Zusammenfassung
Im Mai 2023 reichte X. beim Presserat eine Beschwerde gegen die SRF-Nachrichtensendung «Tagesschau» ein. Es ging um den Bericht mit dem Titel «Autohändler in der Schweiz umgehen Abgas-Strafgebühren», der sich auf eine Untersuchung der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) stützte. Der Presserat ist der Ansicht, dass die im Bericht genutzten Begriffe «Umgehung» und «Trick» suggerieren, dass Schweizer Autohändler und -Importeure Gesetzeslücken ausgenutzt hätten. Ein Eindruck, der nicht der Wahrheit entspricht: Tatsächlich stellt die im Beitrag beschriebene Methode des Imports – und insbesondere die Möglichkeit der Bildung von Emissionsgemeinschaften (CO2-Pooling, Übernahme von Fahrzeugen (punktuelle Abtretung) und entsprechende Regelung (Bonus-Malus-System) – eine gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Option dar. Nach Ansicht des Presserates hat die Redaktion der «Tagesschau» die Kritik der EFK an der Gesetzgebung zur Reduktion der CO2-Emissionen in einen unberechtigten Vorwurf an die Autohändler umgewandelt, die entsprechenden Vorschriften zu umgehen. Dadurch wurde die Wahrheitspflicht der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
Résumé
En mai 2023, X. a déposé une plainte auprès du Conseil suisse de la presse contre l’émission d’information de SRF « Tagesschau » à propos d’une contribution intitulée « Autohändler in der Schweiz umgehen Abgas-Strafgebühren » (Les entreprises suisses de commerce automobile contournent les sanctions relatives aux gaz d’échappement). Celle-ci s’appuyait sur une enquête menée par le Contrôle fédéral des finances (CdF). Le Conseil suisse de la presse est d’avis que les termes de « Umgehung » (contourner) et de « Trick » (astuce) employés dans la contribution suggèrent que les entreprises et importateurs suisses actifs dans le commerce automobile ont exploité des lacunes de la loi. Or l’impression donnée n’est pas conforme à la vérité : la méthode d’importation décrite, en particulier le système de bonus-malus et la possibilité pour les importateurs de former des groupements pour mettre en commun les émissions de CO2 et de convenir de la reprise de véhicules, sont des options expressément prévues par la loi. Le Conseil suisse de la presse considère que la rédaction de la « Tagesschau » a retourné sans raison contre les entreprises de commerce automobile la critique de la CdF envers la législation sur la réduction des émissions de CO2. En les accusant de contourner les prescriptions, elle a contrevenu à son obligation de rechercher la vérité au sens de la « Déclaration des devoirs et des droits du/de la journaliste ».
Riassunto
Nel maggio 2023, X. ha presentato un reclamo al Consiglio della stampa contro il notiziario della SRF «Tagesschau». Il reclamo riguardava il servizio intitolato «Autohändler in der Schweiz umgehen Abgas-Strafgebühren» (In Svizzera i concessionari d’auto eludono le sanzioni sulle emissioni di gas di scarico) basato su un’indagine del Controllo federale delle finanze (CDF). Il Consiglio della stampa ritiene che i termini «elusione» e «trucco» utilizzati nel servizio inducano a pensare che i concessionari e gli importatori d’auto svizzeri abbiano sfruttato delle lacune legali. Impressione che non corrisponde al vero. Infatti, il metodo d’importazione descritto nell’articolo — e in particolare la possibilità di costituire raggruppamenti di emissioni (raggruppamento di emissioni di CO2), la presa in consegna dei veicoli (cessione puntuale) e la relativa normativa (sistema bonus-malus) — è un’opzione espressamente prevista dalla legge. Secondo il Consiglio della stampa, i redattori del «Tagesschau» hanno trasformato la critica del CDF alla legislazione sulla riduzione delle emissioni di CO2, nell’ingiustificata accusa ai concessionari d’auto di aggirare le norme in materia. Ciò ha violato il dovere di verità della «Dichiarazione dei doveri e dei diritti dei giornalisti».
I. Sachverhalt
A. Am 4. Mai 2023 strahlte die Nachrichtensendung «Tagesschau» des SRF einen Beitrag mit dem Titel «Autohändler in der Schweiz umgehen Abgas-Strafgebühren» aus. Das Thema des Beitrags waren die CO2-Emissionen des Strassenverkehrs und insbesondere die Strafgebühren für Fahrzeuge mit hohem CO2-Ausstoss. Der Bericht stützte sich auf eine Untersuchung der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK). Der Beitrag enthielt insbesondere die folgenden Aussagen: «Damit möglichst viele sparsame Autos gekauft werden, müssten Autohändler für Autos, welche die Umwelt stark belasten, eigentlich eine Strafgebühr zahlen. Eigentlich. Mit einem Trick umgehen viele Autoimporteure diese Gebühr. (…) Schon heute kennt die Schweiz Strafgebühren für Importeure von Autos mit schlechten Abgaswerten. Doch diese umgehen die Autohändler meistens. Beispiel: Autobauer Tesla. Tesla importiert über 9000 Fahrzeuge in die Schweiz, doch nur 1/4 davon sind tatsächlich abgasfreie Elektro-Teslas. Ihre Importflotte füllt Tesla auf dem Papier mit irgendwelchen fremden Fahrzeugen auf, auch mit Abgasschleudern, für die eigentlich Strafgebühren fällig wären. Doch die werden verschont, denn – Tesla sei Dank – liegt der Durchschnitt der Abgase der Flotte gerade noch im grünen Bereich. Wegen diesem völlig legalen Trick entgingen dem Bund, so die Finanzkontrolle, über 100 Millionen Franken Strafgebühren jährlich.» Der Bericht liess dann den Direktor von Auto Schweiz, Andreas Burgener, als Branchenvertreter, zu Wort kommen, der kommentierte: «Es ist kein Trick. Das System sieht das eben vor, und das Ziel der Importeure ist natürlich, dass wir diese CO2-Zielwerte, die die Politik vorgibt, sanktionsfrei erreichen können.» Der Bericht schloss mit der Feststellung, dass der Hersteller Tesla keine Stellungnahme gegenüber der «Tagesschau» abgegeben hat.
B. Am 5. Mai 2023, dem Tag nach der Ausstrahlung des Berichts, reichte X. beim Presserat eine Beschwerde gegen die «Tagesschau» von SRF ein. Nach Ansicht des Beschwerdeführers hat der Bericht Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (im Folgenden: «Erklärung») missachtet. Insbesondere sei im Beitrag wahrheitswidrig behauptet bzw. dem Zuschauer suggeriert worden, dass die Autohändler durch einen Trick gesetzliche Strafgebühren umgehen, dass Tesla Verbrenner importierte und mit diesem Trick («Buebetrickli») den Staat um einen grossen Betrag (über 100 Millionen Franken) geprellt hätte. Für den Beschwerdeführer geht es hingegen gar nicht um einen Trick, sondern um eine gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Option.
C. Am 19. Juni 2023 nahm SRF zur Beschwerde Stellung und postulierte deren Ablehnung. Für SRF beruhen alle im journalistischen Beitrag enthaltenen Daten und Aussagen auf der Untersuchung der EFK bzw. auf den von derselben gegenüber der Redaktion gemachten Angaben und Äusserungen. SRF betont zudem, dass der Bericht dem Direktor von Auto Schweiz, Andreas Burgener, die Möglichkeit gegeben habe, zu der einzigen Aussage Stellung zu nehmen, die nach Ansicht von SRF vielleicht negativ charakterisiert werden könne, nämlich dass das Vorgehen der Schweizer Autoimporteure einen (zwar legalen) «Trick» darstelle.
D. Am 15. August 2023 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde von der 1. Kammer behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg.
E. Die 1. Kammer des Presserats hat die vorliegende Beschwerde an ihrer Sitzung vom 27. November 2023 sowie auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägung
Die JournalistInnen halten sich an die Wahrheit und lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren (Ziffer 1 der «Erklärung»). Die Wahrheitssuche stellt den Ausgangspunkt der Informationstätigkeit dar. Sie setzt die Beachtung verfügbarer und zugänglicher Daten, die Überprüfung und die allfällige Berichtigung voraus (Richtlinie 1.1 zur «Erklärung»). Entscheidend ist der Gesamteindruck, den die Veröffentlichung auf die LeserInnen bzw. auf die ZuschauerInnen macht.
Problematisch ist nach Ansicht des Presserates vor allem die im Titel aufgestellte und im Bericht mehrmals wiederholte Aussage, Autohändler würden gesetzlich vorgesehene Strafgebühren umgehen. Die Umgehung einer Rechtsnorm (Gesetzesumgehung, «fraus legis») beschreibt ein Verhalten, bei dem zwar nicht gegen den Wortlaut einer Rechtsnorm, wohl aber gegen ihren Sinn und Zweck verstossen wird. Mit anderen Worten: ein Vorgehen, das zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber zwar nicht ausdrücklich verboten, aber sicher nicht gewollt hat.
Im «Tagesschau»-Bericht verleitet der Begriff «Umgehung» (der das Ergebnis des Vorgehens beschreibt) in Kombination mit dem Begriff «Trick» (dem Kniff, der zum Erreichen des Ergebnisses angewandt wird) den durchschnittlichen Betrachter zu der Annahme, dass die Schweizer Autohändler und -importeure (insbesondere, aber nicht nur, Tesla) wer weiss welche Gesetzeslücke ausgenutzt hätten, um sich Vorteile zu verschaffen, die der Gesetzgeber eigentlich nicht vorsah und nicht wollte. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die Aussage im Bericht «wegen diesem völlig legalen Trick entgingen dem Bund, so die Finanzkontrolle, über 100 Millionen Franken Strafgebühren jährlich».
Dieser Eindruck ist jedoch nicht zutreffend und entspricht nicht der Wahrheit. In Wirklichkeit stellt die im Beitrag der «Tagesschau» beschriebene Methode der Einfuhr von Fahrzeugen – und insbesondere die Möglichkeit der Bildung von Emissionsgemeinschaften (CO2-Pooling) bzw. der Vereinbarung zur Übernahme von Fahrzeugen (punktuelle Abtretung) und der entsprechenden Regelung (Bonus-Malus-System) – eine Option dar, die vom Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist (siehe insbesondere Art. 11 und 13 CO2-Gesetz und Art. 22 und 22a CO2-Verordnung). Die CO2-Verordnung orientiert sich zudem an den EU-Vorschriften zur Reduktion der CO2-Emissionen. Der Schweizer Gesetzgeber hat dieses System nicht nur nicht (ausdrücklich) verboten, sondern er hat es ausdrücklich erlaubt und infolgedessen auch gewollt.
In ihrem Untersuchungsbericht mit dem Titel «Evaluation der Wirksamkeit der CO2-Sanktionen für neue Personen- und Lieferwagen», auf den sich der Beitrag der «Tagesschau» bezieht, räumt die EFK selbst – die das ganze System kritisiert – ein, dass das System «die Bildung von Emissionsgemeinschaften sowie das punktuelle Abtreten von Fahrzeugen in andere Flotten vorsieht. Dabei entschädigen Importeure mit stark emittierenden Flotten jene Importeure, die ihre Fahrzeuge aufnehmen. Damit erzielen Importeure von schwächer emittierenden Flotten, die ihre individuellen Zielvorgaben nicht ausschöpfen, einen ökonomischen Vorteil. Es handelt sich also um eine Bonus- bzw. Malus-Vergabe, die vollständig durch den Markt organisiert wird.» (Seite 19).
Auch das Bundesamt für Energie (BFE) hält auf seiner Website fest, dass die vom Gesetzgeber in diesem Bereich festgelegte Regelung mit den EU-Bestimmungen übereinstimmt und es ermöglicht, bei der Einfuhr effizienter Fahrzeuge Sanktionszahlungen zu reduzieren bzw. Boni in Anspruch zu nehmen.
Im Gegensatz zu dem, was der Beitrag der «Tageschau» vermuten lässt, behauptet die EFK in ihrer Untersuchung keineswegs, dass dem Staat beträchtliche Beträge an Strafgebühren vorenthalten werden («wegen diesem völlig legalen Trick entgingen dem Bund, so die Finanzkontrolle, über 100 Millionen Franken Strafgebühren jährlich»). Stattdessen weist die EFK lediglich darauf hin, dass «im Vergleich zur EU das System in der Schweiz dynamischer ist. Fahrzeuge können auch an Dritte abgetreten werden, ohne dass formal eine Emissionsgemeinschaft gegründet wird. Im Jahr 2020 wurden so 17’300 Fahrzeuge abgetreten. Dies entsprach einem fiktiven Sanktionswert von 126,5 Millionen CHF. Der Handel mit Abtretungen wird auch durch Grossimporteure stark genutzt» (siehe ibidem). Der Begriff «fiktiver Sanktionswert» wird hier offensichtlich dazu verwendet, um die (negativen) Auswirkungen des in der Schweizer Rechtsordnung vorgesehenen Bonus-Malus-Systems in unmittelbarer Weise darzustellen.
Im EFK-Untersuchungsbericht wird eine (vermutliche) Umgehung von CO2-Normen (Strafgebühren) durch Autohändler mit keinem Wort erwähnt, während eine solche in der «Tagesschau» das zentrale Thema ist. Vielmehr kritisiert die EFK die Massnahmen des Gesetzgebers als solche («Die aktuellen Massnahmen setzen falsche Anreize zur Organisation des Importmarktes (…). Das Sanktionssystem für den Konsumenten ist zudem undurchsichtig (…)», siehe Seite 20). Unwahr, zumindest was das Thema des Beitrags betrifft, ist auch, was die Redaktion am Ende des Berichts behauptet («Die Finanzkontrolle empfiehlt jetzt dem Bund, die Verordnung zu überarbeiten, damit in der Schweiz mehr saubere Autos gekauft werden»). In diesem Zusammenhang heisst es im Gegenteil im EFK-Bericht: «Aufgrund des Zeithorizonts verzichtet die EFK auf eine Empfehlung zur Neuorganisation des Importmarktes. (…) Die EFK verzichtet auch auf eine Empfehlung zur Offenlegung von Sanktionssummen beim Verkauf von individuellen Fahrzeugen.» (siehe ibidem).
Nach Ansicht des Presserats hat die «Tagesschau» bei der Berichterstattung über den Untersuchungsbericht der Finanzkontrolle dessen Inhalt in einer mit der Wahrheitspflicht nicht zu vereinbarenden Weise verdreht. Die Redaktion hat nämlich die Kritik der EFK an der schweizerischen Gesetzgebung zur Reduktion der CO2-Emissionen in einen unberechtigten und unverdienten Vorwurf an die Autohändler umgewandelt, die entsprechenden Vorschriften zu ihrem eigenen Vorteil zu umgehen.
Die Tatsache, dass der Bericht auch die kritisierte Partei, vertreten durch Andreas Burgener, den Direktor von Auto Schweiz, (zu Recht) zu Wort kommen liess, reicht für sich allein nicht aus, um die begangene Verletzung zu korrigieren. Die Aussagen der betroffenen Partei gelten per definitionem als keineswegs objektiv und äquidistant. Diese können infolgedessen den falschen Eindruck, den der Bericht beim Publikum erweckt hat, kaum ändern.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2. In ihrem Beitrag in der «Tagesschau» vom 4. Mai 2023 mit dem Titel «Autohändler in der Schweiz umgehen Abgas-Strafgebühren» hat SRF die Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.