Nr. 40/2025
Privatsphäre / Identifizierung / Kinder / Achtung der Menschenwürde / Opferschutz

(Dachorganisation der Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein sowie Frauenhaus beider Basel c. «20 Minuten» online und «nau.ch»)

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Zusammenfassung

Im September 2024 berichteten sowohl «20 Minuten» (online) wie «nau.ch» über einen Femizid. Der mutmassliche Täter, der Ehemann der Ermordeten, hatte ein Haftentlassungsgesuch gestellt und bis vor Bundesgericht geklagt. Die beiden Medien berichteten aufgrund des Bundesgerichtsentscheides. Sie zitierten daraus äusserst grausame Details und brachten zum Teil unverpixelte Bilder der Kinder respektive des Hauses. Gegen die Berichterstattung reichten die Dachorganisation der Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein und das Frauenhaus beider Basel beim Schweizer Presserat eine Beschwerde ein. Sie monierten, mit den Berichten sei unter anderem die Privatsphäre verletzt, auch sei es ein Leichtes, mit den publizierten Angaben das Opfer zu identifizieren. Insbesondere kritisierten sie, dass der besondere Schutz der Kinder, wie ihn Richtlinie 7.3 fordert, verletzt wurde. Die beiden Medien bestritten, gegen den Journalismuskodex verstossen zu haben.
Der Presserat hiess die Beschwerde mehrheitlich gut und rügte «20 Minuten» wie nau.ch, weil die Berichterstattung sowohl die Ziffern 7 (Identifizierung / Kinder) und 8 (Opferschutz) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzte. In seinen Erwägungen hält er fest: «Die Argumentation der Medienhäuser, sie hätten so berichtet, weil es wichtig sei, über Femizide zu berichten und es werde verlangt, «nicht verkürzend und damit beschönigend zu berichten» (Argument von «20min.ch»), ist nicht nachvollziehbar. Selbstverständlich ist es von öffentlichem Interesse, über Femizide zu berichten und auf die Problematik hinzuweisen. Die beanstandeten Artikel tun aber letztlich genau das Gegenteil und lassen Sensibilität und Respekt gegenüber dem Opfer und den Angehörigen vermissen.»

Résumé

En septembre 2024, « 20 Minuten » (en ligne) et « nau.ch » ont chacun publié un article sur un féminicide. L’auteur présumé, mari de la victime, avait déposé une demande de libération de sa peine de détention et recouru jusqu’au Tribunal fédéral. Les articles s’appuyaient sur l’arrêt du Tribunal fédéral. Ils citaient des détails particulièrement emplis de cruauté et comportaient des photos non pixellisées des enfants et de la maison. La Fédération Solidarité femmes de Suisse et du Liechtenstein et la Maison d’accueil pour femmes des deux Bâle ont déposé une plainte auprès du Conseil suisse de la presse, au motif que les articles constituaient une atteinte à la sphère privée et qu’il était facile d’identifier la victime à partir des éléments publiés. Les deux organisations ont déploré en particulier que les journalistes n’aient pas tenu compte de la protection particulière dont bénéficient les enfants en application de la directive. Les deux journaux en ligne ont quant à eux réfuté avoir enfreint le code de déontologie.
Le Conseil suisse de la presse a admis de larges pans de la plainte, car les articles ne respectaient pas les ch. 7 (identification / enfants) et 8 (protection des victimes) de la « Déclaration des devoirs et des droits du/de la journaliste ». Il a noté dans ses considérants que l’argumentation des deux journaux selon laquelle il est important de parler des féminicides et qu’il est nécessaire en particulier, selon « 20 min.ch », de ne pas écourter et embellir les propos n’est pas convaincante. L’intérêt public exige, bien sûr, que l’on parle des féminicides et que l’on sensibilise le public. Mais les deux articles décriés produisent l’effet contraire et manquent de sensibilité et de respect vis-à-vis des victimes et de leurs proches.

Riassunto

Nel settembre del 2024 «20 Minuten» (online) e «nau.ch» hanno riportato la notizia di un femminicidio. Il presunto autore, marito della vittima, aveva presentato una richiesta di scarcerazione e fatto ricorso fino al Tribunale federale. Entrambi i media hanno dato notizia del caso sulla base della decisione del Tribunale federale, citandone dettagli particolarmente raccapriccianti e pubblicando immagini dei bambini e della casa rese solo parzialmente irriconoscibili. L’organizzazione ombrello delle case protette per donne della Svizzera e del Liechtenstein e il rifugio per donne di Basilea Città e Basilea Campagna hanno presentato un reclamo al Consiglio svizzero della stampa contro il reportage. Hanno deplorato che, con tali articoli, tra le altre cose fosse stata violata la sfera privata e che, sulla base delle informazioni pubblicate, la vittima fosse facilmente identificabile. In particolare, hanno criticato la violazione della speciale protezione dei bambini, come richiesto dalla Direttiva 7.3. Entrambi i media hanno negato di aver violato il codice giornalistico.
Il Consiglio della stampa ha accolto il reclamo a maggioranza e ha biasimato «20 Minuten» e «nau.ch» poiché la loro copertura giornalistica ha violato sia la cifra 7 (Identificazione / Bambini) che la cifra 8 (Protezione delle vittime) della «Dichiarazione dei doveri e dei diritti del/della giornalista». Nelle sue considerazioni afferma: «L’argomentazione dei media, secondo cui avrebbero riportato la notizia in quel modo perché è importante informare dei femminicidi e perché viene richiesto di «non riferire in modo riduttivo e quindi edulcorante» (argomentazione di «20min.ch»), non è comprensibile. Naturalmente, è di interesse pubblico informare dei femminicidi e richiamare l’attenzione sul problema. Tuttavia, gli articoli contestati finiscono per fare l’esatto contrario e mancano di sensibilità e rispetto nei confronti della vittima e dei suoi familiari».

 

I. Sachverhalt

A. Am 11. September 2024 publizierte «20min.ch» einen Artikel über einen Femizid in Binningen, der im Februar desselben Jahres stattgefunden hatte, der Titel lautete: «Ehemann hat Leiche von Miss-Schweiz-Finalistin zerstückelt». Der Autor des Beitrags, Lukas Hausendorf, zitiert aus einem Bundesgerichtsurteil, das «neue Details» zur Tat enthalte. Der mutmassliche Täter, der Ehemann des Opfers, hatte sein Haftentlassungsgesuch bis ans Bundesgericht weitergezogen. Aus dem Urteil des Bundesgerichts gehe hervor, so schreibt der Journalist, dass der Ehemann während einer Tatrekonstruktion die Tat gestanden und Notwehr geltend gemacht habe. Zuvor habe er noch behauptet, sie tot aufgefunden und sie «in Panik in der Waschküche zerstückelt […] und in einer Chemikalie aufgelöst» zu haben. Neu behaupte der Mann, seine Frau habe ihn «unvermittelt mit einem Messer angegriffen», worauf er sie umgebracht habe. Der Journalist zitiert diverse drastische Details aus dem Obduktionsbericht, um zu illustrieren, auf welch grausame Art der mutmassliche Täter versuchte, die Leiche zu beseitigen. Das Vorgehen des Mannes sei gemäss Obduktionsbericht planmässig und systematisch gewesen, was einer spontanen Panik-Reaktion widerspreche. Ausserdem sei er bereits aktenkundig gewesen wegen Gewalttätigkeit gegen seine Frau. Das Kantons- wie das Bundesgericht hätten das Haftentlassungsgesuch abgewiesen. Die Anklage sei noch nicht erhoben worden. Das Opfer wird konsequent K. J. oder ehemalige Miss-Schweiz-Finalistin genannt.

Der Artikel ist mit mehreren Fotos bebildert, eines zeigt die Strasse mit einem Strassenschild und dem Haus, in dem die Tat stattgefunden hat. Auf weiteren Fotos ist das Opfer – zum Teil zusammen mit dem Ehemann – zu sehen, die Gesichter verpixelt. Der Artikel wurde mit einer Infobox ergänzt, worin «20min.ch» potentielle Opfer auf verschiedene Organisationen hinweist, die Trauerbegleitung und Beratung anbieten.

Am 14. September 2024 publizierte Lina Schlup auf «nau.ch» einen Artikel zum selben Femizid. Der Artikel trägt den Titel: «Ex-Miss-Finalistin (†) getötet: ‹Nie gesagt, was sie durchmachte›». Nach einer kurzen Rekapitulation des Falls zitiert «nau.ch» eine Ex-Bachelorette, die auf Instagram an Frauen appellierte, sich Hilfe zu holen, wenn sie von häuslicher Gewalt betroffen seien. Man dürfe nicht wegschauen. Prominente aus der Model-Branche zeigten sich schockiert über die grausamen Details des Mordes. «nau.ch» schreibt danach über das schon oben erwähnte Bundesgerichtsurteil: Der Ehemann behaupte, in Notwehr gehandelt zu haben, nachdem seine Frau ihn mit einem Messer angegriffen habe. Diese Darstellung werde jedoch durch ein medizinisch-forensisches Gutachten in Frage gestellt. Der Obduktionsbericht beschreibe den brutalen Versuch, die Leiche verschwinden zu lassen, was auf eine hohe kriminelle Energie und Empathielosigkeit des Täters hinweise. Bereits vor dem Mord habe es Hinweise auf Gewalt in der Beziehung gegeben. Auch «nau.ch» zitierte aus dem Urteil diverse Details, wie der mutmassliche Täter mit der Leiche umging.

«nau.ch» bebilderte seinen Beitrag mit Print-Screens von Beiträgen und Stories des Opfers auf Social-Media-Accounts. Auch ein Bild eines Videos des Opfers ist enthalten. Auf allen Fotos wurde das Gesicht des Opfers verpixelt. «nau.ch» ergänzte den Artikel ebenfalls mit einem Infotext, der Betroffenen von Gewalt rät, sich an die Opferhilfe Schweiz zu wenden.

Am 20. September 2024 publizierte «nau.ch» einen weiteren Text zum Tötungsdelikt mit dem Titel: «K.J.* ermordet: Vater machte grausigen Fund in Müllsack». Darin werden weitere drastische Details geschildert, die aus der britischen «Daily Mail» stammen, welche mit einer Freundin des Opfers gesprochen hatte. Die Freundin wird nicht namentlich genannt, der «Nau»-Artikel ist nicht gezeichnet. Die Freundin habe berichtet, das Opfer habe sich schon früher von ihrem Ehemann trennen wollen, weil er gewalttätig gewesen sei. Der «nau.ch»-Artikel zitiert ausserdem eine Ex-Miss-Schweiz, die sagte, sie wünsche sich, das Opfer hätte früher Hilfe gesucht. Zudem werden frühere Schilderungen über die Tat und den mutmasslichen Täter wiederholt. Bebildert wird dieser Artikel mit Fotos des Opfers und des mutmasslichen Täters, die gemäss Quellenangabe von Social-Media-Kanälen stammen, die Gesichter ebenfalls verpixelt. Auf einem Foto sind auch die Kinder von hinten bzw. von der Seite im Gegenlicht zu sehen.

B. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2024 reichten die Dachorganisation der Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein und das Frauenhaus beider Basel eine Beschwerde gegen diese drei Artikel ein. Sie monieren, die drei Artikel verletzten mehrfach die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung»).

Sie kritisieren, der Artikel von «20min.ch» verstosse mit der Erwähnung diverser identifizierender Details («Miss-Schweiz-Finalistin», Ortsangabe «Binninger Villenviertel», dem Foto mit dem Haus und dem lesbaren Strassenschild) gegen die Richtlinien 7.1 (Privatsphäre) und 7.2 (Identifizierung).

Im Weiteren würden die Richtlinien 8.1 (Menschenwürde) und 8.3 (Opferschutz) verletzt, weil jedes Detail der Ermordung und Beseitigung des Opfers erwähnt werde. Es sei öffentlich gemacht worden, dass das Opfer zerstückelt worden sei – die detaillierte Beschreibung dessen sei jedoch unnötig und verstosse gegen die Menschenwürde des Opfers. Die Beschwerdeführenden kritisieren auch, dass im Bericht erwähnt wurde, das Opfer habe zwei Töchter hinterlassen. Dies verstosse gegen Richtlinie 7.3 (Kinder), wonach Kinder besonders zu schützen sind. Zusammen mit der Beschreibung des Wohnortes sei es ein Leichtes, die Kinder und deren Kindergarten zu identifizieren.

Durch das «sensationalistische Vorgehen» aufgrund der detaillierten Beschreibung des Vorgehens des mutmasslichen Täters verstosse der Artikel von «nau.ch» vom 14. September 2024 gegen Richtlinie 8.1 (Menschenwürde) und 8.3 (Opferschutz). Zudem werde im Text auf ein Video des Opfers auf Instagram verwiesen, das das Opfer ungeschützt darstelle.

Der Artikel von «nau.ch» vom 20. September 2024 verstosse gegen Richtlinie 7.8 (Totenruhe). In diesem Nachfolgeartikel würden «weitere, sensationslüsterne» Details publiziert, die nichts zum Sachverhalt beitrügen und die Totenruhe störten. Auch dieser Text verstosse gegen die Richtlinien 8.1 (Menschenwürde) und 8.3 (Opferschutz), da die detaillierte Beschreibung «die Grenzen eines legitimierten Informationsbedürfnisses der Öffentlichkeit» übersteige. Zudem verweise der Artikel auf «Daily Mail», womit die «Erklärung» umgangen werde, da das britische Medium mit Klarnamen und unzensierten Bildern über das Tötungsdelikt berichtet habe.

Weiter liege ein Verstoss gegen Richtlinie 7.3 (Kinder) vor, da Bilder von Instagram veröffentlicht würden, auf denen eines der Kinder im Profil erkennbar sei, weil das Foto unverpixelt sei. Kinder, vor allem wenn sie unter 10 Jahre alt seien, gälten als besonders schützenswert. Aus dem Bild lasse sich schliessen, dass die beiden Kinder jünger seien. «Unverpixelte Bilder der Kinder zu zeigen, auch wenn diese nicht klar erkennbar sind, gibt Hinweise und Suchmöglichkeiten, welche zum Schaden der Kinder sind: kurz-, mittel- und langfristig. Die höchste Zurückhaltung, welche in den Richtlinien gefordert wird, ist damit für die Kinder nicht gegeben, die bereits unter dem Gewaltverbrechen leiden und eine höchst schwierige Zeit haben und auch noch vor sich haben werden», argumentieren die Beschwerdeführenden.

C. a) Mit Schreiben vom 30. April 2025 nimmt der Rechtsdienst der TX Group (Beschwerdegegnerin 1) Stellung zur Beschwerde gegen den Artikel von «20min.ch» und beantragt deren Abweisung, sofern überhaupt darauf einzutreten sei.

Es habe keine Verletzung der Privatsphäre stattgefunden, weder durch die Nennung des Wohnsitzes noch durch das Foto, das den Strassennamen enthalte. Der Tatort sei nur abstrakt als Binninger Villenhügel beschrieben worden, die Bilder zeigten nichts, was den Privatbereich des Opfers tangiere. Die übrigen Bilder seien anonymisiert worden, womit keine Rechte am eigenen Bild verletzt worden seien.

Es habe auch keine unzulässige identifizierende Berichterstattung gemäss Richtlinie 7.2 stattgefunden. Das Opfer habe durch die Miss-Schweiz-Finalteilnahme bereits mediale Bekanntheit erlangt. Zudem seien weitere Artikel über ihre Tätigkeit als Model und später als Catwalk-Coach erschienen. Deshalb seien die gemachten Angaben vertretbar gewesen. Die Identifizierung ist gemäss Beschwerdegegnerin 1 mehr der identifizierenden Berichterstattung ausländischer Medien und anderer Personen des öffentlichen Lebens zuzuschreiben. Zudem habe eine Internetsuche mit den genannten Schlagworten zum damaligen Zeitpunkt zu keinen identifizierenden Resultaten geführt.

Zu Richtlinie 7.3 (Kinder) enthalte der Artikel keine Angaben, die zur Identifizierung der Kinder beitragen würden – weder betreffend Alter noch Erziehungseinrichtung. Die Erwähnung, dass das Opfer zwei Kinder habe, stelle noch keine Identifizierung dar. Man habe im Gegensatz zu Mitbewerbern auch bewusst auf Abbildungen von Kleinkindern verzichtet. Demnach entspreche der Artikel der journalistischen Sorgfaltspflicht.

Auch Richtlinie 8.1 (Menschenwürde) und 8.3 (Opferschutz) würden nicht verletzt. Die Beschwerdegegnerin räumt ein, dass «eine detaillierte Beschreibung sämtlicher todes- und nicht todesursächlicher Verletzungen ante mortem sowie der post mortem unternommenen Schritte zur Beseitigung des Opfers eine sensationelle Beschreibung darstellen würde, die das legitime Informationsbedürfnis» übersteigen und «das Opfer zum blossen Objekt degradieren und in seiner Menschenwürde verletzen würde». Umgekehrt wäre es «verzerrend, verkürzt und wahrheitswidrig, wenn vorgeworfene Taten beschuldigter Personen durch Weglassungen verständnisnotwendiger Elemente beschönigt, die besondere Schwere und Grausamkeit der Tat unterschlagen» würde. Zumal von Gerichten und Medien auch verlangt werde, über Femizide nicht verkürzend und dadurch beschönigend zu berichten. In diesem Fall beschränke sich die Beschreibung der Tat, der Methoden und Tatmittel auf das Notwendigste. Notwendig, um ein «planmässiges, empathieloses, kaltblütiges und mit äusserst hoher krimineller Energie durchgeführtes Vorgehen des mutmasslichen Täters» zu erklären.

b) Mit Schreiben vom 5. März 2025 nimmt die Medienstelle Nau media AG (Beschwerdegegnerin 2) für die Redaktion zu den monierten Artikeln von «nau.ch» Stellung und bestreitet, gegen die von den Beschwerdeführenden erwähnten Richtlinien verstossen zu haben.

Im Gegensatz zu anderen Medien sei der Name des Opfers nur mit Initialen genannt worden, womit es nicht identifizierbar gewesen sei. «nau.ch» bestreitet, dass die Kinder zu erkennen gewesen seien, da sie nur von hinten abgebildet seien. Zudem habe man bewusst auf einen externen Link auf die Berichterstattung der «Daily Mail» verzichtet, wo die Kinder zu sehen gewesen seien. Im Gegensatz zu anderen Medien habe «nau.ch» darauf verzichtet, den Tatort zu besuchen und zu zeigen. Man habe die Beschreibungen der englischen Medien über die Leichenbeseitigung bewusst «entschärft». Letztlich sei es im Bericht darum gegangen, die Lesenden darüber aufzuklären, wie das Opfer verschwunden sei. Dies sei jedoch nicht in «sensationslüsterner» Art geschehen. Es sei «Nau» wichtig, über Femizide zu berichten, damit Gewalt an Frauen ans Licht komme. Am Ende der Artikel, «helfen wir mit einem Hinweis Betroffenen, sich Hilfe zu holen», schreibt die Beschwerdegegnerin 2.

D. Mit Schreiben vom 24. Juni bzw. 21. August 2025 teilte der Presserat den Parteien mit, dass die Beschwerde von der 1. Kammer des Presserats, bestehend aus Susan Boos (Präsidentin), Luca Allidi, Catherine Boss, Ursin Cadisch, Stefano Guerra, Erik Schönenberger und Casper Selg behandelt wird.

E. Die 1. Kammer hat die Beschwerde in ihrer Sitzung vom 22. August 2025 und auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Richtlinie 7.1 (Privatsphäre) statuiert den Schutz des Privatlebens jeder Person. JournalistInnen dürfen im Privatbereich keine Ton-, Bild- oder Videoaufnahmen ohne Einwilligung der Betroffenen machen oder anderweitig in deren Privatsphäre eindringen. Auch im öffentlichen Bereich ist das Fotografieren oder Filmen von Privatpersonen nur dann ohne Einwilligung der Betroffenen zulässig, wenn sie auf dem Bild nicht herausgehoben werden.

Die Beschwerdeführenden werfen «20min.ch» vor, die Privatsphäre des Opfers und der Kinder verletzt zu haben. Beschwerdegegnerin 1 bestreitet dies und gibt an, innerhalb der journalistischen Sorgfaltspflicht gehandelt zu haben.

Bei den veröffentlichten Tatortfotos kann der Presserat keine Verletzung der Privatsphäre sehen. Diese wurden vor dem Haus auf öffentlichem Grund gemacht. Es wurde zur Beschaffung der Fotos nicht in die Privatsphäre des Opfers und der Kinder eingedrungen. Es liegt demnach kein Verstoss gegen Richtlinie 7.1 (Privatsphäre) vor.

2. Richtlinie 7.2 (Identifizierung) verlangt bezüglich der Frage, ob eine identifizierende Berichterstattung zulässig ist, die sorgfältige Abwägung des Rechts auf Privatsphäre und des Rechts der Öffentlichkeit auf Information. Überwiegt das Interesse am Schutz der Privatsphäre das Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung, dürfen gemäss Richtlinie 7.2 Journalistinnen und Journalisten weder Namen erwähnen noch andere Angaben machen, welche die Identifikation durch Dritte ermöglichen. Unter Dritten versteht der Presserat Personen, die sich ausschliesslich durch die Medien informieren. Dabei ist aber in Kauf zu nehmen, dass Familie, soziales wie berufliches Umfeld die betreffende Person identifizieren können (vgl. Stellungnahme 10/2024).

Die Beschwerdeführenden argumentieren, durch die Nennung des Wohnortes, einem Foto vom Wohnhaus mit Strassenschild, den Initialen des Opfers sowie die Bezeichnung als ehemalige Miss-Schweiz-Finalistin sei es für Aussenstehende möglich, das Opfer zu identifizieren. «20min.ch» wie «nau.ch» bestreiten dies.

Die Artikel von «20min.ch» und «nau.ch» enthalten nicht ein einzelnes, ausschlaggebendes Element für eine identifizierende Berichterstattung. Allerdings können auch mehrere Elemente in Kombination zu einer Identifikation durch Dritte führen, wie der Presserat in früheren Stellungnahmen festgehalten hat (vgl. Stellungnahmen 41/2022, 4/2022, 88/2020). Vorliegend handelt es sich um den Strassennamen (im Foto klar lesbar), den Wohnort, die Abbildung des Wohnhauses sowie die Angabe von Alter, Beruf und Familienstand des Opfers sowie Anzahl und Geschlecht der Kinder. Mit derart detaillierten Angaben wurde das Opfer über sein privates, soziales und berufliches Umfeld hinaus für Dritte identifizierbar. Erschwerend kommt hinzu, dass beide Medien die Initialen des Vor- und Nachnamens des Opfers verwendet haben. Bereits in seiner Stellungnahme 11/2009 hat der Presserat festgehalten, dass es besser ist, fiktive Namen zu verwenden, dies insbesondere in der Gerichtsberichterstattung. Bei «nau.ch» fällt zusätzlich ins Gewicht, dass die Information, es handle sich beim Opfer um die «Miss Nordwestschweiz 2003», unmittelbar zur Identifizierung führt. Zusammengefasst liegt bei allen drei Artikeln ein Verstoss gegen Richtlinie 7.2 (Identifizierung) vor.

3. Richtlinie 7.3 (Kinder) verlangt besonderen Schutz für Kinder: «Höchste Zurückhaltung ist bei Recherchen und Berichten über Gewaltverbrechen angezeigt, von denen Kinder tangiert sind (sei es als Opfer, mögliche Täter/innen oder als Zeug/innen).»

Die Beschwerdeführenden bemängeln bei «20min.ch», durch die Identifizierung sei es auch ein Leichtes, die Kinder und die Erziehungseinrichtung zu identifizieren, was dem besonderen Schutz der Kinder widerspreche. «20min.ch» bestreitet dies, zumal das Alter der Kinder nicht erwähnt worden sei. «nau.ch» argumentiert ebenfalls, die Kinder seien in ihrer Berichterstattung nicht zu erkennen gewesen. Dieser Argumentation kann der Presserat nicht folgen. Wenn die Eltern zu identifizieren sind, lassen sich auch die beiden Kinder identifizieren, womit «der besondere Schutz für Kinder» ebenfalls verletzt wurde. Kommt hinzu, dass die Schilderung des Tathergangs sich in allen drei Artikeln auf Ausführungen stützt, die einem Bundesgerichtsentscheid entnommen sind. Der Detaillierungsgrad dieser Schilderungen ist nicht mit dem besonderen Schutzbedürfnis von Kindern vereinbar. Die journalistische Sorgfaltspflicht verlangt eine zurückhaltende Darstellung. Für die Darstellung der Tat hätte es gereicht, zu schreiben, die Leiche sei zerteilt worden. «nau.ch» hat seinen Artikel vom 20. September 2024 zudem mit einem Foto bebildert, auf dem die Kinder von hinten bzw. von der Seite im Gegenlicht zu sehen sind. Damit werden zusätzlich deren ungefähres Alter und deren Geschlecht öffentlich gemacht, was dem besonderen Schutzbedürfnis von Kindern widerspricht. Alle drei Artikel haben gegen Richtlinie 7.3 (Kinder) verstossen.

4. Richtlinie 7.8 (Notsituationen, Krankheit, Krieg und Konflikte) verlangt besondere Zurückhaltung gegenüber Personen in Notsituationen oder Personen, die unter dem Schock eines Ereignisses stehen oder trauern. Auch verlangt die Richtlinie eine Abwägung des Rechts auf Totenruhe gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Berichterstattung. Bilder, auf denen Verstorbene herausgehoben sind, dürfen nur dann publiziert werden, wenn die Angehörigen die Bilder explizit freigegeben haben. Im vorliegenden Fall sind alle Bilder des Opfers verpixelt. Eine Heraushebung liegt nicht vor, auch wurden keine Bilder von Personen, die unter dem Eindruck (Schock) der Tat stehen, veröffentlicht. Richtlinie 7.8 ist somit nicht anwendbar.

5. Richtlinie 8.1 (Menschenwürde) verlangt die Achtung der Menschenwürde, wobei diese gegenüber dem Recht der Öffentlichkeit auf Information abzuwägen ist. In seiner Praxis bezieht der Presserat diese Bestimmung vor allem auf die Herabsetzung von Personen und Personengruppen. Die Würde des Opfers wurde hier nicht durch die Berichterstattung herabgesetzt, sondern durch das Handeln des Täters. Es liegt demnach kein Verstoss gegen Richtlinie 8.1 (Menschenwürde) vor.

6. Richtlinie 8.3 (Opferschutz) verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie bei Berichten über dramatische und gewalttätige Ereignisse «immer sorgfältig zwischen dem Recht der Öffentlichkeit auf Information und den Interessen der Opfer und der Betroffenen abwägen». Die Richtlinie verbietet sensationelle Darstellungen, die dazu geeignet sind, Menschen auf blosse Objekte zu reduzieren: «Als sensationell gilt insbesondere die Darstellung von Sterbenden, Leidenden und Leichen, wenn die Darstellung in Text und Bild hinsichtlich detailgetreuer Beschreibung (…) die Grenze des durch das legitime Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit Gerechtfertigten übersteigt.»

Die Beschwerdeführenden sehen diese Richtlinie in allen Artikeln als verletzt an und werfen den beiden Medien ein «sensationalistisches Vorgehen» vor, weil sie sehr viele Details der Geschehnisse nach dem Tod veröffentlicht haben. «20min.ch» stellt zwar selber fest, dass die detaillierte Beschreibung dazu geeignet sei, das Opfer zu degradieren, trotzdem sei die Beschreibung zulässig gewesen, weil sie zum Verständnis der Grausamkeit der Tat notwendig und von öffentlichem Interesse sei. «nau.ch» macht geltend, dass andere (britische) Medien noch detaillierter berichtet hätten, «nau» habe eine entschärfte Version veröffentlicht. Man habe erklären wollen, «wie die Frau überhaupt verschwunden» sei. Auch sei es wichtig, über Femizide zu berichten, damit Gewalt an Frauen ans Licht komme.

Bei der Berichterstattung über Gewalttaten im Allgemeinen sind die ethischen Grundsätze durch JournalistInnen zu beachten und der Informationswert der Berichterstattung besonders sorgfältig abzuwägen. Die Beiträge von «20min.ch» und «nau.ch» schildern die Geschehnisse rund um das Tötungsdelikt in einer detaillierten, teilweise dramatisierenden Sprache (wie zum Beispiel mit dem reisserischen Titel im Bericht vom 20. September 2024). Eine Formulierung wie «Obduktionsbericht wie aus einem Horrorfilm» («nau.ch» im Artikel vom 14. September 2024) reicht, die Schilderung weiterer, exakter, grausamer Details durch beide Medien übersteigen das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit bei Weitem. Der Presserat verzichtet bewusst darauf, die genauen Formulierungen zu wiederholen. Er stellt aber fest, dass diese die Grenze einer ethisch verantwortbaren Berichterstattung überschritten und die Menschenwürde des Opfers verletzt haben, weil das Opfer zu einem Objekt reduziert wurde. Vorliegend wiegt das Recht des Opfers schwerer als das Recht der Öffentlichkeit, mehr Details zu erfahren. Die geschilderten Details helfen nicht, die Tat besser einordnen zu können, sondern wirken entmenschlichend. Diese Fakten sind nicht von öffentlichem Interesse, sie dienen lediglich der Erzeugung von Spannung, der Befriedigung der Neugier und dem Generieren von Clicks.

Die Argumentation der Medienhäuser, sie hätten so berichtet, weil es wichtig sei, über Femizide zu berichten und es werde verlangt, «nicht verkürzend und damit beschönigend zu berichten» (Argument von «20min.ch»), ist nicht nachvollziehbar. Selbstverständlich ist es von öffentlichem Interesse, über Femizide zu berichten und auf die Problematik hinzuweisen. Die beanstandeten Artikel tun aber letztlich genau das Gegenteil und lassen Sensibilität und Respekt gegenüber dem Opfer und den Angehörigen vermissen.

Alle drei Artikel haben gegen Richtlinie 8.3 (Opferschutz) verstossen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird in der Hauptsache gutgeheissen.

2. «20min.ch» hat mit dem Artikel «Ehemann hat Leiche von Miss-Schweiz-Finalistin zerstückelt» vom 11. September 2024 die Ziffern 7 (Identifizierung / Kinder) und 8 (Opferschutz) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. «nau.ch» hat mit den Artikeln «Ex-Miss-Finalistin (†) getötet: ‹Nie gesagt, was sie durchmachte›» vom 14. September 2024 sowie «K.J.* ermordet: Vater machte grausigen Fund in Müllsack» vom 20. September 2024 die Ziffern 7 (Identifizierung / Kinder) und 8 (Opferschutz) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

4. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.