I. Sachverhalt
A. In der Nr. 1/2010 vom 13. Januar 2010 veröffentlichte Beatrice Walder im «K-Tipp» den Artikel «Das Business mit den Träumen». Der Lead lautete: «Business Academy weiss, wie man neue Leute zum Kauf von Kursen begeistern kann. Der ‹K-Tipp› war an zwei Info-Abenden vorbei.» Gemäss dem Artikel verkaufe die unter dem Namen Corporation Unlimited auftretende Business Academy Persönlichkeitskurse für 6800 Franken. «Sie erhalten dafür zwei Ordner mit Unterlagen, die von vielen als wertlos bezeichnet werden. Zudem können die Käufer an sechs Seminartagen teilnehmen.» Die Business Academy locke Interessierte mit dem Versprechen, mit wenig Einsatz könne man mit dem Vermitteln von neuen Kunden zwei- bis achttausend Franken pro Monat verdienen.
Am ersten Informationsabend im November 2009 in Winterthur hätten sich die Vertreter von Corporation Unlimited den rund 150 anwesenden mehrheitlich jungen Personen nach dem Vortrag des Moderators in Einzelgesprächen gewidmet. Am zweiten Informationsabend, an dem bereits deutlich weniger Personen anwesend waren, seien nach der Präsentation plötzlich auf Business Academy lautende Verträge verteilt worden.
Am Schluss des Artikels kommt die betroffene Firma zu Wort: Diese bestreitet, unter einem anderen Namen zu werben. Zudem werde nicht das Anwerben von Neukunden, sondern die erfolgreiche Weiterempfehlung belohnt. Business Academy mache an den Veranstaltungen keine Versprechungen. Vielmehr stehe der Kurs im Vordergrund. Während drei Vierteln der Zeit werde die Weiterbildung vorgestellt.
B. Am 22. Januar 2010 beschwerte sich die anwaltlich vertretene Business Academy Corp., die «K-Tipp»-Journalistin habe bei der Recherche für den oben erwähnten Artikel die Ziffer 4 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Beatrice Walder habe an den Infoabenden vom 23. und 24. November 2009 teilgenommen. «Anlässlich des ersten Infoabends füllten Teilnehmer, die am Besuch des zweiten Infoabends interessiert waren, einen Antrag auf Besuch der zweiten Veranstaltung aus. Darauf geben sie ihre Personalien an und machen dabei zudem Angaben über ihre persönlichen Verhältnisse.» Die Journalistin habe zwar ihren richtigen Namen angegeben, jedoch ihren Beruf verschleiert. Stattdessen habe sie auf die entsprechende Frage erwidert, sie sei selbständig erwerbstätig.
Die Beschwerdeführerin habe dem «K-Tipp» und anderen Konsumentenschutzmedien schon wiederholt erfolglos angeboten, ihre Veranstaltungen zu besuchen. Da die Informationen somit anderweitig, mit einer offenen Recherche hätten beschafft werden können, sei eine verdeckte Recherche im Sinne der Richtlinie 4.2 zur «Erklärung» in diesem Fall nicht gerechtfertigt gewesen.
C. Am 5. März 2010 beantragte René Schuhmacher, Publizistischer Leiter der Redaktion «K-Tipp», die Beschwerde sei abzuweisen.
Beatrice Walder schildere in ihrem Bericht vom 13. Januar 2010, was sie an zwei Veranstaltungen der Corporation Unlimited bzw. der Business Academy wahrgenommen habe. Dabei habe sie ihren Beruf als Journalistin und Juristin nicht angegeben. Unzutreffend sei hingegen die Behauptung der Beschwerdeführerin, Beatrice Walder habe auf Anfrage angegeben, sie sei selbständigerwerbend.
Die verdeckte Recherche sei in diesem Fall im Sinne der Richtlinie 4.2 der «Erklärung» gerechtfertigt gewesen. Die Business Academy Corp. verkaufe in der Schweiz seit Jahren nahezu wertlose Informationen zu einem überrissenen Preis an junge, unerfahrene Leute. Das Vertriebssystem der Firma sei schneeballartig aufgebaut und illegal. Das Geschäftsgebaren der Beschwerdeführerin sei zwar bereits in mehreren Zeitungsberichten – auch des «K-Tipp» – thematisiert worden. Da das Image der Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit angeschlagen sei, verwende diese aber immer wieder neue Firmen zur Anwerbung ihrer Opfer. Würden die mit der Business Academy abgeschlossenen Verträge von den «Kunden» angefochten, gingen diese zudem leer aus, da sich der Sitz der Firma auf der Karibikinsel Saint Vincent befinde.
Entgegen ihrer Behauptung habe die Beschwerdeführerin dem «K-Tipp» nie den Besuch von Akquisitions-Veranstaltungen sondern lediglich denjenigen eines ihrer Seminare zur Persönlichkeitsentwicklung angeboten. Um die Methode der Anwerbung und Überrumpelung neuer «Kunden» genauer schildern zu können, habe sich die Redaktion deshalb entschlossen, Wahrnehmungen aus erster Hand zu publizieren.
Da die Business Academy seit längerem gegen den «K-Tipp» bzw. dessen Redaktionsleiter Ernst Meierhofer prozessiere, wäre die Vertreterin des «K-Tipp» bei offener Recherche entweder umgehend aus dem Saal gewiesen worden oder die Veranstaltung hätte einen anderen Verlauf genommen. «Eine authentische Darstellung» des Vorgehens der Business Academy wäre unter diesen Umständen jedenfalls nicht möglich gewesen.
D. Am 11. März 2010 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg und dem Vizepräsidenten Edy Salmina. Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher, freie Mitarbeiterin des «K-Tipp», trat in den Ausstand.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 11. Oktober 2010 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. a) Ziffer 4 der «Erklärung» (Lauterkeit der Recherche) untersagt den Journalistinnen und Journalisten, sich bei der Beschaffung von Informationen unlauterer Methoden zu bedienen. Zu einer lauteren Recherche gehört es nach der Richtlinie 4.1 (Verschleierung der Berufs) grundsätzlich, sich gegenüber den Gesprächspartnern als Journalist/in zu erkennen zu geben. Allerdings sind gemäss der Richtlinie 4.2 verdeckte Recherchen «ausnahmsweise zulässig, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse an den damit recherchierten Informationen besteht und wenn diese Informationen nicht auf andere Weise beschafft werden können».
b) Der Presserat hat sich jüngst in der Stellungnahme 58/2009 mit einer anderen verdeckten Recherche des «K-Tipp» befasst. Bezugnehmend auf seine bisherige Praxis zum Thema (vgl. die Stellungnahmen Nr. 14/2000, 14/2001, 50/2005 und 51/2007) hielt er fest, Medienschaffende sollten auch bei verdeckten Recherchen darauf achten, dass sie nicht selber zu Akteuren werden. Und selbst wenn zum Zeitpunkt der Recherche ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer verdeckten Recherche zu bejahen ist, ist vor der Veröffentlichung des recherchierten Materials noch einmal eine Interessenabwägung vorzunehmen und gegebenenfalls auf die Publikation des Rechercheergebnisses zu verzichten.
Der genannten Stellungnahme sind zudem weitere, die Richtlinie 4.2 konkretisierenden Kriterien zu entnehmen, die für die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer verdeckt recherchierten Information und dem Anspruch der Betroffenen, in ihrem Vertrauen nicht getäuscht zu werden, heranzuziehen sind. Zentral ist dabei insbesondere die Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit: «Je intensiver Medienschaffende in die Persönlichkeit von privaten Personen oder in die Geschäftsgeheimnisse von Firmen eindringen, desto höher muss das Interesse der Öffentlichkeit an der Enthüllung eines Missstandes sein. Je höher der Informationswert einer Recherche ist, je wichtiger sie für den gesellschaftlichen Diskurs ist, umso eher rechtfertigt sich eine versteckte Recherche. Je weniger es möglich erscheint, mit einer offenen Recherche zu gleichen oder vergleichbaren Informationen zu gelangen, um so eher ist es gerechtfertigt, verdeckt zu recherchieren.»
2. a) Vorab stellt der Presserat fest, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde zwar das Vorgehen des «K-Tipp» beanstandet, auf den Inhalt des Artikels «Das Business mit den Träumen» jedoch nicht näher eingeht. Lediglich indirekt wird angemerkt, dass frühere Berichte der Beschwerdegegner auf «unzutreffenden Fakten» beruht hätten. Der im «K-Tipp»-Bericht geschilderte Ablauf der beiden Informationsveranstaltungen wird hingegen in der Beschwerde nicht ausdrücklich bestritten.
b) Für den Presserat ist das öffentliche Interesse an der Berichterstattung über das umstrittene Geschäftsgebaren der Beschwerdeführerin offenkundig. Die Warnung der Öffentlichkeit und potentieller neuer «Kunden» vor dem zweifelhaften, rechtlich umstrittenen Geschäftsmodell der Firma mit Sitz in der Karibik erscheint auch deshalb wichtig, weil die Kluft zwischen der Selbstdarstellung der Firma (vgl. dazu ihre Website www.business-academy.ch) und der Fremddarstellung durch den «K-Tipp» und anderen (Konsumentenschutz)Medien unverändert gross ist. Hinzu kommt, dass die Firma – wie im Falle der Corporation Unlimited – ihr Angebot mit immer neuen Firmen unter die Leute zu bringen versucht und – wie auch die stattliche Liste auf ihrer eigenen Website zeigt – regelmässig in rechtliche Auseinandersetzungen verstrickt ist.
c) Unter diesen Umständen erscheint der Einwand der Beschwerdeführerin, der «K-Tipp» hätte den Ablauf der beiden Informationsabende selbstverständlich auch mit einer offenen Recherche in Erfahrung bringen können, für den Presserat als unmassgeblich. Denn die Business Academy hält in ihren Verlautbarungen weiterhin die Behauptung aufrecht, bei ihrem Angebot stünden die Weiterbildungskurse im Vordergrund, während von einem aggressiven Anwerben von Neukunden oder gar einem schneeballähnlichen Vertriebssystem nicht die Rede sein könne. Unter diesen Umständen scheint es für den Presserat plausibel, dass eine Überprüfung, wie die Anwerbung neuer «Kunden» an den Informationsabenden der Business Academy tatsächlich abläuft, kaum ohne verdeckte Recherche möglich war. Und wenn die Beschwerdeführerin ihre Türen für recherchierende Journalisten ja ohnehin bereitwillig öffnen wollte, ist es nicht ganz nachvollziehbar, weshalb sie sich nun allein deshalb beschwert, dass Beatrice Walder an zwei für ein mehr oder weniger grosses Publikum zugänglichen Informationsveranstaltungen teilnahm, ohne ihre Tätigkeit für den «K-Tipp» zu deklarieren.
d) Wie ist unter diesen Umständen die Verhältnismässigkeit des Vorgehens des «K-Tipp» zu bewerten? Offensichtlich zulässig war für den Presserat die Teilnahme an der ersten Informationsveranstaltung vom 23. November. Zwar statuiert die Richtlinie 4.1, dass sich Journalist/innen bei ihren Recherchen gegenüber ihren Gesprächspartnern als solche zu erkennen geben sollen. Allerdings müssen sich Journalist/innen nicht bei jedem Rechercheschritt ausweisen. Wo sie alltägliche Informationen einholen, die jedem Zufallskunden ohne Weiteres offen stehen, verlassen sie ihre Rolle als beliebige Konsumenten nicht. Dasselbe gilt bei Berichten von Veranstaltungen – selbst wenn diese von Privaten organisiert werden – die im Prinzip für jedermann voraussetzungslos zugänglich sind (Stellungnahme 63/2007).
Bei der Anmeldung für den darauffolgenden zweiten Informationsabend vom 24. November 2009 hätte die Journalistin bei einer offenen Recherche ihre Berufsrolle korrekterweise offenbaren müssen. Zum einen war am zweiten Abend der Kreis der Eingeladenen deutlich kleiner. Zudem ging es nun auch um konkrete Vertragsabschlüsse. Im Vergleich zum Sachverhalt welcher der Stellungnahme 58/2009 («In vier Stunden zum Krankenkassenvermittler») zugrunde lag, ging die für die Recherche der «Wahrheit» in Kauf genommene Täuschung vorliegend allerdings wesentlich weniger weit.
Soweit für den Presserat ersichtlich hat Beatrice Walder ihre Rolle als Beobachterin und Berichterstatterin nicht verlassen und ist nicht selber zur Akteurin geworden. Zudem beschränkte sich die Täuschungshandlung auf ein einmaliges Verschweigen des Berufs. Angesichts des grossen öffentlichen Interesses an der Warnung der Öffentlichkeit vor den von der Beschwerdeführerin nach wie vor bestrittenen, zweifelhaften Geschäftsmethoden war die verdeckte Recherche und deren Veröffentlichung nach Auffassung des Presserates in diesem Fall bei Abwägung der Interessen verhältnismässig. Zumal der beanstandete Bericht nach derjenigen des «K-Tipp» im letzten Abschnitt auch die Sichtweise der Beschwerdeführerin wiedergibt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Mit der Recherche und Veröffentlichung des Artikels «Das Business mit den Träumen» in der Nr. 1/2010 vom 13. Januar 2010 hat der «K-Tipp» die Ziffer 4 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (verdeckte Recherche) nicht verletzt.