Nr. 74/2021
Wahrheit / Informationsfreiheit / Unabhängigkeit

(X. c. Schweizer Radio und Fernsehen SRF)

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I. Sachverhalt

A. In einem Gespräch mit Moderator Urs Gredig in der SRF-Sendung «Gredig direkt» vom 20. Mai 2021 erklärte Bundesrat Alain Berset unter anderem: «Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, um zu zeigen, dass man nicht ansteckend ist. Wenn man nicht ansteckend ist, dann kann man einfach die Restriktionen aufheben, das wollen wir auch. Und es gibt drei Wege, um das zu erreichen. Impfung ist ein Weg, das ist schon klar, für einige Monate. Die Genesung: Wenn man genesen ist, ist man auch nicht mehr ansteckend. Und der dritte Weg ist ein Test.»

Die «Tagesschau» vom 21. Mai enthielt einen Beitrag über eine Zürcher Langzeit-Studie, in welcher untersucht wurde, wie weit Zürcher Kinder von Covid-19 betroffen sind. Ergebnis: Erstens sei der Anteil von Kindern mit «Corona-Infektion in irgendeiner Form» innert eines Jahres von 2 Prozent auf 19 Prozent angestiegen und damit zur Zeit gleich hoch wie bei Erwachsenen. Zweitens hätten aber zwei Drittel der betroffenen Kinder überhaupt keine Symptome gehabt. Und drittens: Zwei Prozent der Infizierten wiesen laut der Studie Symptome von «Long Covid» wie etwa Müdigkeit auf. Dies mehrheitlich mit milden Verläufen.

B. Am 26. Mai 2021 reichte X. Beschwerde gegen die beiden Sendungen beim Schweizer Presserat ein. Er macht geltend, in der Sendung «Gredig direkt» bleibe die Aussage von Bundesrat Berset, gegen Covid Geimpfte oder von Covid genesene Personen seien «nicht ansteckend», unwidersprochen. Sie sei jedoch falsch, worin eine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrheit), 2 (Informationsfreiheit) und 11 (Journalistische Weisungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») zu sehen sei.

In der «Tagesschau» vom 21. Mai 2021 werde behauptet, laut «Ciao Corona»-Studie wiesen zwei Prozent der infizierten Kinder Long Covid-Symptome wie etwa Müdigkeit auf. Dies sei falsch, auch damit würden die Ziffern 1, 2 und 11 der «Erklärung» verletzt.

Der Beschwerdeführer (BF) sieht in der SRF-Berichterstattung eine Schädigung des Ansehens des Berufes (Ziffer 2 der «Erklärung») und er vermutet, es bestünden SRF-interne Weisungen des Inhalts, dass nicht regierungskritisch über die Covid-Massnahmen berichtet werden dürfe. Wenn dem so sei, verstiesse dies auch gegen die Ziffer 11 (interne Weisungen nur wenn nicht gegen die «Erklärung» verstossend).

C. In ihrer Beschwerdeantwort vom 6. Juli 2021 beantragte SRF, die Beschwerde abzuweisen. Zur Sendung «Gredig direkt» hält SRF fest: Bersets Aussage sei in dieser Absolutheit tatsächlich nicht ganz korrekt, nach aktuellem Wissensstand sei davon auszugehen, dass auch doppelt gegen Sars-CoV-2 geimpfte Personen das Virus weitergeben könnten. Allerdings wiesen offizielle Stellen auch darauf hin, dass die Weiterverbreitung des Virus durch Geimpfte wenig verbreitet sei. Eine Verletzung des Wahrheitsgebots liege nicht vor. Ausserdem bestünden keine Vorgaben bei SRF für eine regierungsunkritische Berichterstattung.

Zur «Tagesschau» vom 21. Mai 2021 hält SRF fest: Die Zahl von zwei Prozent aller infizierten Kinder mit Symptomen von Long Covid sei bereits bereinigt und somit durch keine alternative Diagnose erklärbar. SRF habe Long Covid bei Kindern nicht in unsachgerechter Weise als Problem erscheinen lassen. Die beanstandete Aussage stütze sich auf die Studie und die entsprechende Medienmitteilung. Dabei werde die richtige Zahl erwähnt und ausdrücklich von «Symptomen von Long Covid» gesprochen. Die Aussage sei weder falsch noch irreführend, wie vom Beschwerdeführer geltend gemacht, sondern inhaltlich korrekt.

D. Am 21. September 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, der Schriftwechsel sei abgeschlossen, die Beschwerde werde gemäss Artikel 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements von der Geschäftsführerin Ursina Wey behandelt.

E. Die Geschäftsführerin hat die vorliegende Stellungnahme in Absprache mit dem Presseratspräsidium am 20. Dezember 2021 verfasst.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer kritisiert in seiner Beschwerde zum einen, Bundesrat Berset habe in der Sendung «Gredig direkt» behauptet, gegen Covid Geimpfte und Genesene seien nicht ansteckend, ohne dass der Moderator ihm dabei widersprochen habe. SRF konzediert in der Beschwerdeantwort, dass die Aussage so nicht ganz korrekt gewesen sei, macht aber umgekehrt geltend, dass die Gefahr von Ansteckungen nach vollständiger Impfung «gering» (BAG), respektive so weit reduziert sei, «dass Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkrankung keine wesentliche Rolle mehr spielen» (das deutsche Robert Koch-Institut). Insofern war die Feststellung nicht präzise: Ansteckungen sind immer noch möglich, allerdings in stark reduziertem Mass. Aber bezogen auf die in der Sendung thematisierte Politik zur Einschränkung der Pandemie war sie nach dem damaligen Stand der Erkenntnis zutreffend. Kern der Aussage: Die Geimpften sind bei der Ausbreitung der Krankheit nicht das Problem, sie sind erheblich weniger ansteckend. Zwar wäre es hilfreich gewesen, dass der Moderator hier eine Präzisierung angebracht hätte, deren Unterlassung macht aber aus einer unpräzisen, im Kern zum Thema «Strategie gegen die Pandemie» aber nachvollziehbaren Aussage keinen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht. Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» ist somit nicht verletzt. Dasselbe gilt analog für die Ziffer 2 (Informationsfreiheit) der «Erklärung».

2. Zum anderen kritisiert der Beschwerdeführer, dass die «Tagesschau» behauptet habe, zwei Prozent aller infizierten Kinder wiesen Symptome von Long Covid wie etwa Müdigkeit auf. Dabei, so macht der BF geltend, könnten Müdigkeit oder weitere Befunde, die Long Covid zugeordnet werden, auch andere Ursachen haben. Diese Befunde als Long Covid-Symptome zu deklarieren sei schlicht falsch und irreführend. Insgesamt erfülle dieser Bericht von SRF den Tatbestand einer tendenziösen Berichterstattung und einer Schreckung der Bevölkerung.

SRF macht in der Beschwerdeantwort geltend, dass die Vermutung des BF, wonach beim Erfassen milder Long Covid-Symptome viele Fälle von anderen Beschwerden eingeschlossen sein dürften, zwar grundsätzlich zutreffe. Dem habe die Untersuchung aber Rechnung getragen, indem sie Vergleichswerte einer Kontrollgruppe, also von Erkrankungssymptomen Nicht-Covid-Infizierter, gegengerechnet habe. Erst nach Abzug von deren Ergebnissen sei man auf die zwei Prozent möglicher Long Covid-Fälle bei Kindern gekommen. Insofern habe die Berichterstattung der vom BF angesprochenen Problematik Rechnung getragen. Das erscheint aus der Sicht des Presserates einleuchtend. Darüber hinaus macht SRF geltend, dass mehrfach ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass die Fälle von Long Covid bei Kindern grossmehrheitlich milde verlaufen seien. Insofern kann aus der Sicht des Presserates – anders als vom BF kritisiert – nicht von einer Panikmache, einer «Schreckung der Bevölkerung» die Rede sein. Das Ergebnis der Studie wurde – soweit der Presserat dies beurteilen kann – korrekt zusammengefasst. Auch in diesem «Tagesschau»-Beitrag liegt im Ergebnis keine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) oder Ziffer 2 (Informationsfreiheit) der «Erklärung» vor.

3. Ziffer 11 der «Erklärung« verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie journalistische Weisungen nur von den hierfür als verantwortlich bezeichneten Mitgliedern ihrer Redaktion entgegennehmen, und diese nur dann akzeptieren, wenn diese zur «Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten» nicht im Gegensatz stehen.

Der Beschwerdeführer äussert die Vermutung, die Unabhängigkeit der JournalistInnen von SRF könnte durch interne Weisungen gefährdet sein oder externe Einflussnahmen könnten für den Inhalt der Berichterstattung eine Rolle spielen. Er belegt diese Aussagen nicht. Der Presserat kann zu reinen Vermutungen nicht Stellung nehmen. Eine Verletzung der Ziffer 11 der «Erklärung» ist nicht ersichtlich.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. SRF hat mit den Sendungen «Gredig direkt» vom 20. Mai 2021 und «Tagesschau» vom 21. Mai 2021 die Ziffern 1, 2 und 11 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.