I. Sachverhalt
A. Am 11. Oktober 2008 erschien in der «Basler Zeitung» der Artikel «Wo der Hanf nicht beruhigend wirkt» von Adriana Gubler. Die Autorin berichtete in einer Kurzreportage von einem Hanffeld, das seit einigen Jahren von einem Pächter in Rümlingen BL mit behördlicher Bewilligung bewirtschaftet wird. Der Vorspann zum Artikel lautete: «Herbst für Herbst schauen die Anwohner des Rümlinger Hanffelds dem Treiben skeptisch zu. Es wird von seltsamen Besuchern und von abgekarteten Diebstählen gemunkelt. ‹Telebasel› verglich das Dorf gar mit Kolumbien. Ein Rundgang.» Im Artikel kamen verschiedene Bewohner von Rümlingen zu Wort, manche mit vollem Namen, andere anonym, die sich über das Hanffeld und seinen Pächter äusserten. Dabei wurden auch Gerüchte kolportiert, die den Pächter als Drogenproduzenten oder als Komplizen von Drogenhändlern verdächtigten. Der Pächter, der diese Anschuldigungen zurückwies, wurde mit vollem Namen genannt. Er sagte, vor vier Jahren sei ihm fast die gesamte Plantage von Dieben leergeräumt worden, doch abgesehen davon seien jährlich jeweils nur kleinere Mengen gestohlen worden. Der Artikel zitierte auch einen Vertreter des Landwirtschaftlichen Zentrums Ebenrain, das den Anbau und die Verwendung des Hanfes jedes Jahr kontrolliert. Der Kontrolleur sagte, mit den Verträgen des Pächters mit einer Destillerie in Eptingen, wo aus dem Hanf ätherisches Öl gewonnen werde, sei alles in Ordnung. Der Artikel konterte diese Aussage mit dem Hinweis auf das bleibende Misstrauen im Dorf, das wohl damit zusammenhänge, dass der Pächter «im Jahr 2004 vom Kantonsgericht zu 16 Monaten Gefängnis bedingt verurteilt wurde: wegen Kultivierung von stark THC-haltigen Pflanzen».
B. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2008 erhob Pächter X. beim Presserat Beschwerde gegen die «Basler Zeitung». Er legte seiner Beschwerde die Kopie seiner Strafanzeige gleichen Datums bei, mit welcher er die Autorin des Artikels bei der Staatsanwaltschaft Baselland wegen Ehrverletzung einklagte. In seiner Beschwerde an den Presserat beantragt X. nur die Namensnennung zu rügen, die für den Ausgang des Strafverfahrens nicht relevant sei. Allerdings stellt X. es dem Presserat frei, darüber hinaus auch andere berufsethische Fragen zu prüfen, die sich im Zusammenhang mit dem Zeitungsartikel stellen könnten.
Die Beschwerde richtet sich im Wesentlichen gegen die Namensnennung im Zusammenhang mit der vier Jahre zurückliegenden bedingten Freiheitsstrafe. Der Beschwerdeführer weist darauf hin, dass die «Basler Zeitung» damals über den Prozess berichtet hat, ohne die Namen der beiden Angeklagten zu nennen. Und bei mehreren aufsehenerregenden Gerichtsverfahren zu Kapitalverbrechen habe es die «Basler Zeitung» im Jahr 2008 ebenfalls unterlassen, die Namen der Täter zu publizieren. Der Beschwerdeführer macht geltend, es habe daher kein öffentliches Interesse bestanden, nach vier Jahren seine Vorstrafe bekannt zu machen. Die «Basler Zeitung» habe damit Richtlinie 7.6 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachstehend kurz «Erklärung» genannt) verletzt. Es bleibe allenfalls, so der Beschwerdeführer, vom Presserat zu prüfen, ob der Artikel auch gegen Richtlinie 3.8 der «Erklärung» (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verstosse, weil die Autorin den Beschwerdeführer nicht zu einigen als Gerüchte zitierten Vorwürfen angehört habe.
C. Die anwaltlich vertretene «Basler Zeitung» beantragt in ihrer Beschwerdeantwort vom 7. Januar 2009 im Hauptpunkt, der Presserat solle gestützt auf Artikel 10 Absatz 2 seines Geschäftsreglements auf die Beschwerde nicht eintreten. Die Beschwerde diene in erster Linie als Druckmittel für das gleichzeitig lancierte Strafverfahren des Beschwerdeführers.
Eventualiter beantragt die «Basler Zeitung» die Abweisung der Beschwerde mit folgender Begründung: Wer aus dem Hanfanbau ein Erwerbseinkommen erziele und dabei die öffentliche Sicherheit gefährde, könne sich nicht auf das Recht berufen, nicht namentlich genannt werden. Der Beschwerdeführer habe sich vorbehaltlos auf das Gespräch mit der Journalistin eingelassen und sei selbst auf seine Verurteilung aus dem Jahr 2004 zu sprechen gekommen. Somit habe er auch konkludent in die Veröffentlichung seines Namens eingewilligt. Bezüglich der Vorstrafe bestehe ein öffentliches Interesse an der Vergangenheit des Beschwerdeführers. Im Übrigen sei ihm das Recht auf Anhörung zu einzelnen Vorwürfen vollumfänglich gewährt, und damit sei auch Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» eingehalten worden.
D. Das Präsidium des Presserates wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin an, sowie Thomas Bein, Andrea Fiedler, Claudia Landolt Starck, Peter Liatowitsch, Daniel Suter und Max Trossmann.
E. Mit Schreiben vom 29. Januar 2009 erklärte der Beschwerdeführer, dass er das Kammermitglied Peter Liatowitsch ablehne, da es mit dem Beschwerdeführer in einer anderen Angelegenheit befasst gewesen sei. Peter Liatowitsch trat für die Behandlung dieser Beschwerde von sich aus in den Ausstand.
F. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 25. Juni 2009 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. a) Der Beschwerdegegner verlangt in seinem Hauptantrag, der Presserat möge auf die Beschwerde nicht eintreten, weil der Beschwerdeführer wegen des gleichen Artikels bereits ein Gerichtsverfahren eingeleitet habe. Das Geschäftsreglement des Presserates schliesst indessen in einem solchen Fall das Eintreten auf eine Beschwerde nicht aus (Artikel 10 Absatz 2): «Der Schweizer Presserat kann auf Beschwerden eintreten, auch wenn im Zusammenhang mit dem Beschwerdegegenstand bereits ein rundfunkrechtliches Verfahren oder ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden ist (…), sofern sich berufsethische Grundsatzfragen stellen.»
b) Die vorliegende Beschwerde beruft sich auf den Schutz der Privatsphäre gemäss Ziffer 7 der «Erklärung» und rügt, gestützt auf Richtline 7.6 zur «Erklärung», die Nennung des Namens des Beschwerdeführers. Das sind berufsethische Grundsatzfragen, die bereits in vielen früheren Stellungnahmen des Presserates beantwortet worden sind. Dennoch stellt sich bei der aktuellen Beschwerde auch eine neue Frage: Wann wird bei einer authentischen Schauplatzreportage eine Namensnennung problematisch? Dies – und der Grundsatz: im Zweifelsfall für die Beschwerdezulassung – veranlassen den Presserat, trotz des parallelen Strafverfahrens auf diese Beschwerde einzutreten.
2. a) Richtlinie 7.6 zur «Erklärung» untersagt grundsätzlich die Namensnennung oder andere Angaben, die eine Identifikation einer in einem Gerichtsbericht erwähnten Person ermöglichen. Gleichzeitig nennt Richtlinie 7.6 fünf Ausnahmen, in denen eine Namensnennung zulässig ist: wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht, wenn die Person öffentliche Ämter oder Funktionen einnimmt und die Tat damit zusammenhängt, wenn die Person in der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist und die Tat mit dieser Bekanntheit zusammenhängt, wenn die betroffene Person ihren Namen selbst öffentlich bekannt macht oder in die Veröffentlichung einwilligt und wenn der Name genannt werden muss, um eine Verwechslung mit einer Drittperson zu vermeiden.
b) Richtlinie 7.6 zur «Erklärung» äussert sich nach ihrem Wortlaut nur zur Namensnennung im Zusammenhang mit Strafverfahren. Sie ist eine Weiterführung der voranstehenden Richtlinie 7.5, welche Medienschaffenden auferlegt, vor einem Strafurteil einem Angeklagten die Unschuldsvermutung zuzugestehen und nach seiner Verurteilung auf die Familie des Angeklagten sowie auf seine Resozialisierung Rücksicht zu nehmen. Allerdings dehnt der Presserat den Anwendungsbe
reich der Richtlinie 7.6 in konstanter Praxis generell auf die namentliche und identifizierende Medienberichterstattung aus (vgl. z.B. bereits die Stellungnahme 54/2004).
3. Jede gute Reportage, über welches Thema auch immer, lebt von der Authentizität der Personen, die sie beschreibt und zu Wort kommen lässt. Eine Reportage im Kleinen – unter Medienschaffenden auch «Schauplatz» genannt – strebt die Autorin der «Basler Zeitung» an: Darauf deutet die Warendeklaration «Ein Rundgang» am Ende des Vorspanns hin. Eine Dorfreportage über Rümlingen und sein Hanffeld dürfte deshalb durchaus die Namen der Gesprächspartnerinnen und -partner nennen, auch jenen des Pächters des Hanffeldes. Allerdings müsste die Autorin – gestützt auf Richtlinie 7.6 – von allen die Einwilligung dazu haben.
4. a) Was die Rümlinger Kurzreportage der «Basler Zeitung» presseethisch interessant und problematisch macht, ist deren Grundton. Die Autorin findet auf ihrem Dorfrundgang im Oktober 2008 nichts, was darauf hindeutet, dass der Hanfanbau des Beschwerdeführers nicht in Ordnung sein könnte. Im Gegenteil: Ein – ebenfalls namentlich genannter – amtlicher Kontrolleur bescheinigt dem Beschwerdeführer, sich an die Gesetze und an seine Verträge zu halten. Diesen Tatsachen stellt die Autorin eine Reihe von Verdächtigungen und anonym geäusserten Gerüchten gegenüber. Schon der Vorspann stimmt die Leserschaft darauf ein: «Es wird von seltsamen nächtlichen Besuchern und von abgekarteten Diebstählen gemunkelt. ‹Telebasel› verglich das Dorf gar mit Kolumbien.» Dieses Gemunkel zieht sich durch den ganzen Artikel, bis hinab zum letzten Satz: «In der kleinen Oberbaselbieter Gemeinde ist nun auch nachts wieder die gewohnte Ruhe eingekehrt, der Verkehr auf den Mettemberg hat wieder abgenommen – zumindest bis zur nächsten Hanfblütezeit.»
b) Der Artikel rückt den Beschwerdeführer ins Zwielicht der Kriminalität, der Text zitiert anonyme Stimmen, die den Pächter des Drogenhandels verdächtigen. Die Autorin untermauert diese Gerüchte noch mit ihrem Hinweis auf eine bedingte Gefängnisstrafe des Beschwerdeführers, die vier Jahre zurückliegt. In seiner ganzen Tendenz nähert sich der Artikel der Kriminalreportage – nur dass ihm leider das nötige Verbrechen dazu fehlt. Unter solchen Vorzeichen ist die Namensnennung des Beschwerdeführers eindeutig unzulässig. Wenn ein Angeklagter vor Gericht sich auf den Schutz seiner Privatsphäre berufen kann, die es verbietet, seinen Namen öffentlich bekannt zu machen, dann hat eine Privatperson, die von anonymen Verdächtigungen behelligt wird, umso mehr Anspruch auf diesen Schutz. Im vorliegenden Fall bestand weder ein öffentliches Interesse an der Namensnennung, noch hat der Beschwerdeführer damit, dass er der Journalistin Auskunft gab, konkludent eingewilligt, dass sein Name durch die «Basler Zeitung» verbreitet wird.
5. Zu Recht rügt der Beschwerdeführer zudem, dass der Artikel eine vier Jahre zurückliegende bedingte Freiheitsstrafe erwähnt. In der damaligen Prozessberichterstattung hatte die «Basler Zeitung» die erforderliche Zurückhaltung gewahrt und die Namen der beiden Angeklagten nicht genannt. Warum sollte der nur als Hilfsperson und milder bestrafte Beschwerdeführer heute, da offenbar haltlose Gerüchte gegen ihn in Umlauf gebracht werden, plötzlich seiner Rechte beraubt und öffentlich angeprangert werden dürfen? Im Kontext des Artikels dient die Erwähnung der Vorstrafe nur als scheinbare Stütze der Gerüchte, für die die Autorin sonst keinerlei Beweise erbringen kann. Das widerspricht der journalistischen Berufsethik und verletzt die Privatsphäre des Beschwerdeführers (Ziffer 7 der «Erklärung»).
6. Unter dem Gesichtspunkt der Anhörungspflicht (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung») wiegt besonders der anonym kolportierte Verdacht schwer, «dass X. die Pflanzen – gegen Bares natürlich – klauen lasse.» Zwar kommt unmittelbar danach im Text der Beschwerdeführer selbst zu Wort: «Der Beschuldigte will davon aber nichts wissen: ‹Ich habe Verträge mit einer Destillerie in Eptingen. Aus dem Hanf, der auf dem Metteberg wächst, wird ätherisches Öl gemacht.›» Doch diese Antwort bezieht sich nicht eindeutig genug auf den geäusserten Vorwurf des Drogenhandels. Daher ist für die Leserschaft nicht ersichtlich, ob die Journalistin den Beschwerdeführer tatsächlich mit dem Gerücht konfrontiert hatte. Da der Beschwerdeführer aber «bewusst nur Beschwerde gegen die widerrechtliche Namensnennung» erhebt, kann der Presserat die Frage offen lassen, ob die «Basler Zeitung» zusätzlich auch die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» verletzt hat.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2. Die «Basler Zeitung» hat mit dem Artikel «Wo der Hanf nicht beruhigend wirkt» in der Ausgabe vom 11. Oktober 2008 die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Respektierung der Privatsphäre) verletzt. Es bestand kein öffentliches Interesse, im Zusammenhang mit zumeist anonymen Verdächtigungen den Namen und eine vier Jahre zurückliegende Vorstrafe des Beschwerdeführers zu nennen