I. Sachverhalt
A. Am 13. November 2011 berichtete Toni Widmer in «Der Sonntag» in zwei Artikeln («Im Internet ist nicht alles erlaubt» und «Thür: Ein bedeutsames Urteil») über ein Urteil des Bezirksgerichts Laufenburg. Dieses habe verfügt, dass der Thurgauer Michael Handel eine schwarze Liste aus dem Internet entfernen müsse, auf der er Richter und Amtspersonen aufgelistet habe, die angeblich kinderfeindliche Urteile gefällt hätten. Zwei Aargauer Oberrichter hätten im Frühsommer 2000 eine identische Klage eingereicht. Das Verfahren von Oberrichter Guido Marbet sei inzwischen mit einem rechtskräftigen Urteil abgeschlossen. Handel müsse nicht nur den Eintrag zu Marbet von der kritisierten schwarzen Liste im Netz nehmen, sondern zudem bei verschiedenen Anbietern von Suchmaschinen dafür sorgen, dass der Eintrag nach der Löschung nicht weiterhin abrufbar bleibt. Mit Oberrichter Peter Thurnherr habe Michael Handel einen aussergerichtlichen Vergleich vereinbart. Handel habe die schwarze Liste umgehend aus den von ihm betriebenen Websites entfernt. Für die beiden klagenden Richter sei das Urteil aber dennoch ein Pyrrhussieg, da die schwarze Liste auf einer anderen Website bereits wieder aufgeschaltet sei.
Gemäss dem Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten Hanspeter Thür zeigt das «bedeutende Urteil» exemplarisch auf, dass man sich gegen Persönlichkeitsverletzungen im Internet trotz prozessualen Schwierigkeiten erfolgreich wehren kann.
B. Die beiden Artikel wurden gleichentags auch von der Online-Ausgabe der «Aargauer Zeitung» veröffentlicht, der erste Bericht zunächst mit dem Titel «Aargauer Obergericht entscheidet: Im Internet ist nicht alles erlaubt».
C. Am 18. November 2011 beschwerte sich Michael Handel, Islikon, beim Schweizer Presserat, die beiden Redaktionen hätten mit der Publikation der Berichte die Pflicht zur Anhörung bei schweren Vorwürfen (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten») sowie die Berichtigungspflicht (Ziffer 5 der «Erklärung») verletzt.
Die beanstandeten Berichte liessen die Leser glauben, sämtliche 70 Einträge auf der schwarzen Liste seien persönlichkeitsverletzend. Tatsächlich habe das Bezirksgericht Laufenburg bloss angeordnet, den Eintrag über Guido Marbet zu löschen. Bei Peter Thurnherr sei weder ein Entscheid erfolgt noch ein aussergerichtlicher Vergleich abgeschlossen worden. Zum Zeitpunkt der Berichterstattung habe nicht einmal ein Vergleichsentwurf existiert. Auch die Behauptung, er habe die schwarze Liste zwischenzeitlich vom Netz genommen, sei faktenwidrig, suggeriere jedoch dem Leser, bereits die Liste als solche sei rechtswidrig. Ebenso falsch sei die gestützt auf einen «Herr Keller» erhobene Behauptung, er, Handel, habe das Urteil aus finanziellen Gründen nicht weitergezogen. Tatsächlich habe er einzig wegen der offenkundigen Befangenheit des Obergerichts auf den Weiterzug verzichtet. Auch hierzu hätte er zumindest angehört werden müssen. Offensichtlich falsch sei schliesslich auch der von «Aargauer Zeitung Online» zuerst veröffentlichte Titel «Aargauer Obergericht entscheidet: Im Internet ist nicht alles erlaubt». Nicht das Obergericht, sondern das Bezirksgericht Laufenburg habe entschieden.
D. Am 3. Januar 2012 wies Chefredaktor Christian Dorer die Beschwerde namens des Medienverbunds «Aargauer Zeitung» als unbegründet zurück. In den beiden beanstandeten Berichten würden keine schweren Vorwürfe gegen Michael Handel erhoben. Vielmehr zitierten sie ein rechtskräftiges Urteil des Bezirksgerichts Laufenburg gegen den Beschwerdeführer. Eine Anhörung sei unter diesen Umständen nicht notwendig. Die Aussage in Untertitel und Lead, wonach Michael Handel seine schwarze Liste vom Netz nehmen müsse, sei eine zulässige journalistische Verkürzung. Dem Lauftext sei detailliert zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer verpflichtet wurde, den Oberrichter Marbet betreffenden Eintrag aus der schwarzen Liste zu tilgen. Bezüglich des Vergleichs mit Oberrichter Thurnherr habe der Autor der beanstandeten Berichte lediglich festgehalten, es sei ein aussergerichtlicher Vergleich zwischen den Parteien ausgehandelt worden. Dies sei Toni Widmer sowohl von Oberrichter Thurnherr wie auch von dessen Anwalt so bestätigt worden.
Der im Artikel zitierte «Herr Keller» existiere und habe den Autor anonym angerufen. Ebenso wisse letzterer aus zuverlässiger Quelle, dass der Beschwerdeführer finanziell nicht in der Lage sei, Prozesse zu führen. Im Fall Marbet sei ihm für die erste Instanz die unentgeltliche Prozessführung gewährt worden, mangels minimster Prozessaussichten jedoch nicht für den Weiterzug ans Obergericht.
Der Titel des ersten Artikels im «Sonntag» laute korrekt «Im Internet ist nicht alles erlaubt». Auf «Aargauer Zeitung Online» sei er wegen eines Produktionsfehlers zunächst fälschlicherweise in «Aargauer Obergericht entscheidet: Im Internet ist nicht alles erlaubt» geändert worden. Nach der Beanstandung durch den Beschwerdeführer habe die Online-Redaktion den Titel jedoch korrigiert.
Soweit der Beschwerdeführer schliesslich bestreite, die schwarze Liste vom Netz genommen zu haben, würden zwei Screenshots von www.kinderrechte.ch beweisen, dass Michael Handel die Liste zunächst weggenommen und nach der Publikation der beiden beanstandeten Medienberichte erneut aufgeschaltet habe.
E. Am 9. Januar 2012 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.
F. Der Beschwerdeführer stellte dem Presserat am 11. Januar 2012 unaufgefordert eine Stellungnahme zur Beschwerdeantwort der AZ Medien zu, da letztere eine ganze Reihe von tatsachenwidrigen Behauptungen enthalte.
G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 9. März 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. a) Die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» verpflichtet Journalistinnen und Journalisten, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe zu befragen und deren Stellungnahme im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Die Anhörung zu schweren Vorwürfen ist dann ausnahmsweise verzichtbar, wenn die Vorwürfe einer amtlichen Quelle entstammen, der Medienbericht die Quelle des Vorwurfs bezeichnet und sofern der Artikel keine darüber hinausgehenden schweren Vorwürfe erhebt (Stellungnahmen 35/2004 und 57/2010).
b) Diese Voraussetzungen für den Verzicht auf eine Anhörung sind nach Auffassung des Presserats vorliegend erfüllt. Zwar wiegt der gegenüber dem Beschwerdeführer erhobene Vorwurf schwer, er habe auf den von ihm betriebenen Internetseiten persönlichkeitsverletzende Vorwürfe gegen Richter veröffentlicht (vgl. dazu die Stellungnahme 55/2010). Der Artikel nennt jedoch mit dem Urteil vom 18. August 2011 des Bezirksgerichts Laufenburg die amtliche Quelle des Vorwurfs. Darüber hinaus erheben die beiden Berichte von Toni Widmer keine schweren Vorwürfe gegen Michael Handel. Beim Vorwurf, die sogenannte schwarze Liste sei nun auf einer anderen Website aufgeschaltet, erwähnen «Sonntag» und «Aargauer Zeitung» ausdrücklich, damit habe «Michael Handel laut Beteuerung von deren Betreibern nichts zu tun».
2. a) Laut Ziffer 5 der «Erklärung» sind Journalistinnen und Journalisten verpflichtet, jede von ihnen veröffentlichte Meldung zu berichtigen, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist. Der Presserat stellt bei Fehlern und Ungenauigkeiten in Medienberichten allerdings n
ur dann eine Verletzung der Wahrheitspflicht fest, wenn sie im Gesamtzusammenhang für das Verständnis der Leserschaft relevant erscheinen (vergleiche dazu beispielsweise die Stellungnahmen 64/2009 und 20/2010).
b) Zwar nicht Ziffer 5, jedoch offensichtlich Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheit) verletzt hat die «Aargauer Zeitung Online» mit der nachträglich korrigierten Verwechslung zwischen Aargauer Obergericht und dem Bezirksgericht Laufenburg im Titel des Berichts über das Urteil vom 18. August 2011.
c) Bei den darüber hinaus von Michael Handel beanstandeten «Unwahrheiten» in den beiden Berichten ist für den Presserat eine Verletzung der Wahrheits- und/oder der Berichtigungspflicht hingegen nicht erstellt.
– Die Formulierung in Untertitel und Lead, wonach der Beschwerdeführer «die schwarze Liste» vom Netz nehmen müsse, ist als journalistische Zuspitzung zulässig. Zunächst geht aus dem Lauftext klar hervor, dass sich das Urteil des Bezirksgerichts Laufenburg ausschliesslich auf den Eintrag von Oberrichter Marbet bezieht. Zudem äussert sich der im zweiten Bericht zitierte Eidgenössische Datenschützer Hanspeter Thür dahingehend, derartige Internetpranger bewegten sich rechtlich zwar in einer heiklen Zone, seien aber nicht durchwegs persönlichkeitsverletzend. Entsprechend sieht der Presserat hier keine Gefahr, dass die Leserinnen und Leser durch die Verkürzung dahingehend getäuscht werden, das Bezirksgericht Laufenburg habe die integrale Entfernung der schwarzen Liste angeordnet.
– Wie weit war der aussergerichtliche Vergleich des Beschwerdeführers mit Oberrichter Thurnherr am 13. November 2012 bereits gediehen? Zu diesem Punkt steht Aussage gegen Aussage. Der Autor der Berichte stützt sich auf Oberrichter Thurnherr und dessen Anwalt als Quelle, der Beschwerdeführer behauptet das Gegenteil. In einem von Michael Handel verfassten, auf seiner Website www.kinderohnerechte.ch aufgeschalteten Text vom 8. Dezember 2011 bestätigt er aber zumindest die Existenz eines derartigen gerichtlichen Vergleichs. Gestützt auf die ihm eingereichten Unterlagen ist der Presserat aber nicht in der Lage, das Datum des Vergleichsabschlusses und dessen Vorgeschichte zu bestimmen. Eine Verletzung der Wahrheits- und Berichtigungspflicht ist unter diesen Umständen nicht erstellt.
– Ebenso wenig kann der Presserat gestützt auf die ihm eingereichten Unterlagen und auf die Ausführungen der Parteien beurteilen, ob Michael Handel zum Zeitpunkt der Publikation bloss den Oberrichter Marbet betreffenden Eintrag gelöscht oder ob er die schwarze Liste vorübergehend ganz von seinen Webseiten entfernt und kurz darauf wieder aufgeschaltet hat. Ohnehin erscheint dieser Punkt für das Verständnis der Leserschaft kaum als relevant genug, um daraus eine Verletzung der «Erklärung» abzuleiten.
– Schliesslich lassen die dem Presserat eingereichten Unterlagen keinen klaren Schluss darüber zu, weshalb der Beschwerdeführer darauf verzichtet hat, das Urteil des Bezirksgerichts Laufenburg an das Obergericht weiterzuziehen.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde gegen «Der Sonntag» wird abgewiesen.
2. «Der Sonntag» hat mit den beiden am 13. November 2011 veröffentlichten Berichten («Im Internet ist nicht alles erlaubt» und «Thür: Ein bedeutsames Urteil») die Ziffern 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.
3. Die «Aargauer Zeitung Online» hat mit der Veröffentlichung des falschen Titels «Aargauer Obergericht entscheidet: Im Internet ist nicht alles erlaubt» die Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheit) verletzt.
4. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde gegen die «Aargauer Zeitung Online» abgewiesen.
5. Die «Aargauer Zeitung Online» hat die Ziffern 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 5 der «Erklärung» (Berichtigung) nicht verletzt.