Nr. 59/2009
Namensnennung

(Bundesamt für Polizei c. «Die Weltwoche») Stellungnahme des Presserates vom 12. November 2009

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Zusammenfassung

Resumé

Riassunto

I. Sachverhalt

A. Am 22. Januar 2009 erschien die «Weltwoche» mit einem Artikel von Urs Paul Engeler zu den Polizei- und Justizbehörden des Bundes. Nach dem Titel «Fall Roduner. Irre Führung, amtliche Delinquenz» lautete der Lead wie folgt: «Der Fall Holenweger hat bis jetzt vier Delikte zutage gefördert: Irreführung der Rechtspflege, Urkundenfälschung, Diebstahl und Amtsgeheimnisverletzung. Diese Delikte wurden von den Behörden begangen, die das Verbrechen bekämpfen sollten. Wie kriminell ist die Schweizer Justiz?» Ausgehend von den sich seit 2003 hinziehenden Ermittlungen gegen den Bankier Oskar Holenweger kritisiert Engeler fragwürdige Aktionen und Methoden. Unter anderem berichtet er, zwei Mitarbeiter der Bundeskriminalpolizei (BKP) würden der Fälschung eines Protokolls, einer Unterschrift und von Computerdaten im Jahre 2003 verdächtigt. Nachdem der BKP-Chef 2007 deswegen eine Strafanzeige wegen Verdachts auf Urkundenfälschung veranlasst hatte, kämen die beiden Spezialisten für verdeckte Ermittlungen wohl bald in Bern vor Gericht. Engeler nannte die beiden Kommissäre und einen deutschen Fahnder der BKP mit vollem Namen.

B. Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement reichte am 3. April 2009 Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen Urs Paul Engeler und die «Weltwoche» ein. Das Fedpol beanstandet, durch die Nennung der Namen seiner verdeckten Ermittler seien diese in ihrer beruflichen Funktion enttarnt worden. Dies könne die Enttarnten an Leib und Gut gefährden und zu Vertrauenskrisen zwischen Polizei, Justiz und Gesellschaft führen. Auch die Zusammenarbeit mit ausländischen Polizeien sei in Frage gestellt worden. Der Einsatz solcher Spezialisten der Bundeskriminalpolizei erfordere absolute Geheimhaltung. Deshalb schütze ein spezielles Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung ihre Integrität und Identität. «Sämtliche Medien in der Schweiz, die sich zu diesem Thema äusserten, haben sich daran gehalten, nur die «Weltwoche» nicht. Diese liess diese Personen auffliegen und verunmöglichte dadurch, dass diese Mitarbeiter noch in ihrer angestammten Tätigkeit eingesetzt werden können.»

Das Magazin habe mit der ungerechtfertigten Namensnennung die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt, nämlich die einschlägigen Richtlinien 7.1 (Schutz der Privatsphäre) und 7.6 zur Namensnennung. Keine der in Richtlinie 7.6 genannten Ausnahmen zur Identifizierung sei gegeben, weder ein überwiegendes öffentliches Interesse noch eine leitende Stellung der Angeschuldigten in ihrer staatlichen Funktion; sie nähmen nur eine untere Charge ein. Die «Weltwoche» habe durch die Namensnennung erheblichen Schaden angerichtet und auch die berufliche Zukunft der Genannten verbaut.

C. Am 7. Juli 2009 wies die Weltwoche Verlags AG die Beschwerde zurück. Gemäss «Weltwoche» hat das Bundesamt für Justiz selbst die Genannten 2007 erstmals der Öffentlichkeit preisgegeben, indem es ein Strafverfahren wegen Urkundenfälschung im Amt gegen zwei der drei einleitete. Deswegen waren die beiden Beschuldigten schon mindestens ein Jahr vor Publikation in der «Weltwoche» amtsintern versetzt worden, arbeiteten also nicht mehr als verdeckte Ermittler. Das enorme öffentliche Interesse an den Fehlleistungen der leitenden Ermittler habe es gerechtfertigt, deren Namen und Funktion zu veröffentlichen.

Die Beschwerdegegnerin unterstreicht, die beiden BKP-Mitarbeiter hätten zur Zeit der vorgeworfenen Urkundenfälschung keineswegs eine untergeordnete Stellung innegehabt, sondern im Gegenteil eine leitende. So sei der eine per 1. Juni 2002 als Kommissariatsleiter Verdeckte Ermittlungen, Abteilung Spezialeinsätze der Bundeskriminalpolizei, eingesetzt worden, der zweite sei sein Stellvertreter gewesen. Die Einsetzung als Leiter Verdeckte Ermittlungen habe die Beschwerdeführerin sogar per Medienmitteilung vom 9. April 2002 öffentlich kommuniziert. Diese Mitteilung ist frei im Internet abrufbar, ebenso auf der Homepage des Fedpol; entsprechende Prints liegen der Beschwerdeantwort bei. Der vormalige Leiter der verdeckten Ermittler sei also ohne Weiteres auffind- und damit identifizierbar.

Die «Weltwoche» bestreitet, dass die Angeschuldigten aus beruflichen Gründen eines besonderen Schutzes ihrer Privatsphäre bedurften. Denn bei der Publikation waren sie ja nicht mehr als Ermittler tätig. Zudem habe der Bericht ihr Privatleben nicht tangiert.

Laut Beschwerdegegnerin gehört der Fall Holenweger zum Umstrittensten und Brisantesten, was von den Medien in den letzten Jahrzehnten begleitet worden ist. Daher sei absolute Transparenz erforderlich, auch was die Arbeitsweise der Leitung der verdeckten Ermittler betrifft. Diesen Ermittlern würden Privilegien sowie ein weitreichender Schutz eingeräumt. Wenn aber die Chefs in ihrer staatlichen Funktion Verfehlungen begangen haben sollen, sei es unumgänglich, diese Personen und ihre Funktion zu offenbaren. Das sei gerade eine der Ausnahmen, in denen der Presserat eine Namensnennung billige.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin an sowie Thomas Bein, Andrea Fiedler, Claudia Landolt Starck, Peter Liatowitsch, Daniel Suter und Max Trossmann.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 12. November 2009 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde behandelt einen Spezialfall der identifizierenden Berichterstattung. Denn falls die von der «Weltwoche» namentlich Genannten tatsächlich als verdeckte Kriminalermittler arbeiteten, erforderte dies a priori deren völlige Anonymität. Diese kann ja so weit gehen, dass solchen Ermittlern eine sogenannte Legende gestrickt wird, ihnen also eine zweite, berufliche Identität mit neuem Lebenslauf, Aussehen, Ausweisen verpasst wird, hinter der ihre ursprüngliche Persönlichkeit verschwindet. Obwohl also auf den ersten Blick klar scheint, dass solche verdeckte Ermittler selbstverständlich nicht geoutet werden dürfen, beruft sich nicht nur das beschwerdeführende Bundesamt für Justiz auf die Richtlinie 7.6 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten», wonach keine der dort genannten Ausnahmen die Namensnennung rechtfertigte, sondern auch die Beschwerdegegnerin mit dem gegenteiligen Befund.

2. Die Ziffer 7 der «Erklärung» verlangt von den Journalisten: «Sie respektieren die Privatsphäre der einzelnen Person, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Sie unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen.» Und die Richtlinie 7.6 hält sie an, grundsätzlich weder Namen zu nennen noch andere Angaben, die eine Identifikation einer von einem Gerichtsverfahren betroffenen Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden.

Ausnahmen von der Grundregel sind zulässig – wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse dies rechtfertigt; – wenn die Person mit einem politischen Amt oder einer staatlichen Funktion betraut ist und sie beschuldigt wird, damit unvereinbar gehandelt zu haben; – wenn eine Person in der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist; diese Ausnahme ist zurückhaltend anzuwenden; – wenn die betroffene Person ihren Namen im Verfahren selber öffentlich macht oder in die Veröffentlichung einwilligt; – wenn die Nennung nötig ist, um eine für Dritte nachteilige Verwechslung zu vermeiden.

3. Die Beschwerdeantwort der «Weltwoche» stellt vor allem darauf ab, dass die beiden namentlich Genannten in Chefpositionen eines wichtigen Spezialdienstes des Fedpol tätig waren, also
in einer staatlichen Funktion. Und dass sie die ihnen vorgehaltene Urkundenfälschung in ebendieser amtlichen Funktion begangen hätten. Demzufolge treffe die zweite der oben unter Richtlinie 7.6 aufgeführten Ausnahmen zu, die eine Identifizierung erlauben. Mit Vehemenz weist die Redaktion die Aussage des Fedpol zurück, die beiden Ermittler seien nur Mitarbeiter der Bundeskriminalpolizei in untergeordneten Chargen gewesen. In Bezug auf die Position in der Hierarchie des Fedpol folgt der Presserat der Beschwerdegegnerin. In der Tat scheinen die Stellen von Chef und Vize des Kommissariats Verdeckte Ermittlungen in der Abteilung Spezialeinsätze des BKP nicht unbedeutend.

Doch entscheidet die Chefposition und die vorgeworfene Tat qua amtliche Funktion in dieser speziellen Konstellation nicht allein. Vielmehr sieht der Presserat ein weiteres gewichtiges Argument für eine Namensnennung: Nämlich das gesteigerte öffentliche Interesse an Transparenz in einem heiklen Bereich, der normalerweise der Kontrolle durch die Öffentlichkeit entzogen ist. Daher müssen Kriminalpolizisten, die in einem derart heiklen Sektor tätig sind, absolut sauber und gesetzestreu arbeiten. An sie und ihre Arbeit sind höchste Ansprüche zu stellen. Besteht der erhebliche Verdacht, dass sie in ihrem Amt eine Urkundenfälschung begangen haben, dann rechtfertigt das, sie mit Namen zu nennen. Der strikte Schutz ihrer Anonymität gilt dann nicht mehr.

4. Die Redaktion macht auch geltend, dass die beiden Identifizierten zum Zeitpunkt der Publikation längst nicht mehr als verdeckte Ermittler tätig waren. Das ist richtig. Und doch nicht allein massgeblich. Denn es ist ja denkbar, dass das Strafverfahren die Angeschuldigten entlastet und sie danach wieder in ihre alte Tätigkeit zurückkehren könnten – hätte die «Weltwoche» sie nicht enttarnt. Oder dass sie dies nach einem Prozess, freigesprochen oder nicht, tun könnten.

Entscheidend ist für den Presserat die Frage, ob die beiden Angeschuldigten überhaupt operativ als verdeckte Ermittler tätig waren. Der Presserat zweifelt daran. Wahrscheinlicher scheint, dass sowohl der Leiter der Abteilung Verdeckte Ermittlungen wie sein Stellvertreter dispositiv, einsatzplanend und verwaltend arbeiteten denn operativ im Feld unter Decknamen. Darauf deutet auch, dass zumindest der Chef samt Geburtsdatum und Funktion in einer Medienmitteilung namentlich erwähnt worden war.

5. Mehrmals weist die «Weltwoche» darauf hin, das Bundesamt für Polizei habe die beiden BKPler ja schon 2007 «der Öffentlichkeit preisgegeben», lange vor der Publikation des Artikels. Doch war mit der Eröffnung des Strafverfahrens im Juli 2007 tatsächlich eine öffentliche Identifizierung der beiden Kriminalpolizisten verbunden? Der Presserat meint zwar, dies sei nicht zwangsläufig so gewesen. Aber mit den Strafermittlungen und einem bevorstehenden Prozess war die Möglichkeit real, dass ihre Namen öffentlich würden.

Die Beschwerdeführerin hat nur teilweise Recht, wenn sie am 3. April 2009 schreibt, alle Medien ausser der «Weltwoche» hätten darauf verzichtet, Namen bekannt zu geben. So nannte zum Beispiel der «Tages-Anzeiger» im Artikel «Neuer, brisanter Verdacht im Fall Ramos» vom 31. Januar 2009 alle drei auch in der «Weltwoche» benannten BKP-Leute mit ihren richtigen Vornamen, dem Initial ihrer Familiennamen und ihrer Funktion.

6. Die Redaktion argumentiert, der Kommissariatsleiter sei seit seiner Ernennung und der entsprechenden Medienmitteilung im April 2002 ohne grossen Aufwand auffindbar und identifizierbar gewesen. Das Argument ist allerdings nicht ausschlaggebend. Denn wohl gelangt man im Internet und auf der Fedpol-Homepage rasch zum Namen und zur Funktion des Ermittlerchefs. Aber ohne den Konnex zum Fall Holenweger oder die Information, wer in welcher Funktion die Urkundenfälschung begangen haben soll, kann man damit kaum etwas anfangen.

7. Das Bundesamt für Polizei führt ins Feld, durch die Enttarnung seiner verdeckten Ermittler sei sowohl den Enttarnten wie staatlichen Stellen erheblicher Schaden entstanden. Für den Presserat bleibt dies blosse Behauptung. Die Unterlagen belegen nicht, dass die Publikation schützenswerte staatliche Interessen gefährdet hätte.

8. Der Schweizer Presserat gibt der Beschwerdeführerin zwar darin Recht, dass die «Weltwoche» die Vorgänge im Fall Holenweger auch hätte anprangern können, ohne die Namen zu nennen. Die Nennung der Namen machte den Bericht jedoch präziser, pointierter und kritischer. Und sie war zweifach gedeckt: Einmal deckte das öffentliche Interesse hier nicht nur die Berichterstattung allgemein über den Fall Holenweger, sondern auch die Namensnennung. Zum andern kam die Ausnahmeregel zur Anwendung, wonach Namen genannt werden dürfen, wenn jemand in einer staatlichen Funktion fehlbar handelt. Das trifft hier zu: Wer in einer wichtigen staatlichen Funktion in der Dunkelkammer verdeckter Ermittlungen agiert, der muss sich selbst tadellos verhalten. Tut er dies nicht, darf er mit Namen und Funktion öffentlich kritisiert werden. Die «Weltwoche» hat daher die Ziffer 7 der «Erklärung» respektive die zugehörige Richtlinie 7.6 zur Namensnennung nicht verletzt.

9. Die Beschwerde sieht auch die Richtlinie 7.1 über den Schutz des Privatlebens nicht eingehalten. Der Presserat erkennt hier aber keine Verletzung. Soweit ersichtlich hat die Veröffentlichung der «Weltwoche» zwar die berufliche Sphäre der Fedpol-Polizisten tangiert, nicht aber deren Privatleben.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Weltwoche» durfte im Artikel «Fall Roduner. Irre Führung, amtliche Delinquenz» vom 22. Januar 2009 die Namen von Angeschuldigten nennen, weil sie die ihnen vorgeworfene Tat in ihrer staatlichen Funktion begangen haben. Sie hat die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Namensnennung) nicht verletzt.

Zusammenfassung

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Riassunto