonventionelle Wohnungssuche am See» wurde erwähnt, X. habe sich auf ein aussergewöhliches Wonungssuchinserat einer Familie gemeldet und ihr die ehemalige Sterbehilfewohnung in Stäfa angeboten. Gegenstand des zweiten Berichts «Mieter für idyllische Ex-Sterbewohnung gesucht» war die Suche von Dignitas-Chef Ludwig A. Minelli nach einem Nachmieter für die ehemalige Sterbewohnung.

G. Am 28. Januar 2008 gelangte X. mit einer Beschwerde an den Presserat. Darin machte er geltend: «Die Erwähnung meines Namens ist für eine sachliche Berichterstattung absolut unerheblich. Meine Familie und deren Angehörige (Sohn, Enkel) wurden dadurch in ihrer und meiner Privatsphäre bewusst und gezielt verletzt.» Ohne ausdrücklich darauf Bezug zu nehmen, rügt X. damit sinngemäss eine Verletzung der Ziffer 7 (Respektierung der Privatsphäre) der «Erklärung der Rechte und Pflichten der Journalistinnen und Journalisten».

H. Am 5. März 2008 beantragte die den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene Redaktion des «Tages-Anzeigers», Regionalausgabe für das Rechte Ufer, die Beschwerde sei abzuweisen. Der Beschwerdeführer habe «seine Wohnung nicht irgend jemandem vermietet bzw. zum Kauf angeboten, sondern der Sterbehilfeorganisation ‹Dignitas›, und dies in einer Zeit, als deren Sterbehilfepraktiken und -örtlichkeiten Gegenstand heftigster öffentlicher Diskussion» gewesen seien. Damit habe er die öffentliche Diskussion selber angezogen und sei entsprechend auch unter Nennung des Namens in den Fokus der Medienberichterstattung gekommen. Die Artikel seien ausschliesslich in der Regionalausgabe für das Rechte Zürichseeufer erschienen; in dieser Gegend sei es allgemein bekannt gewesen, wem die an die «Dignitas» vermietete Wohnung gehörte. «Soweit sich die Berichterstattung auf das Zurverfügungstellung der Wohnung als Sterbeort für Dignitas-Kunden und auf die damit direkt zusammenhängenden Umstände bezogen, war sie durch öffentliches Informationsinteresse gedeckt.»

I. Am 5. März 2008 beantragte der Chefredaktor der «Zürichsee-Zeitung», Benjamin Geiger, seinerseits, die Beschwerde sei abzuweisen, da «unsere Berichterstattung die Ziffer 7 der ‹Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten› nicht verletzt» habe. Die Diskussion um die Sterbewohnung in Stäfa sei von «hohem öffentlichem Interesse» und Herr X. «kein zufällig vom Geschehen Betroffener, sondern ein Hauptakteur» gewesen. Nicht die Medien hätten Herrn X. angeprangert, diese hätten lediglich über dessen «Anprangerung» berichtet. Darüber hinaus habe die Namensnennung eine für andere Stockwerkeigentümer in der gleichen Liegenschaft nachteilige Verwechslung verhindert.

K. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin an sowie Thomas Bein, Andrea Fiedler, Claudia Landolt Starck, Peter Liatowitsch und Max Trossmann. Daniel Suter, Redaktor des «Tages-Anzeigers», trat von sich aus in den Ausstand.

L. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 22. Mai 2008 sowie auf dem Korrespondenzweg

II. Erwägungen

1. Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, die Privatsphäre der einzelnen Person zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Die Richtlinie 7.6 (Namensnennung) zur «Erklärung» hält fest, dass Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich weder Namen nennen, noch andere Angaben machen, die eine Identifikation einer im Medienbericht erwähnten Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden.» Die Richtlinie 7.6 nennt zudem auch die Voraussetzungen, die eine identifizierende Berichterstattung ausnahmsweise erlauben. So generell, wenn dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Beispielsweise aber auch dann, wenn die Namensnennung notwendig ist, um eine für Dritte nachteilige Verwechslung zu vermeiden.

2. Beide Beschwerdegegner berufen sich denn auch darauf, die Berichterstattung zu den Auseinandersetzungen über die von der Dignitas genutzte Wohnung in Stäfa sei von hohem öffentlichem Interesse und die Nennung des Namens des Beschwerdeführers deshalb zulässig gewesen.

3. Für den Presserat ist das Interesse an der öffentlichen Auseinandersetzung über die Sterbehilfe und über das Vorgehen der Sterbehilfeorganisation «Dignitas» unbestritten. Fraglich ist allerdings, ob es dazu unerlässlich war, den Eigentümer und Vermieter der von Dignitas gemieteten Wohnung namentlich zu nennen. Die Beschwerdegegner machen dazu gel
tend, wer der Sterbehilfeorganisation Dignitas eine Wohnung für deren umstrittenen Praktiken vermiete, dürfe sich nicht wundern, wenn er in die Fokus der Medien gerate. Und es müsse der Regionalberichterstattung erlaubt sein, Hintergründe auszuleuchten, warum jemand mitten in einem Wohnquartier Dignitas Räume zur Durchführung von Selbsttötungen anbietet. Dieses Recht der Regionalmedien wird vom Presserat nicht in Frage gestellt. Dazu war aber die Identifikation des Beschwerdeführers über sein näheres soziales Umfeld hinaus nicht notwendig, zumal die Namensnennung der Leserschaft keine wesentliche zusätzliche Informationen brachte, dank der sie sich ein genaueres Bild über die Auseinandersetzung machen konnte. Auch wenn die Vermietung oder der Verkauf einer Liegenschaft an eine Organisation wie Dignitas in der Öffentlichkeit umstritten ist, kann allein daraus noch kein das Recht auf die Respektierung der Privatsphäre überwiegendes öffentliches Interesse an der medialen Identifikation des Vermieters dieser Liegenschaft abgeleitet werden. Speziell problematisch war die Namensnennung in den beiden Artikel des «Tages-Anzeigers» vom 22. Januar 2008, ging es doch zu diesem Zeitpunkt nicht mehr um die umstrittene Nutzung der Wohnung zur Sterbebegleitung, sondern bloss noch um die Weitervermietung respektive den Verkauf der Liegenschaft.

4. Die «Zürichsee-Zeitung» wendet zusätzlich ein, die Namensnennung des Beschwerdeführers habe es ermöglicht, die Verwechslung mit anderen Stockwerkeigentümern in der gleichen Überbauung zu vermeiden. Den Presserat überzeugt auch dieses Argument nicht. Im engeren Umfeld in Stäfa dürfte die involvierten Personen bekannt sein, so dass hier eine Verwechslung unwahrscheinlich erscheint. In dem Presserat eingereichten Medienberichten wurden zudem verschiedene «Anwohner» namentlich genannt, weshalb zumindest für diese Personen keine Verwechslungsgefahr besteht. Ausserhalb von Stäfa bestand über das generelle Interesse am Konflikt hinaus kaum ein Interesse an der Person des konkret involvierten Vermieters.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Der «Tages-Anzeiger»/Ausgabe für das Rechte Zürichseeufer und die «Zürichsee-Zeitung rechtes Ufer» haben mit ihren Berichten vom 21.September 2007, 5. Oktober 2007, 24. November 2007 und 22. Januar 2008 respektive vom 29. November 2007 über den Konflikt um eine von der Dignitas gemietete und als Wohnung für die Sterbebegleitung genutzte Wohnung die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten verletzt.

3. Die Namensnennung des Eigentümers einer Liegenschaft ist nicht allein schon deshalb gerechtfertigt, weil deren Vormietung oder der Verkauf an eine Organisation wie Dignitas in der Öffentlichkeit umstritten ist.

Zusammenfassung

Resumé

Riassunto