I. Sachverhalt
A. Am 14. Juli 2009 veröffentlichte die «Basler Zeitung» den Artikel «‹Street View› erhitzt die Gemüter. Datenschützer Hanspeter Thür wird von Berufskollegen wegen laschen Vorgehens kritisiert» von Fabian Vetsch und Samuel Mattli. Zwar setze Google bei «Street View» mittlerweile eine Software ein, die Gesichter und Autonummern automatisch unkenntlich macht, bevor die Bilder ins Internet gestellt werden. Der Vereinigung der Schweizer Datenschutzbeauftragten (Privatim) reichten diese Anonymisierungsmassnahmen aber nicht aus. Laut Privatim verstiessen die Bildaufnahmen für Google «Street View» gegen das schweizerische Datenschutzrecht. «Die kantonalen Datenschutzbeauftragten haben jedoch nur wenig zu sagen, denn die Beurteilung der ‹Causa Street View› obliegt dem Bund, und damit dem Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten Hanspeter Thür – dieser sah im Vorgehen von Google am Anfang kein Problem. Erst auf Druck der kantonalen Datenschützer habe Thür im Nachhinein zusätzliche Datenschutzforderungen an Google gerichtet, betont Bruno Baeriswyl, der Präsident von Privatim.»
Neben der Anonymisierung von Gesichtern und Autokennzeichen solle Google nun auch im Voraus informieren, wann und wo die Kamerafahrten stattfinden und die Rohaufnahmen müssten nach erfolgter Anonymisierung gelöscht werden. Thür wird dazu wie folgt zitiert: «Ich konzentriere mich lieber auf die wichtigen Punkte und setze diese knallhart durch.» Für seine Forderungen lägen Thür allerdings erst «verbindliche schriftliche Zusagen» von Google vor. Auf die Frage der Zeitung, weshalb die rechtlichen Rahmenbedingungen für die bereits laufenden Kamerafahrten nicht vor deren Beginn festgelegt wurden, erwidert Thür, bevor die Daten ins Internet gestellt werden, sei ja noch gar nichts passiert. Dem widerspreche Baeriswyl, für den bereits die Aufnahmen unrechtmässig seien. Dieser kritisiere das Vorgehen von Thür zudem generell: Dessen Verhalten erwecke «den Eindruck, dass die Interessen von Google über die Rechte der Bürgerinnen und Bürger gestellt werden».
B. Nach seiner Rückkehr aus den Ferien kontaktierte der Eidgenässische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB), Hanspeter Thür, am 13. August 2009 die «Basler Zeitung» und verlangte, sich zu den von Bruno Baeriswyl im Bericht vom 14. Juli 2009 erhobenen Vorwürfen zu äussern. Diese seien ihm vor der Publikation nicht zur Stellungnahme unterbreitet worden. Er schlug der Zeitung vor, eine von ihm bereits verfasste Klarstellung zu veröffentlichen, sobald Google mit «Street View» in der Schweiz online gehe.
C. Am 19. August vermeldete die «Basler Zeitung», Google habe seinen Dienst «Street View» um einige Schweizer Städte erweitert. Neben dem Hauptartikel von Fabian Vetsch und Samuel Mattli («‹Street View›»-Debatte geht weiter. Google hat seinen umstrittenen Online-Stadtrundgang auch in der Schweiz lanciert») und einem Kommentar von Timm Eugster («Google hat uns im Griff»; «Es ist unverständlich, dass der eidgenössische Datenschützer nicht mir härteren Auflagen reagiert») veröffentlichte die Zeitung auch ein Interview von Renato Beck mit Hanspeter Thür («Alles passiert im öffentlichen Raum. Der eidgenössische Datenschützer verteidigt den Dienst ‹Street View›»).
D. Am 26. August 2009 berichtete Fabian Vetsch in der «Basler Zeitung» erneut über das Thema. Der «oberste Datenschützer Hanspeter Thür» korrigiere sein bisheriges Zögern: «Er setzt Google wegen ‹Street View› ein Ultimatum.» Der Titel des Berichts lautet: «Getrübter Blick auf Googles ‹Street View›. Die Kritik am neuen Onlineangebot entwickelt sich immer mehr zur Datenschutzposse». Google und Thür hätten sich darauf geeinigt, dass Google innert Wochenfrist Verbesserungen in Bezug auf den Schutz der Privatsphäre anbringe und bis dahin keine neuen Gebiete im Internet zugänglich mache. «Thürs Einschreiten ist allerdings weniger ein rigoroses Durchgreifen als eine verspätete Korrekturmassnahme. (…) Während kantonale Datenschützer und verschiedene Medien – darunter auch die BaZ – längst auf mögliche Ungereimtheiten von ‹Street View› mit den geltenden Datenschutzrichtlinien hingewiesen hatten, verhielt sich Hanspeter Thür lange seltsam passiv und verliess sich bei strittigen Punkten offenbar eher leichtfertig auf ‹verbindliche Zusagen› des Internetkonzerns. Laut Informationen aus Datenschützerkreisen hatte Google gar nie konkrete Forderungen erhalten. Weder Google noch Hanspeter Thür waren gestern diesbezüglich für eine Stellungnahme zu erreichen.»
E. Am 31. August 2009 beschwerte sich Hanspeter Thür per E-Mail bei der Chefredaktion der «Basler Zeitung», im Bericht vom 26. August 2009 seien erneut nicht auf Fakten beruhende Vorwürfe erhoben worden, zu denen er wiederum nicht habe Stellung nehmen können. Seine Nachforschungen hätten ergeben, dass am Dienstag, 25. August 2009, weder im Sekretariat in Bern, noch auf seinen beiden Nummern in Bern und Aarau ein Anruf eines BaZ-Redaktors verzeichnet sei. Er sei am betreffenden Nachmittag bis am Abend um 21.00 Uhr zahlreichen Journalisten zur Verfügung gestanden, was der Medienberichterstattung unschwer entnommen werden könne. Fabian Vetsch habe zwar am Montag, 24. August 2009, versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Nachdem er am Dienstagmittag eine Medienmitteilung zum aktuellen Stand i.S. Google «Street View» veröffentlicht hatte, sei er jedoch davon ausgegangen, das Telefon habe sich erledigt.
F. In seiner Antwort-Mail vom 2. September 2009 erinnerte der stellvertretende Chefredaktor der «Basler Zeitung», Urs Buess, Hanspeter Thür daran, er habe sich Mitte August bei ihm telefonisch über den Artikel von Mitte Juli beschwert und damals verlangt, dass nicht mehr die beiden BaZ-Mitarbeiter Mattli und Vetsch über das Thema «Street View»/Datenschutz berichten sollten. Er (Thür) würde jedenfalls nicht mehr mit ihnen reden. Wenn Thür derart das Gespräch verweigere, solle er sich nachher nicht beklagen, wenn die beiden schrieben, er sei für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
G. Gleichentags erwiderte Hanspeter Thür, es sei nicht richtig, dass er sich Herrn Vetsch verweigert habe. Es wäre an diesem gelegen, sich erneut an ihn zu wenden, wenn nach der Veröffentlichung der Medienmitteilung vom 25. August noch Fragen offengeblieben sein sollten.
H. Am 21. September 2009 gelangte Hanspeter Thür mit einer Beschwerde gegen die «Basler Zeitung» an den Presserat. Die Veröffentlichung des Berichts vom 26. August 2009 verstosse gegen die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Anhörung bei schweren Vorwürfen). Der Vorwurf, er habe sich seltsam passiv verhalten und habe sich bei «strittigen Punkten offenbar leichtfertig auf ‹verbindliche Zusagen› des Internetkonzerns verlassen, obwohl kantonale Datenschützer längst auf mögliche rechtliche Ungereimtheiten von ‹Street View› hingewiesen hätten», wiege schwer und widerspreche den Fakten. Er habe Google vielmehr von Anfang an gewarnt, er werde bei Mängeln der Anonymisierung die erforderlichen Massnahmen ergreifen. Ebenso schwer wiege der Vorwurf, Google habe gar nie konkrete Forderungen erhalten. Und schliesslich wiege auch der Vorwurf schwer, er sei für eine Stellungnahme nicht erreichbar gewesen, weil damit suggeriert werde, er habe sich der Kritik nicht stellen wollen.
Zudem verstosse die «Basler Zeitung» mit der Veröffentlichung des beanstandeten Artikels gegen die Ziffer 1 der «Erklärung» bzw. die zugehörige Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) sowie gegen Ziffer 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen ) und die Richtlinie 7.3 (Personen des öffentlichen Lebens). Aufgrund der Stellungnahme des Beschwerdeführers zum Artikel vom 14. Juli 2009 sei der Redaktion bekannt gewesen, dass die unterschiedliche rechtliche Beurteilung von Eidgenössischem und Zürcher Datenschutzbeauftragten den Ausgangspunkt der gegenüber Hanspeter Thür erhobenen Kritik bildete. Anstatt dies der Leserschaft zu erklären und damit dem Vorwurf den Boden zu entziehen, Thür habe sich «lange seltsam passiv» verhalten, habe sich der Verfasser des Artikels zum Sprachrohr der Zürcher Kritik gemacht.
I. Am 26. Oktober 2009 wiesen der stellvertretende Chefredaktor Urs Buess und Fabian Vetsch die Beschwerde namens der «Basler Zeitung» als unbegründet zurück. Hanspeter Thür habe im Gespräch von Mitte August klar betont, er sei weder für Herrn Vetsch noch Herrn Mattli zu sprechen. Herr Vetsch habe vor dem 26. August 2009 zweimal versucht, Herrn Thür telefonisch zu erreichen. Jedenfalls habe die Sekretärin von Herrn Thür Fabian Vetsch zugesichert, er stehe auf der Liste, die Herr Thür im Bedarfsfall zurückrufen werde. Zudem habe sie mitgeteilt, dass der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte über die bevorstehende Medienmitteilung vom 25. August hinaus keine Stellungnahmen abzugeben gedenke. Fabian Vetsch habe den Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten bereits vor dem ersten Artikel vom 14. Juli kontaktiert und ihn mit der darin enthaltenen Kritik konfrontiert. Zudem habe Thür auch im Interview vom 19. August Gelegenheit erhalten, sich zu der gegenüber ihm erhobenen Kritik zu äussern.
Die gegenüber Hanspeter Thür im Zusammenhang mit Google «Street View» erhobene Kritik stamme zudem nicht nur von Bruno Baeriswyl. Fabian Vetsch habe sich mit zahlreichen weiteren Datenschutzexperten unterhalten, die aber nicht als Quelle hätten genannt werden wollen. Ingesamt sei also die Kritik am Vorgehen von Hanspeter Thür in Datenschutzkreisen breit abgestützt gewesen.
J. Am 28. Oktober 2009 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina.
K. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 23. April 2010 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. a) Der Beschwerdeführer beanstandet zur Hauptsache eine Verletzung der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung». Danach sind Journalistinnen und Journalisten verpflichtet, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe zu befragen und deren Stellungnahme im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben.
b) Ist die im Artikel der «Basler Zeitung» vom 26. August gegenüber dem Beschwerdeführer erhobene Kritik als schwer im Sinne der Richtlinie 3.8 zu werten? Der Presserat hat jüngst in der Stellungnahme 6/2010 daran festgehalten, dass eine heftige Kritik am Handeln von Trägern öffentlicher oder anderer gesellschaftlich wichtiger Funktionen eine Anhörung der Betroffenen nur dann unabdingbar macht, wenn diesen ein illegales oder ein damit vergleichbares unredliches Verhalten vorgeworfen wird. Ähnlich hält die Stellungnahme 3/2010 fest, der gegenüber der bernischen Regierungsrätin Barbara Egger im Zusammenhang mit einer komplexen Verkehrsplanung erhobene Vorwurf, erst relativ spät und unter äusserem Druck in ein externes Gutachten eingewilligt zu haben, lasse diese nicht in einem besonders schlechten Licht erscheinen, sondern bewege sich im üblichen Rahmen der politischen Auseinandersetzung.
Die von der «Basler Zeitung» transportierte Kritik aus Datenschützerkreisen, Hanspeter Thür habe im Zusammenhang mit Google «Street View» erst spät, auf Druck der kantonalen Datenschutzbeauftragten und zudem zu wenig rigoros reagiert, ist nach Auffassung des Presserates in ähnlicher Weise als eine sich im üblichen Rahmen bewegende politische Kritik zu bewerten, die vom Betroffenen im Rahmen der öffentlichen Auseinandersetzung hinzunehmen ist. Entsprechend fällt eine Verletzung der Richtlinie 3.8 bereits mangels Schwere des Vorwurfs ausser Betracht. Erst recht nicht als «schwerer Vorwurf» im Sinne dieser Bestimmung erscheint zudem die Behauptung der «Basler Zeitung», der Beschwerdeführer sei für eine Stellungnahme nicht erreichbar gewesen. Auch Verantwortungsträger sind nicht in der Lage, den Medien jederzeit zur Verfügung zu stehen. Entsprechend ist aus dem Satz keineswegs herauszulesen, der Beschwerdeführer habe sich der gegenüber ihm geäusserten Kritik entziehen wollen.
2. a) Auch wenn eine Verletzung der Anhörungspflicht zu verneinen ist, vermag das Verhalten der «Basler Zeitung» unter einem anderen Gesichtspunkt nicht zu überzeugen. Gemäss der Richtlinie 1.1 zur «Erklärung» stellt die Wahrheitssuche den Ausgangspunkt der Informationstätigkeit dar. «Sie setzt die Beachtung verfügbarer und zugänglicher Daten (…) voraus.»
b) Der Beschwerdeführer hat der «Basler Zeitung» als (verspätete) Reaktion auf den ersten Bericht vom 14. Juli 2009 am 13. August 2009 eine Klarstellung zu der gegenüber ihm von dritter Seite erhobenen Kritik zugestellt. Darin weist er den Vorwurf zurück, spät, auf Druck der kantonalen Datenschutzbeauftragten und zudem zu wenig rigoros reagiert zu haben. Vielmehr habe er frühzeitig mit Google Kontakt aufgenommen und die wichtigsten Forderungen zur Sicherung des Persönlichkeitsschutzes der Bürgerinnen und Bürger an die Firma gestellt. Diese habe in der Folge das ihr Zumutbare unternommen. Auch wenn es der «Basler Zeitung» vor der Veröffentlichung des Artikels vom 26. August 2009 trotz einem oder zwei telefonischen Versuchen nicht gelang, den Beschwerdeführer für eine Stellungnahme zu erreichen, wäre die Redaktion gestützt auf die Ziffer 1 verpflichtet gewesen, bei der Wiederholung der gegenüber dem Beschwerdeführer erhobenen, unveränderten Kritik aus Datenschützerkreisen wenigstens dieses Dementi in angemessener Weise in den Bericht einfliessen zu lassen.
3. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus die Unwahrheit der von der «Basler Zeitung» veröffentlichten Fakten behauptet bzw. geltend macht, der Artikel enthalte sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen, ist eine Verletzung der Ziffern 1 und 7 der «Erklärung» für den Presserat nicht erstellt. Es ist nicht Sache des Presserates, zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer früh genug und angemessen auf die durch Google «Street View» aufgeworfenen datenschutzrechtlichen Herausforderungen reagiert hat. Dies hängt in erster Linie davon ab, wie man den Sachverhalt wertet und – wie der Beschwerdeführer selber ausführt – insbesondere auch davon, wie man die Rechtslage einschätzt. Im Rahmen der Freiheit des Kommentars und der Kritik durfte die «Basler Zeitung» aber jedenfalls die aus Kreisen von kantonalen Datenschutzbeauftragten stammende Kritik pointiert publik machen, auch wenn sie vom Beschwerdeführer zurückgewiesen wird.
Offensichtlich nicht anwendbar ist im konkreten Fall zudem die Richtlinie 7.3 zur «Erklärung». Diese hält im Wesentlichen fest, dass die Privatsphäre vorbehältlich von gerechtfertigten Ausnahmen auch bei Personen des öffentlichen Lebens zu respektieren ist. Die Privatsphäre des Beschwerdeführers ist durch die Berichterstattung der «Basler Zeitung» in keiner Weise tangiert.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Die «Basler Zeitung» hat mit der Veröffentlichung des Berichts «Getrübter Blick auf Googles ‹Street View›. Die Kritik am neuen Onlineangebot entwickelt sich immer mehr zur Datenschutzposse» vom 26. August 2009 die Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Berücksichtigung verfügbarer Informationen) verletzt. Die Zeitung wäre verpflichtet gewesen, zumindest das ihr bekannte Dementi des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten in angemessener Weise in den Bericht einfliessen zu lassen, wonach dieser die Kritik zurückweise, erst auf Druck der kantonalen Datenschützer, verspätet und zu wenig entschlossen auf Google «Street View» reagiert zu haben.
3. Nicht verletzt hat die «Basler Zeitung» mit dem genannten Bericht hingegen die Ziffern 1 (Wahrheitssuche), 3 (in Bezug auf die Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen; Personen des öffentlichen Lebens) der «Erklärung».