I. Sachverhalt
A. Die Wirtschaftszeitung «Cash» berichtete am 22. August 2003 in einem von Ruedi Arnold gezeichneten Beitrag über Erfahrungen mit den Angeboten von Sprachschulen in England. der «Cash»-Artikel war mit dem Titel «Mundpropaganda beugt Enttäuschungen vor» versehen; der Untertitel lautete: «Wer eine Sprachschule in England sucht, profitiert am meisten von Erfahrungen Bekannter» über Erfahrungen mit den Angeboten von Sprachschulen in England. Der Lead: «Nirgendwo überwachen so viele Organisationen die Qualität der Sprachschulen wie in Grossbritannien. Flops sind dennoch nicht ausgeschlossen.» Im ersten Teil des Artikels gab «Cash» die negative Erfahrung «einer jungen Frau aus dem Kanton Graubünden» wieder: «Während der zwei Monate wurde ihre Klasse von 12 Lehrern unterrichtet, die ohne Begründung kamen und gingen und in der Regel keine Ahnung hatten, was ihe Vorgänger den Schülern beigebracht hatten. Das führte zu etlichen unnötigen Wiederholungen. Obwohl sie einen Intensivkurs gebucht und bezahlt hatte, wurde ihre Gruppe am Vormittag jeweils mit den Besuchern eines Ferienkurses zusammengelegt, die viel langsamer vorankamen – wieder verlorene Zeit. Und schliesslich fand nach dem ersten Ausbildungsblock der Anschlusskurs nicht statt, so dass die Schweizerin die Wahl hatte, den ganzen ersten Teil zu wiederholen oder eine Leistungsstufe zu überspringen. Dabei hatte sie bei der Wahl der Schule gar nicht viel falsch gemacht. Die X.-Schule ist sowohl vom British Council wie auch von Arels anerkannt (…) Die Lehrkräfte, soweit sie im Prospekt aufgeführt sind, haben die offizielle Qualifikation als Sprachlehrer. Es sind ihrer sieben. Weil die Schule nach eigenen Angaben die fast hundert Schüler in Gruppen von nur sechs bis acht Teilnehmern unterrichtet, müssen auch weitere Lehrer beschäftigt sein, über deren Qualifikation sich die Werbebroschüre ausschweigt.»
B. Mit Schreiben vom 4. September 2003 gelangte die X.-Schule (nachfolgend: Beschwerdeführerin) an den Presserat und rügte eine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrheitssuche; keine Überprüfung der behaupteten Missstände durch «Cash»), 2 (Verteidigung der Unabhängigkeit und des Ansehens des Berufs; Wiedergabe eines Parteistandpunktes an Stelle einer «objektiven» Reportage) und 3 (Unterschlagung wichtiger Informationen; Leserschaft wird die Sichtweise der X.-Schule vorenthalten) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».
C. In einer Stellungnahme vom 30. September 2003 machte «Cash»-Chefredaktor Dirk Schütz geltend, der Autor des Berichts habe mehrmals in der X.-Schule angerufen und gebeten, der Schuldirektor möge zurückrufen. Das sei nie erfolgt. Der Vorwurf, die Gegenseite habe sich nicht äussern können, sei somit unbegründet. «Cash» legte der Beschwerdeantwort zudem ein E-Mail vom 30. Juni 2003 bei, das eine aus Sicht der Zeitung allerdings nicht ausreichende Erklärung für die entstandenen Probleme enthielt. Diese Stellungnahme wurde bei der Beschwerdeführerin durch ein Zürcher Sprachschul-Vermitttlungsbüro eingeholt. Dem E-Mail ist zusammenfassend zu entnehmen, dass die Schule die – durch teilweise unglückliche Umstände begründeten – häufigen Lehrerwechsel bedaure, aber betone, alle Lehrer seien höchst qualifiziert gewesen. Zudem habe die Schülerin entgegen ihrem Vorwurf in eine höhere Klasse wechseln können. Schliesslich habe die teilweise Mischung von Schülern des Intensivkurses mit solchen des Halbtageskurses keinen Einfluss auf die Unterrichtsqualität, da bei den Nachmittagslektionen des Intensivkurses Stoff behandelt werde, den die Schüler des Halbtageskurses selber erarbeiten müssten. Die letzteren Aussagen werden von «Cash» als unzutreffend bestritten: «Intensivschüler kommen viel rascher voran als Halbtagesschüler, die den Sprachkurs zum Teil als Ferien betrachten.» Zudem habe die Schülerin zwar in eine höhere Klasse wechseln können, aber nicht in eine, die sich nahtlos an die erste Klasse angefügt hätte.
D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.
E. Am 10. Oktober 2003 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidenten Esther Diener-Morscher und Daniel Cornu behandelt.
F. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2003 bestritt die X.-Schule, vor der Publikation des Artikels durch «Cash» telefonisch kontaktiert worden zu sein.
G. Mit Schreiben vom 9. Januar 2004 orientierte der Presserat die Parteien, dass Vizepräsident Daniel Cornu per 31. Dezember 2003 zurückgetreten und per 1. Januar 2004 durch Sylvie Arsever ersetzt worden sei.
H. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 16. Januar 2004 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Wie aus den Ausführungen der Parteien hervorgeht, sind sich diese im Prinzip darüber einig, dass die Einholung einer Stellungnahme der X.-Schule zur Reklamation der Schülerin angebracht war (vgl. dazu eingehend die nachfolgende Erwägung 2). Soweit die Beschwerdeführerin über die Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagung wichtiger Informationen; Anhörungsprinzip) hinaus auch eine solche der Wahrheitssuche geltend macht (Ziffer 1) sowie die einseitige Berichterstattung beanstandet, ist auf Folgendes hinzuweisen: Gemäss konstanter Praxis des Presserates kann aus der «Erklärung» keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung abgeleitet werden. Vielmehr sind berufsethisch auch einseitige und fragmentarische Standpunkte zulässig. (Stellungnahmen 50/2003 i.S. X. c. «Beobachter» und 32/2001 i.S. A. c. NZZ-Folio). Dementsprechend war es vorliegend ohne weiteres zulässig, einseitig den Parteistandpunkt der Schülerin einzunehmen. Ebensowenig kann aus der Verpflichtung zur Wahrheitssuche abgeleitet werden, dass deren Kritik vor der Publikation durch «Cash» mittels einer umfassenden Recherche hätte abgeklärt werden müssen.
Ergänzend ist daran zu erinnern, dass es nicht zu den Aufgaben des Presserates gehört, in einem Medienbericht enthaltene, zwischen den Parteien umstrittene Faktenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen (Stellungnahme 21/2003 i.S. X. / Gemeinde Vorderthal c. «Facts»). Der Presserat ist nicht in der Lage, ein umfangreiches Beweisverfahren zur Klärung komplexer Sachverhalte durchzuführen und kann dementsprechend nicht näher auf die divergierenden Darstellungen der Parteien hinsichtlich der Berechtigung der Reklamation der Schülerin eingehen.
2. Die von «Cash» publizierten Vorwürfe der Schülerin können sich durchaus negativ auf die Bemühungen der X.-Schule bei der Rekrutierung von Schweizer Schüler/innen auswirken und sind deshalb nicht leicht zu nehmen. Denn letztlich läuft der Artikel im Ergebnis auf die Empfehlung an die Leserschaft hinaus – auch wenn dies nicht unbedingt das zentrale Anliegen des Autors gewesen sein mag – bei einem Sprachaufenthalt in England sicher nicht das Angebot der Beschwerdeführerin zu wählen.
Gestützt auf das in Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» verankerte berufsethische Anhörungsprinzip war es deshalb unabdingbar, vor der Publikation des Artikels eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin einzuholen. Richtlinie 3.8 lautet: «Aus dem Fairnessprinzip und dem ethischen Gebot der Anhörung beider Seiten (ÐAudiatur et altera pars?) leitet sich die Pflicht der Journalistinnen und Journalisten ab, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören. Deren Stellungnahme ist im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Ausnahmsweise kan
n auf die Anhörung verzichtet werden, wenn dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Der von schweren Vorwürfen betroffenen Partei muss nicht derselbe Umfang im Bericht zugestanden werden wie der Kritik. Aber die Betroffenen sollen sich zu den schweren Vorwürfen äussern können.»
«Cash» gibt an, zumindest telefonisch versucht zu haben, eine Stellungnahme einzuholen, was von der X.-Schule bestritten wird. Auch hier ist der Presserat nicht in der Lage, die «Wahrheit» zu ermitteln. Angesichts der heiklen Vorwürfe hätte es «Cash» aber nicht bei Telefonen bewenden lassen dürfen, sondern seine Recherchen darüber hinaus wenigstens zusätzlich per Fax und/oder E-Mail absichern müssen. Andernfalls ist in solchen Fällen das Risiko zu gross, dass wegen Verständigungsproblemen oder aus anderen Gründen telefonisch Anfragende nicht bis zur gewünschten Person weiter verbunden werden – und den Verantwortlichen damit die Möglichkeit einer Stellungnahme vorenthalten wird. Zudem hätte «Cash» jedenfalls das (negative) Ergebnis seiner Bemühungen einer Kontaktnahme im Artikel dokumentieren müssen. Aus den Unterlagen des Presserates geht nicht hervor, ob dem Autor das E-Mail des Sprachschul-Vermittlungsbüros vom 30. Juni 2003 bereits vor der Publikation vorlag. Falls ja, wäre es berufsethisch zwingend gewesen, wenigstens die darin enthaltene Stellungnahme im Bericht zusammenfassend kurz wiederzugeben. Wenn nein, hätte die Leserschaft von «Cash» aber zumindest darüber informiert werden müssen, dass die X.-Schule trotz mehrmaliger telefonischer Versuche nicht für eine Stellungnahme erreichbar gewesen sei.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. «Cash» durfte sich nicht mit mehreren erfolglosen Versuchen begnügen, telefonisch eine Stellungnahme der X.-Schule einzuholen, sondern wäre angesichts der Schwere der erhobenen Vorwürfe darüber hinaus zumindest verpflichtet gewesen, seine Recherche zusätzlich per Fax und/oder E-Mail abzusichern. Zudem hätte die Zeitung das Ergebnis ihrer entsprechenden Bemühungen im Artikel vom 22. August 2003 dokumentieren müssen. Durch diese Unterlassungen hat «Cash» Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt.
3. Darüber hinaus wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.