I. Sachverhalt
A. Am 21. Dezember 2024 veröffentlichte die «NZZ am Sonntag» ein Interview mit dem Titel «Die oberste Bildungsdirektorin über die Corona-Krise: ‹Ich habe immer wieder beim Bundesrat interveniert›». Gegenstand des Beitrags ist ein Gespräch mit Silvia Steiner, der damaligen Präsidentin der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK). Das Interview thematisiert insbesondere die Rolle der EDK sowie die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen in der Bildungspolitik. Ein Schwerpunkt liegt auf den Massnahmen im Schulbereich zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie sowie auf den diesbezüglichen Verhandlungen Silvia Steiners mit dem damaligen Bundesrat Alain Berset. Das Gespräch nimmt auch auf die vorübergehenden Schulschliessungen Bezug, gegen welche Steiner laut eigenen Angaben mittels eines offenen Briefs beim Bundesrat intervenierte. Auf die Aussage von René Donzé, der das Interview mit Steiner führte, «Die Angst seitens des Bundes war gross, dass sich das Coronavirus über die Schulen schnell verbreiten könnte», entgegnet Silvia Steiner: «Damals wurde ja behauptet, die Jungen seien die Treiber der Pandemie. Im Nachhinein zeigte sich, dass das nicht stimmte.»
B. Am 27. Dezember 2024 reichte X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Beitrag ein. Die Aussage von Silvia Steiner, «Damals wurde ja behauptet, die Jungen seien die Treiber der Pandemie. Im Nachhinein zeigte sich, dass das nicht stimmte», verletze Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung»). Er begründet dies damit, dass die genannte Aussage von Frau Steiner eine faktenwidrige Tatsachenbehauptung darstelle, die vom Journalisten unwidersprochen geblieben sei. Dadurch werde der Leserschaft der falsche Eindruck vermittelt, die Schulen hätten nicht relevant zum Pandemiegeschehen beigetragen. Gemäss mehreren Studien sei jedoch festgestellt worden, dass Schulen zu den massgeblichen Treibern der Covid-19-Pandemie gehört hätten. Vom Beschwerdeführer werden vier Studien aufgeführt, die sich mit der Relevanz von Kindern und Jugendlichen im Pandemiegeschehen und Schulen als Übertragungsorten befassen.
C. Am 17. März 2025 nahm der Rechtsdienst der Neue Zürcher Zeitung AG für die Redaktion der «NZZ am Sonntag» zur Beschwerde Stellung und beantragte deren Abweisung. Er weist darauf hin, dass Medien zur Wahrheitsfindung verpflichtet seien. Die Wahrheitssuche sei dabei als Prozess zu verstehen, der die sorgfältige Prüfung von Informationen, die Berücksichtigung relevanter Quellen sowie die Vermeidung bewusster Verzerrungen oder selektive Darstellung von Fakten umfasse. Der Presserat anerkenne, dass die Wahrheit in vielen Fällen nicht absolut feststellbar sei, sondern auf der Basis des aktuellen Kenntnisstands und der verfügbaren Informationen bewertet werde. Journalistische Beiträge, insbesondere Interviews, seien nicht mit wissenschaftlichen Abhandlungen oder juristischen Urteilen gleichzusetzen, sondern unterlägen einem gewissen Interpretationsspielraum. Die Richtlinien des Presserats anerkennten ausdrücklich, dass journalistische Berichterstattung in bestimmten Fällen eine wertende Einordnung oder Zusammenfassung erlaube, solange diese nicht zu einer Verzerrung der Fakten führe. Die «NZZ am Sonntag» argumentiert weiter, dass die monierte Aussage keine absolute wissenschaftliche Feststellung darstelle, sondern als eine retrospektive politische Einschätzung einer Amtsträgerin zu verstehen sei, wie an den Formulierungen «Damals wurde behauptet …» und «Im Nachhinein zeigte sich …» zu erkennen sei.
In der Forschung zur Covid-19-Pandemie seien im Laufe der Zeit verschiedene Hypothesen über die Rolle von Kindern und Jugendlichen in der Virusübertragung aufgestellt und teilweise revidiert worden. Es gebe hierbei keine absolute Wahrheit, sondern vielmehr eine fortlaufende wissenschaftliche Debatte mit zum Teil widersprüchlichen Ergebnissen. Die Redaktion führt mehrere Studien auf, welche weitere Personengruppen als wichtige Treiber der Pandemie in verschiedenen Ländern identifizieren oder die Rolle von Kindern als Infektionstreiber relativieren. Die Aussage von Silvia Steiner spiegle eine wissenschaftlich vertretbare Perspektive wider, die durch verschiedene Studien gestützt werde.
D. Am 24. April 2025 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde gemäss Artikel 13 Abs. 1 seines Geschäftsreglements vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.
E. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 14. Dezember 2025 verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Gemäss Ziffer 1 der «Erklärung» halten sich JournalistInnen an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen und lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren. Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) präzisiert, dass die Suche nach der Wahrheit den Ausgangspunkt der Informationstätigkeit darstellt. Sie setzt die Beachtung der zugänglichen und verfügbaren Daten, die Achtung der Integrität der Dokumente (Text, Ton, Bild), die Überprüfung und allfällige Berichtigung von Fehlern voraus. Silvia Steiner sagte im Interview: «Damals wurde ja behauptet, die Jungen seien die Treiber der Pandemie. Im Nachhinein zeigte sich, dass das nicht stimmte.» Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, dass diese Aussage eine unzutreffende Tatsachenbehauptung darstelle. Seiner Ansicht nach hätte die «NZZ am Sonntag» diese Aussage entweder einer kritischen Einordnung unterziehen oder zumindest klarstellend kommentieren müssen, da sonst bei der Leserschaft der falsche Eindruck entstehe, die Schulen hätten nicht relevant zum Pandemiegeschehen beigetragen.
Der Presserat verweist darauf, dass gemäss langjähriger Praxis die Beurteilung von wissenschaftlichen Diskursen nicht in seinen Aufgaben- oder Kompetenzbereich fallen. Die abschliessende Klärung zur Rolle der Schulen als Treiber der Pandemie kann der Presserat somit nicht leisten. Die Aussage von Silvia Steiner verneint jedoch einzig die Rolle von SchülerInnen als die (Haupt)-Treiber der Pandemie und nimmt keine weitere Beurteilung ihres Einflusses auf das Pandemiegeschehen vor. Es handelt sich somit nicht um eine faktenwidrige Tatsachenbehauptung. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Anschuldigung, Silvia Steiner würde verneinen, dass die Schulen relevant zum Pandemiegeschehen beigetragen hätten, geht nicht aus dem Beitrag hervor. Eine allfällige Irreführung der Leserschaft kann entsprechend nicht festgestellt werden.
Eine Intervention des Journalisten wäre nur bei offenkundig unwahren, ehr- oder persönlichkeitsverletzenden oder sehr umstrittenen Aussagen angebracht gewesen (s. Stellungnahme 27/2025). Das war hier nicht der Fall. Eine Verletzung der Ziffer 1 der «Erklärung» kann somit nicht festgestellt werden.
III. Feststellungen
1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.
2. Die «NZZ am Sonntag» hat mit dem Interview «Die oberste Bildungsdirektorin über die Corona-Krise: ‹Ich habe immer wieder beim Bundesrat interveniert›» vom 21. Dezember 2024 die Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.