Nr. 20/2021
Wahrheit / Quellenbearbeitung / Berichtigung

(X. c. «Tages-Anzeiger» und «20 Minuten»)

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I. Sachverhalt

A. Am 26. August 2020 veröffentlichten der «Tages-Anzeiger» (TA) online und «20 Minuten» (Print und online) je einen gleichlautenden Artikel von Thomas Mathis zur bevorstehenden Abstimmung über den Stadionneubau in Zürichs Westen. Titel: «Kritik von über hundert Schülern: Stadiongegner instrumentalisieren Klimastreik-Bewegung». Der Autor berichtet darin zunächst darüber, dass die Stadiongegner eben ihre Kampagne eröffnet hätten. Sie wünschten eine soziale und klimafreundliche Entwicklung des für das Stadion vorgesehenen Areals. Er berichtet dann über eine Entwicklung auf der Gegenseite: Die Befürworter des Stadionbaus störten sich daran, dass die Gegner den Eindruck zu erwecken versuchten, die Zürcher Klimastreik-Bewegung stehe hinter ihnen, wende sich also gegen das Stadionprojekt. Dem sei nicht so, im Gegenteil gebe es viele Klimastreikende, die sich für das Stadion einsetzten, erkläre ein 19-jähriger Jonathan, der sich selber als Klimastreikender bezeichne. So hätten sich inzwischen über hundert junge Menschen aus fast dreissig Schulen in und um Zürich in einem Komitee «Future for Stadion» zusammengefunden, die sich dagegen wehrten, dass man ökologische Argumente für eine Kampagne gegen den Fussball missbrauche. Das schade auch der grünen Bewegung. Dies wiederum, so der Artikel, sehe die «IG Freiräume», die Stadiongegnerin, anders: Man instrumentalisiere die Klimastreik-Bewegung nicht, man unterstütze nur die gleichen Anliegen. Die Argumente gegen das Stadion seien dieselben wie diejenigen der Klimastreikenden allgemein. Man sei deswegen auf einzelne Klimastreikende zugegangen, zwei «hätten zugesagt». Bei der Bewegung Klimastreik wiederum heisse es, man werde keine Abstimmungsparole herausgeben. Einzelne AktivistInnen engagierten sich im Abstimmungskampf, sie agierten aber als Einzelpersonen. Der Artikel fährt fort mit dem Hinweis, einer der beiden Klimastreikenden, die der IG Freiräume «zugesagt haben», heisse Dominik Waser.

B. Am 30. Oktober 2020 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Der Beschwerdeführer (BF) macht geltend, die Artikel verletzten die Ziffern 1, 3 und 5 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») sowie insbesondere die zur «Erklärung» gehörenden Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche) und 3.1 (Quellenbearbeitung).

Er macht geltend, der im Artikel genannte Jugendliche Jonathan, der die Instrumentalisierung der Klimastreik-Bewegung durch die Stadiongegner anprangere, sei selber – entgegen der Angabe im Artikel – kein Mitglied der Klimabewegung, sondern ein «engagierter Fan vom Grasshoppers Club Zürich». Dieser habe sich geweigert, ihm die Liste seiner angeblich hundert Mitstreiter zu zeigen, damit sei es auch unmöglich zu verifizieren, ob es diese Leute und das angebliche Komitee «Future for Stadion» überhaupt gebe. Der betreffende Jugendliche habe ihm nur gesagt, dass dieses Komitee neben der Veröffentlichung der beschriebenen Stellungnahme keine weiteren Aktivitäten plane.

Der BF gibt entgegen der Bestimmung im Geschäftsreglement (Art. 9) nicht an, welche Textstelle gegen welche Bestimmung der «Erklärung» oder der Richtlinien dazu verstosse. Er sagt nur, er sehe in der Darstellung von «Tages-Anzeiger» und «20 Minuten» «gravierende Fehler» (wohl gemeint: Verstoss gegen die Ziffer 1 der «Erklärung» und Richtlinie 1.1: Wahrheitssuche), und die Angaben darin seien nicht verifiziert worden (gemeint, vermutlich, Verstoss gegen Ziffer 3 der «Erklärung»). Damit sei der damals laufende Abstimmungskampf – möglicherweise entscheidend – beeinflusst worden. Der BF habe sich darum bemüht, dass «Tages-Anzeiger» und «20 Minuten» die Falschinformationen löschten oder korrigierten. Dies sei aber nicht erfolgt (gemeint, vermutlich: Verstoss gegen Ziffer 5 der «Erklärung»). Nur der «Tages-Anzeiger» habe schliesslich nach 24 Stunden reagiert und den Artikel vom Newsnet gelöscht, in der Schweizer Mediendatenbank sei er weiterhin abrufbar. Und der BF verlangt, dass «Tages-Anzeiger» und «20 Minuten» den jeweiligen Artikel löschen und eine Berichtigung anbringen.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 14. Dezember 2020 beantragte die Rechtsabteilung der TX Group (Beschwerdegegnerin, BG), zu welcher «20 Minuten» und der «Tages-Anzeiger» gehören, auf die Beschwerde nicht einzutreten. Eventualiter sei sie abzuweisen.

Den Antrag auf Nichteintreten begründet die BG bezüglich des Artikels im TA damit, dass sie bereits Korrekturmassnahmen ergriffen habe, weshalb gemäss Art. 11 des Geschäftsreglements nicht weiter auf die Beschwerde einzugehen sei. Auf «tagesanzeiger.ch» sei der Artikel innert 24 Stunden gelöscht worden, er sei auch auf der Mediendatenbank SMD nicht mehr abrufbar.

Hinsichtlich «20 Minuten» bestehe der Nichteintretensgrund darin, dass fünf Tage nach Erscheinen des Artikels ein Interview mit einer Vertreterin der Klimastreik-Bewegung publiziert worden sei, in welchem die Frage der Zugehörigkeiten kritisch beleuchtet worden sei. Zudem sei eine Passage an den Artikel hinzugefügt worden, in welchem Dominik Waser, einer der Klimastreikenden, die sich der Opposition gegen das Stadion angeschlossen haben, erklären konnte, er sei nicht instrumentalisiert worden, sondern habe sich aus freien Stücken der Stadion-Opposition angeschlossen.
Inhaltlich bestreitet die BG den Vorwurf, die Fakten nicht verifiziert zu haben mit dem Hinweis, der Autor habe die Existenz des Komitees «Future for Stadion» sehr wohl überprüft. Man habe sich dessen Mitgliederliste beschafft und stichprobenartig überprüft, ob ein Unterzeichner effektiv die Ziele der Gruppe unterstütze. Das sei der Fall gewesen.

Der Kritik des BF, wonach der im Artikel zitierte Jonathan gar kein Klimastreikender sei, sondern ein GC-Fan, entgegnet die BG, dieses Argument sei unverständlich, man könne sehr wohl in irgendeiner Form der Klimastreik-Bewegung angehören und gleichzeitig GC-Fan sein.

Dass der «Tages-Anzeiger» oder «20 Minuten» wie behauptet mit diesem Artikel die Abstimmung beeinflusst haben könnte, wird als aus der Luft gegriffen bestritten. Weder sei etwas Falsches veröffentlicht worden noch gebe es irgendwelche Anzeichen dafür, dass der Artikel einen Einfluss auf das Abstimmungsverhalten gehabt habe. «Tages-Anzeiger» und «20 Minuten» hätten zusammen insgesamt über 50 Artikel zu diesem Thema veröffentlicht, einer davon habe übrigens den Beschwerdeführer porträtiert, den Korrespondenten des welschen Fernsehens, das prominenteste Gesicht im Vorstand der Bürgerbewegung «IG Freiräume».

D. Am 21. August 2020 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg sowie den Vizepräsidenten Casper Selg und Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 12. April 2021 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein. Mindestens der Artikel von «20 Minuten» ist weiterhin abrufbar. Dass fünf Tage später ein ergänzendes Interview mit einer anderen Sicht publiziert wird, enthebt die Redaktion nicht einer allfälligen Verpflichtung zur Berichtigung. Und dass zu einem unbekannten späteren Zeitpunkt («nach mehreren Gesprächen mit Exponenten der Klimabewegung») eine Passage an den Text angefügt wird, ergänzt zwar den Inhalt, kommt aber nicht einer erfolgten «Korrektur oder Entschuldigung» gleich «in einer Sache von geringer Relevanz», wie sie das Geschäftsreglement des Presserats in Art. 11 umschreibt.

2. Einen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung», Richtlinie 1.1) kann der Presserat nicht erkennen. Dass jemand Fan des Grasshopper Clubs ist, schliesst vernünftigerweise nicht aus, dass er den Klimastreik – in welcher Form auch immer – unterstützt (… «kein Mitglied der Klimabewegung, sondern ein engagierter Fan vom Grasshoppers Club Zürich»). Um ein «Mitglied der Klimabewegung» zu sein, reicht die Solidarisierung in irgendeiner Form mit deren Zielen, um zur Klimastreik-Bewegung zu gehören, reicht es, am betreffenden Tag nicht am Unterricht teilgenommen zu haben, egal, welchen Interessen man sonst noch nachgeht. Wenn das Komitee «Future for Stadion» – weiter – dem BF die Liste der Unterzeichner nicht herausgibt, ist damit dessen Existenz nicht unverifizierbar, wie der BF voraussetzt. Die Darstellung der BG, wonach man aufgrund der Mitgliederliste eine kursorische Prüfung vorgenommen habe, erscheint dem Presserat glaubwürdig. Jedenfalls ist auch hier kein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht glaubhaft gemacht worden.

3. Ebenso kann der Presserat keinen Verstoss erkennen, was den Umgang mit Quellen angeht (Ziffer 3 der «Erklärung»). Auch hier gilt: Anders als der BF angenommen hat, wurde die Existenz des Komitees offenbar überprüft.

4. Angesichts der Tatsache, dass kein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht zu erkennen ist, entfällt auch eine Verpflichtung zur Berichtigung (Ziffer 5 der «Erklärung»).

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Der «Tages-Anzeiger» und «20 Minuten» haben mit dem Artikel «Kritik von über hundert Schülern: Stadiongegner instrumentalisieren Klimastreik-Bewegung» die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Umgang mit Quellen) und 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.