Nr. 64/2009
Meinungspluralismus / Wahrheitssuche / Öffentliche Funktionen

(Lehrkräfte der Kantonsschule Olten c. «Oltner Tagblatt») Stellungnahme des Presserates vom 26. November 2009

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Zusammenfassung

Resumé

Riassunto

I. Sachverhalt

A. Ende 2006 beschlossen die Stimmberechtigten des Kantons Solothurn eine Reform der Sekundarstufe I. Vor dem Besuch der Kantonsschule sollen künftig alle Schüler die sogenannte Sek-P (progymnasiale Sekundarschule für das 7. und 8. Schuljahr) besuchen. Nach der Abstimmung entstand im unteren Kantonsteil ein Streit über deren Standorte. Die Kantonsschule Olten forderte die Konzentration auf Olten, während die Regionen Niederamt, Gäu und Wasseramt je eine eigene Sek-P wünschten. Die damit verbundene politische Auseinandersetzung spiegelte sich im redaktionellen Teil des «Oltner Tagblatt» wider.

B. Dieses veröffentlichte am 23. März 2009 einen Artikel von Christian von Arx mit dem Titel «Harte Worte im Kampf um die P-Schulen» und dem Untertitel «Kanti Olten spricht von ‹massivem Qualitätsverlust›, wenn Gäu und Niederamt eine Sekundarschule P erhalten.» Im Hinblick auf den für Mai erwarteten Entscheid des Regierungsrats versuche die Leitung der Kantonsschule, Öffentlichkeit und Eltern gegen die beiden Standorte Gäu und Niederamt zu mobilisieren. Eine zusätzliche Regionalisierung würde die «Studierfähigkeit und den Hochschulzugang» der künftigen Gymnasiasten aufs Spiel setzen. Das Vorpreschen der Kantonsschule werde von den Kreisschulen in Niederamt und Gäu als «schlechter Stil» kritisiert. Auch Lehrkräfte der letzteren seien in der Lage, Schüler des 7. und 8. Schuljahrs auf das Gymnasium vorzubereiten.

C. Am 24. März 2009 kommentierte Redaktor Christian von Arx einen Leserbrief in derselben Ausgabe des «Oltner Tagblatt», der sich gegen «regionalpolitisches Prestigedenken» und «einen Sek-P-Standort im Niederamt» aussprach. Von Arx entgegnete, der Regierungsrat wolle die Regionen stärken und deshalb den P-Unterricht nicht vollständig an den Kantonsschulen konzentrieren.

D. Am 25. März 2009 veröffentlichte das «Oltner Tagblatt» auf der Frontseite einen Kommentar von Chefredaktor Beat Nützi («Wider einen Schulkrieg»). Bedauerlicherweise zögen Stadt- und Landschulen bei der Umsetzung der Sek-I-Reform nicht am gleichen Strick. Die Kantonsschule Olten klammere sich ans Langzeitgymnasium und mache Stimmung gegen die Landschulen. «Dass die Kanti sogar an Elternabenden und in Elternbriefen die Sek-I-Schulen diffamiert ist befremdlich.» Anstatt «alte Pfründen» zu verteidigen, solle sich die Leitung der Kantonsschule gemeinsam mit den anderen Schulen darauf konzentrieren, die vergleichsweise tiefe Maturitätsquote im Kanton zu steigern.

E. Am nächsten Tag berichtete Christian von Arx («Kantilehrer gegen Bezirkslehrer») auf der Titelseite, der Solothurner Kantonsschullehrerverband habe am Vortag den Solothurner Bildungsdirektor «in die Mangel» genommen. Gleichzeitig verurteile der Verband Lehrerinnen und Lehrer Solothurn «aufs Schärfste» die «‹grobe (…) Diffamierung der Bezirkschulpersonen› im Elternbrief der Direktorin der Kantonsschule Olten».

F. Auf der Frontseite der gleichen Ausgabe war ein weiterer Kommentar von Chefredaktor Nützi zu lesen («Partnerschaft ist gefragt»). Wer die Schüler/innen fördern wolle, setze sich für Sekundarschulen mit vollem Angebot (inkl. Sek-P) ein. Würden P-Klassen wie in Olten an der Kantonsschule geführt, sei die volle Durchlässigkeit des Schulsystems nicht gewährleistet.

G. Auf Seite 12 der gleichen Ausgabe kommentierte Christian von Arx in einem Leitartikel («Neue Sekundarschule: Miteinander statt gegeneinander»), es sei unerträglich, «dass es die Kanti Olten in ihren Verlautbarungen an jeglichem Respekt für die Arbeit (…) der Bezirksschulen im Gäu und im Niederamt fehlen lässt. (…) Weder die bisherigen Erfahrungen des Kantons Solothurn noch der Blick in andere Kantone – etwa Baselland und Aargau – zeigen einen Grund, warum nur Kantonsschullehrer fähig sein sollten, 14- und 15-Jährige auf den Übertritt ins Gymnasium vorzubereiten.» Die Behauptungen der Kantonsschule Olten, die Schaffung von drei zusätzlichen Sek-P-Schulen bedeute einen massiven Qualitätsverlust, diffamierten «die Partnerschulen, die Lehrkräfte und auch jene 44 Prozent der Kantonsschüler, die sich ihre Vorbildung an diesen Schulen geholt haben».

H. Am 14. April 2009 kündigte Beat Wyttenbach im «Oltner Tagblatt» («Sollten einander besser verstehen») ein Treffen zwischen Vertretern von Gemeinden aus dem Niederamt und solchen der Kantonsschule Olten an. Der Bericht nannte die Gesprächsteilnehmer – und dessen Initiator, die Gemeindepräsidenten des Niederamts. Diese wollten das Gespräch mit der Kantonsschule suchen, dabei aber «steinhart» an regionalen Sek-P-Standorten festhalten.

I. Am 28. April 2009 legte sich der Solothurner Regierungsrat auf neun Sek-P-Standorte im Kanton fest. Dazu gehörten auch Gäu und Niederamt.

J. Am 3. Juli 2009 gelangten 11 Lehrkräfte der Kantonsschule Olten mit einer Beschwerde gegen das «Oltner Tagblatt» an den Presserat.

Chefredaktor Beat Nützi sei bei der Berichterstattung über die Sek-P-Standorte weder in den Ausstand getreten, noch habe er transparent gemacht, dass er gleichzeitig auch Präsident des Zweckverbandes Kreisschule Gäu ist, die sich um einen Sek-P-Standort beworben hatte. Ebenso wenig sei er bei der Berichterstattung über das Thema in den Ausstand getreten. Regionalredaktor Christian von Arx sei Mitglied des Ausschusses «Agglomerationspolitik» der Gemeinde Schönenwerd. Diese habe sich gemeinsam mit Mittelgösgen ebenfalls um einen Sek-P-Standort bemüht. Auch er habe diverse einseitige Artikel zum Thema verfasst und dabei seine Funktion nicht offen gelegt.

Obwohl das «Oltner Tagblatt» in der Region eine Monopolstellung innehabe und gerade auch deshalb ausgewogen berichten sollte, habe die Zeitung Partei ergriffen, den Standpunkt der Kantonsschule Olten nie objektiv wiedergegeben und in einem Bericht die Kantonsschuldirektorin direkt angegriffen. Mehrere Artikel hätten Argumente zu Gunsten eines Sek-P-Standortes an der Kantonsschule Olten ausgeklammert oder verfälscht dargestellt. Mit «geradezu reisserisch aufgemachten Schlagzeilen und Titeln, teilweise sogar auf der Frontseite», habe die Zeitung «eine Hetzkampagne inszeniert».

Mit der Veröffentlichung der beanstandeten Berichte habe das «Oltner Tagblatt» die Richtlinien 2.4 (öffentliche Funktionen), 2.2 (Meinungspluralismus), 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentaren) sowie 1.1 (Wahrheitssuche) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

Schliesslich fordern die Beschwerdeführer, Chefredaktor Beat Nützi und Redaktor Christian von Arx dürften sich zur Frage der Sek P künftig im «Oltner Tagblatt» nicht mehr äussern, ohne ihre Funktionen zu erwähnen. Zudem sei die Zeitung zu verpflichten, eine Richtigstellung und Entschuldigung zu veröffentlichen.

K. Am 13. August 2009 wiesen Chefredaktor Beat Nützi und Redaktor Christian von Arx die Beschwerde namens des «Oltner Tagblatt» als unbegründet zurück.

Die Funktion von Beat Nützi als Präsident der Kreisschule Gäu sei der Leserschaft bekannt. Er trete seit Jahren in dieser Funktion im «Oltner Tagblatt» regelmässig in Erscheinung. Der Ausschuss Agglomerationspolitik der Gemeinde Schönenwerd, dem Christian von Arx angehöre, behandle hauptsächlich verkehrspolitische Fragen. Die Frage des Sek-P-Standorts falle nicht in die Zuständigkeit des Ausschusses, er habe sich mit der Frage auch nie beschäftigt.

Das «Oltner Tagblatt» habe in den redaktionellen Beiträgen ausgewogen über die Sek-P-Standortfrage berichtet. In den Beschwerdeunterlagen fehle ein Bericht des «Oltner Tagblatt» über ein exklusives Mediengespräch vom 6. März 2009. Darin lege die Schulleitung der Kantonsschule Olten ihren Standpunkt ausführlich dar. Das
«Oltner Tagblatt» habe den Meinungspluralismus gewahrt sowie faktische Berichterstattung und Kommentare getrennt. Die von den beschwerdeführenden Lehrkräften erhobenen Vorwürfe der Falschberichterstattung, Diffamierung und Hetzkampagne seien unverständlich, ehrverletzend und entbehrten jeglicher sachlichen Grundlage.

L. Der Presserat wies die Beschwerde der 1. Kammer zu, der Edy Salmina (Kammerpräsident), Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Klaus Lange, Philip Kübler, Sonja Schmidmeister und Francesca Snider (Mitglieder) angehören.

M. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 26. November 2009 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Soweit die Beschwerdeführer vom Presserat die Erteilung von Weisungen an Chefredaktor Beat Nützi und Redaktor Christian von Arx sowie die Anordnung der Veröffentlichung einer Richtigstellung und Entschuldigung fordern, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Gemäss Art. 17 Abs. 3 seines Geschäftsreglements kann der Presserat in seinen Stellungnahmen Feststellungen treffen und Empfehlungen erlassen. Hingegen kann er keine Sanktionen aussprechen und deshalb weder verbindliche Weisungen erteilen, noch die Publikation von Texten anordnen.

2. a) Gemäss konstanter Praxis des Presserates ist aus der «Erklärung» keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung abzuleiten. Vielmehr sind berufsethisch auch einseitige und fragmentarische Standpunkte zulässig (vgl. zuletzt die Stellungnahme 46/2009). Immerhin hält aber die Richtlinie 2.2 zur «Erklärung» fest: «Der Meinungspluralismus trägt zur Verteidigung der Informationsfreiheit bei. Er ist notwendig, wenn sich ein Medium in einer Monopolsituation befindet.» Aus dieser Bestimmung kann aber auch bei Medien mit einer regionalen Vormachtstellung keine Verpflichtung zu «objektiver», ausgewogener Berichterstattung abgeleitet werden. Vielmehr genügt es, dass in einer kontroversen Angelegenheit die verschiedenen Auffassungen zu Wort kommen, wenn auch nicht zwingend in gleichem Umfang (Stellungnahmen 31/2001, 7/2006).

b) Das «Oltner Tagblatt» hält dem von den Beschwerdeführern erhobenen Vorwurf tendenziöser Berichterstattung entgegen, alle am Konflikt beteiligten Seiten seien «ausführlich zu Wort gekommen». Sie belegen dies anhand einer Liste veröffentlichter Berichte aus den ersten fünf Monaten des Jahres 2009. Daraus ergibt sich für den Presserat, dass das «Oltner Tagblatt» neben den von den Beschwerdeführern beanstandeten auch Berichte veröffentlicht hat, welche dem Standpunkt der Kantonsschule breiten Raum geben. So insbesondere die beiden Berichte vom 6. März 2009 («Wogen um P-Standorte gehen hoch» und «So verliert die Sek-I-Reform ihren Sinn»), in welchen die Schulleitung ausführlich darlegt, weshalb die Sek-P nach ihrer Auffassung «ganz in die Hand der Kanti» gelegt werden sollte. Zwar nicht ganz so prominent, aber immer noch ausführlich schildert der Bericht vom 26. März 2009 über die Jahresversammlung des Solothurner Kantonsschullehrerverbands («Zornige Kanti-Lehrer») die Position der Kantonsschule. Zudem bringen die Beschwerdegegner vor, der grösste Teil der abgedruckten Leserbriefe habe die Position der Kantonsschule unterstützt.

c) Das «Oltner Tagblatt» hat sich – insbesondere im Zeitraum vom 23. bis 26. März 2009, während dem der grösste Teil der in der vorliegenden Beschwerde beanstandeten Artikel und Kommentare erschien – pointiert zugunsten zusätzlicher regionaler Sek-P-Standorte ausgesprochen. Dies ist berufsethisch jedoch auch bei Medien mit regionaler Vormachtstellung zulässig. Denn trotz seiner klaren Parteinahme hat das «Oltner Tagblatt» dem Meinungspluralismus im berufsethisch geforderten Mindestmass Rechnung getragen. Es hat seiner Leserschaft auch die Gegenposition ausführlich zur Kenntnis gebracht, die eine stärker zentralisierte Sek-P fordert.

d) Soweit die Beschwerdeführer neben der einseitigen Berichterstattung und dem aus ihrer Sicht fehlenden Meinungspluralismus auch die Trennung von Fakten und Kommentaren (Richtlinie 2.3) beanstanden, ist diese Rüge mangels Begründung für den Presserat zu pauschal und daher nicht überprüfbar.

3. a) Die Beschwerdeführer beanstanden im Weiteren folgende Aussagen als Falschmeldungen im Sinne der Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung»:

– Die Kantonsschule könne sich nicht vom alten System des Langzeitgymnasiums lösen (Kommentar von Chefredaktor Nützi im «Oltner Tagblatt» vom 25. März 2009); – Die Kantonsschule diffamiere an Elternabenden und in Elternbriefen die Sek-I-Schulen (im gleichen Kommentar von Chefredaktor Nützi); – «Kantilehrer gegen Bezirkslehrer» (Schlagzeile auf der Frontseite des «Oltner Tagblatt» vom 26. März 2009); – Die Ankündigung einer Gesprächsrunde mit Vertretern von Gemeinden des Niederamts und der Kantonsschule Olten als bereits feststehende Tatsache, bevor die Vertreter der Kantonsschule dazu ihre Zusage gegeben hätten («Oltner Tagblatt» vom 14. April 2009).

b) Die beiden Vorwürfe von Chefredaktor Nützi, die Kantonsschule halte am Langzeitgymnasium fest und sie diffamiere in Elternbriefen und an Elternabenden die Sek-I-Schulen, sind nach Auffassung des Presserates für die Leserschaft als parteiergreifende, kommentierende Wertung erkennbar. Die beiden Wertungen beruhen auf Tatsachen, die dem umstrittenen Elternbrief der Kantonsschule Olten vom 11. März 2009 entnommen sind. Darin argumentiert die Direktorin, das fachliche Niveau liege bei allen erhobenen Leistungsdaten in Langzeitgymnasien höher als bei anderen Zugängen zu Maturitätsschulen. Um das bisherige Leistungsniveau (im System mit Untergymnasien) zu halten, seien eine regionale Zentralisierung mit einem verbindlichen gemeinsamen Lehrplan, möglichst gut ausgebildete Lehrkräfte sowie genügend grosse Sek-P-Standorte unabdingbar. Das Fazit des Elternbriefs ist klar: Im unteren Kantonsteil sei nur die Kantonsschule Olten in der Lage, diese Voraussetzungen zu erfüllen, nicht hingegen die weiteren zur Diskussion stehenden regionalen Standorte.

Für den Presserat ist es innerhalb des weit zu ziehenden Rahmens der Kommentarfreiheit zulässig, der Kantonsschule gestützt auf die Ausführungen des Elternbriefs etwas verkürzend und polemisierend vorzuwerfen, sie versuche faktisch auch unter den geänderten Bedingungen am alten System mit dem Langzeitgymnasium festzuhalten. Es ist zudem nachvollziehbar, wenn die Konkurrenten der Kantonsschule in der Auseinandersetzung um die Standorte der Sek-P-Schulen den Vorwurf mangelnder Qualifikation ihrer Schulen durch die Kantonsschule als beleidigend empfinden.

c) Ebenso wenig verstösst für den Presserat die Schlagzeile «Kantilehrer gegen Bezirkslehrer» gegen die Wahrheitspflicht. Sowohl der Untertitel («Zwei Verbände zum Sek-P-Standortstreit»), als auch der Lead (Solothurner Kantonsschullehrer haben den Bildungsdirektor «in die Mangel» genommen; Bezirksschullehrerverband protestiert gegen Elternbrief der Direktorin der Kantonsschule) machen klar, dass die beiden Berufsgruppen bzw. Verbände nicht in unmittelbarem Streit liegen. Vielmehr macht bereits der Bericht auf der Titelseite vom 26. März 2009 deutlich, dass sich die beiden Lehrerverbände unabhängig voneinander zum Sek-P-Standortstreit äussern.

d) Falsch war es hingegen – was auch die Beschwerdegegner einräumen – einen «runden Tisch», der später doch nicht zustande kam, im Bericht vom 14. April 2009 bereits als feststehende Tatsache anzukündigen. Korrekterweise hätte das «Oltner Tagblatt» darauf hinweisen sollen, dass zum Zeitpunkt der Publikation die Antwort auf die Einladung noch ausstand.

Ist aus diesem Fehler eine Verletzung der Ziffer 1 (Wahrheit der «Erklärung) abzuleiten? Nach Auffassung des Presserates ist dies zu verneinen. Der Presserat hat in seiner jüngeren Praxis wiederholt (vgl. z.B. die Stellungnahmen 10 und 26/2005, 5/2006, 6/2008, 53/2009) darauf hingewiesen, dass nicht jede formale oder inhaltliche Ungenauigkeit bereits eine
Verletzung einer berufsethischen Norm begründet. Vielmehr verlangt das Prinzip der Verhältnismässigkeit, dass einer Unkorrektheit eine gewisse Relevanz zukommt.

Der Fehler des «Oltner Tagblatt» scheint jedoch im Kontext des beanstandeten Berichts für das Verständnis nicht genügend relevant, um daraus eine Verletzung der Wahrheitspflicht abzuleiten. Die Leserschaft hätte kaum einen wesentlich anderen Gesamteindruck des Berichts erhalten, wäre die Einladung korrekt als nicht bestätigt benannt worden.

e) Ist für den Presserat keine Verletzung der Ziffer 1 der «Erklärung» erstellt, entfällt auch die Pflicht zur Veröffentlichung einer Berichtigung (Ziffer 5).

4. a) Gemäss Ziffer 2 der «Erklärung» verteidigen die Journalistinnen und Journalisten die Freiheit des Kommentars und der Kritik sowie die Unabhängigkeit und das Ansehen des Berufs. Dazu führt die Richtlinie 2.4 (öffentliche Funktionen) zur «Erklärung» aus: «Die Ausübung des Berufs der Journalistin, des Journalisten ist grundsätzlich nicht mit der Ausübung einer öffentlichen Funktion vereinbar. Wird eine politische Tätigkeit aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise wahrgenommen, ist auf eine strikte Trennung der Funktionen zu achten. Zudem muss die politische Funktion dem Publikum zur Kenntnis gebracht werden. Interessenkonflikte schaden dem Ansehen der Medien und der Würde des Berufs. Dieselben Regeln gelten auch für private Tätigkeiten, die sich mit der Informationstätigkeit überschneiden könnten.»

b) Der Presserat hat sich in seiner Praxis verschiedentlich zu Fragen der beruflichen Unabhängigkeit und zu Interessenkonflikten geäussert. Bereits in der Stellungnahme 7/1996 forderte der Presserat die Trennung zwischen politischem Amt und journalistischer Tätigkeit. «Um ihre Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit zu erhalten, sollten Journalistinnen und Journalisten Distanz wahren und Doppelfunktionen vermeiden. Deshalb ist eine strikte Trennung zwischen politischem Amt und journalistischer Tätigkeit insbesondere bei Medien mit regionaler Monopolstellung anzustreben. (…) Besteht bei der Behandlung eines Themas eine ‹grosse Nähe›, sollten Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich weder über das Thema berichten noch kommentieren. Zumindest aber sollten sie Transparenz gegenüber dem Publikum herstellen.»

Ebenso hat der Presserat in der Stellungnahme 13/1998 betont, berufliche und politische Funktionen seien zu trennen und transparent zu machen. «Dabei genügt es nicht, dass politische Funktionen nur innerhalb der Redaktion offen gelegt werden.» In der Stellungnahme 31/2001 präzisierte der Presserat, dass nicht jegliche politische Tätigkeit zu Interessenkonflikten führt und zu deklarieren ist. Zwar könne die Tätigkeit im Vorstand einer im weiteren Sinne politisch tätigen Organisation «die berufsethisch gebotene Unabhängigkeit von Medienschaffenden beeinträchtigen. Die öffentliche Nennung dieser Funktion ist aber nur dann unabdingbar, wenn sie in direktem Zusammenhang zum Gegenstand einer Berichterstattung steht.»

c) An den dargelegten Grundsätzen ist auch bei der Beurteilung der von den Lehrkräften der Kantonsschule Olten beanstandeten Doppelfunktionen von Chefredaktor Beat Nützi und Redaktor Christian von Arx festzuhalten. Der Presserat differenziert zwischen den politischen Funktionen der beiden Journalisten: Bei Christian Nützi besteht als Präsident eines vom Sek-P-Standortstreit unmittelbar betroffenen Kreisschulverbandes eine sehr grosse Nähe zum Thema. Bei Christian von Arx ist diese Nähe zu verneinen. Gemäss den in den Beschwerdeakten enthaltenen Unterlagen ist er Mitglied des Ausschusses «Agglomerationspolitik» der Gemeinde Schönenwerd. Dessen Aufgaben sind auf der Website der Gemeinde Schönenwerd wie folgt definiert: «Stärkung der Position des Niederamts innerhalb der Netzstadt Aarau-Olten-Zofingen. Positionierung der Gemeinde Schönenwerd als Subzentrum. Verbesserung der Lebensqualität und der Standortattraktivität des Niederamts durch gezielte und abgestimmte Massnahmen im Bereich des motorisierten Individualverkehrs (MIV) und des öffentlichen Verkehrs (öV).»

Wie die Heftigkeit der politischen Auseinandersetzung zeigt, mag zwar auch die Frage, ob eine Gemeinde eine Sek-P anbieten kann, deren Standortqualität beeinflussen. Bereits die Umschreibung der Aufgaben des Agglomerationsausschusses legt jedoch nahe, dass das Schwergewicht von dessen Tätigkeit in der Verkehrspolitik liegt. Jedenfalls enthalten die beim Presserat eingereichten Unterlagen keinerlei Hinweise darauf, dass sich dieser Ausschuss oder gar Christian von Arx selbst in seiner Funktion als Mitglied dieses Ausschusses zur Frage der Sek-P-Standorte geäussert hätte.

d) Anders sieht der Presserat die Funktion von Chefredaktor Beat Nützi als Präsident des Kreisschulverbandes Gäu. Bei einer derartigen Nähe zum Thema empfiehlt der Presserat, in den Ausstand zu treten und sei es auch nur, um den Anschein von Interessenkonflikten und einer Beeinträchtigung der journalistischen Unabhängigkeit zu vermeiden. Zumindest hätte der Chefredaktor des «Oltner Tagblatt» seine Rolle transparent machen müssen. Zu seiner Rechtfertigung bringt Nützi vor, er habe keine Berichte, sondern lediglich Kommentare zum Thema verfasst. Zudem sei seine Funktion als Präsident des Kreisschulverbands in der Leserschaft des «Oltner Tagblatt» bekannt, namentlich bei den an Schulfragen Interessierten. Sein Name erscheine in Verbindung mit dieser Funktion seit Jahren in den Berichten über die Tätigkeit der Kreisschule Gäu.

Dem Presserat genügt dies allerdings nicht. Die Berichterstattung über die Kreisschule Gäu dürfte erheblich weniger Leserinnen und Leser interessieren, als die Kommentare des Chefredaktors. Bei so grosser Nähe zum Thema wäre es zur Gewährleistung der geforderten Transparenz vielmehr unabdingbar gewesen, in den beiden von den Beschwerdeführern beanstandeten Kommentaren ausdrücklich auf die Doppelfunktion hinzuweisen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit der Presserat darauf eintritt.

2. Das «Oltner Tagblatt» hat mit der Veröffentlichung von zwei Kommentaren von Chefredaktor Beat Nützi vom 25. und 26. März 2009 («Wider einen Schulkrieg»; «Partnerschaft ist gefragt») die Ziffer 2 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (in Bezug auf die Vermischung von journalistischer Tätigkeit und öffentlichen Funktionen) verletzt. Der Chefredaktor wäre verpflichtet gewesen, wegen des bestehenden Interessenkonflikts beim Thema Sek-P-Standorte in den Ausstand zu treten oder zumindest bei beiden Kommentaren ausdrücklich auf seine Funktion als Präsident des Kreisschulverbands Gäu hinzuweisen.

3. Nicht verletzt hat das «Oltner Tagblatt» mit der Publikation der von der Lehrerschaft beanstandeten Berichterstattung zum Thema Sek-P-Standorte hingegen die Ziffern 1 (Wahrheit), 2 (in Bezug auf Meinungspluralismus sowie Trennung von Fakten und Kommentaren) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung».

Zusammenfassung

Resumé

Riassunto