I. Sachverhalt
A. Am 17. März 2000 veröffentlichte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) eine SDA-Meldung unter dem Titel „Die Häufigkeit epileptischer Anfälle in der Schweiz”. Darin heisst es unter anderem, dass „die erste europäische epidemiologische Studie zum epileptischen Krankheitsbild” ergeben habe, dass in der Schweiz durchschnittlich jede 10’000 Person an „epileptischen Anfällen” leide und dass Männer häufiger als Frauen betroffen seien. Der Durchschnittswert für die gesamte Schweiz ergibt sich laut der abgedruckten Meldung aus der durch die Forschenden in der Westschweiz ermittelten Inzidenzrate (Inzidenz = Zahl der Neuerkrankungen in einem bestimmten Zeitraum, meist einem Jahr) von 9,92 Fällen auf 100’000 Einwohner.
B. Gleichentags sandte K., medizinischer Direktor der Schweizerischen Epilepsie-Klinik der NZZ-Redaktion per e-mail einen Leserbrief zur Veröffentlichung. Darin machte er geltend, dass die in der von der NZZ publizierten SDA-Meldung „Die Häufigkeit epileptischer Anfälle in der Schweiz” „zwei schwerwiegende Falschaussagen” enhalte, die „bei vielen Betroffenen und auch Fachleuten zu einer erheblichen Irritation geführt haben und nicht zuletzt im Interesse der Betroffenen einer umgehenden Korrektur bedürfen”. So litten in der Schweiz weit mehr als nur jede zehntausendste Person an epileptischen Anfällen. Allerdings seien die meisten dieser Anfälle nicht mit einer Epilepsie gleichzusetzen, weil es sich dabei nur um sogenannte „Gelegenheitsanfälle” handle. Nur bei etwa einem Prozent der Bevölkerung komme es zu mehreren epileptischen Anfällen und damit zu einer Epilepsie. Die Inzidenz werde auf 30 bis 50 pro 100’000 Menschen geschätzt. Ausserdem stimme es nicht, dass Männer häufiger an Epilepsie erkrankten als Frauen.
C. Am 11. Mai 2000 reichte K. beim Schweizer Presserat Beschwerde ein. Die NZZ habe seinen Leserbrief vom 17. März 2000 nicht abgedruckt, obwohl der dem Leserbrief zugrunde liegende Artikel in der NZZ eine Reihe schwerwiegender sachlicher Fehler enthalte. „Grundlage der Fehler war zwar in erster Linie nur die Verwechslung von Epilepsie mit Status epilepticus bzw. den Konsequenzen dieser ‚Maximalvariante‘ einer Epilepsie, dennoch sollte hier eine Richtigstellung erfolgen.”
D. Die NZZ beantragte mit Schreiben vom 16. Juni 2000, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Die Auseinandersetzung betreffe primär den Briefverkehr zwischen der NZZ und einem Leser. Es sei aber nicht Sache des Presserates, den Briefverkehr eines Medienunternehmens zu beurteilen. Ausserdem sei der Leserbrief lediglich „durch ein Versehen unbeantwortet” geblieben. Die NZZ nehme ihre Leser sehr ernst, weshalb jeder Brief auch zu beantworten sei. Dafür, dass dies in diesem Fall nicht geschehen sei, entschuldige sich die NZZ. Der Beschwerdeführer habe es aber auch unterlassen, sich ein zweites Mal zu melden und nachzufragen, was mit seinem Leserbrief passiere. Nach Abschluss des Verfahrens vor dem Presserat werde sich die NZZ – wie bei ihr sonst üblich – mit dem Beschwerdeführer in Verbindung setzen. Falls der Schweizer Presserat dennoch auf die Beschwerde eintreten sollte, beantragte die NZZ, die Beschwerde vollumfänglich abzuweisen. Beim beanstandeten Bericht handle es sich um eine Meldung der SDA. Diese sei eine anerkannte und seriös arbeitende Agentur, mit der die NZZ seit Jahren gut vertraut sei. Die NZZ habe sich deshalb auf die Auswertung der epidemiologischen Studie zum epileptischen Dauerfall (Status epilepticus), welche die SDA vornahm, verlassen dürfen. Es sei einer Zeitung unmöglich, sämtliche Texte, welche durch die Agenturen zur Verfügung gestellt werden, im Einzelnen zu überprüfen. Würde das verlangt, wäre die Zusammenarbeit mit einer Nachrichtenagentur obsolet. Dass die SDA-Meldung nicht genauer darauf hingewiesen habe, dass sich die Studie mit epileptischen Dauerfällen befasst habe, sei dadurch gerechtfertigt, dass die Berichterstattung über wissenschaftliche Untersuchungen immer eine gewisse Übersetzungsarbeit in den allgemeinen Sprachgebrauch leisten müsse. Mit der unpräzisen Formulierung wecke die Meldung aber keine falschen Vorstellungen, da der durchschnittliche Leser nicht an Leute denke, die ein-, zweimal einen Gelegenheitsanfall hatten, wenn von Personen, die an epileptischen Anfällen leiden, die Rede sei. Was das unterschiedliche Auftreten von epileptischen Daueranfällen bei den Geschlechtern betrifft, entspreche der Inhalt der SDA-Meldung jenem der Studie. Wenn der Beschwerdeführer darin anderer Ansicht sei, könne das nicht der veröffentlichten Meldung angelastet werden.
E. Das Präsidium des Presserates wies die Beschwerde zur Behandlung der ersten Kammer zu. Diese setzt sich wie folgt zusammen: Roger Blum (Kammerpräsident), Marie-Louise Barben, Luisa Ghiringhelli Mazza, Silvana Iannetta, Philip Kübler, Katharina Lüthi und Edy Salmina. Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 30. August 2000 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Die Beschwerdegegnerin macht in formeller Hinsicht geltend, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, da es nicht Aufgabe des Presserates sei, den Briefverkehr zwischen einer Redaktion und ihrer Leserschaft zu beurteilen. Dieser Auffassung kann schon allein deshalb nicht gefolgt werden, weil der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde ausdrücklich geltend macht, die NZZ wäre zu einer Berichtigung von veröffentlichten Fakten verpflichtet gewesen. Er macht also geltend, die Redaktion der Beschwerdegegnerin habe durch die Unterlassung einer Berichtigung bzw. des Abdrucks seines Leserbriefes Ziff. 5 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verletzt. Mithin ist auf die Beschwerde einzutreten.
2. Die Schweizerische Depeschenagentur ist als seriöse Nachrichtenagentur bekannt, welche die von ihr weitergereichten Informationen vor ihrer Veröffentlichung auf ihren Wahrheitsgehalt hin prüft. Gemäss der Praxis des Presserates sind Redaktionen von Presse, Radio und Fernsehen nicht verpflichtet, die sachliche Richtigkeit von Agenturmeldungen zusätzlich zu überprüfen (Stellungnahme i.S. SAIH c. „Rheintalische Volkszeitung / „Rheintaler“ vom 26. Juni 1992, Sammlung 1992, S. 32ff.). Dementsprechend ist der NZZ unter berufsethischen Gesichtspunkten von vornherein kein Vorwurf zu machen, wenn sie die SDA-Meldung über die sog. Epistar-Studie in ihrer Ausgabe vom 17. März 2000 unverändert abdruckte. Wie von der Beschwerdegegnerin zu Recht geltend gemacht wird, würde die Zusammenarbeit mit einer Nachrichtenagentur einen wesentlichen Teil ihres Sinnes verlieren, wenn jede ihrer Meldungen von der weiterverarbeitenden Redaktion nochmals eingehend überprüft werden müsste.
3. Ergibt sich aber im Nachhinein, dass eine von einem Publikumsmedium publizierte Meldung einer Nachrichtenagentur Fehler aufwies, ist eine Richtigstellung genauso geboten, wie wenn der Beitrag durch eine Eigenleistung der Redaktion zustande gekommen wäre. Zu prüfen ist deshalb im konkreten Fall, ob die NZZ aufgrund des Hinweises des Beschwerdeführers im Sinne der Ziff. 5 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verpflichtet gewesen wäre, die abgedruckte SDA-Meldung im Nachhinein zu berichtigen.
Gemäss seinem Leserbrief verlangt der Beschwerdeführer eine Berichtigung durch die NZZ in zwei Punkten. Zum einen sei die Leserschaft falsch über die Häufigkeit des Auftretens von epileptischen Fällen in der Schweiz informiert worden, zum anderen treffe es nicht zu, dass Männer häufiger an Epilepsie leiden würden als Frauen.
In seiner Eingabe an den Presserat weist der Beschwerdeführer hinsichtlich der ersten „Falschinformation“ richtigerweise darauf hin, dass die abweichenden Zahlen in erster Linie auf dem Unterschied zwischen epileptischen Gelegenheitsanfällen und epilep
tischen Dauerfällen beruhen. Auf diesen Unterschied wurde in der von der NZZ publizierten SDA-Meldung nicht eingegangen, obwohl er sogar aus dem offiziellen Titel der Studie (Epistar = Epidémiologie Status Suisse Romande = Epidemiologische Studie zum epileptischen Dauerfall ) hervorging. Deshalb wäre es im Sinne einer genauen Information der Öffentlichkeit an sich wünschbar und ohne weiteres möglich gewesen, wenn die SDA-Meldung bereits eine entsprechende Präzisierung enthalten hätte. Es wäre jedoch unverhältnismässig, von der NZZ allein aufgrund dieser wissenschaftlichen Unschärfe den Abdruck einer nachträglichen Richtigstellung zu verlangen, wurden doch die Ergebnisse der „EPISTAR-Studie“ – soweit dies aus den dem Presserat vorliegenden Unterlagen ersichtlich ist – ansonsten von der SDA korrekt zusammengefasst. Denn an die „Wissenschaftlichkeit“ der Berichterstattung über wissenschaftliche Themen in den tagesaktuellen Medien können nicht die gleich hohen Anforderungen gestellt werden wie bei wissenschaftlichen Fachzeitschriften.
Soweit der Beschwerdeführer weiter geltend macht, es sei unzutreffend, dass Männer häufiger an Epilepsie leiden würden als Frauen, stellt er ein in der SDA-Meldung korrekt wiedergegebenes Ergebnis der „EPISTAR-Studie“ an sich in Frage. Es ist für eine Zeitungsredaktion -wenn überhaupt – jedenfalls nicht mit zumutbarem Aufwand feststellbar, welche der divergierenden Auffassungen in diesem Punkt den Tatsachen entspricht. Dementsprechend ist auch diesbezüglich eine Berichtigungspflicht der Beschwerdegegnerin von vornherein zu verneinen. Darüber hinaus kann von den tagesaktuellen Medien nicht erwartet werden, dass sie ein Forum für fachspezifische wissenschaftliche Diskussionen zur Verfügung stellen.
4. War eine Berichtigung durch die Redaktion nicht geboten, ist abschliessend zu prüfen, ob die NZZ berufsethisch zum Abdruck des Leserbriefes des Beschwerdeführers verpflichtet war. Dies ist gemäss der ständigen Praxis des Presserates offensichtlich zu verneinen (vgl. hierzu zuletzt die Stellungnahme 16/2000 vom 16. Mai 2000 i.S. Oui à la vie Fribourg c. „La Liberté“ mit weiteren Verweisen). Auch wenn ein Abdruck des Leserbriefs berufsethisch nicht geboten war, wäre es angezeigt gewesen, was auch die NZZ selber einräumt, wenn die Redaktion auf das e-mail des Beschwerdeführers reagiert hätte. Umgekehrt wäre es aber auch dem Beschwerdeführer ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, vor der Anrufung des Presserates noch einmal die NZZ-Redaktion zu kontaktieren. Denn in der Hektik des Redaktionsalltags kann es passieren, dass eine Leserreaktion aus Versehen unbeantwortet bleibt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Es wäre unverhältnismässig, von der NZZ, allein aufgrund einer in erster Linie für Insider relevanten wissenschaftlichen Unschärfe in einer von der SDA übernommenen Meldung, den nachträglichen Abdruck einer Berichtigung zu verlangen.
3. An die „Wissenschaftlichkeit“ der Berichterstattung über wissenschaftliche Themen in den tagesaktuellen Medien können nicht die gleich hohen Anforderungen gestellt werden wie bei wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Ebensowenig kann von den tagesaktuellen Medien erwartet werden, dass sie ein Forum für fachspezifische wissenschaftliche Diskussionen zur Verfügung stellen.