Nr. 1/2011
Diskriminierung

( X. c. «Blick») Stellungnahme des Presserates vom 3. Februar 20

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I. Sachverhalt

A. Am 9. September 2010 veröffentlichte «Blick» auf Seite 6 einen Bericht von Antonia Sell mit dem Titel «Jetzt droht er dem Putzmann». Die Spitzmarke lautet: «Der Müll-Kosovare von Bürglen». Auf der Titelseite wird der Artikel gross mit denselben Worten angekündigt und mit einem Bild von Y. und einem Zitat: «Meine Nerven haben mir verlassen deshalb die Sprache ist brutale geworden.» Es ist einer von mehreren Artikeln, in denen der «Blick» Y. als «der Müll-Kosovare» bezeichnet. Die Bezeichnung wird auf der Titelseite und auf dem Aushang benutzt. «Blick» berichtet in den Artikeln, wie Y. Abfall in seinem Garten lagert, um damit gegen die Behörden zu protestieren.

B. Am 15. September 2010 beschwert sich X. beim Presserat. Die Bezeichnung «Müll-Kosovare» beziehe sich auf die albanische Ethnie und verstosse gegen das Diskriminierungsverbot. Dass die Schlagzeilen an zahlreichen Verkaufsstellen auch als Plakat veröffentlicht wurden, verschärfe die undifferenzierte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Jemand, der bloss die Schlagzeile «Müll-Kosovare» lese, nehme nur die Verbindung von Müll und Kosovare wahr. Mit dem Ausdruck werde die Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt bzw. die zugehörige Richtlinie 8.2, schreibt der Beschwerdeführer. Die Nationalität Kosovo werde mit der Wortverbindung «Müll-Kosovare» klar diskriminiert.

C. Am 29. September 2010 schreibt Urs Helbling, Blattmacher beim «Blick», im Namen von Chefredaktor Ralph Grosse-Bley dem Presserat, dass sie die Beschwerde für «derart nichtig halten, dass wir dazu nicht Stellung nehmen».

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin an sowie Jan Grüebler, Claudia Landolt Starck, Peter Liatowitsch, Markus Locher, Daniel Suter und Max Trossmann. Claudia Landolt Starck, ehemalige Mitarbeiterin des «Blick», trat von sich aus in den Ausstand.

D. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 3. Februar 2011 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. a) Der Beschwerdeführer beruft sich auf die Ziffer 8 der «Erklärung» und die Richtlinie 8.2. In dieser heisst es: «Die Nennung der Nationalität darf keine Diskriminierung zur Folge haben. (…) Besondere Beachtung ist dem Umstand zu schenken, dass solche Angaben bestehende Vorurteile gegen Minderheiten verstärken können.» Es geht in der Beschwerde nicht um eine allfällige Persönlichkeitsverletzung.

b) Nach Praxis des Presserats ist eine Anspielung diskriminierend, wenn durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer Gruppe beeinträchtigt und/oder die Gruppe kollektiv herabgewürdigt wird (vgl. Stellungnahme 65/2009). In der Stellungnahme 21/2001 empfahl der Presserat, «kritisch zu fragen, ob eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob lediglich Handlungen der tatsächlich dafür Verantwortlichen kritisiert werden oder ob die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird». Und in der Stellungnahme 37/2004 schreibt der Presserat: «Eine Bezugnahme auf die ethnische, nationale oder religiöse Zugehörigkeit ist nur dann diskriminierend, wenn sie mit einem erheblich verletzenden Unwerturteil verbunden ist. Das Diskriminierungsverbot verbietet zudem nicht Kritik an Einzelpersonen, sondern soll (…) Verallgemeinerungen verhindern.» (Stellungnahmen 7/2010, 65/2009, 37/2009, 13/2006, 52/2001, 49/2001).

c) Kosovaren werden im beanstandeten Artikel im «Blick» nicht insgesamt mit dem Begriff «Müll» in Verbindung gebracht, sondern nur Y. Die Formulierung «Der Müll-Kosovare» macht deutlich, dass es sich um eine einzelne Person und nicht um eine Gruppe handelt. Dass Y. aus Protest gegen die Behörden Abfallsäcke in seinem Garten lagert, ist unbestritten und mit Fotos dokumentiert.

2. Der Presserat hat bereits früher festgehalten (13/2006), dass die richtig gestellte Wer-Frage zum medienhandwerklichen Grundmuster gehört, solange sie fallbezogen ist und nicht willkürlich etwas auf bestimmte Ethnien begrenzt. Im Zusammenhang mit Gerichtsberichten schrieb der Presserat (23/2002), dass Medien die Staatsangehörigkeit nennen dürfen, «wenn sie dies systematisch tun, um die vollständige Information des Publikums zu gewährleisten». Die Nennung der Nationalität von Y. ist auch berechtigt, weil dieser mit seiner Abfallaktion gegen das angebliche Verschleppen seines Einbürgerungsgesuchs protestiert. Er wirft den Behörden unter anderem Diskriminierung vor.

3. a) Der Presserat hat sich verschiedentlich mit Zu- und Überspitzungen in Titeln und Schlagzeilen befasst (Stellungnahmen 26/2009, 12/2009, 30/2008, 58/2007, 31/2006). Dabei ging es meist um die Frage, ob die Wahrheitspflicht verletzt wird (58/2007): «Die Zuspitzung von Fakten in Schlagzeilen und Titeln ist berufsethisch zulässig, wenn dadurch ein Sachverhalt auf den Punkt gebracht wird. Eine unzulässige Überspitzung liegt demgegenüber vor, wenn der Sachverhalt durch die Verkürzung wahrheitswidrig verfälscht wird.» Der Presserat prüft dabei hypothetisch, ob Gefahr besteht, dass Leserinnen und Leser, bei denen nicht vorausgesetzt werden kann, dass sie neben Titel und Lead auch den Lauftext eines Artikels von A-Z aufmerksam lesen, in relevanter Weise getäuscht werden (12/2009).

b) Die vom «Blick» veröffentlichten Informationen sind als Fakten unbestritten. Der Beschwerdeführer argumentiert jedoch, dass «Müll-Kosovare» für Leserinnen und Leser, die bloss die Schlagzeile lesen, eine diskriminierende Wirkung habe. Nach Auffassung des Presserats sind Titel und Aushang mit der Verkürzung «der Müll-Kosovare» für sich allein genommen kaum verständlich. Jemand, der sich oberflächlich mit der Geschichte befasst, könnte wohl etwas verstehen wie «der Kosovare, der seinen Abfall im Garten lagert». Die Bezeichnung wird aber kaum ähnlich interpretiert wie ein Graffiti mit dem Schriftzug «Scheiss-Albaner», wie es der Beschwerdeführer vermutet. Ein solcher Schriftzug ist verallgemeinernd, während «Müll-Kosovare» für eine Person steht. Dass «Blick» die Nationalität auf der Titelseite und auf dem Aushang nennt, ist zwar nicht nötig, aber auch nicht diskriminierend im Sinne von Ziffer 8 der «Erklärung».

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «Blick» hat mit dem Begriff «Müll-Kosovare» im Artikel «Jetzt droht er dem Putzmann» (Ausgabe vom 9. September 2010) die Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt, auch nicht mit der Veröffentlichung des Begriffs auf der Titelseite und auf den Aushängen.