Zusammenfassung
Die «NZZ am Sonntag» hat mit ihrem Artikel «Er kann es nicht lassen» nicht gegen die Rechte und Pflichten der Journalistinnen und Journalisten verstossen. Im Artikel wird das Verhalten des Captains der Schweizer Fussballnationalmannschaft, Granit Xhaka, während des WM-Gruppenspiels gegen Serbien thematisiert. Xhaka hatte sich im Spiel vom 3. Dezember in seinen Schritt gelangt und ein Trikot mit dem Namen des Spielers Ardon Jashari verkehrt herum übergestreift. Der Presserat hatte im Wesentlichen zu prüfen, ob die Redaktion mit dem Artikel ihre Pflicht zur Wahrheitssuche verletzt hat oder nicht. Der Autor habe nicht nur unterschlagen, welche Stimmung im Stadion herrschte, sondern vor allem wahrheitswidrig berichtet. Moniert worden war explizit, die Redaktion habe die Umstände des Ablebens von Adem Jashari falsch dargestellt. Wie im Artikel dargelegt, wird der Name Jashari eben nicht nur mit einem Fussballspieler in Verbindung gebracht, sondern in Serbien und Albanien vielmehr mit Adem Jashari assoziiert, der je nach Standpunkt als Volksheld oder Terrorist angesehen wird.
Tatsächlich war die Schilderung des Todes von Adem Jashari im Artikel ungenau. Online hat die «NZZ am Sonntag» dies korrigiert und am Ende des Textes auf diese Korrektur hingewiesen. Der Presserat anerkennt jedoch, dass es in einem Artikel nicht immer möglich ist – gerade nicht, wenn es wie nach einem Fussballspiel schnell gehen muss –, sämtliche bekannten Fakten mit Quellen zu unterlegen. Zudem hatte der Autor, anders als bemängelt, sehr wohl auf die aufgeheizte Stimmung im Stadion hingewiesen. Vor allem aber waren die Umstände der Tötung von Adem Jashari nicht der Kern des Artikels. Sondern Thema war eben Xhakas Verhalten auf dem Platz. Der Presserat hat die Beschwerde abgewiesen.
Résumé
La « NZZ am Sonntag » n’a pas commis d’atteinte aux droits et aux devoirs des journalistes dans son article « Er kann es nicht lassen » (il ne peut pas s’en empêcher). L’article évoque le comportement du capitaine de l’équipe suisse de football, Granit Xhaka, pendant le match contre la Serbie lors de la phase de groupes de la Coupe du monde. Lors du match du 3 décembre, Xhaka s’était agrippé l’entrejambe et avait revêtu à l’envers le maillot de son coéquipier Ardon Jashari, arborant le nom de celui-ci sur sa poitrine. Le Conseil suisse de la presse devait pour l’essentiel vérifier si la rédaction avait manqué à son devoir de rechercher la vérité dans cet article. Selon la plainte reçue, l’auteur de l’article n’a rien dit de l’ambiance qui régnait dans le stade et, surtout, a contrevenu à son devoir de vérité. La plainte déplorait en particulier que les circonstances de la mort d’Adem Jashari soient présentées de manière fausse. Comme l’indique l’article, en Serbie et en Albanie, le nom Jashari, bien plus qu’un footballeur, évoque avant tout Adem Jashari qui, selon les points de vue, est perçu soit comme un héros du peuple, soit comme un terroriste.
Les circonstances de la mort d’Adem Jashari, telles que présentées dans l’article, étaient en effet entachées d’imprécisions, que la « NZZ am Sonntag » a corrigées dans son édition en ligne, en faisant référence aux corrections à la fin du texte. Le Conseil suisse de la presse reconnaît toutefois qu’il n’est pas toujours possible, en particulier dans un article sur un match de football qui vient de se dérouler, qui exige pour les journalistes de faire vite, d’étayer tous les faits connus par des sources. L’auteur a de plus, contrairement à ce qu’avance la plainte, bel et bien fait référence à l’ambiance échauffée du stade. Mais surtout, les circonstances de la mort d’Adem Jashari n’étaient pas au cœur de l’article ; il en allait du comportement de Xhaka sur le terrain.
Le Conseil suisse de la presse a rejeté la plainte.
Riassunto
L’articolo «Er kann es nicht lassen» (Non può evitarlo), della «NZZ am Sonntag», non ha violato i doveri e i diritti delle giornaliste e dei giornalisti. L’articolo si occupa del comportamento di Granit Xhaka, capitano della nazionale svizzera di calcio, durante la partita dei mondiali contro la Serbia. Durante l’incontro del 3 dicembre, Xhaka si era toccato le parti basse e si era infilato alla rovescia la maglietta del giocatore Ardon Jashari.
In sostanza, il Consiglio della stampa doveva verificare se questo articolo avesse o meno violato il dovere di rispetto della verità. L’autore, non solo non avrebbe menzionato l’atmosfera dello stadio, ma avrebbe anche riportato notizie non veritiere. È stato esplicitamente criticato il fatto che la redazione abbia travisato le circostanze della morte di Adem Jashari. Nell’articolo viene spiegato che in Serbia e in Albania, il nome Jashari non è associato solamente a un giocatore di calcio, ma piuttosto a Adem Jashari, considerato un eroe nazionale o un terrorista a seconda del punto di vista. Effettivamente, la descrizione della morte di Adem Jashari nell’articolo era imprecisa. La «NZZ am Sonntag» ha corretto la notizia online, segnalando la correzione in calce al testo. Tuttavia, il Consiglio della stampa riconosce che in un articolo —in particolare quando dev’essere scritto in fretta, come dopo una partita di calcio— non sempre è possibile suffragare tutti i fatti noti con delle fonti. Inoltre, contrariamente alle critiche, l’autore aveva effettivamente fatto riferimento all’atmosfera accesa nello stadio. Soprattutto, però, le circostanze dell’uccisione di Adem Jashari non erano al centro dell’articolo. Il tema era invece il comportamento di Xhaka in campo. Inoltre, diversamente da quanto criticato, l’autore ha sottolineato l’atmosfera surriscaldata nello stadio. Ma soprattutto, l’articolo non trattava le circostanze dell’uccisione di Adem Jashari bensì il comportamento di Xhaka in campo.
Il Consiglio della stampa ha respinto il reclamo.
I. Sachverhalt
A. Am 4. Dezember 2022 erschien der Artikel «Er kann es nicht lassen» von Stephan Ramming in der «NZZ am Sonntag». Er handelt vom Verhalten des Captains der Schweizer Fussballnationalmannschaft, Granit Xhaka, während des WM-Gruppenspiels vom 3. Dezember 2022 gegen Serbien. Xhaka griff sich dort während des Spiels in den Schritt und zog sich danach das Trikot von Ardon Jashari verkehrt herum an, so dass dessen Name auf seiner Brust prangte. Der Journalist thematisierte zudem, dass man in Serbien und Albanien den Namen Jashari nicht mit dem jungen Fussballspieler des FC Luzern verbindet, sondern mit Adem Jashari. «Adem Jashari gilt in Albanien und in Kosovo als Märtyrer und Volksheld, in Serbien als Terrorist», so der Autor.
B. Am 28. Januar 2023 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Er macht geltend, der Artikel verletze die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörende Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche). Der Autor ignoriere «mutwillig», dass immer wieder die Parole der serbischen Fans «Ubi, ubi, ubi Siptara», also «Tötet, tötet, tötet die Albaner» zu hören gewesen sei. Er habe das als «nicht stubenrein» verharmlost und somit Informationen unterschlagen. Dies stelle auch einen Verstoss gegen Ziffer 3 (Quellen) der «Erklärung» dar. Wenn der Journalist schreibt, Adem Jashari gelte in Serbien als Terrorist, so verschweige er, dass die Terroristen-Etikette aus Zeiten der Terrorherrschaft von Slobodan Milosevic entstamme. Neben Jashari seien damals in Serbien auch Jacques Chirac, Bill Clinton, Tony Blair und Gerhard Schröder als Terroristen und Kriegsverbrecher bezeichnet worden. Es sei auch nicht richtig, dass nicht geklärt sei, ob Jashari von den serbischen Einheiten oder von eigenen UCK-Leuten wegen interner Machtkämpfe getötet worden sei. Der Beschwerdeführer sieht darin einen Verstoss gegen Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung). Weiter macht er eine Verletzung der Richtlinien 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) und 9.1 (Unabhängigkeit) zur «Erklärung» geltend. Zudem sei die Richtlinie 8.3 (Opferschutz) verletzt: Die Berichterstattung der «NZZ am Sonntag» sei eine Verharmlosung der serbischen Kriegsverbrechen im Kosovo und eine Beleidigung der Opfer. Und schliesslich habe die «NZZ am Sonntag» die Fehler nicht berichtigt, obwohl er sie darauf aufmerksam gemacht habe. Dies sei ein Verstoss gegen Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht).
C. Die «NZZ am Sonntag» beantragt in ihrer Stellungnahme vom 10. Mai 2023 die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde. Sie stellt in Abrede, unmittelbar nach Publikation des Artikels vom Beschwerdeführer zur Korrektur und Entschuldigung aufgefordert worden zu sein. Es sei zu keinem Zeitpunkt eine solche Aufforderung eingegangen, weder schriftlich noch mündlich. Man habe jedoch am 16. März 2023 eine Präzisierung am Artikel vorgenommen und dies am Ende des Artikels kenntlich gemacht. In der Onlinefassung stehe nun am Ende des Artikels: «In einer früheren Version dieses Textes stand: ‹1998 wurde Jashari in seinem Haus erschossen. Bis heute ist im Übrigen nicht abschliessend geklärt, ob Jashari von serbischen Einheiten oder wegen interner Machtkämpfe von eigenen UCK-Leuten getötet wurde.› Die Umstände der Ermordung Jasharis sind insofern belegt, als die Täter serbische Einheiten waren. Wir bedauern die Ungenauigkeit. – Die Redaktion.» Korrigiert sei auch im Artikel selbst worden: «1998 wurde Jashari in seinem Haus von serbischen Einheiten erschossen. Bis heute ist im Übrigen nicht abschliessend geklärt, welche Rolle Machtkämpfe innerhalb der UCK bei Jasharis Ermordung gespielt haben.» Die «NZZ am Sonntag» weist darauf hin, dass laut Geschäftsreglement des Presserats Beschwerden zu begründen seien. Der Beschwerdeführer habe es jedoch wiederholt unterlassen zu begründen, warum bzw. worin er jeweils einen Verstoss erkenne: Weder bezeichne er explizit Passagen im Artikel, die gegen das Gebot zur Trennung von Fakten und Kommentar verstossen würden, noch belege er, wieso der Autor des Artikels nicht unabhängig sein soll. Ebenso wenig äussere er sich zum angeblichen Verstoss gegen den Opferschutz. Weiter erklärt die «NZZ am Sonntag», wie der Journalist zur Formulierung in Bezug auf Jasharis Tod kam: Es sei ihm darum gegangen, dazulegen, dass es nicht so eindeutig sei, wer im Kosovo-Krieg Täter und wer Opfer gewesen sei. Der zentrale Aspekt im Text seien aber die Handlungen Xhakas, nicht eine geschichtliche Abhandlung des Kosovo-Krieges. Wer Jashari getötet habe, spiele für den Kerngehalt des Artikels keine Rolle.
D. Das Präsidium des Presserates wies den Fall seiner 3. Kammer zu. Ihr gehören Jan Grüebler (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Monika Dommann, Christina Neuhaus, Simone Rau, Pascal Tischhauser und Hilary von Arx an.
E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 3. Juli 2023 und auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Der Beschwerdeführer sieht eine Verletzung von Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) und Ziffer 3 (Unterschlagen von wesentlichen Informationselementen) der «Erklärung» darin begründet, dass der Autor nicht darüber berichte, dass die Parole der serbischen Fans «Ubi, ubi, ubi Siptara», also «Tötet, tötet, tötet die Albaner» während des Spiels immer wieder zu hören gewesen sei.
Ziffer 3 der «Erklärung» hält fest, dass Journalistinnen und Journalisten keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen und weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen entstellen. Die Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) setzt die Beachtung verfügbarer und zugänglicher Daten, die Achtung der Integrität von Dokumenten, die Überprüfung und die allfällige Berichtigung voraus.
Es ist unklar, ob es die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Tötungsaufrufe gab, ob sie für den Autor hörbar waren und ob er die Rufe verstanden hat oder nicht. Der Autor hat auf die schwierige Situation in der folgenden Passage hingewiesen: «Und die Partie gegen Serbien war ein feuriges Spiel.» Xhakas Name sei von den serbischen Fans ausgepfiffen worden bei der Verkündung der Aufstellungen. «Er wurde in der ersten Halbzeit brutal gefoult. Es soll immer wieder zu Wortgefechten gekommen sein zwischen den Spielern. Der serbische Trainer schimpfte in nicht stubenreinen Worten. Der serbische Goalie packte Xhaka am Hals. Und noch vieles mehr.» Aus dieser Schilderung geht zumindest hervor, dass es hitzig zu und her ging und zu Beschimpfungen und Provokationen kam. Eine gezielte Täuschung der Leserschaft oder eine Unterschlagung von wesentlichen Fakten ist für den Presserat jedoch nicht erkennbar. Ziffer 3 der «Erklärung» und Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) sind nicht verletzt.
2. Gemäss Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) zur «Erklärung» sind Journalistinnen und Journalisten gehalten, darauf zu achten, dass das Publikum zwischen Fakten und kommentierenden, kritisierenden Einschätzungen unterscheiden kann. Laut Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) bildet die Überprüfung der Quelle einer Information und ihrer Glaubwürdigkeit den Ausgangspunkt der journalistischen Sorgfaltspflichten. Der Beschwerdeführer sieht diese beiden Richtlinien dadurch verletzt, dass der Autor geschrieben habe, es sei bis heute nicht geklärt, ob Adem Jashari von den serbischen Einheiten oder von den eigenen UCK-Leuten getötet wurde. Die «NZZ am Sonntag» räumt ein, dass es sich dabei um eine Ungenauigkeit handelt. Auch wenn hier der Begriff «Ungenauigkeit» defensiv gewählt ist, stimmt der Presserat dieser Einordnung grundsätzlich zu: Es ist in einem Artikel nicht immer möglich, sämtliche bekannten Fakten mit Quellen zu unterlegen. Hätte es sich bei der Tötung von Adem Jashari um den Kern des Artikels gehandelt und der Autor hätte neue Erkenntnisse zum Ableben Jasharis gehabt, die bisherige scheinbare «Sicherheiten» auf den Kopf gestellt hätten, wäre die Bezeichnung der Quellen dazu zentral gewesen. Hier aber kann man durchaus von einer «Ungenauigkeit» sprechen, die von der Redaktion korrigiert worden ist. Zudem hat die «NZZ am Sonntag» die ungenaue Beschreibung des Ablebens Jasharis nicht als Fakt dargestellt, sondern offen formuliert. Die Richtlinien 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) und 3.1 (Quellenbearbeitung) sind nicht verletzt.
3. Der Beschwerdeführer führt nicht aus, wo und weshalb der Autor weiter gegen die Richtlinien 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar), 8.3 (Opferschutz) und 9.1 (Unabhängigkeit) verstossen haben soll. Ein Verstoss gegen diese Richtlinien ist für den Presserat jedenfalls nicht ersichtlich.
4. Stellt die Redaktion unrichtige Fakten fest, haben die Journalistinnen und Journalisten diese unverzüglich zu berichtigen (Richtlinie 5.1 Berichtigungspflicht). Wie oben ausgeführt, sieht der Presserat im Artikel keinen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht. Hingegen erachtet er die ursprüngliche Passage zum Tod von Adem Jashari als journalistische Ungenauigkeit. Nach der Aufforderung des Presserats vom 7. März 2023, zur Beschwerde Stellung zu nehmen, hat die Redaktion die unter Erwägung 2 erwähnte Ungenauigkeit online abgeändert. Dies ist zu begrüssen. Eine entsprechende Präzisierung auch in der Printausgabe zu fordern, macht so lange nach der Publikation wenig Sinn, da sie kaum für mehr Klarheit sorgen würde. Eine Verletzung von Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht) liegt jedenfalls nicht vor.
III. Feststellungen
1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.
2. Die «NZZ am Sonntag» hat mit dem Artikel «Er kann es nicht lassen» vom 4. Dezember 2022 die Ziffern 1 (Wahrheit), 2 (Trennung von Fakten und Kommentar), 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen), 5 (Berichtigung), 8 (Opferschutz) und 9 (Unabhängigkeit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.