I. Sachverhalt
A. Am 2. November 2003 veröffentlichte der «SonntagsBlick» einen Kommentar von Frank A. Meyer mit dem Titel «Gesindel». Gegenstand war eine «Geheimdienstintrige» rund um ein Gespräch von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey mit einem Vertreter einer kurdischen Organisation. Gemäss einem Bericht des «Tages-Anzeigers» vom 25. Oktober 2003 war dieses Gespräch durch den türkischen Geheimdienst via den schweizerischen Inlandnachrichtendienst der damaligen EJPD-Vorsteherin Ruth Metzler gemeldet worden. Diese sei daraufhin ohne vorherige Kontaktnahme mit Micheline Calmy-Rey an den damaligen Bundespräsidenten Pascal Couchepin gelangt.
Frank A. Meyer führt in seinem Kommentar zu dieser sog. Türkeiaffäre u.a. aus: «Für türkisches Geheimdienstgesindel, das offenbar unbehelligt in unserem Land herumschnüffelt, war es (ein harmloser Smalltalk an einem Apéro) nicht alles. Und weil unter Geheimdienstlern in aller Welt gilt: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, beeilten sich die Schnüffler vom Bosporus, den Schnüfflern von Bern, quasi unter Kollegen, kundzutun, was unsere Aussenministerin verbrochen hatte. Spätestens jetzt hätte die miese Story ihr Ende verdient, im Papierkorb des Inlandgeheimdienstes. Denn augenblicklich hätte den Verantwortlichen im Bundesamt für Polizei klar sein müssen: Bundesrätinnen und Bundesräte reden mit wem sie wollen. Es geht den Inlandgeheimdienst nichts an. Und den türkischen Geheimdienst geht es schon gar nichts an (…) Unsere Schnüffler werden aber immer noch im Geiste der Fichenzeit geführt. Sie betreiben ihr Metier nach alter Manier: Als Handwerk der Denunziation, letztlich ohne Respekt vor der Freiheit der Bürger, sogar ohne Respekt vor dem Rang einer Bundesrätin.»
B. Am 14. Januar 2004 gelangte Urs von Daeniken namens des Bundesamts für Polizei, Dienst für Analyse und Prävention (DAP), mit einer Beschwerde gegen den Kommentar von Frank A. Meyer im «SonntagsBlick» vom 2. November 2003 an den Presserat. Der Artikel des «Tages-Anzeigers» vom 25. Oktober 2003 habe ein grosses Medienecho ausgelöst. «Für die Presse stellte sich u.a. die Frage, wie der türkische Geheimdienst (MIT) an seine Informationen gekommen sei und ob der MIT allenfalls gar verbotenen politischen Nachrichtendienst in der Schweiz betreibe. Diese Vermutung wurde am 30. Oktober durch eine Medienmitteilung der Bundesanwaltschaft entkräftet. Sie hatte in der Vorabklärung keinen konkreten Hinweis für verbotene nachrichtendienstliche Tätigkeiten durch den MIT in der Schweiz festgestellt.»
Frank A. Meyer beschimpfe in seinem Kommentar den türkischen Geheimdienst und den DAP als «Geheimdienstgesindel». Zudem bezichtige er den DAP der Denunziation und der «Schnüffelei». Mit seinen entwürdigenden und ehrverletzenden Äusserungen verletze er alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DAP und verstosse so gegen Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Respektierung der Menschenwürde; Diskriminierungsverbot). Zudem behandle der Kommentator zuvor bereits öffentlich widerlegte Spekulationen als gegebene Tatsachen und verletze so Ziffer 1 der «Erklärung».
C. Mit Stellungnahme vom 1. März 2004 beantragte die anwaltlich vertretene Redaktion des «SonntagsBlick», die Beschwerde sei als unbegründet abzuweisen, soweit überhaupt darauf einzutreten sei. Die beanstandete Kolumne verletze mit ihrer Kritik an der Zusammenarbeit zwischen türkischen und schweizerischen Geheimdienstangehörigen in einem konkreten Einzelfall weder die berufsethische Pflicht zur Respektierung der Menschenwürde noch die Wahrheitspflicht.
D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.
E. Am 2. März 2004 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher behandelt.
F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 15. Oktober 2004 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Gemäss Art. 6 Abs. 1 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates ist jedermann beschwerdeberechtigt. Damit ist die vorliegende Beschwerde in jedem Fall zulässig – ungeachtet der von den Beschwerdegegnern aufgeworfenen Fragen, ob Urs von Daeniken in eigenem Namen oder namens des Diensts für Analyse und Prävention des Bundesamts für Polizeiwesen handelt und ob er sich für das Ansehen der eigenen Person, des DAP oder des MIT engagiert.
2. Gegenstand der Beschwerde ist eine Kolumne, worin der seiner Leserschaft für seine pointierten Äusserungen bekannte Frank A. Meyer scharfe Kritik am Verhalten von Angehörigen des türkischen Geheimdienstes («türkisches Geheimdienstgesindel»; «Schnüffler vom Bosporus») und dem schweizerischen «Inlandgeheimdienst» («Schnüffler von Bern»; «Verantwortliche im Bundesamt für Polizei») in der sog. Türkei-Affäre vom Herbst 2003 übt. Die Hauptaussage der Kolumne besteht darin, nicht das vieldiskutierte Verhalten der beteiligten Bundesrätinnen Calmy-Rey und Metzler sowie von Bundesrat Couchepin sei in diesem Zusammenhang zu kritisieren, sondern vielmehr die Rolle der Geheimdienste. Ähnlich wie bei der seinerzeitigen Fichenaffäre hätten sie Micheline Calmy-Rey in Missachtung ihrer persönlichen Freiheit bei einem harmlosen Smalltalk mit einem Kurden «nachgestellt».
3. a) Eine derartige politische Kritik – auch wenn dafür harsche Begriffe verwendet werden – ist im Lichte der Kommentarfreiheit jedenfalls dann zulässig, wenn die im Text enthaltenen Wertungen ebenso wie die ihr zugrundeliegenden Fakten für das Publikum erkennbar sind, und wenn sich diese Wertungen zudem auf eine genügende sachliche Grundlage stützen (vgl. zuletzt die Stellungnahmen 12, 19 und 20/2004 mit weiteren Hinweisen).
b) Das Bundesamt für Polizei bestreitet letzteres in seiner Beschwerde und macht geltend, Frank A. Meyer stelle in seinem Kommentar Spekulationen als Tatsachen hin. Er unterstelle dem MIT und dem DAP eine Verbrüderung unter Geheimdienstkollegen. So werde die nicht erwiesene, illegale Agententätigkeit des MIT in der Schweiz als Fakt vorausgesetzt und es entstehe der Eindruck, dass der DAP im Wissen und mit Einverständnis mit diesem Verhalten gehandelt habe. Etliche dieser Spekulationen seien schon durch die Veröffentlichung der Vorabklärung der Bundesanwaltschaft am 30. Oktober 2003 öffentlich widerlegt worden.
c) Die Beschwerdegegner bestreiten diese Darstellung als unhaltbare Textinterpretation und machen geltend, in der Kolumne sei weder von einer Verbrüderung unter Geheimdienstkollegen noch von einer solchen gegen ein Mitglied der Landesregierung die Rede. Ebensowenig äussere sich der Kolumnist zur Frage der Rechtmässigkeit des Verhaltens des oder der Angehörigen des türkischen Geheimdienstes.
d) Dem Presserat liegen über die beanstandete Kolumne und die Parteieingaben hinaus keinerlei Dokumente vor, die ihm vorfrageweise Schlüsse darüber erlauben würden, was im Herbst 2003 im Zusammenhang mit dieser sog. Türkei-Affäre wirklich gelaufen ist. Zwischen den Parteien scheint jedoch unbestritten zu sein, dass a) Bundesrätin Micheline Calmy-Rey sich an einem informellen Anlass mit einem Kurden unterhalten hat und b) diese Information anschliessend offenbar über Quellen des türkischen Geheimdienstes via DAP an die damalige Bundesrätin Ruth Metzler und von dieser schliesslich an den damaligen Bundespräsidenten Pascal Couchepin weitergeleitet wurde. Somit ist es für die Stellungnahme des Presserates nic
ht entscheidend, ob in diesem Zusammenhang irgendeine Stelle – insbesondere Angehörige des türkischen Geheimdienstes – illegal gehandelt haben oder nicht. Denn selbst wenn sich – wie dies das Bundesamt für Polizei offenbar bereits mit einer Medienmitteilung vom 30. Oktober 2003 darstellte – Spekulationen über eine illegale Agententätigkeit als haltlos herausstellten, hinderte dies den Kommentator nicht, auch einen legalen Informationsfluss unter politischen Gesichtspunkten mit scharfen Worten zu kritisieren. Vorbehältlich der nachfolgenden Prüfung der heikleren Begriffe wie «Geheimdienstgesindel» und «Schnüffler» unter dem Gesichtspunkt der weiter geltend gemachten Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» vermag der Presserat deshalb keine Verletzung der Kommentarfreiheit zu erkennen. Denn die kommentierenden Wertungen von Frank A. Meyer waren für die Leserschaft des «SonntagsBlick» ebenso als solche erkennbar wie die ihnen zugrunde liegenden faktischen Vorgänge.
4. a) Gemäss Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» sollen Medienschaffende die Menschenwürde respektieren und bei ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen verzichten, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben.
b) Laut der Beschwerdeschrift des Diensts für Analyse und Prävention des Bundesamts für Polizeiwesen hat Frank A. Meyer die Ziffer 8 der «Erklärung» verletzt, indem er den türkischen Geheimdienst und den DAP pauschal als «Geheimdienstgesindel» beschimpft habe, mit der Formulierung «Pack schlägt sich, Pack verträgt sich» beide Dienste gleichermassen verunglimpfe und zudem den DAP der Denunziation und der Schnüffelei bezichtige. Mit diesen entwürdigenden und ehrverletzenden Äusserungen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DAP.
c) Die Beschwerdegegner entgegnen, im beanstandeten Kommentar sei lediglich von «türkischem Geheimdienstgesindel» die Rede, womit weder zwingend der MIT gemeint sei und schon gar nicht der DAP. So oder so sei es aber bei den Vorgängen, die Anlass zur Kolumne gaben, zulässig, von «Geheimdienstgesindel» zu reden. Ebenso dürfe man Geheimdienste bzw. ihre Angehörigen ohne weiteres «in einen Topf werfen», seien sie doch bei allen Unterschieden nach Aufgabe und Organisation grundsätzlich vergleichbar. Schliesslich sei die Bezeichnung von Geheimdiensten bzw. Geheimdienstangehörigen als «Schnüffler» nicht ehrenrührig und verstosse auch nicht gegen Ziffer 8 der «Erklärung».
d) Die Berufung des DAP auf das Verbot diskriminierender Anspielungen geht vorliegend schon deshalb fehl, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Diensts und des MIT offensichtlich nicht zum Kreis der durch das berufsethische Diskriminierungsverbot besonders geschützten Personengruppen (Ethnien, Religionsgemeinschaften, Kranke, Behinderte usw.) gehören. Der Presserat hat entsprechend in seiner Stellungnahme 50/2002 festgestellt, im Rahmen einer weit verstandenen Kommentarfreiheit sei es berufsethisch zulässig, in einem für die Leserschaft als solches erkennbaren Pamphlet auch verletzende pauschale Vorwürfe gegen die Gesamtheit der Genfer Gerichtsmagistraten zu veröffentlichen, soweit sich diese nicht gegen einzelne Justizangehörige richteten. Die Bezeichnung der Tätigkeit des DAP als «Schnüffeln» und der Ausdruck «türkisches Geheimdienstgesindel» wären analog hierzu höchstens dann als sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen zu qualifizieren, wenn diese Vorwürfe gegen bestimmte individualisierbare Mitarbeiter/innen des MIT oder DAP erhoben würden; das ist aber hier nicht der Fall. Deshalb liegt keine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» vor. Dies gilt auch unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Respektierung der Menschenwürde. Denn die beanstandeten Begriffe beziehen sich nicht auf das Menschsein der pauschal angegriffenen Personengruppen oder auf angeborene Eigenschaften, sondern ausschliesslich auf deren berufliche Tätigkeit.
III. Feststellung
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.