Nr. 9/2000
Leserbriefe / Berichtigungspflicht

(W. c. „Coop-Zeitung“) Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 30. März 2000

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I. Sachverhalt

A. Die „Coop-Zeitung“ veröffentlichte im Rahmen einer Serie zum Thema „Jahrhundert-Schweizer“ in der Ausgabe vom 3. März 1999 ein Porträt von General Guisan mit dem Titel „Der Reduitgeneral“.

B. Als Reaktion auf den Artikel schrieb O. einen Leserbrief mit dem Titel „Unverzeihlicher Befehl“, der in der Ausgabe der „Coop-Zeitung“ vom 24. März 1999 veröffentlicht wurde. Darin schrieb O. u.a.: „War denn die von General Guisan persönlich angeordnete Einberufung von sozusagen allen Kaderoffizieren, vom Kompaniekommandanten bis zum Generalstab, zum berühmten Rüttlirapport nicht die denkbar grösste Schwächung der Schlagkraft der Armee? Da stand der General selbstherrlich im Zentrum auf dem Rütliboden, derweil die Soldaten in der ganzen Schweiz ohne die führenden Kaderleute im Feld warten mussten. Was wäre wohl geschehen, wenn die deutsche Wehrmacht die Stunde der Zeit genutzt und unsere Armeespitze auf dem Rütli innert weniger Minuten ausgelöscht hätte – um gleichzeitig einzumarschieren? (…)“.

C. Der Leserbrief von O. veranlasste W. zu einer Entgegnung, die er am 31. März 1999 der Redaktion der „Coop-Zeitung“ zur Veröffentlichung zusandte. Darin hielt er fest, die Schilderung, wonach „sozusagen alle Kaderoffiziere, vom Kompaniekommandanten bis zum Generalstab“ zum Armeerapport befohlen worden seien, sei unzutreffend. Tatsache sei vielmehr, dass „Rapportteilnehmer (…) die Kommandanten der kombattanten Waffengattungen von Bataillon und Abteilung an aufwärts“ waren. „Mit Ausnahme des Generalstabschefs der Armee, der am Rapport teilnahm, hatten alle Generalstabsoffiziere auf den Kommandoposten zu verbleiben, wo sie während dieses Tages die ununterbrochene Einsatzbereitschaft der Stäbe sicherzustellen hatten.“ Die Kompaniekommandanten seien bei ihrer Truppe gewesen, so dass die Soldaten in der ganzen Schweiz nicht ohne die führenden Kaderleute im Feld hätten warten müssen. Gegen mögliche Sabotageakte im Zusammenhang mit dem fraglichen Rapport habe das Armeekommando übrigens verschiedene elementare Vorsichtsmassnahmen getroffen.

D. In ihrer Ausgabe vom 7. April 2000 druckte die „Coop-Zeitung“ insgesamt vier Entgegnungen auf den Leserbrief von O., nicht aber diejenige von W.

E. Mit Schreiben vom 31. Mai 1999 gelangte W. an die „Coop-Presse“ , um nachzufragen, weshalb der Abdruck seines Leserbriefs unterblieben sei, der als einziger „die Unwahrheiten von O. aufdeckt und klar widerlegt.“

F. In seiner Antwort vom 4. Juni 1999 begründete der damalige Chefredaktor der „Coop-Zeitung“den Nichtabdruck mit zeitlichen und sachlichen Gründen. Als der Leserbrief von W. eingegangen sei, sei die Ausgabe der „Coop-Zeitung“ vom 7. April 1999 bereits im Druck gewesen. Sachlich wies er darauf hin, dass Argumente gegen den Leserbrief von O. bereits in anderen abgedruckten Leserbriefen enthalten gewesen seien, weshalb die „Coop“-Zeitung“ keinen Grund gesehen habe, in einer späteren Ausgabe noch einmal auf den Leserbrief von O. zurückzukommen.

G. Nachdem im November 1999 eine erneute Bitte um Publikation des Leserbriefes nicht den gewünschten Erfolg zeitigte, gelangte W. mit Schreiben vom 7. Januar 2000 an den Presserat und bat um Prüfung der Frage, „ob es der ‘Coop-Zeitung’ zumutbar gewesen wäre“, seine Entgegnung vom 31. März 2000 zu veröffentlichen. Die „Coop-Zeitung“ trage durch ihr Verhalten in gewissem Sinne zur „Geschichtsfälschung“ bei, indem sie im vorliegenden Fall nachgewiesenen Falschmeldungen nicht entgegentrete, obschon die Redaktion im Besitz entsprechender Richtigstellungen sei.

H. Das Presseratspräsidium wies den Fall der 3. Kammer zu, der Catherine Aeschbacher als Präsidentin sowie Esther Diener-Morscher, Judith Fasel, Sigmund Feigel, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann als Mitglieder angehören.

I. In einer Stellungnahme vom 16. Februar 2000 wies die „Coop-Zeitung“ u.a. darauf hin, dass der Leserbrief von O., der die Frage stelle, ob es wirklich sinnvoll war, alle höheren Offiziere gleichzeitig an einem einzigen Platz zu versammeln, in der Rubrik „Meinungen“ abgedruckt worden sei. In der darauffolgenden Ausgabe sei u.a. ein Leserbrief abgedruckt worden, der den Gedanken von O. als „blühenden Unsinn“ qualifiziert habe. Damit sei das Thema für die Leserbriefredaktion abgeschlossen gewesen. Es habe kein Grund bestanden, nochmals eine Entgegnung zu publizieren.

K. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 30. März 2000 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde von W. wirft unter berufsethischen Gesichtspunkten zwei Fragen auf. 1. War die „Coop-Zeitung“ von vornherein verpflichtet, den Leserbrief des Beschwerdeführers abzudrucken? 2. War die Redaktion verpflichtet, den veröffentlichten Leserbrief O. zu berichtigen, da sich dessen materieller Inhalt im Nachhinein ganz oder teilweise als falsch erwiesen hat (Ziff. 5 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“)?

2. Der Beschwerdeführer macht zu Recht nicht geltend, dass die Beschwerdegegnerin von vornherein verpflichtet gewesen wäre, seinen Leserbrief abzudrucken. Nach ständiger Praxis des Presserates (vgl. zuletzt die Stellungnahme i.S. S. c. „Tages-Spiegel“ vom 16. Dezember 1999, Sammlung 1999, S. 183ff. und die dort angeführten Verweise) sind Redaktionen berechtigt, sich den Entscheid über die Veröffentlichung und die Kürzung von Leserbriefen vorzubehalten. Dementsprechend war die Redaktion der „Coop-Zeitung“ grundsätzlich ohne weiteres berechtigt, den Abdruck des Leserbriefes des Beschwerdeführers abzulehnen. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass der Beschwerdeführer aus seiner Sicht geltend macht, dass sein Leserbrief als einziger die im Leserbrief von O. enthalten „Unwahrheiten“ widerlegt habe. Ebenso wie im übrigen redaktionellen Teil ist es auch auf der Leserbriefseite allein Sache der Redaktion, die Auswahl aus den eingegangenen Zuschriften zu treffen.

3. a) Der Beschwerdeführer macht sinngemäss weiter geltend, dass die Redaktion zumindest die im Leserbrief von O. enthaltenen „Falschinformationen“ hätte berichtigen müssen. Der Presserat hat in seiner Stellungnahme i.S. „Veröffentlichung rassistischer Leserbriefe vom 15. Dezember 1999 (Sammlung 1999, S. 174) festgehalten, dass die berufsethischen Regeln auch für die Bearbeitung von Leserbriefen gelten. Er hat darin u.a. ausgeführt: „Wenn Medienschaffende zulassen, dass sich Leserbriefe nicht an die Wahrheit halten, dann ist Ziff. 1 der „Erklärung“ verletzt. Die Redaktionen können zwar nicht alles verifizieren. Aber sie können Leserbriefe zurückweisen, die offensichtlich falsche Aussagen enthalten.“ Stellt eine Redaktion erst nach der Publikation eines Leserbriefes fest, dass dieser offensichtlich falsche Aussagen enhält, ist sie aufgrund der aus der Wahrheitspflicht abgeleiteten Berichtigungspflicht (vgl. Stellungnahme des Preserates i.S. S. c. G. vom 31. Mai 1996, Sammlung 1996, S. 30ff.) gemäss Ziff. 5 der „Erklärung“ („Sie berichtigen jede von ihnen veröffentlichte Meldung, deren Materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist“) verpflichtet, offensichtliche Falschinformationen zu berichtigen, die auf der Leserbriefseite abgedruckt worden sind.

b) Es ist nicht Aufgabe des Presserates, in Ergänzung der von den Parteien eingereichten Beweismittel eigene umfassende historische Nachforschungen zu betreiben, um die Berechtigung der vom Beschwerdeführer erhobenen Rüge der „Falschinformation“ zu prüfen. Immerhin deuten aber bereits die entsprechenden Passagen im Werk von Willy Gautschi (General Henri Guisan, Die Schweizerische Armeeführung, 1989, S. 268ff.) darauf hin, dass enge Mitarbeiter von Henri Guisan und ursprünglich offenbar auch der General selber
erhebliche Bedenken hatten, in der „damaligen kritischen Situation die Ausschaltung des gesamten Kommandoapparates zu riskieren. Wohl blieben die Generalstabsoffiziere auf dem Kommandoposten; aber der Ausfall einer grossen Zahl von Kommandanten wäre bei Kriegsausbruch für unseren Widerstand katastrophal gewesen.“ Wie von der Beschwerdegegnerin zu Recht geltend gemacht wird, hat der Leserbrief von O. lediglich in etwas überspitzter Weise diese zwar kritische, aber nicht von vornherein offensichtlich unzulässige Sichtweise übernommen. An der Vertretbarkeit dieser Einschätzung vermag auch die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Präzisierung nichts zu ändern, wonach nicht sämtliche Armeekommandanten, sondern nur die Kommandanten der kommbattanten Waffengattungen von Battaillon und Abteilung an aufwärts (mit Ausnahme des Generalstabchefs ohne Generalstabsoffiziere) am Rütlirapport teilgenommen haben.

c) Nachdem sich die vom Beschwerdeführer als „Falschmeldung“ bezeichneten Passagen des Leserbriefs von O. nicht als offensichtlich unwahr im Sinne der angeführten Praxis des Presserates erweisen, war die Redaktion der „Coop-Zeitung“ nicht zur Veröffentlichung einer Berichtigung verpflichtet.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Stellt eine Redaktion nach der Publikation eines Leserbriefes fest, dass dieser offensichtlich falsche Aussagen enthielt, sind diese nachträglich zu berichtigen.