Nr. 30/2010
Kürzung von Leserbriefen

(X. c. «Schweizer Familie»)

Drucken

I. Sachverhalt

A. In Ihrer Ausgabe vom Nr. 43/2009 vom 12. November 2009 veröffentlichte die «Schweizer Familie» ein Interview mit dem Immunologen Beda Stadler zum Thema Schweinegrippeimpfung (Titel: «‹Lassen Sie sich impfen, und seis aus Solidarität›»).

B. Gleichentags stellte X. der Redaktion der Schweizer Familie ein Gesuch um Abdruck einer ausführlichen «Gegendarstellung» zu.

C. Am 18. November 2009 wies der Rechtdienst der Tamedia AG den Gesuchsteller darauf hin, dass die Voraussetzungen einer Gegendarstellung im konkreten Fall offensichtlich nicht erfüllt seien. Er bot ihm jedoch an, seine Meinung in gekürzter Form als Leserbrief zu veröffentlichen.

D. Am 22. November 2009 stellte X. der «Schweizer Familie» einen zwar wesentlich gekürzten, aber immer noch ausführlichen Text zum Abdruck als Leserbrief zu.

E. Am 25. November 2009 antwortete wiederum der Rechtsdienst der Tamedia AG, die «Schweizer Familie» pflege wegen des beschränkten Platzes jeweils nur sehr kurze Leserbriefe abzudrucken. Entsprechend könne der Text von X. nur stark gekürzt abgedruckt werden. Der Rechtsdienst unterbreitete dazu einen konkreten Vorschlag.

F. Am 28. November 2009 stellte X. der «Schweizer Familie» eine nochmals gekürzte Fassung seines Textes zu. Dazu führte er aus: «Ich habe diesen Leserbrief schon an die ‹Schmerzgrenze› gekürzt, und es sollte jetzt möglich sein, ihn so UNGEKÜRZT abzudrucken. Dass andere Leserbriefe benachteiligt werden, kann ich nicht ändern.»

G. Am 3. Dezember 2009 schrieb X. in einer E-Mail an den Rechtsdienst der Tamedia AG: «Ich nehme Bezug auf Ihr Schreiben vom 2. Dezember 2009. Ich bin daran interessiert, dass der Leserbrief von mir in der nächsten Schweizer Familie veröffentlicht wird, und bitte Sie, Ihren Vorschlag mit der Kürzung des Leserbriefs umzusetzen. Wichtig scheint mir aber, dass die Internetadresse abgedruckt wird, damit die Leser sich selber noch vollständig informieren können. Der Eingangssatz über die Publikationen muss ebenfalls erwähnt werden, sonst muss ich mir im Hinterstüblein meine Gedanken machen, dass man bei der ‹Schweizer Familie› eigentlich vom Hauptthema ablenken möchte.

H. Am 14. Dezember 2009 sandte X. der «Schweizer Familie» nochmals eine neue Fassung seines Textes. Er schrieb dazu: «Ich gehe davon aus, dass der Leserbrief nun ohne Probleme und Verzögerungen in der Nr. 51 der «Schweizer Familie» gedruckt werden kann. (…) andernfalls bin ich nicht mehr an einem Leserbrief interessiert und würde sonst den Presserat einschalten.

I. Am 17. Dezember 2009 veröffentlichte die Nr. 51-52/2009 der «Schweizer Familie» unter dem Titel «Quecksilber im Impfstoff» den entsprechend dem Vorschlag des Rechtsdienstes Tamedia gekürzten Leserbrief des Beschwerdeführers.

J. Am 18. Dezember 2009 teilt der Rechtsdienst der Tamedia AG X. mit, als das Schreiben vom 14. Dezember 2009 eingetroffen sei, sei die Nr. 51 der «Schweizer Familie» bereits gedruckt gewesen. «Die Nr. 51 enthält Ihren Leserbrief in der Version, die Sie mit dem untenstehenden Mail vom 3.12.2009 genehmigt hatten. Es war nicht mehr möglich, Ihren neuesten Vorschlag zu berücksichtigen.»

K. Am 19. November 2009 bedankte sich X. zwar für den Abdruck des Leserbriefs, monierte aber dessen Form. Zwar habe er im E-Mail vom 3. Dezember 2009 einer redaktionellen Kürzung seines Leserbriefs zugestimmt. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass Satz «Die Existenz des H1N1-Virus ist nicht erwiesen: Das BAG kann auf Anfragen von mehreren Hundert fragenden Bürgern keine Beweispublikationen des H1N1-Virus oder anderer Viren liefern» und die Quellenangabe (Homepageadresse) mit seinen Recherchen und Aussagen würden mit abgedruckt. Wie bereits mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 erwähnt, habe er zudem kein Interesse an einem Leserbrief, sondern vielmehr an der Veröffentlichung einer «Tatsachendarstellung/Gegendarstellung». Er sei bereit, diese auch mit anderen Mitteln durchzusetzen.

L. Am 21. Dezember 2010 erwiderte der Rechtsdienst der Tamedia AG: «Undank ist der Welten Lohn (…) Obwohl Sie keinerlei Anspruch auf Gegendarstellung hatten und die SF also ihren Text ganz einfach dem Papierkorb hätten übergeben können, hat sich die Redaktion die Mühe gemacht, Ihren Text so zu bearbeiten und mit Ihnen abzusprechen, dass Sie im Heft zu Wort kommen konnten. Ihr Dank sind nun Vorwürfe.»

M. Am 2. Januar 2010 gelangte X. mit einer Beschwerde gegen die «Schweizer Familie» an den Presserat. Er beanstandete, aus dem Vorhaben, einen «fachlich und tendenziös falschen Bericht über die Schweinegrippeimpfung und Beda Stadler zu korrigieren, und einen begründeten Warnruf mit Gegendarstellung in die Medienlandschaft zu setzen, und ein wichtiges Thema zeitnah und vor allem ohne Verzögerungen an Mütter und Eltern zu verkünden, wurde leider nur ein kleiner Leserbrief, der (…) am eigentlichen Brennpunkt vorbeizielt.» Zudem habe es die «Schweizer Familie» trotz seinen Hinweisen wie die anderen Medien unterlassen, zu berichten, dass die Existenz des H1N1-Virus nicht belegt sei.

Mit der Veröffentlichung des Interviews mit Beda Stadler vom 12. November 2009 sowie der von ihm nicht genehmigten Fassung seines Leserbrief vom 17. Dezember 2009 habe die Zeitschrift die Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche), 2.2 (Meinungspluralismus). 5.1 (Berichtigung), 5.2 (Leserbriefe), 9.1 (Unabhängigkeit) und 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

N. Am 8. Januar 2010 forderte der Presserat die «Schweizer Familie» auf, sich beschränkt auf die Frage des Abdrucks des gekürzten Leserbriefs zur Beschwerde von X. zu äussern.

O. Am 20. Januar 2010 beantragte die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene Redaktion der «Schweizer Familie», die Beschwerde sei abzuweisen. Die Redaktion habe ein Korrektur- und Kürzungsrecht. Dem Wunsch des Autors auf ungekürzte Veröffentlichung müsse entweder stattgegeben oder auf die Publikation verzichtet werden. Vorliegend habe der Beschwerdeführer zwar zunächst die Kürzung verboten, diese aber der Redaktion zu einem späteren Zeitpunkt erlaubt. Entsprechend habe er in seiner E-Mail vom 3. Dezember 2009 geschrieben:« Sie können den Leserbrief also in der von Ihnen vorgeschlagenen Version abdrucken.» Zwar habe der Beschwerdeführer im Schreiben vom 14. Dezember 2009 klargemacht, dass er weitere Kürzungen nicht hinnehmen möchte. Dieses Schreiben sei aber erst nach dem Druck der Ausgabe Nr. 51 der «Schweizer Familie» verfasst worden. Die Redaktion habe sich Mühe gegeben, dem Ansinnen des Beschwerdeführers Raum zu geben und mit ihm eine Lösung gesucht, ohne dass sie dazu verpflichtet gewesen wäre.

P. Am 22. Januar 2010 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina.

Q. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 2. Juli 2010 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 10 Abs. 1 tritt der Presserat nicht auf offensichtlich unbegründete Beschwerden ein. Soweit der Beschwerdeführer sinngemäss geltend gemacht, die «Schweizer Familie» wäre verpflichtet gewesen, darüber zu berichten, dass die Existenz des Schweinegrippevirus nicht bewiesen sei, tritt der Presserat nicht auf die Beschwerde ein. Gemäss seiner ständigen Praxis leitet der Presserat aus der «Erklärung» keine Pflicht zu «objektiver» Berichterstattung ab. Ebenso wenig ist aus der Richtlinie 2.2 (Meinungspluralismus) zu folgern, dass die «Schweizer Familie» verpflichtet gewesen wäre, als «Ausgleich» zum Interview von Beda Stadler auch die radikale Kritiker der Schweinegrippeimpfung und anderer Impfungen zu Wort kommen zu lassen.

Ebenso nicht einzutreten ist auf die offensichtlich unbegründeten Vorhaltungen der Beschwerde, wonach das «Gefälligkeits»-Interview mit Beda Stadler Schleichwerbung für Impfstoffe mache und damit die journalistische Unabhängigkeit verletzt (Ziffern 9 und 10 der «Erklärung»).

2. a) Somit hat der Presserat einzig die Kürzung und den Abdruck des Leserbriefs des Beschwerdeführers näher zu prüfen. Gemäss der Richtlinie 5.2 zur «Erklärung» dürfen Leserbriefe «redigiert und dem Sinn entsprechend gekürzt werden. (…) Von der Kürzung ausgenommen sind Fälle, in denen ein Leserinnen- und Leserbriefschreiber oder eine Leserinnen- und Leserbriefschreiberin auf den Abdruck des integralen Textes besteht. Dann ist entweder diesem Wunsch nachzugeben oder die Veröffentlichung abzulehnen.

b) Da weder der Beschwerdeführer noch die «Schweizer Familie» den Wortlaut des im E-Mail von X. vom 3. Dezember 2009 erwähnten Vorschlags des Rechtsdiensts der Tamedia AG vom 2. Dezember 2009 eingereicht hat, kann sich der Presserat zum Sachverhalt nicht abschliessend äussern. Immerhin ist festzustellen, dass sich der Beschwerdeführer insofern widersprüchlich verhalten hat, als er zunächst auf einem ungekürzten Abdruck seiner Zuschrift beharrte, sich danach auf die von der Zeitschrift vorgeschlagene Kürzung einliess, um dann zuletzt im Schreiben vom 14. Dezember 2009 doch wieder auf einem unveränderten Abdruck einer nochmals veränderten Version zu beharren. Auf der anderen Seite ist für den Presserat erstellt, dass sich die Redaktion bzw. der Tamedia-Rechtsdienst mit einem – für einen einzigen Leserbrief – relativ hohem Aufwand glaubwürdig darum bemühte, eine gemeinsame Basis mit dem Beschwerdeführer zu finden.

Dabei ist der Redaktion offensichtlich nicht vorzuwerfen, dass Sie das Schreiben des Beschwerdeführers vom 14. Dezember 2010 nicht mehr berücksichtigen konnte, da die Ausgabe Nr. 51-52/2009 zu diesem Zeitpunkt bereits gedruckt war. Und selbst wenn der Vergleich der in der E-Mail vom 3. Dezember 2010 vom Beschwerdeführer allerdings nicht sehr klar formulierten Bedingungen (Erwähnung des Eingangssatzes, wonach die Existenz des H1N1-Virus nicht belegt sei sowie die Erwähnung seiner Website) mit dem Wortlaut des schliesslich veröffentlichen Leserbriefs darauf hindeutet, dass der «Schweizer Familie» diesen Vorbehalt offenbar übersah, wäre es in Berücksichtigung der gesamten Umstände unverhältnismässig, daraus eine Verletzung von Ziffer 5 der «Erklärung» abzuleiten.

Der Presserat hält in seiner jüngeren Praxis daran fest (vgl. z.B. die Stellungnahmen 4/2008, 49/2005), dass es sich nicht bei jedem Fehler einer Redaktion rechtfertigt, eine Verletzung einer berufsethischen Norm abzuleiten. Vielmehr ist im Einzelfall auch das Prinzip der Verhältnismässigkeit zur Beurteilung heranzuziehen. Zwar hätte die «Schweizer Familie» angesichts der erneuten Vorbehalte und Bedingungen des Beschwerdeführers wohl besser auf den Abdruck der Zuschrift verzichtet oder dessen Bedingungen akzeptiert. Wenn die Redaktion jedoch nach dem langen Hin und Her der Parteien um den Leserbrief des Beschwerdeführers in der E-Mail vom 3. Dezember 2009 die der prinzipiellen Zustimmung folgenden Erläuterungen übersah, ist dies zwar ein Schönheitsfehler, aber nach Auffassung des Presserates nicht gravierend genug, dass die Beschwerde in diesem Punkt deshalb gutzuheissen wäre.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen soweit der Presserat darauf eintritt.

2. Mit der Veröffentlichung des gekürzten Leserbriefs «Quecksilber im Impfstoff» in der Ausgabe Nr. 51/52/2009 vom 17. Dezember 2009 hat die «Schweizer Familie» die Ziffer 5 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Leserbriefe) nicht verletzt.