Nr. 59/2012
Entstellung von Informationen, Archiv- und Symbolbilder / Diskriminierung

(X. und Co. / Zentralrat Deutscher Sinti und Roma c. «Weltwoche») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 13. September 2012

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Zusammenfassung

«Weltwoche»-Titelseite mit Roma-Bub diskriminierte
Durfte die «Weltwoche» auf der Titelseite das Bild eines kleinen Jungen mit einer Pistole in der Hand und darunter die Schlagzeile «Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz» veröffentlichen? Nein sagt der Presserat. Die Kombination von Text und Bild diskriminiere die Roma und entstelle Informationen. Zudem wäre das Bild als Archiv- sowie als Symbolbild zu deklarieren gewesen. Er heisst deshalb zwei Beschwerden gegen die «Weltwoche» gut.

Die beiden Beschwerden gegen die Titelseite der «Weltwoche» vom 5. April 2012 beanstanden, mit der verallgemeinernden Formulierung «die Roma» werde eine ganze Volksgruppe diffamiert. Zudem werde die Leserschaft darüber im Unklaren gelassen, dass das Bild des Jungen bereits vor vier Jahren und in einem ganz anderen Kontext entstanden sei, der nichts mit Roma-Kriminalität zu tun habe. Die «Weltwoche» weist die Vorwürfe zurück und entgegnet, es handle sich um ein dokumentarisches Bild, welches die Problematik «Kind, Kriminalität und Verwahrlosung» symbolisch auf den Punkt bringe.

Für den Presserat suggeriert das Bild in Kombination mit der Schlagzeile fälschlicherweise, der abgebildete Knabe sei Teil der Roma-Kriminalität. Zudem trage die «Weltwoche» durch die pauschalisierende Schlagzeile «Die Roma kommen», in diskriminierender Weise dazu bei, Ängste zu schüren und stereotype Vorurteile gegenüber einer ethnischen Gruppe zu verstärken. Zudem hätte die Zeitschrift das Bild als Archivbild kennzeichnen müssen und darauf hinweisen, dass sie es als Symbolbild verwendet.

Résumé

La «Une» de la «Weltwoche» montrant un garçon rom est discriminatoire
La «Weltwoche» peut-elle mettre à la «Une» l’image d’un jeune garçon un pistolet à la main et la publier en l’assortissant du titre suivant: «Les Roms arrivent: razzia en Suisse»? «Non», dit le Conseil suisse de la presse. Combiner ce texte et cette image tend à discriminer les Roms et dénature les informations. De plus, l’illustration aurait dû être signalée en tant qu’image symbole tirée d’archives. Il admet dès lors deux plaintes contre la «Weltwoche».

Les deux plaintes déposées contre la «Une» de la «Weltwoche» du 5 avril 2012 s’élèvent contre la formulation généralisatrice «les Roms» qui atteint tout un groupe ethnique. De plus, les lecteurs ne sont pas informés que l’image du garçon a été prise voici quatre ans dans un cadre sans rapport avec la criminalité des Roms. La «Weltwoche» rejette les reproches et réplique qu’il s’agit d’une image documentaire symbolisant la problématique «enfant, criminalité et abandon».

Pour le Conseil de la presse l’image, combinée avec la manchette, suggère à tort que le garçon représenté est en lien avec la criminalité des Roms. De plus, la «Weltwoche», par son gros titre généralisateur «Les Roms arrivent» contribue de façon discriminatoire à attiser les craintes et les préjugés stéréotypés à l’égard d’un groupe ethnique. Le journal aurait dû, en outre, préciser que l’image provient des archives et qu’elle est utilisée à titre symbolique.

Riassunto

Discriminante la copertina della «Weltwoche» sul piccolo zingaro
La deontologia consentiva alla «Weltwoche» di uscire con una foto in prima pagina in cui era ritratto un ragazzo che impugna una pistola e, sotto, il titolo: «Arrivano gli zingari: vengono in Svizzera per rubare»? No, dice il Consiglio della stampa. Tale associazione di immagine e titolo è un’informazione distorta e rappresenta una discriminazione a carico di unl’etnia. I due reclami presentati contro la pubblicazione sono perciò stati accolti.

Nei due reclami contro la copertina della «Weltwoche» del 5 aprile 2012 si faceva valere che la generalizzazione «gli zingari» costituisce discriminazione a carico dell’intero gruppo etnico. Al lettore veniva inoltre taciuto che l’immagine del ragazzo con la pistola risale a quattro anni fa ed è stata scattata in tutt’altro contesto, senza alcun rapporto con reati attribuiti a zingari. La redazione della «Weltwoche» respinge l’accusa di discriminazione e fa valere che si trattava di una foto generica adatta a documentare simbolicamente la tematica «Bambini, criminalità e abbandoni».

Il Consiglio della stampa è stato invece del parere che l’associazione foto-titolo suggerisce necessariamente che il ragazzo aveva a che fare con i reati attribuiti agli zingari. Con il titolo: «Arrivano gli zingari», inoltre, il settimanale compie un’indebita generalizzazione intesa a suscitare allarme e a rafforzare pregiudizi sommari contro un gruppo etnico. Infine, la «Weltwoche» aveva il dovere di designare l’illustrazione come «foto d’archivio»,avvertendo in tal modo il lettore che si trattava di un’immagine simbolica.


I. Sachverhalt


A.
Am 5. April 2012 berichtete die «Weltwoche» in ihrer Titelgeschichte über Roma, die aus Osteuropa kommen und in der Schweiz Probleme verursachen. Auf dem Titelblatt ist ein kleiner dunkelhäutiger Junge mit schwarzen Augen abgebildet, der eine Pistole auf die Kamera richtet. Darunter die Schlagzeile: «Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz». Der Untertitel lautet: «Familienbetriebe des Verbrechens.» Der vierseitige Artikel (Titel: «Sie kommen, klauen und gehen») auf den Seiten 24–27 von Philipp Gut und Kari Kälin handelt im Wesentlichen von «wachsendem Kriminaltourismus», für den «osteuropäische Roma-Sippen» zu einem grossen Teil verantwortlich seien. Diese schickten zudem «Frauen auf den Strich und Kinder zum Betteln».

B.
Am 14. April 2012 beschwerten sich X. und 41 Mitunterzeichnerinnen und Mitunterzeichner (im Folgenden: Beschwerdeführer) beim Schweizer Presserat über das Titelblatt der «Weltwoche» vom 5. April 2012, das gegen Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstosse. Allein schon das Bild sei geeignet, eine bestimmte ethnische Volksgruppe zu diffamieren. Es unterstelle, dass unter den Angehörigen bestimmter ethnischer Gruppen bereits die Kinder Waffen besässen. Zusammen mit der Schlagzeile «Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz» werde die ethnische Gruppe der Roma diskriminiert. Mit der Formulierung «die Roma» werde der Eindruck erweckt, es handle sich um alle Roma, die «Raubzüge in die Schweiz» unternehmen.

C.
Am 14. April 2012 ist auf «infosperber.ch» zu lesen, wie das von der Kölner Bildagentur Laif vertriebene Bild entstanden ist: Ein italienischer Fotograf hat den damals 4-jährigen Jungen 2008 auf einer Mülldeponie in der Gemeinde Gjakova im Südwesten von Kosovo fotografiert. Ein Jahr danach begann die Caritas, an diesem Ort eine Siedlung aufzubauen, um die Lebensverhältnisse der Roma dort zu verbessern.

D.
Am 19. April 2012 veröffentlichte die «Wochenzeitung» (WOZ) einen Artikel über den Jungen auf der Frontseite. Dort ist zu erfahren, wie der inzwischen 8-Jährige mit seiner Familie im Kosovo wohnt, wie die Wohngemeinde vom Schweizer Hilfswerk Caritas unterstützt wurde und dass die Familie noch nie in der Schweiz war.

E.
Am 20. April 2012 reichte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma (im Folgenden: Beschwerdeführer 2) ebenfalls eine Beschwerde ein, die sich in erster Linie gegen das Titelblatt der «Weltwoche» vom 5. April 2012 richtet. Der Zentralrat kritisiert, mit ihrer Aufmachung und Darstellung kriminalisiere di
e «Weltwoche» in «volksverhetzender Weise die Volksgruppe der Sinti und Roma». Durch die hervorgehobene ethnische Kennzeichnung würden «rassistische Stereotypen gegenüber der Minderheit befördert». Und im «Stile der nationalsozialistischen Zuschreibungen von der ‹abstammungsbedingten Kriminalität› (‹Zigeunerclans›)» würden Sinti und Roma unter «Generalverdacht» gestellt.

Die Beschwerde rügt neben einer Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» auch eine solche von Ziffer 3 (Entstellung von Informationen; Archiv- und Symbolbilder). Sie führt dazu an, das Foto des Jungen auf dem Titelbild sei in missbräuchlicher Weise verwendet worden. Für die Verwendung fehle die Zustimmung der Eltern. Zudem ersucht der Zentralrat den Presserat, den Verantwortlichen der «Weltwoche» zu empfehlen, der Familie des Kindes eine angemessene Entschädigung auszurichten.

F.
Die anwaltlich vertretene «Weltwoche» (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) wies die beiden Beschwerden in zwei separaten Beschwerdeantworten vom 29. Mai 2012 je als unbegründet zurück.

– Zum Vorwurf der missbräuchlichen Verwendung eines Bildes (Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung») entgegnet die Beschwerdegegnerin, es handle sich «zwar um ein intensives, aber zweifelsohne dokumentarisches Bild, welches die Problematik symbolisch auf den Punkt bringt: Nämlich die Verbindung von Kind, Kriminalität und Verwahrlosung.» Als Beleg dafür zitiert die «Weltwoche» die in Englisch abgefasste Beschreibung der Kölner Bildagentur Laif: «The Garbage Gang of Kosovo. In the outskirts of the kosovar city of Gjakova (…) a group of Roma kids live with their families in a slum built over a garbage dump. (…) These Roma children only know life in a dump, a poisoned and diseased playground.»

Mit der Publikation des Fotos in Verbindung mit dem Titel werde keineswegs insinuiert, dass alle Kinder der Roma Waffen trügen oder dass das abgebildete Kind aus einer kriminellen Familie stamme. Vielmehr werde mit diesem Bild die «Kernbotschaft präzise und eindringlich transportiert», nämlich, dass Minderjährige von Erwachsenen für illegale Geschäfte missbraucht und dafür sogar an Banden verkauft oder ausgeliehen würden.

Auch die Vorwürfe, für die Publikation des Bildes in einem anderen als dem ursprünglichen Zusammenhang fehle die Einwilligung der Eltern und dem betroffenen Jungen könnten durch die Publikation des Bildes Nachteile entstehen, weist die Beschwerdegegnerin zurück. Da das Bild erst vier Jahre nach der Entstehung verwendet worden sei, sei die Gefahr, dass das Kind in seiner Umgebung wiedererkannt werde, verschwindend klein bzw. als unbedeutend einzustufen. Und zudem rufe das Sujet «Junge mit einer Spielzeugpistole» beim Durchschnittsleser nicht die Vorstellung hervor, das abgebildete Kind sei kriminell oder seine Familie sei in kriminelle Machenschaften verwickelt.

– Der Diskriminierungsvorwurf sei haltlos und unbegründet. Bei der Berichterstattung gehe es nicht um Diffamierung oder Diskriminierung einer bestimmten Volksgruppe, sondern um die Aufdeckung von Missständen, die «im Rahmen einer bestimmten Minderheit öfter vorkommen als in anderen». Ziel und Zweck der Berichterstattung sei es, «die die Kinderrechte verletzenden Missstände aufzudecken, auf diese aufmerksam zu machen und einen politischen Diskurs anzustossen». Das kritisierte Titelbild illustriere das Problem, «dass minderjährige Kinder von Erwachsenen für Einbruchdiebstähle, Bettleraktivitäten oder andere illegale Geschäfte missbraucht und dafür sogar an Banden verkauft oder ausgeliehen werden».

Den Vorwurf der Diskriminierung durch die Pauschalisierung «Die Roma» entkräftet die Beschwerdegegnerin mit dem Hinweis auf den Wortlaut des Artikels. Bereits im Lead heisse es «osteuropäische Roma-Sippen» seien «zu einem grossen Teil» für den wachsenden Kriminaltourismus verantwortlich. Es gehe also nicht pauschal um Roma und es werde «keine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt». Zudem handle es sich bei den aufgedeckten Missständen nicht um aus der Luft gegriffene Vorwürfe, sondern um die Realität, die durch Aussagen aus Ermittlerkreisen belegt werde. Auch der Untertitel «Familienbetriebe des Verbrechens» sei nicht diskriminierend, sondern bringe die Tatsache prägnant auf den Punkt, dass es sich bei den «sog. Kriminaltouristen um in familienähnlichen Strukturen lebende Gruppen handelt». Im Beitrag werde nicht gesagt, alle Roma seien kriminell.


G.
Nach Abschluss des Schriftenwechsels reichte der Beschwerdeführer 2 eine Entgegnung auf die Beschwerdeantwort der «Weltwoche» ein. Ebenfalls nach Abschluss des Schriftenwechsels reichte zudem der Anwalt der «Weltwoche» je eine Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Wien und der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat im Zusammenhang mit mehreren Strafanzeigen ein, die gegen «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel sowie die beiden Autoren des kritisierten Artikel wegen Verdachts auf Rassendiskriminierung eingegangen waren.

H.
Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 1. Kammer zu, der Francesca Snyder (Kammerpräsidentin), Michael Herzka, Pia Horlacher, Klaus Lange, Francesca Luvini, Sonja Schmidmeister und David Spinnler (Mitglieder) angehören.


I.
Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 13. September 2012 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1.
Die Beschwerden richten sich ausschliesslich (Beschwerdeführer 1) bzw. zur Hauptsache (Beschwerdeführer 2) gegen die Titelseite der «Weltwoche» vom 5. April 2012 und insbesondere gegen das zur Illustration verwendete Bild und die Schlagzeile «Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz». Deshalb geht der Presserat in seiner Stellungnahme nicht auf den Artikel «Sie kommen, klauen und gehen» ein. Da zudem nicht auszuschliessen ist, dass ein Teil der Leserschaft der «Weltwoche» allein die Titelseite sieht, ohne den Artikel zu lesen, ist bei der Beurteilung einzig auf die Titelseite abzustellen.

2. a)
Die Ziffer 3 der «Erklärung» untersagt es den Journalistinnen und Journalisten, wichtige Elemente von Informationen zu unterschlagen sowie Tatsachen, Dokumente und Bilder zu entstellen. Gemäss der zugehörigen Richtlinie 3.3 (Archivdokumente) sind Archivbilder ausdrücklich zu kennzeichnen. «Zudem ist abzuwägen, ob sich die abgebildete Person nach wie vor in der gleichen Situation befindet und ob ihre Einwilligung auch für eine neuerliche Publikation gilt.» Und die Richtlinie 3.4 (Illustrationen) hält fest: «Bilder oder Filmsequenzen mit Illustrationsfunktion, die ein Thema, Personen oder einen Kontext ins Bild rücken, die keinen direkten Zusammenhang mit dem Textinhalt haben (Symbolbilder), sollen als solche erkennbar sein. Sie sind klar von Bildern mit Dokumentations- und Informationsgehalt unterscheidbar zu machen, die zum Gegenstand der Berichterstattung einen direkten Bezug herstellen.»

Der Presserat hat in der Stellungnahme 19/2010 festgehalten, dass es nicht angeht, das Bild einer friedlich vor dem Bundeshaus demonstrierenden Muslimin als Illustration für einen Artikel zu verwenden, der den Islam und damit auch die abgebildete Person potenziell als gewalttätig und verfassungsfeindlich denunziert. Mit dem gleichen Argument hat er in der Stellungnahme 21/2011 begründet, es sei unzulässig, ein im Internet «gefundenes» Bild eines Kindes mit einer Glace-Pistole im Mund zur Illustration eines Artikels über eine Waffeninitiative zu missbrauchen. Wer sich für eine Aktion einer Kunsthochschule mit einer Pistole aus Wassereis im Mund fotografieren lässt und einwilligt, dass sein Bild im Internet veröffentlicht wird, gibt damit nicht zwingend sein Einverständnis dafür, das gleiche Bild in einem ganz anderen, politischen Kontext zu verwenden.

b)
Vorliegend weist die «Wel
twoche» weder auf der Titelseite noch auf den Folgeseiten darauf hin, dass es sich um ein Archivbild aus dem Jahr 2008 handelt. Und auch wenn die Bildagentur Laif das Bild erst nach der Veröffentlichung der Berichterstattung vom 5. April 2012 mit dem Hinweis versah, «Image may only used in the context in which it was taken», hätte die «Weltwoche» bereits aufgrund der Bildbeschreibung merken müssen, dass es nicht angeht, das Bild in einem ganz anderen Kontext zu verwenden. Für den Presserat hat die «Weltwoche» die Ziffer 3 der «Erklärung» unter dem Gesichtspunkt der Kennzeichnung und Verwendung von Archivbildern deshalb verletzt.

c)
Die «Weltwoche» argumentiert zudem widersprüchlich zur Frage, ob sie das Bild in dokumentatorischer oder symbolischer Funktion verwendet hat. Einerseits schreibt sie in ihrer Beschwerdeantwort, es handle sich um dokumentatorisches Bild. Gleichzeitig macht sie aber geltend, das Bild bringe die «Verbindung von Kind, Kriminalität und Verwahrlosung» symbolisch auf den Punkt. Für den Presserat liegt das berufsethische Problem gerade in dieser Ambivalenz zwischen der dokumentarischen und der symbolischen Funktion der umstrittenen Illustration. Das Bild, welches das Elend von Roma-Kindern in einem Slum im Aussenbezirk einer kosovarischen Stadt dokumentiert, wird in einen ganz anderen Kontext gestellt und soll nun stattdessen die Verantwortung der Roma für den «wachsenden Kriminaltourismus symbolisieren». Im Kontext der beanstandeten Berichterstattung hat das Bild mithin eindeutig die Funktion eines Symboldbildes. Abgesehen davon, dass die «Weltwoche» wie ausgeführt nicht davon ausgehen durfte, dass der Abgebildete respektive seine Eltern mit der Verwendung des Fotos in einem ganz anderen Zusammenhang einverstanden waren, hätte sie das Bild deshalb zwingend auch als Symbolbild kennzeichnen müssen. Denn für den Betrachter des Titelbilds ist es – ohne Kenntnis der Hintergründe – nicht klar ersichtlich, ob es sich um ein Bilddokument oder um ein Symbolbild handelt.

d)
Die «Weltwoche» hat es nicht bloss unterlassen, die umstrittene Illustration als Archiv- und als Symbolbild zu deklarieren, sondern sie hat das Bild zudem – wie bereits dargelegt – in einem ganz anderen Kontext verwendet. Für die Leserschaft erschliesst sich die Bildaussage nicht aus dem Bild allein, sondern ebenso aus den Schlagzeilen bzw. aus der Verknüpfung von Bild und Text. In Kombination mit «Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz» und «Familienbetriebe des Verbrechens» suggeriert das Bild der Leserschaft in wahrheitswidriger Weise, der abgebildete Knabe sei Teil der Roma-Kriminalität. Die Ziffer 3 der «Erklärung» ist deshalb auch unter dem Gesichtspunkt der Entstellung von Informationen verletzt.

3. a)
Gemäss der Ziffer 8 zur «Erklärung» verzichten die Journalistinnen und Journalisten auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder die nationale Zugehörigkeit zum Gegenstand haben. Die zugehörige Richtlinie 8.2 (Diskriminierung) lautet: «Die Nennung der ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit (…) kann diskriminierend wirken, insbesondere wenn sie negative Werturteile verallgemeinert und damit Vorurteile gegenüber Minderheiten verstärkt. Journalistinnen und Journalisten wägen deshalb den Informationswert gegen die Gefahr einer Diskriminierung ab und wahren die Verhältnismässigkeit.»

Nach der Praxis des Presserats ist eine Anspielung diskriminierend, wenn durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer Gruppe beeinträchtigt und/oder die Gruppe kollektiv herabgewürdigt wird (Stellungnahme 65/2009). In der Stellungnahme 21/2001 empfahl der Presserat, «kritisch zu fragen, ob eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob lediglich Handlungen der tatsächlich dafür Verantwortlichen kritisiert werden oder ob die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird». Und in der Stellungnahme 37/2004 schreibt der Presserat: «Eine Bezugnahme auf die ethnische, nationale oder religiöse Zugehörigkeit ist nur dann diskriminierend, wenn sie mit einem erheblich verletzenden Unwerturteil verbunden ist. Das Diskriminierungsverbot verbietet zudem nicht Kritik an Einzelpersonen, sondern soll (…) Verallgemeinerungen verhindern.»

b)
Nach Auffassung des Presserats geht die «Weltwoche» mit der Aufmachung der Titelseite – Kombination von Titelbild und Schlagzeile – eindeutig zu weit. Zwar ist es ihr im Lichte der Freiheit der Information und des Kommentars unbenommen, den zunehmenden Kriminaltourismus in der Schweiz und den durch die Polizei bestätigten hohen Anteil von Roma unter den bandenmässig organisierten Kriminaltouristen kritisch zu thematisieren und auch die sozialen Hintergründe zu beleuchten. Da Roma aber zu denjenigen Minderheiten gehören, über welche die Medien häufig stereotyp berichten und die deshalb besonders diskriminierungsgefährdet sind (Stellungnahme 28/2011), hätte die «Weltwoche» sorgfältig darauf achten müssen, die berechtigte Kritik an den Kriminaltouristen nicht in ungerechtfertigter Weise auf alle Roma auszudehnen. Durch die generalisierende Formulierung der Schlagzeile «Die Roma kommen» werden alle Roma angesprochen und potentiell als Kriminelle hingestellt. Die Kombination des Bildes des Jungen mit der Pistole mit der Wortfolge «Die Roma kommen», «Raubzüge in die Schweiz» und «Familienbetriebe des Verbrechens» sowie die verallgemeinernde Formulierung insinuierten zudem eine (bevorstehende) Masseninvasion einer ethnischen Minderheit. Damit bedient die Titelseite sowohl die Angst vor dem Fremden als auch herkömmliche stereotype Vorurteile über die Roma.

4.
Soweit der Beschwerdeführer 2 schliesslich beantragt, der «Weltwoche» sei zu empfehlen, der Familie des Jungen auf dem Bild, das die «Weltwoche» auf der Titelseite veröffentlicht hat, eine Entschädigung auszurichten, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Gemäss Artikel 16 Absatz 3 seines Geschäftsreglements kann der Presserat zwar Feststellungen treffen und Empfehlungen erlassen. Hingegen kann er keine Sanktionen verfügen. Die vom Zentralrat verlangte Empfehlung einer Entschädigung hätte den Charakter einer Sanktion, während sich die in Artikel 16 Absatz 3 seines Geschäftsreglements erwähnten Empfehlungen auf publizistische Fragen beschränken.


III. Feststellungen


1.
Die Beschwerden werden gutgeheissen.


2.
Die «Weltwoche» hat mit der Veröffentlichung der Titelseite vom 5. April 2012 («Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz»; «Familienbetriebe des Verbrechens») die Ziffern 3 (Entstellung von Informationen, Archiv- und Symbolbilder) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.