Nr. 94/2020
Privatsphäre / Menschenwürde

(X. c. «20 Minuten», «Tages-Anzeiger» und «Aargauer Zeitung»)

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I. Sachverhalt

A. Am 4. Juli 2019 veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» einen Artikel mit dem Titel «Der Gratwanderer». Darunter der Untertitel «Wimbledon. Der launische Showman Nick Kyrgios spaltet durch sein Verhalten die Tennisszene. Heute fordert der hochbegabte Australier Rafael Nadal heraus.» Kyrgios sei speziell, ja einzigartig. Er produziere viele unkonventionelle Schläge, wehre mit einem 210 km/h schnellen zweiten Service einen Satzball ab und lege sich mit dem Schiedsrichter und einer Zuschauerin an. Der Bericht legt dar, dass Kyrgios in einem viel beachteten Interview Rafael Nadal einen schlechten Verlierer benannt und die Jubelgeste Novak Djokovics als hochnotpeinlich bezeichnet habe. 2018 habe Kyrgios einen sexuellen Akt imitiert. Er sei im Londoner Queen’s Club gefilmt worden, wie er während eines Seitenwechsels mit einer Wasserflasche den Akt des Onanierens gemimt habe, weshalb er eine Busse in Höhe von 17’500 Dollar habe bezahlen müssen.

In der «Aargauer Zeitung» erschien am 4. Juli 2019 der Artikel «Kalter Krieg der Worte» mit dem Untertitel «Tennis. Seit Monaten steht der Australier Nick Kyrgios (24) in einem offenen Konflikt mit seinem heutigen Gegner in Wimbledon. Der heisst: Rafael Nadal.» In diesem Artikel werden unter anderem die «verrücktesten Entgleisungen von Kyrgios» thematisiert. Auch die Masturbationsgeste ist Teil des Artikels.

«20 Minuten» publizierte am 25. April 2019 den Artikel «Wieso schenken sich Stan und Donna keine Herzen mehr?» Darin wird über die Beziehung Stan Wawrinkas zu seiner Freundin Donna Vekic berichtet. Seit knapp drei Jahren seien sie ein Paar gewesen. Doch es scheine so, als ob die beiden Tennisstars getrennte Wege gingen. Auf den Instagram-Accounts seien kaum gemeinsamen Bilder mehr aufzufinden. Beide würden einander auf Instagram nicht mehr gegenseitig folgen und hätten sich auch nicht mehr gegenseitig zum Geburtstag gratuliert, wie das früher der Fall gewesen sei. Auf die Anfrage zum aktuellen Stand der Beziehung habe Wawrinkas Management ausrichten lassen, man kommentiere das Privatleben der Spieler grundsätzlich nicht.

B. Am 12. Juli 2019 erhob X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen die Artikel «Wieso schenken sich Stan und Donna keine Herzen mehr?», veröffentlicht in «20 Minuten» vom 25. April 2019, «Der Gratwanderer», veröffentlicht im «Tages-Anzeiger» vom 4. Juli 2019, und «Kalter Krieg der Worte», ebenfalls am 4. Juli 2019 veröffentlicht in der «Aargauer Zeitung».

Sie macht geltend, «20 Minuten» berichte und recherchiere über die Beziehung zwischen Wawrinka und Vekic, obwohl sich Wawrinka nie konkret darüber habe äussern wollen. Der Journalist berichte gegen Wawrinkas Willen und ohne sein Einverständnis. Dazu habe «20 Minuten» ein Bild von den beiden veröffentlicht, das nicht mehr für die Öffentlichkeit zur Verfügung gestanden habe. Der Artikel verstosse gegen die informationelle Selbstbestimmung über ihr Privatleben und somit gegen den Persönlichkeitsschutz von Wawrinka und Vekic.

Im Hinblick auf die Artikel «Der Gratwanderer» und «Kalter Krieg der Worte» rügt die Beschwerdeführerin, sie hätten Sexualität zum Gegenstand und würden die Intimsphäre der Tennisspieler betreffen. Es werde gegen die Persönlichkeitsrechte von Kyrgios verstossen und er werde an den Pranger gestellt. Im Artikel des «Tages-Anzeiger» werde der gemimte Akt des Onanierens von Kyrgios gegenüber Wawrinka beschrieben, im Artikel der «Aargauer Zeitung» werde die Masturbationsgeste beschrieben und ausserdem das Bild dazu gezeigt, wie Kyrgios diese imitiere. Der Vorfall stamme aus dem Jahr 2015, die beiden Spieler hätten die Sache bereinigt. Das sei von den Journalisten zu respektieren. Die Beschwerdeführerin sieht Ziffer 7 und Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt.

C. Am 16. September 2019 trat der Schweizer Presserat gestützt auf Art. 11 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Presserats nicht auf die Beschwerde ein, da diese offensichtlich unbegründet sei. Bei Donna Vekic, Stan Wawrinka und Nick Kyrgios handle es sich um Personen von öffentlichem Interesse bzw. um Prominente, die selbstverständlich ein Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre hätten. Fragen nach dem Beziehungsstatus von Donna Vekic und Stan Wawrinka stellten keinen übermässigen Eingriff in deren Privatsphäre dar. Bei der Masturbations-Geste von Kyrgios handle es sich um eine bekannte Tatsache, die überdies in der Öffentlichkeit stattgefunden habe. Die geltend gemachte Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung» sei in allen drei Fällen somit unbegründet. Dasselbe gelte für Ziffer 8 (Menschenwürde) der «Erklärung». Der Presserat könne in den von der Beschwerdeführerin kritisierten Artikeln keine abschätzige oder menschenverachtende Darstellung der Profisportler erkennen. Er wies die Beschwerdeführerin auf die Möglichkeit hin, eine ausführliche Begründung unter Kostentragung zu einem angemessenen Stundensatz zu verlangen (Art. 11 Abs. 3 Geschäftsreglement).

D. Mit Schreiben vom 27. September 2019 verlangte X. eine ausführliche Begründung des Nichteintretens vom Schweizer Presserat.

E. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Casper Selg und Max Trossmann, Vizepräsidenten, Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 31. Dezember 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Gestützt auf Art. 11 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn sie offensichtlich unbegründet ist.

Die Beschwerdeführerin macht in Bezug auf die drei Artikel eine Verletzung der Ziffer 7 der «Erklärung» geltend. Ziffer 7 hält Journalisten an, die Privatsphäre einzelner Personen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Richtlinie 7.1 präzisiert, jede Person habe Anspruch auf den Schutz ihres Privatlebens, auch Prominente. Bei den genannten Tennisspielerinnen und Tennisspielern handelt es sich um Personen von öffentlichem Interesse bzw. um Prominente. In konstanter Praxis hält der Presserat fest, dass auch öffentliche Personen Anspruch auf den Schutz ihrer Privatsphäre haben. Prominente und Politiker müssen sich aber mehr gefallen lassen als gewöhnlich lebende Zeitgenossen. Politiker und Prominente bestimmen zudem durch ihr Verhalten in der Öffentlichkeit selber, ob und wie die Medien über ihr Privat- und Familienleben berichten dürfen, ob dieses vollständig tabu ist, oder ob sie es den Medien innerhalb gewisser Grenzen zugänglich machen. Prominente können zudem nicht beanspruchen, dass über sie nur in genehmem Zusammenhang berichtet wird. Aber selbst wenn Prominente die Öffentlichkeit in weitem Umfang an ihrem Privatleben teilhaben lassen, lässt sich daraus kaum je ein gänzlicher Verzicht auf den Schutz der Privat- und Intimsphäre ableiten.

Artikel «Wieso schenken sich Stan und Donna keine Herzen mehr?»: Fragen nach dem Beziehungsstatus von Donna Vekic und Stan Wawrinka stellen grundsätzlich keinen übermässigen Eingriff in deren Privatsphäre dar. Inwiefern ein Foto nicht mehr öffentlich sein soll und weshalb dies gegen Ziffer 7 der «Erklärung» verstossen soll, legt die Beschwerdeführerin nicht ausreichend dar.

Artikel «Der Gratwanderer» sowie «Kalter Krieg der Worte»:
Berichte über die in der Öffentlichkeit, vor vielen Zuschauern stattgefundene Masturbationsgeste Kyrgios’ stellen keine Verletzung von dessen Privatsphäre dar. Es handelt sich um bekannte Tatsachen.

Die geltend gemachte Verletzung der Ziffer 7 der «Erklärung» ist in allen drei von der Beschwerdeführerin gerügten Artikeln offensichtlich unbegründet.

Die Beschwerdeführerin rügt ausserdem eine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung». Ziffer 8 verpflichtet Journalistinnen und Journalisten, die Menschenwürde zu respektieren. Der Presserat kann in den von der Beschwerdeführerin kritisierten Artikeln keine abschätzige oder menschenverachtende Darstellung der Sportlerinnen und Sportler erkennen. Weder die Ausführungen über die Beziehung Wawrinkas zu Vekic noch diejenigen über die sexuelle Geste Kyrgios’ verstösst gegen die Menschenwürde. Insgesamt ist festzuhalten, dass angebliche Verletzungen der Privatsphäre nicht mit einem Verstoss gegen die Menschenwürde gleichzusetzen sind, wie dies die Beschwerdeführerin zu tun scheint. Diesbezüglich wird auf Stellungnahme 36/2018 verwiesen. Der Vorwurf der Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» ist somit ebenfalls offensichtlich unbegründet.

III. Feststellung

Der Presserat tritt auf die Beschwerde nicht ein, weil sie offensichtlich unbegründet ist.