I. Sachverhalt
A. Das «Ostschweizer Tagblatt» veröffentlichte am 15. April 2004 einen Bericht von Peter Beerli über die mobile Schleifwerkstätte eines Ostschweizer Scherenschleifers. Der Titel lautete: «Schleifservice vor dem ÐRösslið», der Untertitel: «Das Angebot von Scherenschleifer Y. aus Z. ist gefragt – Warnung vor unseriöser Konkurrenz». Der Artikel beschrieb das Dienstleistungsangebot von Y. und betonte den guten Ruf, den die Arbeit des gelernten Mechanikers geniesse. Er beweise Kundenfreundlichkeit, mache aber keine Hausbesuche. «Solche unternimmt nämlich gegenwärtig Y.’s Konkurrenz, die in den Häusern unserer Gegend nach Schleifgut fragt und dann deutlich überhöhte Preise für die Arbeit verlangt. Weil der Scherenschleiferei noch zu sehr der Ruf von Fahrenden anhängt, hat sich Y. zur Franchising-Basis mit den Gebrüdern V. gefunden, die schon seit bald zehn Jahren fahrende Schleifereien betreiben. Der Schriftzug V. am Wagen bietet Gewähr für gute Arbeit und seriöse Preise.»
B. Am 22. April 2004 gelangte X. an den Presserat. Er rügte, mit dem Abdruck des Artikels von Peter Beerli habe das «Ostschweizer Tagblatt» gegen die Ziffern 8 (Diskriminierungsverbot) und 10 (Verbot kommerzieller Werbung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten verstossen. Bereits im Titel werde für die Dienste von Y. geworben und seine Konkurrenz als «unseriös» bezeichnet. Zudem suggeriere der Bericht, dass Fahrende als Scherenschleifer generell überhöhte Preise verlangen würden. Mit dem ganzen Artikel, insbesondere aber mit dem Satz «Weil der Scherenschleiferei noch zu sehr der Ruf der Fahrenden anhängt» spiele der Journalist in diskriminierender Weise auf die ethnische Zugehörigkeit an. Der ganze Artikel werbe zudem einseitig für die Firma von Y.
C. Mit Stellungnahme vom 26. Mai 2004 wies Fritz Bichsel die Beschwerde namens der Lokalredaktion des «Ostschweizer Tagblatts» als unbegründet zurück. Nach der Ankündigung des Angebots der «Fahrenden Werkstatt» hätten sich bei der Redaktion Leser mit dem Hinweis gemeldet, derzeit werde Schleifen auch von Haustür zu Haustür angeboten. Dies zu deutlich höheren Preisen. Im Beitrag werde nicht erwähnt, welcher Ethnie die von Tür zu Tür arbeitenden Konkurrenten von Y. angehörten. Der einzige Satz, in dem Fahrende wertungsfrei erwähnt würden, beziehe sich zweifelsfrei auf den «Scherenschleifer»-Ruf und gerade nicht auf die vorher erwähnten zweifelhaften Konkurrenten. Ebensowenig habe die Zeitung oder der Journalist mit der Publikation des Artikels einen kommerziellen Nutzen angestrebt oder daraus gezogen. Zudem sei der Beitrag erst an dem Tag erschienen, an dem die mobile Werkstatt das Redaktionsgebiet bereits wieder verlassen habe. Deshalb sei auch keine Werbewirkung für Y. entstanden.
D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.
E. Am 4. Juni 2004 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher behandelt.
F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 19. November 2004 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Gemäss Ziffer 8 haben Journalistinnen und Journalisten in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton diskriminierende Anspielungen zu unterlassen, die sich auf die ethnische Zugehörigkeit beziehen. Nicht jede Bezugnahme auf die ethnische oder nationale Zugehörigkeit von Personen in der Medienberichterstattung stellt bereits eine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» dar. Eine solche Bezugnahme ist nur dann diskriminierend, wenn sie mit einem erheblich verletzenden Unwerturteil verbunden ist (37/2004). Das Diskriminierungsverbot verbietet zudem nicht die individuelle Kritik an gesellschaftlichen Akteuren, sondern soll sachlich ungerechtfertigte Verallgemeinerungen verhindern (49/2001).
2. Laut dem Beschwerdeführer postuliert der beanstandete Artikel eine derartige Verallgemeinerung, indem er suggeriere, dass Fahrende als Scherenschleifer generell überhöhte Preise verlangen würden. Der Beitrag von Peter Beerli warnt vor der «unseriösen», von Haus zu Haus gehenden Konkurrenz von Y. und kolportiert zugleich unkritisch ein problematisches Klischee. Der Satz, wonach der Scherenschleiferei «noch zu sehr der Ruf von Fahrenden anhänge» besagt zwar – wie das «Ostschweizer Tagblatt» geltend macht – nichts explizit über diese Bevölkerungsgruppe als Ganze. Er basiert aber implizit auf dem Vorurteil, dass Fahrenden ein zweifelhafter Ruf «anhänge», weshalb sich Y. davon abgrenzen wolle. Die Beschreibung, dass Fahrenden dieser Ruf anhafte, ist als journalistische Aussage heikel. Scherenschleifer Y. verbindet die Aussage zudem subtil mit dem Konkurrenzkampf zwischen Scherenschleifern am Ort. Aus berufsethischer Sicht wäre es deshalb zu begrüssen gewesen, wenn der Journalist die Aussage Y.’s nicht als eigene übernommen, sondern sie zumindest relativiert hätte. Hingegen würde es nach Auffassung des Presserates angesichts des bloss indirekt und unterschwellig diskriminatorischen Charakters der Aussage zu weit führen, eine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» zu bejahen.
3. Ziffer 10 der «Erklärung» gebietet den Journalistinnen und Journalisten, in ihrer beruflichen Tätigkeit jede Form von kommerzieller Werbung zu vermeiden. Sie haben die Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung zu gewährleisten und dürfen diese Abgrenzung nicht durch Einfügen von Schleichwerbung in der redaktionellen Berichterstattung verletzen (Richtlinie 10.1 zur «Erklärung).
4. X. behauptet nicht, dass der Autor des Artikels oder das «Ostschweizer Tagblatt» für die Publikation von Y. eine geldwerte Gegenleistung erhalten hätten. Hingegen macht er geltend, das «Ostschweizer Tagblatt» werbe einseitig für die Firma des Scherenschleifers. Auch wenn die Beschwerdegegnerin dazu geltend macht, eine Werbewirkung habe nicht entstehen können, weil Y. das Verbreitungsgebiet der Zeitung am Tag der Publikation bereits wieder verlassen habe, erscheint die Werbewirkung eines derartigen Artikels offensichtlich. Der Presserat hat in der Stellungnahme 4/1999 allerdings darauf hingewiesen, allein aus dem Umstand, dass ein Unternehmen in einem redaktionellen Beitrag im Gegensatz zu seinen Marktkonkurrenten umfassend zu Wort kommt, könne keine Verletzung von Ziffer 10 der «Erklärung» abgeleitet werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn wie vorliegend die Werbewirkung, wie sie mit jeder Nennung und Darstellung im redaktionellen Teil von Massenmedien zwangsläufig verbunden ist, im Vergleich zur nachvollziehbaren redaktionellen Bearbeitung eines Themas sekundär erscheint (so bereits die Stellungnahme 10/2004).
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Journalistinnen und Journalisten sollten unbelegte Vorurteile gegen ethnische Minderheiten nicht ohne erkennbare Distanzierung weiterverbreiten. Zurückhaltung ist bereits dann angebracht, wenn derartige Klischees bloss unterschwellig und indirekt angeführt werden.