Zusammenfassung
Der Presserat ist auf eine Beschwerde aus formalen Gründen nicht eingetreten, er hält aber grundsätzlich fest, dass eine Einzelperson, gegen die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit schwere Vorwürfe erhoben werden, ein eigenes Recht hat, Stellung zu nehmen. Der Presserat hält fest:
– Journalisten und Journalistinnen müssen sich in einem derartigen Fall um eine Stellungnahme der direkt betroffenen Person bemühen, wohl wissend, dass dies in diversen Fällen vom Arbeitgeber nicht zugelassen wird.
– Wenn dem schliesslich so ist, wird man sich mit den Ausführungen der Firma oder der Amtsstelle beziehungsweise Medienstelle begnügen, mit dem Hinweis, dass die betroffene Person nicht selber Auskunft geben durfte oder wollte.
– Der wegleitende Entscheid 24/2005 besagt weiter, dass es im Ermessen einer Firma liege, wen sie zur Abgabe einer Stellungnahme anbiete. Dies gilt vor allem für Fälle, in welchen sich die Kritik primär auf die Firma, den Betrieb insgesamt bezieht und nicht auf eine spezifische Person.
– Es ist auch denkbar, dass die Stellungnahme einer beschuldigten Person über die Firma kommuniziert wird, insbesondere wenn die kritisierte Person dies selber wünscht.
Résumé
Le Conseil suisse de la presse n’est pas entré en matière sur une plainte, pour des motifs formels. Il relève néanmoins, sur le principe, qu’une personne qui fait l’objet de reproches graves dans le cadre de son activité professionnelle a le droit de prendre position elle-même sur ces reproches. Il précise les points ci-après.
– Les journalistes doivent tenter de recueillir une prise de position de la personne directement concernée, tout en sachant que son employeur ne l’y autorisera pas dans une multitude de cas.
– Si l’employeur s’y oppose, les journalistes se satisferont des explications données par l’entreprise, l’administration ou le service de presse et indiqueront que la personne concernée n’a pas pu ou voulu s’exprimer elle-même.
– Dans sa prise de position de principe 24/2005, le Conseil suisse de la presse a indiqué qu’il appartenait à une entreprise de décider qui elle met à la disposition des médias pour prendre position. C’est avant tout le cas lorsque les critiques visent principalement l’entreprise dans son ensemble plutôt qu’une personne en particulier.
– Il est aussi possible de laisser l’employeur communiquer la prise de position de la personne qui fait l’objet de reproches, notamment si celle-ci le souhaite.
Riassunto
l Consiglio della stampa non ha preso in considerazione il reclamo per motivi formali, ma ribadisce, in linea di principio, che una persona contro la quale vengono mosse gravi accuse nell’ambito della sua attività professionale, ha diritto di prendere posizione.
Il Consiglio della stampa precisa che:
– In un caso del genere, giornaliste e giornalisti devono cercare di ottenere una dichiarazione dalla persona direttamente coinvolta, pur essendo consapevoli che, in diversi casi, ciò non viene autorizzato dal datore di lavoro.
– Se ciò non fosse possibile, ci si dovrà accontentare delle dichiarazioni dell’azienda, dell’ufficio competente o dell’ufficio stampa, specificando che la persona interessata non ha potuto o non ha voluto fornire informazioni di persona. I
– La decisione orientativa 24/2005 precisa inoltre, che spetta all’azienda decidere chi incaricare di rilasciare una dichiarazione. Questo vale soprattutto nei casi in cui le critiche riguardano principalmente l’azienda o l’attività nel suo complesso e non una persona specifica.
– È inoltre possibile che la presa di posizione di una persona accusata venga trasmessa tramite l’azienda, in particolare se è la persona stessa a richiederlo.
I. Sachverhalt
A. Am 18. Oktober 2023 berichtete «Der Landbote»-Journalist Jonas Keller ausführlich über «Führungsprobleme in der KVA», die Berichterstattung umfasste einen Text auf der Frontseite und zwei Seiten im Innern der gedruckten Ausgabe. Darin wurde berichtet, dass Mitarbeiter der Winterthurer Kehrichtverbrennung (KVA) unter einem toxischen Arbeitsklima und unter Inkompetenz der Führung litten. Diese trage Mitverantwortung dafür, dass es in der Anlage immer wieder zu Grossbränden gekommen sei. Ein Fokus richtete sich dabei auf den Produktionsleiter der Anlage, den Autor der vorliegenden Beschwerde, der im Text nicht namentlich genannt wurde. Diesem würden – so der Artikel – elf ehemalige und gegenwärtige Mitarbeiter unabhängig voneinander vorwerfen, keinen Widerspruch zu dulden, Mitarbeiter gegeneinander aufzuwiegeln, auf den Rat von Fachleuten nicht zu hören, keinen Respekt zu zeigen. Er übernehme auch keine Schichtarbeiten, obwohl sein Stellenbeschrieb dies vorsehe, deshalb fehle ihm das Know-how aus der Praxis. Grund für viele Kündigungen seien laut den befragten gegenwärtigen und ehemaligen Mitarbeitern die Führung und insbesondere der Produktionsleiter gewesen. Dessen Vorgaben hätten zu einem mangelnden Ausbildungsstand bei den Mitarbeitern geführt und dies wiederum zu verschiedenen Grossbränden und Betriebsausfällen. Dadurch seien Schäden in der Höhe von 15 Millionen Franken entstanden.
Gemäss dem Journalisten äusserten die Mitarbeitenden aber auch Kritik an den Vorgesetzten des Produktionsleiters, sie hätten den Eindruck, «dass dieser nur so handeln konnte und kann, weil er durch alle Ebenen gedeckt werde».
Schliesslich wird im Artikel die Stadtverwaltung zitiert, welche auf die Kritik geantwortet habe, man könne zu einzelnen Personen noch nichts sagen, man müsse erst prüfen, welche Daten herausgegeben werden dürften.
B. Das Regionaljournal Zürich/Schaffhausen von SRF berichtete am 18. Oktober 2023 um 6 Uhr 32 in einer 44-Sekunden-Meldung über die gleichentags erschienene Recherche des «Landboten». Der Inhalt der Meldung liegt dem Presserat nicht vor.
Am folgenden Tag, dem 19. Oktober 2023, erschien im «Tages-Anzeiger» eine kurze Version der gleichen Geschichte, vom gleichen Autor Jonas Keller, unter dem Titel «Führungsprobleme in der KVA: Millionenschäden». Darin wird zusammengefasst, was im «Der Landbote» ausführlich geschildert worden war: schlechte Behandlung der Mitarbeiter durch die Führung und Filz zwischen Betriebsführung und dem zuständigen städtischen Departement. Allerdings nicht speziell fokussiert auf den Betriebsleiter.
C. Am 30. Oktober 2023 reichte der Produktionsleiter der KVA Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Er macht geltend, zwölf Textstellen der beiden Artikel im «Der Landbote» verletzten die Ziffern 1 (Wahrheit), 2 (Freiheit der Information), 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»), insbesondere seien die dazugehörigen Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche), 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) und 3.8 (Anhören bei schweren Vorwürfen) betroffen. In einzelnen Fällen auch die Richtlinien 2.2 (Meinungspluralismus), 5.1 (Berichtigungspflicht), 5.2 (Leserbriefe) und 7.2 (Identifizierung).
Inhaltlich machte der Beschwerdeführer unter anderem geltend, er sei nicht verantwortlich für Millionenschäden, die Untersuchungen zu den Grossbränden hätten zu genau gegenteiligen Ergebnissen geführt, es seien nach den Grossbränden auch keine Fehler verheimlicht worden. «Der Landbote» habe auch nur verärgerte ehemalige Mitarbeiter befragt und keine, die zufrieden seien und immer noch in der KVA arbeiteten. Die Kritik an seinem Führungsverhalten sei klar faktenwidrig.
D. Mit einer ersten Beschwerdeantwort vom 4. Juni 2024 beantragte die Rechtsabteilung der TX Group, zu welcher «Der Landbote» gehört, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Eventualiter sei diese abzuweisen. Den Antrag auf Nichteintreten begründete «Der Landbote» damit, dass der Beschwerdeführer eine Strafklage gegen Unbekannt eingereicht und eine Zivilklage angekündigt habe. Beides entspreche einem Parallelverfahren, welches gemäss Art. 11 Abs. 1 des Geschäftsreglements des Presserates zu einem Nichteintreten führe.
Am 18. Juli 2024 bat der Presserat die TX Group um eine ergänzende Stellungnahme auch zum inhaltlichen Teil der Beschwerde.
E. Am 18. Februar 2025 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde von der 1. Kammer behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Luca Allidi, Catherine Boss, Ursin Cadisch, Stefano Guerra, Erik Schönenberger und Casper Selg. Catherine Boss trat von sich aus in den Ausstand.
F. Die 1. Kammer des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme an ihrer Sitzung vom 10. Juli 2025 sowie auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Der Beschwerdeführer hat in seiner Eingabe deutlich festgehalten, dass er eine Strafanzeige wegen Ehrverletzung eingereicht hat, welche sich gegen Unbekannt richte und damit – ausdrücklich – auch gegen das Medium und den Autor. Das ist eine klare Deklaration eines Parallelverfahrens. Zusätzlich hat der Beschwerdeführer eine «Zivilklage wegen Persönlichkeitsverletzung» als «in Abklärung/Vorbereitung» angekündigt. Aufgrund all dessen kann und darf der Presserat gemäss Art. 11 Abs. 1 des Geschäftsreglements auf die Beschwerde nicht eintreten, es sei denn, es stehe eine medienethische Grundsatzfrage zur Diskussion (Art. 11 Abs. 2 des Geschäftsreglements).
2. In diesem Zusammenhang – medienethische Grundsatzfrage – war zu fragen, inwieweit ein Medium im Falle von schweren Vorwürfen gegen eine für eine Institution arbeitende, kritisierte Person – in concreto der Produktionsleiter und Beschwerdeführer – lediglich auf die Stellungnahme einer Pressestelle des Betriebs bzw. von Vorgesetzten abstellen darf, oder ob das Medium die kritisierte Person selber Stellung nehmen lassen muss und falls ja, unter welchen Bedingungen. Diese Fragen hat das Präsidium und anschliessend die erste Kammer ausführlich diskutiert.
Der Presserat hat schliesslich festgestellt, dass sich keine neue medienethische Grundsatzfrage stellt,dass die bisherige Praxis eine ausreichend klare Antwort auf diese Frage gibt:
– Wo sich die Kritik nicht primär gegen die Institution insgesamt richtet, sondern spezifisch gegen eine einzelne Person innerhalb des Betriebs und diese auch identifizierbar wird, hat sie im Falle von schweren Vorwürfen selber ein Recht auf persönliche Anhörung (Stellungnahmen 12/2014, 24/2005). Die neuere Stellungnahme 39/2024 bekräftigt dies erneut nachdrücklich. Journalisten, Journalistinnen müssen sich in einem derartigen Fall um eine Stellungnahme der direkt betroffenen Person bemühen, wohl wissend, dass dies in diversen Fällen vom Arbeitgeber nicht zugelassen wird. Wenn dem schliesslich so ist, wird man sich mit den Ausführungen der Firma oder der Amtsstelle bzw. Medienstelle begnügen, mit dem Hinweis, dass die betroffene Person nicht selber Auskunft geben durfte oder wollte.
– Der wegleitende Entscheid 24/2005 besagt weiter, dass es im Ermessen einer Firma liege, wen sie zur Abgabe einer Stellungnahme anbiete. Dies gilt vor allem für Fälle, in welchen sich die Kritik primär auf die Firma, den Betrieb insgesamt bezieht und nicht auf eine spezifische Person.
– Es ist aber auch denkbar, dass die Stellungnahme einer beschuldigten Person über die Firma kommuniziert wird, insbesondere, wenn die kritisierte Person dies selber wünscht.
Zusammenfassend: Angesichts der vom Beschwerdeführer angestrengten gerichtlichen Verfahren kann der Presserat nicht auf die Beschwerde eintreten (Geschäftsreglement Art.11 Abs 1). Eine allfällige Ausnahme aufgrund einer sich stellenden medienethischen Grundsatzfrage (Geschäftsreglement Art. 11 Abs. 2) liegt nicht vor.
III. Feststellung
Der Presserat tritt auf die Beschwerde gegen «Der Landbote» und dessen Artikel «Mitarbeiter kritisieren KVA-Führung» vom 18. Oktober 2023 nicht ein.