Nr. 16/2021
Wahrheit

(X. c. «Inside Paradeplatz»)

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I. Sachverhalt

A. Am 1. Juli 2020 veröffentlichte das Finanzportal «Inside Paradeplatz» einen Artikel mit dem Titel «Bern plant still und leise Covid-Impfzwang». Der Lead lautete «Bundesrat will in seinem neuen Corona-Gesetz ‹Impfungen für obligatorisch erklären›. In den Medien herrscht Schweigen.» Vor lauter Zweite-Welle-Alarmismus sei eine der weitreichendsten Massnahmen, welche eine Schweizer Regierung seit Kriegszeiten einführen wolle, praktisch untergegangen, nämlich der Zwang zum Impfen. Dieser finde sich in der «Vernehmlassung zum Covid-19-Gesetz», die der Bundesrat am 19. Juni 2020 gestartet habe. Der Bundesrat könne als Massnahme gegenüber der Bevölkerung und nach Anhörung der Kantone in Bezug auf Covid-19 das Folgende befehlen: «Ärztinnen, Ärzte und weitere Gesundheitsfachpersonen verpflichten, bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten mitzuwirken; Impfungen für obligatorisch erklären.» Das heisse, der Bundesrat könne die ganze Bevölkerung zwingen, sich impfen zu lassen. Die Stille in der Medienlandschaft angesichts dieses Vorhabens sei erstaunlich.

B. Am 2. Juli 2020 erhob X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Bericht von «Inside Paradeplatz». Er bringt vor, es werde im Artikel fälschlicherweise behauptet, dass mit dem Covid-19-Gesetz, welches aktuell in der Vernehmlassung sei, ein Impfzwang eingeführt werde. Dem sei nicht so, was einfach verifizierbar sei, wenn man den Gesetzestext durchlese. Die Falschinformation, dass ein Impfzwang eingeführt werde, entstehe durch eine falsche Interpretation der Informationen, welche im erläuternden Bericht zum Covid-19-Gesetz aufgeführt würden. In diesem Bericht stünde auf Seite 9 und 10:

«In einer besonderen Lage nach Artikel 6 EpG kann der Bundesrat nach Anhörung der Kantone in Bezug auf Covid-19 folgende Massnahmen anordnen: (…), Impfungen für obligatorisch erklären.»
Dieser Absatz beziehe sich auf das seit 2012 bereits bestehende Epidemie-Gesetz (EpG) und nicht auf das neue Covid-19-Gesetz. Der Beschwerdeführer sieht damit die Ziffern 1 (Wahrheitssuche) und 3 (Quellenbearbeitung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten», nachfolgend «Erklärung», verletzt, da die Aussagen von «Inside Paradeplatz» nicht stimmen würden und eine Quelle entstellt oder falsch dargestellt worden sei.

C. Am 21. August 2020 nahm Lukas Hässig von «Inside Paradeplatz» zur Beschwerde von X. Stellung. Der Artikel stütze sich auf den erläuternden Bericht des Bundesrats zum Covid-19-Gesetz. Auf Seite 10 stehe unter der Überschrift «Art. 2 Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie» unter anderem, wie vom Beschwerdeführer korrekt ausgeführt, der Satz «Impfungen für obligatorisch erklären». Die Juristen und Gesundheitsspezialisten des Bundes hätten somit in ihrem entscheidenden Bericht ein Covid-Impfobligatorium als eine von mehreren Schutzmassnahmen aufgeführt. Sie hätten dies ohne Einschränkung getätigt und nicht geschrieben «Impfungen für gewisse Berufsgruppen für obligatorisch erklären» oder «Impfungen für Risikogruppen wie Menschen mit gewissen Vorerkrankungen oder über 80 für obligatorisch erklären». Es sei davon auszugehen, dass sie dies mit Absicht und aus einer Überlegung heraus getan hätten, denn in Art. 6 Abs. 2 Bst. d EpG stehe, der Bundesrat könne «Impfungen bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären». Der Bundesrat habe es sich leicht gemacht und den ganzen Passus des EpG im Bericht nicht wiederholt. Bei den anderen Massnahmen seien keine solchen Verkürzungen vorgekommen.

Hässig erklärt weiter, im erläuternden Bericht auf Seite 8 unter «1.6 Umsetzung» der einleitenden Ausführungen halte die Regierung fest, dass das neue Gesetz dem Bundesrat die Möglichkeit gebe, die bisherigen Anordnungen umzugestalten, anzupassen oder abzuschwächen, es gebe ihm aber keine Ermächtigung dafür, neue und andersartige Massnahmen zu ergreifen. Die im EpG aufgeführten Massnahmen könnten also angepasst und umgestaltet werden, darunter auch die Impfpflicht. Eine Ausweitung auf viele weitere Bevölkerungsgruppen wäre erlaubt. Wenn der erläuternde Bericht des Bundesrats vom 19. Juni 2020 tatsächlich keinen Impfzwang beinhaltet habe, dann hätten dies sehr viele Interessierte anders interpretiert.

D. Am 8. September 2020 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg und den Vizepräsidenten Casper Selg und Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 12. April 2021 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten. Sie lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren. Der Beschwerdeführer erklärt richtig, dass der Absatz, auf den sich «Inside Paradeplatz» bezieht, nicht auf dem neuen Covid-19-Gesetz gründe, sondern sich auf den bereits bestehenden Art. 6 EpG stütze, der in Abs. 2 Bst. d darlegt, dass der Bundesrat nach Anhörung der Kantone Impfungen bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären könne. Dass «Inside Paradeplatz» im Artikel nicht klarstellt, dass diese Ausführungen nicht dem neuen Covid-19-Gesetz entstammen, sondern dem bereits bestehenden Art. 6 EpG, kann als Fehler gewertet werden. Der erläuternde Bericht zum neuen Covid-19-Gesetz bezüglich Impfobligatorium hat jedoch offenbar auch in der breiteren Bevölkerung für Verwirrung gesorgt: Die am 12. August 2020 erschienene Botschaft des Bundesrats hielt zum Thema Impfzwang fest: «Abschliessend seien die zahlreichen Privatpersonen erwähnt, die sich in der Vernehmlassung vehement gegen einen Impfzwang aussprachen, veranlasst durch den erläuternden Bericht, der die Möglichkeit erwähnt, Impfungen für obligatorisch zu erklären Der Bundesrat möchte dazu Folgendes klarstellen: Die Möglichkeit, ein Impfobligatorium anzuordnen bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben (z. B. Arbeit auf bestimmten Abteilungen in Spitälern oder in Heimen) ergibt sich aus dem geltenden Epidemiengesetz (Art. 6 Abs. 2 Bst. d EpG). Das vorgesehene Covid-19-Gesetz enthält keine diesbezügliche Grundlage. Ein Impfobligatorium bedeutet nicht das Gleiche wie ein Impfzwang. Weder besteht eine gesetzliche Grundlage, gestützt auf die jemand unter Zwang geimpft werden könnte, noch ist eine solche im Covid-19-Gesetz oder in einem anderen Erlass vorgesehen.»

Der Schweizer Presserat sieht zwar weder Ziffer 1 noch Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt, hätte jedoch von «Inside Paradeplatz» erwartet, bei solch brisanten Themen eine besondere Sorgfalt walten zu lassen. Diese hat im vorliegenden Artikel gefehlt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. «Inside Paradeplatz» hat mit dem Artikel «Bern plant still und leise Covid-Impfzwang» vom 1. Juli 2020 die Ziffern 1 (Wahrheitssuche) und 3 (Quellenbearbeitung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.