Nr. 49/2013
Diskriminierung

(X. c. «Gipfel Zytig») Stellungnahme des Schweizer Presserates 49/2013 vom 22. August 2013

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Zusammenfassung

Diskriminierende Wildschweine

Darf ein satirischer Beitrag eine Tiermetapher verwenden, um indirekt herabsetzende Vorurteile über Ausländer zu verbreiten? Nein, sagt der Presserat. Denn Satire darf nicht als Deckmantel dienen, um diskriminierende Äusserungen zu verbreiten.

Der Presserat heisst eine Beschwerde gegen einen satirischen Beitrag der Davoser Gratiszeitung «Gipfel Zytig» gut. Diese verglich das Verhalten von Wildschweinen mit Sätzen wie «Sie tragen keine Kopftücher! Sie benützen keine geklauten Fahrräder, Roller oder BMWs! Sie tragen keine Messer!» implizit mit jenem von Ausländern. Die Pointe der kleinen Fotogeschichte lautete: «Aber: Auf die darf geschossen werden!»

In seinem Entscheid weist der Presserat auf die historische Tradition der Verhetzungspropaganda mit Tiervergleichen hin. Das Herabwürdigen von Menschen anderer Volksgruppen, Hautfarben, Religionen, des anderen Geschlechts oder einer andern sexuellen Orientierung habe sich schon immer solcher Tierbilder bedient. Besonders oft dienten diesem Zweck Ratten, Schweine, Ungeziefer und Hündinnen, denen vermeintliche Kollektiveigenschaften solcher Gruppen übergestülpt würden. Im Extremfall gehe das einher mit Vernichtungsfantasien: Ratten und Ungeziefer dürfen ausgerottet, oder, wie in diesem Fall, Wildschweine abgeschossen werden. Auch unter der selbstdeklarierten Rubrik Satire verletzen solche Vergleiche die Ziffer 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

Résumé

Sanglier discriminatoire

Un texte satirique peut-il recourir à une métaphore animale pour répandre indirectement des préjugés avilissants envers des étrangers? Non, car pour Conseil de la presse la satire ne doit pas servir à couvrir la diffusion de propos discriminatoires.

Le Conseil de la presse approuve une plainte dirigée contre un texte satirique du journal gratuit davosien «Gipfel Zytig» qui compare implicitement le comportement des sangliers avec de certains étrangers, en écrivant: «Ils ne portent pas de foulards!», «ils n’utilisent pas de vélos, ni de scooters et de BMW volés!», «ils ne portent pas de couteaux sur eux!». Et pour finir,  la chute: «Mais, on a le droit de tirer sur eux.»

Dans sa prise de position, le Conseil suisse de la presse rappelle la tradition historique des campagnes de propagande raciste recourant aux comparaisons avec des bêtes. De tout temps l’avilissement de personnes d’autres ethnies, couleurs de peau, religions, sexe ou orientation sexuelle, a passé par le recours à de telles métaphores animales. La préférence allait aux rats, aux cochons, à la vermine, aux chiennes que l’on affublait des prétendues particularités collectives attribuées à ces groupes. A l’extrême, cela s’accompagnait de fantasmes d’anéantissement: les rats et la vermine peuvent être éradiqués, ou, comme dans le cas présent, les sangliers peuvent être abattus. De telles comparaisons, même dans une rubrique ouvertement satirique, contreviennent au chiffre 8 (Discrimination) de la «Déclaration des devoirs et des droits du/de la journaliste».

Riassunto

Quando la satira è discriminazione

Può una rubrica di satira usare una metafora animale per esprimere una critica nei confronti degli stranieri? Il Consiglio della stampa mette in guardia esplicitamente contro questo tipo di discriminazione.

Accolto è stato un reclamo contro un articolo apparso nel giornale satirico e gratuito di Davos, «Gipfel Zytig», che tracciava un parallelo tra il comportamento degli  stranieri e quello dei cinghiali, i quali tuttavia (si scriveva) non portano il velo, non rubano bicilette o automobili e non hanno in tasca il coltello. «A quelli, almeno» – concludeva l’articolo – «si può sparare».

Nella sua presa di posizione il Consiglio della stampa ricorda che l‘abitudine di discriminare un gruppo umano paragonandone il comportamento a quello degli animali ha una lunga tradizione. Il disprezzo nei confronti di altre etnie, religioni, colore della pelle, abitudini sessuali, si è spesso espresso con la messa in caricatura di quelli che si consideravano comportamenti tipici di un gruppo determinato. Nei casi estremi si è giunti a fantasticare l’eliminazione violenta dei soggetti: contro i topi o gli insetti si fa la disinfestazione, ai cinghiali si spara. Paragoni come questi – dice il Consiglio della stampa – sono in contrasto con la cifra 8 (Discriminazione) della «Dichiarazione dei doveri e dei diritti dei giornalisti», anche se contenuti in una rubrica di satira.


I. Sachverhalt

A. Die Davoser Gratiszeitung «Gipfel Zytig» veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 8. März 2013 einen Beitrag in der satirischen Rubrik «Hitsch Bärenthalers Schnellschüsse». Unter dem Titel «Fällt Dir etwas auf?» werden drei Fotos eines Wildschweinrudels gezeigt, welches «am Sonntagmorgen einen Ausflug mit der ganzen Familie» mache. Schön zu sehen sei, wie die Alten die Jungen beschützten. In den Fotos überquert das Rudel, scheinbar gesittet auf dem Fussgängerstreifen, eine Landstrasse. Darunter dann die Antwort zur Titelfrage, «Das fällt auf», mit folgender Aufzählung:

«– Sie benützen den Fussgängerstreifen!
– Sie benützen das Trottoir!
– Sie tragen keine Kopftücher!
– Sie benützen keine geklauten Fahrräder, Roller oder BMWs!
– Sie zeigen Disziplin!
– Sie tragen keine Messer!
– Sie gehen nicht in fremde Häuser!
– Sie spucken nicht auf den Boden!
– … und sie machen keine fremden Frauen an!»

Ganz am Schluss steht, fett gedruckt: «Aber: Auf die darf geschossen werden!»

B. Am 26. März 2013 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat, der Text verletze die Ziffer 8 der «Erklärung» weil er den Respekt vor der Menschenwürde vermissen lasse und mehrere diskriminierende Aussagen enthalte. Er verschiebe in schwerwiegender Weise eine Hemmschwelle, indem er suggeriere, «auf solche Menschen sollte man eigentlich schiessen dürfen».

C. Die «Gipfel Zytig» reichte innert der verlängerten Frist keine Beschwerdeantwort ein.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 1. Kammer zu, der Francesca Snider (Kammerpräsidentin), Michael Herzka, Pia Horlacher, Klaus Lange, Francesca Luvini, Sonja Schmidmeister und David Spinnler (Mitglieder) angehören.

E. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 25. April 2013 sowie auf dem Korrespondenzweg.


II. Erwägungen

1. Der Presserat hat sich bereits in seiner Stellungnahme 77/2012 mit einem Beitrag derselben Rubrik der «Gipfel Zytig» befasst und eine Verletzung der Ziffer 8 der «Erklärung» festgestellt. Damals ging es um einen fremdenfeindlichen Text für eine «neue Landeshymne». Vorliegend operiert der beanstandete Beitrag mit ähnlichen Generalverdächtigungen gegenüber Ausländern und Immigranten in der Schweiz. Sie halten sich an keine Regeln, spucken auf den Boden, klauen, tragen Messer, brechen ein, die Frauen tragen Kopftücher und die Männer machen fremde Frauen an. Verglichen werden sie mit Wildschweinen, die zwar all das nicht nur nicht tun, sondern sich im Gegenteil gesittet an die (Verkehrs-)Regeln halten. Trotzdem dürfen die Schweine geschossen werden. Aber, so die Pointe zwischen den Zeilen, die Ausländer nicht.

2. Die Herabwürdigung und Diskriminierung anderer Volks
gruppen, anderer Hautfarben, anderer Religionen, des anderen Geschlechts oder anderer sexueller Orientierung, des «Fremden» allgemein, hat sich schon immer solcher Tiermetaphern bedient: Besonders beliebt in der Verhetzungspropaganda sind Ratten, Schweine, Ungeziefer und Hündinnen, denen die vermeintlichen Kollektiveigenschaften solcher Gruppen übergestülpt werden. Oft sind sie von Vernichtungsfantasien begleitet: Ratten und Ungeziefer dürfen ausgerottet, oder, wie in diesem Fall, Wildschweine geschossen werden.

3. Ziffer 8 der «Erklärung» verpflichtet die Journalistinnen und Journalisten dazu, in der Berichterstattung auf diskriminierende Anspielungen zu verzichten, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit zum Gegenstand haben. Laut der Richtlinie 8.2 (Diskriminierung) zur «Erklärung» ist bei derartigen Angaben zu beachten, dass sie bestehende Vorurteile gegen Minderheiten verstärken können. Nach der Praxis des Presserates zum Diskriminierungsverbot gilt eine Anspielung als diskriminierend, wenn ein Medienbericht durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer Gruppe beeinträchtigt und die Gruppe kollektiv herabwürdigt. In der Stellungnahme 21/2001 empfahl der Presserat, bei jeder Aussage «kritisch zu fragen, ob damit eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob lediglich Handlungen der tatsächlich dafür Verantwortlichen kritisiert werden oder ob die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird». Der Presserat hat in seinen Stellungnahmen zum Diskriminierungsverbot und zur Menschenwürde (vgl. die Stellungnahmen 38/2000, 32/2001, 6/2002, 9/2002, 37/2002, 44/2003, 32/2006, 16/2007 und 21/2008) zudem konstant darauf hingewiesen, dass die abwertende Äusserung gegen eine Gruppe oder ein Individuum eine Mindestintensität erreichen muss, um als herabwürdigend oder diskriminierend zu gelten. Nur dann verletzt sie Ziffer 8 der «Erklärung».

Und in Bezug auf satirische Beiträge erinnerte der Presserat in der bereits angeführten Stellungnahme 77/2012 daran, dass Satire nicht dazu missbraucht werden darf, um «Vermutungen oder Anschuldigungen, die sich nicht belegen lassen und die in anderer Form nicht geäussert werden können, sozusagen risikolos publik zu machen. Lügen bleiben Lügen, auch wenn sie virtuos unter dem Deckmantel der Satire präsentiert werden. Dies gilt ebenso für diskriminierende Äusserungen.»

4. Auch wenn der aktuell beanstandete satirische Beitrag im Gegensatz zum Sachverhalt, der in der Stellungnahme 77/2012 zu beurteilen war, keine Gruppen direkt benennt, ist für den Presserat die Diskriminierung offenkundig. Die Verhaltensweisen, die viele Vorurteile direkt mit Ausländern verbinden, sind unverkennbar nicht auf Tiere gemünzt, sondern auf Menschen (am deutlichsten das Kopftuch, das sich allerdings mit der Tiermetapher in die Quere kommt). Es sind negative Kollektivzuschreibungen über das Bild der Wildschweine. Tiere, die ja bekanntermassen oft Schäden hinterlassen, aber im Vergleich zu den hier suggerierten menschlichen Schädlingen dafür auch erschossen werden dürfen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Mit der Veröffentlichung des Beitrags «Fällt Dir etwas auf?» in der Rubrik «Hitsch Bärenthalers Schnellschüsse» (Ausgabe vom 8. März 2013) hat die «Gipfel Zytig» die Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Diskriminierung) verletzt.