Nr. 52/2022
Wahrheit / Berichtigung

(Imark c. «Basler Zeitung»)

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I. Sachverhalt

A. Am 21. Juni 2022 erschien in der «Basler Zeitung» (BaZ) ein Kommentar von Katrin Hauser unter dem Titel «Dürfen sich Kinderlose zu Elternfragen äussern?» und folgendem Lead: «Im Sonntags-Talk bei Telebasel eskaliert es zwischen Samira Marti (SP) und Christian Imark (SVP). Er ist der Meinung, dass sie als Frau ohne Kinder nicht über Familienpolitik sprechen kann.» Im Text geht es um den Sonntags-Talk auf Telebasel, einer Diskussionssendung, bei welcher Nationalrätin Samira Marti und Nationalrat Christian Imark aufeinandertrafen. Sie diskutierten unter anderem über die 30-Stunden-Arbeitswoche und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Laut Katrin Hauser habe sich Imark – Vater von zwei Kindern – in der Sendung darüber geärgert, dass sich seine Ratskollegin Marti überhaupt zum Thema äussere. Denn: «Sie haben ja gar keine Familie.» Marti habe darauf empört gesagt: «Also bitte, wie redest du eigentlich mit mir?» Und ihn darauf hingewiesen, dass es keine Rolle spiele, ob sie Kinder habe oder nicht, er habe gerade eine Linie überschritten. Die Journalistin gibt in ihrem Kommentar der SP-Nationalrätin recht: Auch Kinderlose dürften zu Familienfragen Stellung beziehen. Dem Gegenüber die Fähigkeit abzusprechen, sich in Themen zu vertiefen, die einen nicht unmittelbar beträfen, sei ein «feiger Move».

B. Am 23. Juni 2022 reichte Christian Imark Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Er macht geltend, der Kommentar verletze die Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe in der Sendung nie gesagt, Samira Marti könne oder dürfe als Kinderlose nicht über Familienpolitik sprechen. Die Journalistin habe diese Information nur aus der Sendung, sie habe ihn nie dazu befragt. Er habe aber zusammengefasst gesagt, es sei nachvollziehbar, dass jemand, der selber nie Personen beschäftigt habe und keine eigene Familie habe, utopische Forderungen aufstelle. Er habe am 21. Juni 2022 eine nachträgliche Korrektur des Artikels verlangt, was von der Journalistin abgelehnt worden sei. Damit habe die BaZ Ziffer 5 (Berichtigungsgebot) der «Erklärung» verletzt.

C. Am 16. September 2022 beantragte die Rechtsvertreterin der «Basler Zeitung», auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, da der Beschwerdeführer seine Beschwerde mit dem Vorbehalt abschliesse, eine Strafanzeige gegen die Journalistin einzureichen. Gemäss Art. 11 Abs. 1 des Geschäftsreglements des Presserates sei dies ein Grund für ein Nichteintreten. Eventualiter beantragte die BaZ die Abweisung der Beschwerde. Christian Imark habe in der Sendung den Satz «Ich meine, Ihr habt ja gar keine Familie» gesagt und spreche Samira Marti damit aufgrund fehlender Erfahrung die Fähigkeit ab, sich zum Thema kompetent äussern zu können. Bei einem Meinungsbeitrag gehe aus dem zugespitzten Titel «Dürfen sich Kinderlose zu Elternfragen äussern?» in Zusammenhang mit dem Lead klar hervor, dass damit nicht gemeint sei, Kinderlose müssten ihrer demokratisch legitimierten Meinungs- und Redefreit beschnitten werden. Es werde die Frage gestellt, inwiefern Kinderlose beim Thema mitreden könnten. Die Journalistin habe Imark weder in der Print- noch in der Online-Version des Artikels unterstellt, er finde, eine kinderlose Frau dürfe nicht über Familienpolitik sprechen. Im Kommentar sei nur gestanden, er sei der Meinung, sie könne sich dazu nicht äussern, im Sinne der Fähigkeit, sich kompetent zu äussern. Das Wahrheitsgebot sei damit nicht verletzt.

Die Redaktion führt aus, obwohl es nicht explizit gerügt werde, so beklage Imark doch mehrmals, die Journalistin habe ihn nicht kontaktiert oder befragt. Dies sei auch nicht notwendig, wenn in einem Artikel das gesprochene Wort wiedergegeben werde. Es handle sich auch um keinen schweren Vorwurf. Da der materielle Inhalt des Kommentars in keiner Weise falsch sei, könne auch Ziffer 5 der «Erklärung» nicht verletzt werden. Die Journalistin bot dem Beschwerdeführer sogar an, seine Replik zu ihrem Kommentar zu veröffentlichen, was dieser abgelehnt habe. Der Lead des Online-Artikels, welcher den Beschwerdeführer besonders störte, sei aus reinem Goodwill leicht abgeändert worden in: «Im Sonntags-Talk bei Telebasel eskaliert es zwischen Samira Marti (SP) und Christian Imark (SVP). Er scheint der Meinung zu sein, dass sie als Frau ohne Kinder Familienfragen schlecht beurteilen kann.»

D. Am 11. Oktober 2022 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.

E. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 30. Dezember 2022 verabschiedet.

II. Erwägungen

1. In der Sendung «Sonntags-Talk» auf Telebasel vom 19. Juni 2022 sagt Christian Imark zu Samira Marti den Satz «Ich meine, Ihr habt ja gar keine Familie». Kurz zuvor sagt er: «Wenn ich Frau Marti zuhöre, was sie sagt, wie das mit diesen ganzen Arbeitsmodellen neu soll gemacht werden, frage ich mich ernsthaft, wieviel sie überhaupt schon in der Wirtschaft gearbeitet hat. Und wenn Sie auch noch von Familien- und Berufsvereinbarkeit sprechen … ich meine, Ihr habt ja gar keine Familie». Worauf Samira Marti kontert mit «Du sprichst über den Frauenstreik als Mann, bravo!». Imark führt dann weiter aus, diese Forderungshaltung, damit habe er Mühe, sie sei realitätsfremd. Daraufhin weist ihn seine Nationalratskollegin heftig zurecht, das spiele doch keine Rolle, ob sie Kinder habe oder nicht, er habe gerade eine Linie überschritten.

Ob Christian Imark den Satz so gemeint hat, wie er ihn in der Beschwerde zusammenfasst (Es sei nachvollziehbar, dass jemand, der selber nie Personen beschäftigt habe und keine eigene Familie habe, utopische Forderungen aufstelle) kann offenbleiben. Der Presserat stellt in konstanter Praxis auf «die durchschnittlichen LeserInnen» ab, wenn es darum geht, wie ein Text zu verstehen ist (u.a. Stellungnahmen 31/2022; 19/2022; 3/2022). Entscheidend ist somit, wie der Satz beim Publikum ankommt. Samira Marti reagierte empört mit «Es spielt doch keine Rolle, ob ich Kinder habe oder nicht!». Es muss davon ausgegangen werden, dass sie den Satz so verstanden hat, wie auch die Journalistin: Imark spreche ihr wegen mangelnder eigener Erfahrung in Bezug auf das Thema die Kompetenz ab, sich zu Familienfragen zu äussern. So oder ähnlich dürfte der Satz auch beim Publikum ankommen bzw. verstanden werden.* Als Politiker muss sich der Beschwerdeführer darüber im Klaren sein, dass missverständliche Voten auch missverstanden werden können und sorgsam argumentieren, um derartige Missverständnisse zu vermeiden.

Der Presserat konzediert allerdings, dass auch der Lead in der BaZ falsch verstanden werden konnte: «Christian Imark (SVP) findet, dass die kinderlose Samira Marti (SP) nicht über Familienpolitik sprechen kann.» Hier hätte sauberer gearbeitet werden können. Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitspflicht) ist damit aber nicht verletzt worden.

2. Da Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) nicht verletzt worden ist, kann auch keine Verletzung von Ziffer 5 (Berichtigung) vorliegen – eine Berichtigung war nicht notwendig.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit dem Artikel «Dürfen sich Kinderlose zu Elternfragen äussern?» vom 21. Juni 2022 die Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigungsgebot) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.

*Dieser Abschnitt wurde am 18. April 2023 korrigiert. Er lautete ursprünglich wie folgt: Entscheidend ist, wie der Satz bei der Empfängerin Samira Marti ankam. Da sie empört mit «Es spielt doch keine Rolle, ob ich Kinder habe oder nicht!» antwortete, muss davon ausgegangen werden, dass sie ihn so verstand, wie auch die Journalistin: Er spreche ihr wegen mangelnder eigener Erfahrung in Bezug auf das Thema die Kompetenz ab, sich zu Familienfragen zu äussern.