I. Sachverhalt
A. Am 9. September 2009 vermeldete die Druckausgabe des «Tages-Anzeiger» unter dem Titel «Rozsa beleidigt Polizisten: Strafe», der Pressefotograf Klaus Rózsa sei «zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er einen Polizisten als ‹Nazi›» betitelt habe.
Anlässlich der Ausschreitungen vom 4. Juli 2008 bei der Besetzung des leer stehenden Hardturmstadions sei Rózsa einmal mehr «mittendrin» gewesen. Die Polizei habe versucht, die Menge vor dem Tor des Stadions zurückzudrängen, doch der Fotograf habe sich geweigert und «darauf beharrt, bleiben zu dürfen, weil er Journalist sei». Die Polizei habe ihn daraufhin verhaftet. Der 54-jährige Fotograf habe sich «heftig gewehrt». «Als er überwältigt war, spuckte Rozsa einem Beamten ans Bein und sagte, er ‹sei ein absoluter Nazi, genau gleich schlimm›.» Der Polizist habe daraufhin Klage wegen Ehrverletzung und Beschimpfung eingereicht. Der Angeschuldigte habe alles bestritten. «Dieser Darstellung glaubte die Einzelrichterin am Bezirksgericht Zürich nicht (…). Es sei nur schwer vorstellbar, dass Rozsa die Verhaftung ruhig über sich ergehen liess. Seine eigenen Schilderungen zeigten im Gegenteil, dass er ausgesprochen erbost gewesen sei.» Die Richterin habe den Fotografen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 30 Franken verurteilt.
B. Gleichentags veröffentlichte die Redaktion Newsnetz denselben Bericht auch online, auf «tagesanzeiger.ch». Geändert wurden einzig Titel und Lead. Diese lauten hier: «‹Absoluter Nazi›: Fotograf Rozsa verurteilt» (Titel) und «Der Pressefotograf Klaus Rozsa ist zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Er hatte einen Polizisten beleidigt» (Lead).
C. Am Nachmittag desselben Tages setzte sich der anwaltlich vertretene Klaus Rózsa mit dem Rechtsdienst von Tamedia in Verbindung und verlangte per E-Mail eine Berichtigung des in der Printausgabe erschienenen Artikels, der gegen die Unschuldsvermutung verstosse und verschiedene unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalte.
D. Spätnachmittags veröffentlichte die Onlineausgabe des «Tages-Anzeiger» eine korrigierte Version des Berichts mit dem neuen Titel «Fotograf Rozsa verurteilt». Der Lead lautete nun: «Fotograf Klaus Rozsa ist zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt worden. Er habe einen Polizisten beleidigt.» Die Meldung enthält zudem neu den Schlusssatz «Rozsa hat gegen das Urteil Berufung erhoben.» Korrigiert wurde weiter die Höhe der bedingten Geldstrafe (bloss 21 Tagessätze und nicht 120 Tagessätze à 30 Franken), auf die das erstinstanzliche Urteil lautet.
E. Am 10. September 2010 vermeldete auch die Printausgabe des «Tages-Anzeiger»: «Fotograf Rozsa zieht das Urteil weiter» und korrigierte die Höhe der Geldbusse. Zudem fügte die Redaktion folgenden Abschnitt hinzu: «Rozsa hat Erfahrung mit Rechtsverfahren gegen die Polizei: Beide Seiten haben sich schon mehrere Male gegenseitig angezeigt. Die Bilanz ist laut Rozsa für die Polizei unangenehm. Siebenmal wurden Beamte verurteilt, er selber noch nie.»
F. Am 8. Januar 2010 gelangte der wiederum anwaltlich vertretene Klaus Rózsa mit einer Beschwerde gegen «tagesanzeiger.ch» an den Presserat. Die Fehler in der Printausgabe erachte der Beschwerdeführer mit dem am 10. September veröffentlichten Nachzieher als erledigt. Dies gelte hingegen nicht für die Online-Berichterstattung. Zwar habe die Tamedia die erste Onlinefassung vom Netz genommen und durch eine korrigierte Version ersetzt. Der Titel «‹Absoluter Nazi›: Fotograf Rozsa verurteilt» und der Lead «Der Pressefotograf Klaus Rozsa ist zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Er hatte einen Polizisten beleidigt» seien aber nach wie vor auf der Website der Tamedia und zudem hundertfach im Web zu finden. Dies zeige eine Suchanfrage bei Google mit den Stichworten «absoluter Nazi» und «Rozsa».
Der Titel erwecke den unzutreffenden Eindruck, Rózsa sei ein absoluter Nationalsozialist und deswegen verurteilt worden. Dies habe Tamedia nie angemessen korrigiert. Wer den Lauftext des Berichts gelesen habe, sei zwar bezüglich des Nazivorwurfs aufgeklärt, nicht aber im Hinblick auf die Unschuldsvermutung. Denn es sei nirgends erwähnt, dass das Urteil erstinstanzlich ergangen und noch nicht rechtskräftig ist. Die Aufschaltung des korrigierten Berichts sei an keiner Stelle als Richtigstellung erkennbar und nehme weder auf den Print- noch auf den ursprünglichen Online-Artikel Bezug. Hinzu komme, dass parallel dazu immer noch folgende Meldung in den Kurznews auf dem Zürcher Teil der Website aufgeschaltet gewesen sei: «‹Absoluter Nazi›: Fotograf Rozsa verurteilt. Der Pressefotograf Klaus Rozsa ist zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Er hatte einen Polizisten beleidigt.»
Mit der beanstandeten Berichterstattung habe «tagesanzeiger.ch» die Ziffern 3 (Entstellung von Informationen), 5 (Berichtigung) und 7 (Richtlinie 7.5 – Unschuldsvermutung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
G. Die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene Redaktion von «Tages-Anzeiger Online» wies die Beschwerde am 25. Januar 2010 als unbegründet zurück. Der Titel «Absoluter Nazi» stehe in Anführungszeichen, wodurch klar werde, dass dies von jemandem gesagt wurde. Die Leserschaft sehe den Beschwerdeführer aufgrund des Titels keineswegs als «absoluten Nazi». Sämtliche Beanstandungen des Beschwerdeführers seien zudem unverzüglich verbessert worden. Weder nach den Richtlinien noch nach der Praxis des Presserates müsse ein korrigierter Artikel ausdrücklich als «Berichtigung» gekennzeichnet werden. Schliesslich führe der beanstandete Titel nicht zu einer Vorverurteilung. Es sei unbestritten, dass der Beschwerdeführer verurteilt wurde, auch wenn dies «nur» erstinstanzlich war. Zudem habe die Redaktion in der korrigierten Fassung darauf hingewiesen, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig war. An der Feststellung einer Verletzung der Unschuldsvermutung im Sinne der Richtlinie 7.5 bestehe deshalb kein Interesse mehr.
H. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin an sowie Andrea Fiedler, Claudia Landolt Starck, Peter Liatowitsch, und Max Trossmann. Daniel Suter, ehemaliger Redaktor des «Tages-Anzeiger» trat von sich aus in den Ausstand.
I. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 6. Mai 2010 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. a) Gemäss der Richtlinie 7.5 zur «Erklärung» ist bei der Gerichtsberichterstattung der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen. Im Vordergrund steht dabei der Schutz der Persönlichkeit des/der von einer Medienberichterstattung Betroffenen. Entsprechend verlangt der Presserat in seiner Praxis zur Richtlinie 7.5 (vgl. dazu die Stellungnahme 21/2007), dass bei der Erwähnung eines Strafverfahrens oder einer strafrechtlichen Verurteilung in einem Medienbericht nicht vorverurteilend zu Unrecht bereits eine (rechtskräftige) Verurteilung unterstellt wird.
b) Der beanstandete Bericht von «tagesanzeiger.ch» wird in seiner ersten Fassung diesen Anforderungen nicht gerecht, als er nicht erwähnt, dass der Beschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt bloss erstinstanzlich verurteilt war und er das Urteil an das Obergericht weiterziehen konnte – was er dann auch tat. Zwar ergänzte «Tages-Anzeiger Online» die Meldung noch am gleichen Tag entsprechend («Rozsa hat gegen das Urteil Berufung erhoben»). So positiv die unverzügliche Korrektur auch zu werten ist; gemäss der Praxis des Presserats heilt eine Berichtigung die vorangegangene Verletzung einer berufsethischen Bestimmung nicht (Stellungnahme 60/2009). Insoweit heisst der Presserat die Beschwerde deshalb gut.
2. Ist der Titel der ersten Fassung des Online-Artikels – «‹Absoluter Nazi›: Fotograf Rozsa verurteilt» – als Entstellung von Informationen zu werten bzw. erweckt dieser den unzutreffenden Eindruck, der Beschwerdeführer sei ein «absoluter Nationalsozialist»? Auch wenn der Presserat den Ärger von Klaus Rózsa über die unglückliche Verkürzung nachvollziehen kann, verneint er eine Entstellung von Informationen. Da der Ausdruck «Absoluter Nazi» als Zitat gekennzeichnet ist, liegt es selbst bei isolierter Betrachtung des Titels näher, den Ausdruck als Äusserung und nicht als Qualifikation des Beschwerdeführers zu begreifen. Zudem macht bereits der Lead klar, dass es um die Beleidigung eines Polizisten geht. Ist eine Entstellung von Informationen in Bezug auf den beanstandeten Titel zu verneinen, war «tages-anzeiger.ch» auch nicht verpflichtet, eine Berichtigung zu veröffentlichen.
3. Die Beschwerde beanstandet weiter, die von «tagesanzeiger.ch» veröffentlichte berichtigte Fassung des Berichts über den Beschwerdeführer sei nicht als Richtigstellung erkennbar und nehme weder auf den Print- noch auf den ursprünglichen Online-Artikel Bezug. Der Presserat empfiehlt den Medienredaktionen, offensiv zu Fehlern zu stehen und mit Beanstandungen grosszügig umzugehen. Ebenso wird die Glaubwürdigkeit der Medien gestärkt, wenn Fehler transparent gemacht werden und Berichtigungen als solche kenntlich sind. Trotzdem ist eine Verletzung der Ziffer 5 der «Erklärung» auch unter diesem Gesichtspunkt zu verneinen. Denn gemäss der Praxis des Presserates kann aus dieser Bestimmung keine Verpflichtung abgeleitet werden, in welcher Form und mit welcher Bezeichnung eine Berichtigung zu veröffentlichen ist (vgl. die Stellungnahmen 13/2005 und 50/2008).
4. a) Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus geltend macht, dass der beanstandete Titel «‹Absoluter Nazi›: Fotograf Rozsa verurteilt» auch nach Veröffentlichung der korrigierten Fassung sowohl in den Kurznews von «Tages-Anzeiger Online» als hundertfach im Web zu finden sei, spricht er ein wichtiges Problem an, für welches der Presserat auch keine Patentlösung zur Hand hat.
Es gehört zu den unerfreulichen Begleiterscheinungen der digitalen Verbreitung von Informationen über das Internet, dass einmal verbreitete Meldungen ungeachtet ihres Wahrheitsgehalts unter Umständen noch Jahre später auffindbar sind, selbst wenn die ursprüngliche Quelle sie längst geändert und/oder gelöscht hat. Umso wichtiger ist es deshalb, dass Medienredaktionen bei der Bearbeitung und Veröffentlichung von Informationen höchste Sorgfalt anwenden. Der Presserat hat zudem bereits in der Stellungnahme 46/2001 festgehalten, dass Gegendarstellungen und Berichtigungen von Berichten, die auch online publiziert worden waren, ebenfalls online zu veröffentlichen und mit dem Ursprungsartikel zu verknüpfen sind.
b) Im Fall des Beschwerdeführers ist immerhin festzustellen, dass sich bei einer Wiederholung der Google-Recherche mit den Suchworten «Rozsa» und «absoluter Nazi» rund neun Monate nach Veröffentlichung des beanstandeten Berichts die Zahl der Fundstellen deutlich verringert hat – von über hundert auf etwas mehr als zehn. Zudem wird bei den allermeisten Fundstellen bereits aus dem Anriss ersichtlich, dass es um den gegenüber dem Beschwerdeführer erhobenen Vorwurf geht, einen Polizisten beleidigt zu haben.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Mit der Veröffentlichung des Artikels: «‹Absoluter Nazi›: Fotograf Rozsa verurteilt» vom 9. September 2009 hat die Online-Ausgabe des «Tages-Anzeiger» die Ziffer 7.5 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Unschuldsvermutung) verletzt. Der Text hätte darauf hinweisen müssen, dass es sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung um eine weiterziehbare, nicht rechtskräftige Verurteilung handelte.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen. Die Online-Ausgabe des «Tages-Anzeiger» hat die Ziffern 3 (Entstellung von Informationen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung» nicht verletzt.