Nr. 3/2007
Fairness / Kommentarfreiheit

(Annoni c. «Der Bund») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 23. Februar 2007

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Zusammenfassung

Resumé

Riassunto

I. Sachverhalt

A. «Der Bund» veröffentlichte am 26. Mai 2006 unter dem Titel «Als Krisenmanager hat er versagt» eine von Reto Wissmann verfasste kritische Würdigung des per 1. Juni 2006 zurückgetretenen bernischen Erziehungsdirektors Mario Annoni. «Als Justizdirektor und Jura-Vermittler hat er viel geleistet. Als Erziehungsdirektor musste er vor allem Kritik einstecken.» Wie kein anderer Regierungsrat sei Annoni in den letzten Jahren in der Kritik sowohl von links wie auch von rechts gestanden. «Teile seiner Partei, der FDP, schossen ihm etwa mit der Forderung nach Frühenglisch in den Rücken.» Annoni habe sich in der Zeit als Erziehungsdirektor «weder als Visionär noch als Stratege» profiliert. «In Konflikten wie zum Beispiel rund um die neue Schülerbeurteilung ‹Schübe› oder um die neue Lehrerbildung hat Annoni zudem als Krisenmanager versagt. Er hat die Zügel zu spät in die Hand genommen, Sensibilitäten nicht erkannt und damit Vertrauen verspielt.» Obwohl er auch als Bildungsdirektor nicht durchwegs gescheitert und insbesondere in der Rolle als Vermittler im Jurakonflikt aufgeblüht sei, hinterlasse sein Wirken ein zwiespältiges Bild. «Nicht zuletzt mit seinem Abgang hat er selber dazu beigetragen. Ohne es auch nur mit der Verwaltung besprochen zu haben, nahm er fünf Monate vor seinem Rücktritt den Job als Pro-Helvetia-Präsident an – obschon dies das Gesetz eigentlich verbietet.»

B. Am 31. Mai 2006 gelangte Mario Annoni mit einer Beschwerde gegen den «Bund» an den Presserat. Er habe sich am 15. Mai mit Reto Wissmann zu einem Gespräch getroffen. Dieser habe ihm zugesichert, den Text entsprechend der Praxis des «Bund» vor der Veröffentlichung zum Gegenlesen zuzustellen. Am Mittwoch 24. Mai 2006 – am Vorabend der Auffahrt – kurz vor 19.00 Uhr habe er daraufhin eine E-Mail mit dem Text von Wissmann erhalten. Eineinhalb Stunden später habe er seine Korrekturen und Bemerkungen zurückgemailt. Diese seien jedoch im Artikel vom 26. Mai ohne jede Erklärung vollständig ignoriert worden. Im Einzelnen habe er folgende Korrekturen verlangt: Auf die Frage, ob er bei den nationalen Wahlen 2007 kandidieren werde, habe er geantwortet, «Im Moment nicht interessiert». Wissmann habe daraus ein «Nicht interessiert» gemacht. Die Darstellung des «Bund», wonach er von seiner Partei bei der Kontroverse über das Frühenglisch desavouiert wurde, sei verzerrt. Der grosse Teil seiner Partei sei hinter ihm gestanden und nur eine kleine Minderheit habe eine andere Auffassung vertreten. Im Zusammenhang der durch die neue Schülerbeurteilung ausgelösten politischen Diskussion habe er im Grossen Rat sehr positive Kritiken erhalten. Und in Bezug auf die neue Lehrerbildung habe Wissmann unterschlagen, dass das Lehrerbildungsgesetz von 1995 noch während der Amtsdauer seines Vorgängers verabschiedet wurde. Während seiner Amtzeit habe sich die Erziehungsdirektion in einem schwierigen sozialen und politischen Umfeld Schritt für Schritt darum bemüht, die Fehler dieses Gesetzes zu korrigieren. Schliesslich sei die Darstellung des «Bund» im Zusammenhang mit der Übernahme des Pro-Helvetia-Präsidiums in doppelter Hinsicht falsch. Er habe vor der Übernahme mit der Verwaltung Kontakt gehabt und das Gesetz erlaube vorübergehende Doppelmandate, was vom Bundesgericht in einem Urteil vom 27. April 2006 bestätigt worden sei. Den Abdruck einer Berichtigung habe der «Bund» in der Folge verweigert. Mit dem beanstandeten Artikel habe der «Bund» insbesondere die Ziffern 1 (Wahrheitssuche) und 3 (Entstellung von Tatsachen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

C. Am 5. Juli 2006 wies der damalige Chefredaktor des «Bund», Hanspeter Spörri, die Beschwerde von Mario Annoni als unbegründet zurück. Das Porträt über den abtretenden Regierungsrat sei ein subjektiv gefärbter Meinungsartikel, der Wertungen und persönliche Einschätzungen enthalte. Annoni werde von Wissmann aber keineswegs nur negativ bewertet. Neben Kritik an seiner Rolle in der Kontroverse um die Schülerbewertung oder der Lehrerbildung werde seine vermittelnde Rolle in der Jurafrage oder die von ihm vorangetriebene Justizreform positiv gewürdigt. Auch beim Thema Bildungswesen sei die Wertung durchaus differenziert ausgefallen.

Tatsächlich habe Wissmann Annoni versprochen, den Artikel vor der Veröffentlichung zum Gegenlesen zu unterbreiten. Wegen hoher Arbeitsbelastung sei der Artikel erst in letzter Minute vor Auffahrt geschrieben und zugestellt worden. Danach habe der Autor das Büro verlassen und bis zur Publikation des Artikels frei gehabt. Deshalb habe er die Mail mit den Änderungswünschen erst am 29. Mai gelesen. Für diesen Fehler hätten sich der Autor und der Chefredaktor bei Herrn Annoni entschuldigt.

Zu den einzelnen Vorwürfen des Beschwerdeführers nahm «Der Bund» wie folgt Stellung: «Der Bund» habe das Zitat zu einer eventuellen Ständeratskorrektur am 30. Mai 2006 korrigiert. Hingegen sei die Aussage korrekt, dass Teile seiner Partei dem Bildungsdirektor Annoni mit der Forderung nach Frühenglisch in den Rücken schossen. Teile der Partei bedeute nicht die Mehrheit. Zudem habe FDP-Grossrätin Franziska Stalder im Februar 2005 in einer Motion Englisch als erste Fremdsprache ab der dritten Klasse gefordert. Die Wertung des Journalisten, wonach er im Zusammenhang mit der Reform der Schülerbewertung als Krisenmanager versagt habe, sei angesichts der enormen öffentlichen Aufregung, die das Projekt verursachte, jedenfalls vertretbar. Ebenso gelte dies für die Einschätzung der Mitverantwortung des Erziehungsdirektors für das «viele Geschirr», das im Zusammenhang mit dem zweimaligen kompletten Umbau der Lehrerbildung im Kanton Bern innerhalb von 10 Jahren zerschlagen worden sei. In Bezug auf das Doppelmandat Regierungsrat – Präsident Pro Helvetia habe der innerhalb der Verwaltung für solche Fragen zuständige Staatsschreiber Kurt Nuspliger dem Autor des Artikels im Dezember 2005 telefonisch gesagt, Annoni habe die Frage der Zulässigkeit nicht mit der Staatskanzlei besprochen. Und schliesslich scheine die Formulierung «obschon das Gesetz dies eigentlich verbietet» aufgrund des Wortlauts von Art. 17 Abs. 1 des Gesetzes über die Organisation des Regierungsrates und der Verwaltung zulässig. Danach dürften «die Mitglieder des Regierungsrates (…) weder ein anderes Amt des Kantons oder einer Gemeinde bekleiden noch einen anderen Beruf oder ein Gewerbe ausüben». Auch im gemeinsamen Antrag der Regierung und der Justizkommission an den Grossen Rat habe es geheissen: «Zwischen dem Regierungsmandat und der Tätigkeit als Stiftungsratspräsident von Pro Helvetia liegt grundsätzlich eine Unvereinbarkeit vor.» Der Grosse Rat habe Annoni dann im Sinne einer Ausnahme auf dem Wege der Lückenfüllung bei der Gesetzesauslegung ein Doppelmandat am Ende seiner Amtszeit für fünf Monate erlaubt. Das ändere aber nichts daran, dass das Gesetz ein solches Doppelmandat eigentlich verbiete. Das Bundesgericht habe die Frage nicht materiell geprüft. Vielmehr sei es auf eine Stimmrechtsbeschwerde eines Bürgers nicht eingetreten, weil die Frage das Stimmrecht nicht unmittelbar berühre.

D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

E. Am 7. Juli 2006 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer und den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever sowie Esther Diener-Morscher behandelt.

F. Mit einer ergänzenden Eingabe vom 15. Juli 2007 hielt Mario Annoni an den Ausfüh
rungen in der Beschwerde vom 31. Mai 2007 fest und wies die Beschwerdeantwort des «Bund» vom 5. Juli 2006 als unbegründet zurück. Zum Beweis seiner Darstellung des Sachverhalts beantragte er die Anhörung verschiedener Zeugen durch den Presserat.

G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 23. Februar 2007 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Soweit der Beschwerdeführer in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15. Juli 2007 dem Presserat beantragt, zur Klärung zwischen den Parteien strittiger Sachverhalte Zeugen anzuhören, kann ihm nicht gefolgt werden. Der Presserat weist in ständiger Praxis darauf hin, dass es nicht zu seinen Aufgaben gehört, in einem Medienbericht enthaltene, zwischen den Parteien umstrittene Faktenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen (vgl. hierzu zuletzt die Stellungnahme 50/2006). Der Presserat verfügt nicht über prozessuale Zwangsmittel, um ein Beweisverfahren zur Klärung umstrittener Sachverhalte durchzuführen. Er kann weder verbindlich Zeugen vorladen noch Beweismittel einfordern. Das Presseratsverfahren ist ein schriftliches Verfahren, das auf der Grundlage der von den Parteien eingebrachten Argumente und Urkunden durchgeführt wird.

2. Reto Wissmann hat dem Bescherdeführer unbestrittenermassen zugesichert, den Text vor der Publikation zum Gegenlesen zu unterbreiten. Auch wenn Mario Annoni damit nicht ein umfassendes Änderungs- und Korrekturrecht erwarten durfte, hätte ihn der «Bund» vor der Veröffentlichung des Texts (und nicht erst nachträglich) jedenfalls noch einmal kontaktieren und gegebenenfalls darauf hinweisen müssen, dass und weshalb die Korrekturen oder ein Teil davon nicht berücksichtigt würden (Stellungnahme 30/2002). Mit seinem Verhalten erweckte der Autor das berechtigte Vertrauen, dass allfällige Korrekturen vor der Publikation zumindest geprüft würden. Es verstösst gegen die journalistische Fairness (Ziffer 4 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»; Lauterkeit der Recherche) einen Text zum Gegenlesen zuzustellen, ohne zumindest dafür zu sorgen, dass allfällige (berechtigte) Korrekturen und Änderungswünsche noch vor der Publikation berücksichtigt werden können. «Der Bund» hat die Ziffer 4 der «Erklärung» dabei ungeachtet davon verletzt, ob die nachfolgend zu prüfenden inhaltlichen Beanstandungen des Beschwerdeführers berufsethisch begründet sind oder nicht. Und ebensowenig vermochte die nachträgliche Veröffentlichung der Berichtigung zu einem Einzelaspekt das vorangegangene Versäumnis nachträglich zu heilen.

3. Mario Annoni sieht in der Kürzung des Zitats zu einer eventuellen Ständeratskandidatur von «im Moment nicht interessiert» zu «nicht interessiert» eine Entstellung einer Information. Diese Differenz ist nach Auffassung des Presserates zu wenig relevant, um eine Verletzung der Ziffer 3 der «Erklärung» zu begründen. Denn aus dem Kontext des Berichts wurde für die Leserschaft des «Bunds» auch mit dem gekürzten Zitat klar, dass für Mario Annoni eine solche Kandidatur zum Zeitpunkt des Rücktritts als Regierungsrat jedenfalls nicht im Vordergrund stand. Aus dem Zitat «Nicht interessiert» war hingegen nicht abzuleiten, dass dies für alle Zukunft gelten würde.

4. a) Gemäss konstanter Praxis des Presserates kann aus der Ziffer 1 der «Erklärung» und ebenso wenig aus der zugehörigen Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung abgeleitet werden. Berufsethisch sind auch einseitige, parteiergreifende und fragmentarische Standpunkte zulässig. Die berufsethischen Normen gelten allerdings auch für Kommentare. Gemäss ständiger Praxis des Presserates bewegt «sich ein Kommentar in den Grenzen des berufsethisch Zulässigen (…), wenn sowohl die Wertung wie die ihr zugrundeliegenden Fakten für das Publikum erkennbar sind und wenn sich die Wertung zudem auf eine genügende Grundlage stützt» (vgl. zuletzt die Stellungnahmen 14 und 62/2006). Ebenso wie ein Staatsanwalt (Stellungnahme 51/2006) ist auch ein Regierungsrat den Blicken der Öffentlichkeit ausgesetzt. Eine besondere Empfindlichkeit auch gegenüber besonders scharfer medialer Kritik ist dabei fehl am Platz.

b) Auch wenn die Position von Mario Annoni in der Auseinandersetzung über den Fremdsprachenunterricht von der grossen Mehrheit der kantonalen FDP und der Grossratsfraktion mitgetragen wurde und nur eine Minderheit in der Partei das Englisch zur ersten Fremdsprache in der Schule machen wollte, bewegt sich die als solche erkennbare Wertung des Journalisten, Teile der Partei würden dem Erziehungsdirektor mit der Forderung nach Frühenglisch in den Rücken schiessen, innerhalb der Grenzen der Kommentarfreiheit. Denn immerhin votierten offenbar 12 von 36 FDP-Grossrät/innen entgegen seiner Auffassung für Englisch als erste Fremdsprache, was als faktische Grundlage der kommentierenden Wertung genügt.

c) Auf den ersten Blick erscheint die Diskrepanz zwischen der harschen Kritik der Journalisten am Verhalten des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der Kontroverse um die neue Schülerbeurteilung und dem in der Beschwerde aus dem Ratsprotokoll der Frühjahrssession 2004 zitierten positiven Echo im Grossen Rat frappant. Das Lob im Grossen Rat bezog sich auf die durch die Erziehungsdirektion eingeleiteten Anpassungen, die nach massiven Protesten unmittelbar nach der Einführung der neuen Schülerbeurteilung im Schuljahr 2003/2004 zügig erfolgten. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass es im Rat auch andere Stimmen gab. So äusserte sich beispielsweise Otto Mosimann (EVP) in der gleichen Debatte vom 21. April 2004: «Herr Annoni, seien sie mir nicht böse, aber ich sage nicht ‹chapeau›. Ich habe genug von Projekten, die so daherkommen, und dann nicht halten, was sie versprochen haben (…) Wofür werden Vernehmlassungen durchgeführt, wenn sie dann einfach negiert werden? (…) Es wäre nötig, das Projektmanagement zu analysieren und nicht erst das Projekt, das sich am Schluss ergibt.» Oder Käthi Wälchli-Lehmann (SVP): «Ich werde den Verdacht nicht los, dass damals die Erziehungsdirektion ihre eigenen Visionen realisieren und die Vernehmlassungsantworten gar nicht wahrnehmen wollte. So auch die verschiedenen Einwände aus der Schulpraxis.» Charles Stuck (SP) kritisierte: «Die Erziehungsdirektion muss sich den Vorwurf gefallen lassen, während einer gewissen Zeit Führungsschwäche gezeigt zu haben.» Hans Oppliger (SVP) bemerkte, er habe schon vor gut zweieinhalb Jahren eine Interpellation mit dem Titel «Ist die vorgesehene Schülerbeurteilung noch verhältnismässig?» gestartet. «Es waren schon damals Unmut und Opposition im Lande erkennbar. (…) Die Antworten waren sehr unverbindlich, es wurde alles verharmlost und man sah nirgends auch nur das kleinste Problem. Heute wissen wir es besser. Es wurde ein Sturm der Entrüstung, eine halbe Revolution ausgelöst, so wie ich es noch nie erlebt habe, seit ich in diesem Rat sitze.» Die Kritik von Reto Wissmann «Er hat die Zügel zu spät in die Hand genommen, Sensibilitäten nicht erkannt und damit Vertrauen verspielt» zielt offensichtlich in die gleiche Richtung und beruht auf der faktischen Grundlage, dass es offenbar bereits vor der Einführung der neuen Schülerbeurteilung kritische Stimmen gab, auf welche der Erziehungsdirektor nach Auffassung des Journalisten zu spät reagierte. Für den Presserat bewegt sich auch diese Bewertung innerhalb der Grenzen der Kommentarfreiheit.

d) Ähnlich ist auch die Rüge des Beschwerdeführers zu bewerten, bei der gleichlautenden Kritik an seinem Verhalten im Zusammenhang mit der Reform der Lehrerbildung habe der «Bund» unterschlagen, dass das Lehrerbildungsgesetz von 1995 noch unter seinem Vorgänger verabschiedet wurde und dass er während seiner Amtszeit die Fehler dieses Gesetzes erfolgreich korrigiert habe.

Aus unvoreingenommener Sicht ist der beanstandeten Kommentierung des «Bund» allerdings nicht zu entnehmen, Mario Annoni habe die Probleme
der Lehrerbildung verursacht. Zudem attestiert der Artikel dem Beschwerdeführer ausdrücklich, ein Bildungswesen zu hinterlassen, das auf modernen gesetzlichen Grundlagen steht. Reto Wissmann kritisiert wie bei der Schülerbeurteilung in erster Linie die Art und Weise («Infanteriestil»), wie der damalige Regierungsrat mit den bestehenden Problemen und den davon Betroffenen umgegangen sei. Der Presserat kann – wie unter Ziffer 1 der Erwägungen ausgeführt – das teils umstrittene faktische Fundament dieser Kritik nicht klären. Angesichts der unbestritten konfliktträchtigen Materie durfte der Erziehungsdirektor aber von vornherein keine «objektive» Beurteilung seiner Tätigkeit und Verdienste erwarten. Bei umstrittenen Massnahmen wie der Schliessung von Ausbildungsinstitutionen musste er fast zwangsläufig mit subjektiv gefärbter, ihm ungerechtfertigt erscheinender beissender Kritik sowohl von Direktbetroffenen als auch von Seiten der Medien rechnen. Eine klarere Benennung des sachlichen Fundaments der Kritik durch den «Bund» wäre zwar allenfalls wünschbar gewesen. Bei einem Meinungsartikel, der den Leistungsausweis eines zurücktretenden Regierungsrats zusammenfassend würdigt, dürfen keine überhöhten Anforderungen in Bezug auf Benennung des faktischen Fundaments negativer Einschätzungen gestellt werden. Immerhin weist der «Bund» differenzierend darauf hin, nicht nur das angeblich mangelhafte Krisenmanagement, sondern insbesondere auch der ständige Spardruck habe sich ungünstig auf das Image des Erziehungsdirektors ausgewirkt. In einer Gesamtwürdigung dieser Argumente erachtet der Presserat deshalb auch die im Zusammenhang mit der Bewältigung der Reform der Lehrerbildung gemachten Aussagen als durch die Kommentarfreiheit noch gedeckt.

e) Mario Annoni beanstandet schliesslich die Ausführungen von Reto Wissmann zum befristeten Doppelmandat als Regierungsrat und Präsident von Pro Helvetia. Zur Rechtfertigung des Vorwurfs «ohne es auch nur mit der Verwaltung besprochen zu haben» beruft sich der «Bund» auf eine telefonische Auskunft von Staatsschreiber Kurt Nuspliger. Nuspliger habe Wissmann im Dezember 2005 die Auskunft erteilt, Annoni hätte die Frage der Zulässigkeit des Doppelmandates nicht mit der Staatskanzlei besprochen. Demgegenüber behauptet der Beschwerdeführer, er habe Staatsschreiber Nuspliger frühzeitig über die vorgesehene Wahl orientiert. Gemeinsam seien sie zum Schluss gekommen, das Doppelmandat sei für eine befristete Übergangszeit unproblematisch. Nuspliger habe Wissmann im Dezember 2005 die Auskunft erteilt, es sei nicht notwendig, die juristische Zulässigkeit der Staatskanzlei formell zu unterbreiten. Angesichts der abweichenden Darstellung der Parteien muss es offen bleiben, ob der Beschwerdeführer die Frage des Doppelmandats vor der Wahl zum Präsidenten von Pro Helvetia bloss informell oder gar nicht mit der Staatskanzlei besprochen hat. Eine Verletzung der Ziffern 1 oder 3 der «Erklärung» ist dementsprechend nicht erstellt.

Auch über die Tragweite des Urteils vom 27. April 2006, mit welchem das Bundesgericht auf eine wegen des vorübergehenden Doppelmandats eingereichte Stimmrechtsbeschwerde nicht eintrat, gehen die Auffassungen der Parteien auseinander. Selbst wenn das Bundesgericht in seinem Urteil nicht materiell entschied, kann daraus allerdings nicht abgeleitet werden, die Frage sei im konkreten Fall juristisch nach wie vor offen. Denn zumindest der Grosse Rat als Aufsichtsbehörde der Regierung hat die Zulässigkeit des zeitlich befristeten Doppelmandats im Wege der Lückenfüllung unmissverständlich bejaht. Trotzdem ist auch die Formulierung «obwohl dies das Gesetz eigentlich verbietet» nach Auffassung des Presserates nicht als Entstellung von Informationen bzw. als Verletzung der Wahrheitspflicht zu werten. Der juristische Konflikt um das Doppelmandat und dessen für den Beschwerdeführer positive Ausgang waren Ende Mai 2006 in der öffentlichen Debatte im Kanton Bern noch durchaus präsent. Aufgrund des Adverbs «eigentlich» war es für die Leserschaft des «Bund» klar, was der Autor mit dem Satz meinte: Der Wortlaut von Art. 17 des bernischen Gesetzes über die Organisation des Regierungsrates und der Verwaltung halte «eigentlich» fest, jegliche auch nur nebenamtliche Tätigkeiten, welche mit wirtschaftlichen Interessen verbunden sein können, seien mit dem Amt eines Regierungsrates unvereinbar. Jedenfalls stiess das Verhalten des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit diesem Doppelmandat ungeachtet der rechtlichen Zulässigkeit bei einem Teil der Öffentlichkeit auf Kritik, was Reto Wissmann im Schlussabsatz seines Berichts kommentierend gewürdigt hat.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Abschiedsporträts des zurücktretenden bernischen Regierungsrats Mario Annoni am 26. Mai 2006 hat der «Bund» die Ziffer 4 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt, indem er den Text zwar wie vereinbart zum Gegenlesen zustellte, jedoch ohne sicherzustellen, dass allfällige (berechtigte) Korrekturen und Änderungswünsche vor der Publikation noch berücksichtigt werden konnten.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.

Zusammenfassung

Resumé

Riassunto