Nr. 2/2025
Unabhängigkeit / Trennung redaktioneller Teil und Werbung / Pressereisen

(X. c. «Basler Zeitung online»)

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Zusammenfassung

Die «Basler Zeitung» publizierte einen sehr ausführlichen, reich bebilderten Bericht einer Luxus-Familienreise nach Mauritius. Aus dem Text lässt sich schliessen, dass die Reise über 30’000 Franken gekostet haben muss. Am Ende des Textes steht in kleiner Schrift: «Diese Reise wurde von Club Med unterstützt.» Der Journalismuskodex schreibt vor, dass bei Pressereisen erwähnt werden muss, «wer die Kosten übernommen hat». Der Presserat hat entschieden, dass es nicht ausreicht, von «unterstützt» zu sprechen, wenn eine Reportage von einem Unternehmen voll finanziert worden ist. Die korrekte Deklaration muss transparent machen, dass der Werbetreibende die gesamten Kosten übernommen hat. Dies gilt auch, wenn der Text einzelne kritische Elemente enthalten hat und offenbar weitgehend unabhängig verfasst worden ist. Denn dies setzt der Kodex als selbstverständlich voraus: «Die redaktionelle Freiheit muss gewahrt werden.»

Résumé

La «Basler Zeitung» a publié un compte rendu très détaillé avec moult photos d’un voyage de luxe en famille à l’Île Maurice. L’article révèle que le voyage en question a dû coûter plus de 30 000 francs. Il mentionne à la fin, en petits caractères: «Diese Reise wurde von Club Med unterstützt.» (ce voyage a été soutenu par le Club Med). Le code de déontologie prescrit pour les voyages de presse qu’«il convient d’indiquer qui a pris les frais à sa charge». Le Conseil suisse de la presse a conclu qu’il ne suffisait pas de dire qu’une entreprise avait soutenu un voyage si elle l’avait financé dans sa totalité. Il faut dans pareil cas déclarer que l’annonceur a assumé l’ensemble des frais, et ce même si le texte comporte quelques éléments critiques et a apparemment été rédigé en toute indépendance. Le code de déontologie pose en effet comme une évidence que «la liberté rédactionnelle doit être sauvegardée».

Riassunto

Il quotidiano «Basler Zeitung» ha pubblicato un reportage esaustivo e riccamente illustrato su un lussuoso viaggio in famiglia alle Mauritius. Dal testo si deduce che il soggiorno dev’essere costato oltre 30’000 franchi. Alla fine del testo viene indicato in caratteri piccoli: «Diese Reise wurde von Club Med unterstützt.» (Questo viaggio è stato sostenuto dal Club Med). Il codice del giornalismo prescrive che per i viaggi stampa vada indicato «chi si è fatto carico delle spese». Il Consiglio della stampa ritiene che se un reportage è stato interamente finanziato da un’impresa non sia sufficiente usare il termine «sostenuto». Una dichiarazione corretta deve indicare in maniera trasparente che l’inserzionista si è fatto carico di tutti i costi. Ciò vale anche nel caso in cui il testo contenga singoli elementi critici e sia stato palesemente redatto in modo indipendente, in quanto il Codice presuppone che: «la libertà redazionale dev’essere garantita.»

I. Sachverhalt

A. Am 6. Oktober 2023 erschien unter anderem auf dem Onlineportal der «Basler Zeitung» (BaZ) ein langer, ausführlich bebilderter Artikel von Mauro Guarise unter dem Titel «Eine woke Zürcher Familie fliegt gratis in die Luxusferien – darf sie das?». Untertitel: «10 Tage Villa mit Pool und Butler. Sport, Kinder-Club, Essen, Trinken, Flug – alles inklusive. Das Angebot macht unserem Autor Gewissensbisse. Dann sagt er zu. Ein ziemlich ehrlicher Ferienbericht». Im Folgenden schildert der Autor zunächst seine Bedenken, eine derartige Reise mit der Familie nach Mauritius anzutreten, vor allem angesichts der ökologischen Problematik. Aber einmal 10 Tage Luxusvilla im Club Med, reisen wie die Reichen, verlocke schon. Immerhin koste der Spass für die Familie «gut 3000 Franken» pro Tag. Schliesslich sagen er und seine Familie zu, nur für dieses eine Mal. Dann wird geschildert, wie man in der Luxusvilla empfangen, vom Butler bedient wird, im eigenen Pool badet, in der weiträumigen, paradiesischen Parkanlage herumchauffiert wird, alles in grosser Ruhe, umgeben von Palmen und vom Indischen Ozean. Zwei Info-Kästchen erläutern, was der Club Méditerranée ist und was man sich unter einer Club-Med-Villa der «Exclusive Collection» vorstellen muss. Nach der ausführlichen Schilderung aller genossenen Aktivitäten kommt der Autor am Ende zurück auf seine Gewissensbisse, er hält diese weiterhin für berechtigt, trotz der unvergesslichen Erlebnisse. «Das war einmalig – versprochen.» Am Schluss des Textes in kleiner kursiver Schrift der Hinweis: «Diese Reise wurde von Club Med unterstützt.»

B. Am 18. Oktober 2023 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Er macht geltend, der Artikel verletze die Ziffern 9 und 10 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»), insbesondere die Richtlinie 9.1 (Unabhängigkeit der JournalistInnen) zur «Erklärung» sowie Richtlinie 10.1 (Trennung von redaktionellem Teil und Werbung).

Er begründet dies damit, dass eine unabhängige Berichterstattung wie Richtlinie 9.1 sie fordere, gar nicht möglich sei, wenn man eine 10-tägige Reise geschenkt erhalte, die 3000 Franken pro Tag koste. Der Interessenkonflikt sei offenkundig, es gehe bei einem derartigen Text um Werbung. Auch sei die von Richtlinie 10.1 geforderte Trennung von redaktionellem Text und Werbung nicht gegeben, wenn nur am Schluss in kleiner Schrift festgehalten werde: «Diese Reise wurde von Club Med unterstützt.» Abgesehen von diesem unscheinbaren Hinweis sei der Artikel nicht unterscheidbar von einem redaktionellen Beitrag, er werde auch nicht als Werbung deklariert.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 12. März 2024 beantragte die Rechtsabteilung der TX Group, welcher die «Basler Zeitung» gehört, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Eventualiter sei diese abzuweisen. Zunächst weist die «Basler Zeitung» auf die beiden Presseratsentscheide 2 und 7 aus dem Jahr 1992 hin, wo zum Thema Reisejournalismus festgestellt worden sei, es sei wichtig, dass die Berichterstattung unabhängig erfolge, dass im Dienste des Publikums kritische Punkte genau zu erörtern seien und dass die Leser informiert werden müssen, wenn Medienschaffende auf Kosten der Veranstalter unterwegs gewesen seien. All dies sei in concreto erfüllt worden.

Zum speziellen Vorwurf des Verstosses gegen die Unabhängigkeit (Richtlinie 9.1) wendet die Redaktion ein, der Hinweis auf die Unterstützung durch Club Med sei nicht nur klein, am Ende des Textes erfolgt, sondern von Beginn des Artikels an. In voller Transparenz sei offengelegt worden, dass der Preis der Reise hoch gewesen sei. Schon im Lead und auch im Lauftext sei auf den Deal mit Club Med hingewiesen worden. Der Text sei durchwegs kritisch und in Unabhängigkeit verfasst, es sei auf Kritikpunkte hingewiesen worden (Essen, Arbeitsbedingungen, Kinderbetreuung). Der Veranstalter habe keinen Einfluss darauf gehabt, er habe den Text, anders als üblich, nicht zum Gegenlesen erhalten, sondern erst nach dessen Publikation.

Auch das Gebot der Trennung von redaktionellem Teil und Werbung (Richtlinie 10.1) sei nicht verletzt: Der Text sei zu hundert Prozent redaktionell, er entspreche weder Werbung noch einem «paid post». Auch die vielen Fotos seien keine Werbefotos, sondern «Pressedienst-Fotos», deren Verwendung üblich sei, wenn kein eigener Fotograf mit von der Partie gewesen sei. Der Text entspreche nicht einem Werbetext. Der Beitrag sei nicht nur beim Beschwerdeführer auf Kritik gestossen, es habe auch entsprechende Kommentare gegeben, aber im Rahmen der Reiseberichterstattung liege hier ein mit grösstmöglicher Transparenz und Unabhängigkeit erstellter Bericht vor.

D. Am 29. Mai 2024 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.

Am 11. Dezember 2024 teilte der Presserat den Parteien mit, das Präsidium habe die Beschwerde zur eingehenden Prüfung an die 1. Kammer weitergeleitet, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Luca Allidi, Catherine Boss, Ursin Cadisch, Stefano Guerra, Michael Herzka und Casper Selg. Catherine Boss trat von sich aus in den Ausstand.

E. Die 1. Kammer des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme an ihrer Sitzung vom 6. Januar 2025 sowie auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer ruft die Richtlinien 9.1 (Unabhängigkeit) und 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) für die Beurteilung des vorliegenden Textes an. Die «Basler Zeitung» antwortet bezogen auf die beiden gleichen Regelungen sowie auf die beiden Presseratsentscheide 2 und 7/1992. Der Presserat geht jedoch davon aus, dass in diesem Fall primär die Richtlinie 10.2 (Sponsoring, Pressereisen, Koppelung von redaktionellen Berichten und Werbung) als Konkretisierung der allgemeineren Grundsätze von Richtlinie 9.1 und 10.1 massgebend ist sowie die erwähnten Grundsatzendscheide des Presserates 2 und 7/1992, welche eine Regelung für die beiden speziellen Fälle der Reise- und Autoberichterstattung enthalten. Die Richtlinie 10.2 verlangt, dass bei «gesponserten» Medienberichten transparent gemacht werden müsse, wer der «Sponsor» sei. Zudem müsse die freie Themenwahl und -bearbeitung durch die Redaktion gewährleistet sein und bei Pressereisen erwähnt werden, wer die Kosten übernommen habe.

2. Die Anforderungen «Transparenz hinsichtlich des Sponsors» respektive «erwähnen, wer die Reise bezahlt hat» sind im vorliegenden Fall scheinbar erfüllt. Es wird in einem kleingedruckten Hinweis am Schluss gesagt, die Reise sei von Club Med «unterstützt» worden. Das ist allerdings eine Untertreibung, streng genommen sogar eine Irreführung. Wenn ein sehr luxuriöses Reportageprojekt, das auf mehreren Spalten aufwändig beschrieben werden soll, mit deutlich über 30’000 Franken voll finanziert wird, müsste die korrekte Deklarierung lauten: «Von Club Med finanziert». Aus Titel und Text kann man zwar bei genauer Lektüre schliessen, dass die komplette Reise nicht irgendwie unterstützt, sondern voll bezahlt wurde, aber es wird weder beim Stichwort «gratis» im Titel noch zu Beginn des Textes klar, woher das Geschenk kommt und welche Dimension es hat. Der «Deal» mit Club Med wird in seiner Tragweite erst bei aufmerksamer Lektüre des gesamten Textes ersichtlich. Dies erfüllt das Erfordernis der Transparenz gemäss Richtlinie 10.2 nicht. Diese ist verletzt.

3. Zum Aspekt «Unabhängigkeit» (Richtlinie 9.1): Der Autor streicht die Problematik von Ferienreisen über sehr grosse Distanzen zu Beginn und am Ende sehr deutlich heraus. Das spricht für unabhängiges Texten, der Auftraggeber hätte das von sich aus erfahrungsgemäss weggelassen. Auch andere kritische Punkte werden – neben der langen, ausführlich bebilderten und begeisterten Schilderung des gesamten Erlebnisses – durchaus angesprochen: Arbeitsbelastung des Personals, einseitiges Essensangebot. Das spricht für eine vergleichsweise weitgehende Unabhängigkeit in einem Reisebericht. Entsprechend erscheinen die von der BaZ geschilderten Rahmenbedingungen glaubhaft, wonach der Text nicht erst zur Bewilligung vorgelegt, sondern dem Geldgeber erst mit der Publikation bekanntgemacht worden sei. All dies spricht für gute Rahmenbedingungen, was die Unabhängigkeit des Autors betrifft. Und dennoch ist nachvollziehbar, was der Beschwerdeführer anspricht, nämlich dass man angesichts eines Geschenks von weit über 30’000 Franken nicht gänzlich frei und locker kritisch texten könne. Wie eingangs erwähnt, ist im vorliegenden Fall einer Reiseberichterstattung die spezifischere Richtlinie 10.2 anwendbar.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Richtlinien 9.1 (Unabhängigkeit) und 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) nicht direkt betroffen sind, dass aber die Richtlinie 10.2 (Sponsoring) verletzt wurde.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.

2. «BaZ online» hat mit dem Artikel «Eine woke Zürcher Familie fliegt gratis in die Luxusferien – darf sie das?» vom 6. Oktober 2023 die Ziffer 10 (Vermeiden kommerzieller Werbung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.