I. Sachverhalt
A. Am 12. August 2022 veröffentlichte die Onlinepublikation «Medinside» unter dem Titel «Eine Einsprache kommt das Spital in Brig teuer zu stehen» einen Artikel gezeichnet von «cch». Untertitel des Textes: «Der Spitalneubau in Brig wird teurer als budgetiert, auch wegen einer Einsprache. Damit war zu rechnen. Doch was passiert nun mit dem Spital in Visp?» Im Artikel wird mit Bezugnahme auf den «Walliser Bote» (WB) berichtet, dass der Bau des «Spitalzentrum Oberwallis, SZO» in Brig infolge von Verteuerungen beim Baumaterial um 14,9 Millionen Franken auf 152,4 Millionen Franken zu stehen kommen werde und dass die Mehrkosten vom Grossen Rat vermutlich bewilligt werden würden. Ebenso wird berichtet, dass noch offen sei, was gleichzeitig mit dem ebenfalls vom SZO betriebenen Spital in Visp geschehen soll, voraussichtlich werde dort ein Pflegeheim eingerichtet. Schliesslich wird unter dem Zwischentitel «Kurze Geschichte zur Einsprache» ein Mann erwähnt, der laut WB vom 16. Oktober 2021 X. «heissen soll». Er beschäftige seit Auflage des Baugesuchs Behörden und Gerichte und sei «Sand im Getriebe des 100-Millionen-Franken-Projekts». Nachdem dieser Mann sowohl beim Staatsrat wie auch beim Walliser Kantonsgericht abgeblitzt sei, habe er seine Einsprache im Sommer 2021 ans Bundesgericht weitergezogen. Er bemängle den Grenzabstand zu seinem Grundstück, Geschosszahl, Gebäudehöhe, Gewässerschutz, Baulärm, Helikopterlärm und Entzug von Sonne und Licht. «Immerhin: Kriegte er zwei Millionen, würde er sich mit dem Spital gütlich einigen.» Schlusssatz des Artikels: «Ein Mann kann nicht nur blockieren; er kann auch für happige Mehrkosten sorgen – zulasten aller Steuerzahlenden.»
B. Am 23. Oktober 2022, auf Nachfrage des Presserats ergänzt am 14. November 2022, reichte X. Beschwerde gegen den Artikel beim Schweizer Presserat ein. Der Beschwerdeführer macht einen Verstoss gegen die Ziffer 1 (Wahrheit), die Ziffer 3 (Umgang mit Quellen) und insbesondere die Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) zur Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend.
Zur Begründung führt er an, «Medinside» habe gegen die Wahrheitspflicht verstossen, indem behauptet worden sei, er habe einen Einspruch gegen die Baubewilligung durch alle Instanzen gezogen. Richtig sei, dass es in den von ihm angestrengten Verfahren bisher ausschliesslich um die Frage der aufschiebenden Wirkung gegangen sei. Die Gerichte hätten noch gar nicht in der Substanz urteilen können. Damit wird auch der Verstoss gegen die Ziffer 3 der «Erklärung» begründet: Es seien Angaben aus dem «Walliser Bote» nicht nur falsch wiedergegeben, sondern auch nicht auf ihre Richtigkeit überprüft worden. Die Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) sei schliesslich verletzt, weil der Beschwerdeführer am Schluss des Artikels eines schweren Vergehens, nämlich einer Erpressung, beschuldigt werde, ohne dazu angehört worden zu sein. Die dort kolportierte Behauptung, wonach er bereit gewesen wäre, seine Einsprache gegen zwei Millionen Franken zurückzuziehen, sei zudem falsch (Ziffer 1 der «Erklärung»), er habe lediglich einen Liegenschaftsabtausch vorgeschlagen, mit dem der Streit hätte beendet werden können, weil er damit seine Aktivlegitimation gegenüber dem Baugrundstück verloren hätte. Die zwei Millionen entsprächen dabei dem Verkehrswert seiner Liegenschaft.
C. Am 21. Dezember 2022 nahm Chefredaktor Christoph Meier für «Medinside» zur Beschwerde Stellung. Der Beitrag sei mit Quellenangabe «Walliser Bote» geschrieben worden. Der Beschwerdeführer habe sich noch am Tag der Publikation per Mail über die Nennung seines Namens beschwert, worauf der Autor diesen unverzüglich aus dem Artikel gelöscht habe. «Für die Leserschaft von Medinside tut der Name nichts zur Sache.» Eine Woche später habe sich der Beschwerdeführer erneut gemeldet mit der Bemerkung, die Löschung seines Namens tue auch seinerseits nichts zur Sache, der Schaden sei bereits angerichtet. Er habe einen neuen Artikel der gleichen Grössenordnung verlangt, mit gleicher Bebilderung, die Berichtigung dürfe aber erst nach seiner Durchsicht erfolgen. Nach dieser Intervention habe sich Redaktor «cch», Claude Chatelain, bei der Verwaltung in Sitten erkundigt und bestätigt erhalten, dass der Artikel des WB der Wahrheit entspreche. Die Forderung des Beschwerdeführers sei unangemessen. Tatsache sei, dass der Neubau wegen Einsprachen teurer werde als geplant. Die Rolle des Beschwerdeführers dabei interessiere die Leserschaft von «Medinside» nicht, der Artikel habe am Tag des Erscheinens auch nur 311 Klicks generiert.
Zur Frage der Anhörung bei schweren Vorwürfen oder zur fehlerhaften Darstellung der Verfahren im Zusammenhang mit dem Spitalumbau nimmt «Medinside» nicht Stellung.
D. Am 4. April 2023 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde gemäss Artikel 13 Abs. 1 vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.
E. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 6. November 2023 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Zu Wahrheit und Umgang mit Quellen (Ziffer 1 und 3): Der Beschwerdeführer kritisiert, dass «Medinside» unrichtige Sachverhaltsdarstellungen des «Walliser Bote» ungeprüft übernommen und damit – letztlich – die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Umgang mit Quellen) verletzt habe. Da die Ziffer 3 eine Präzisierung von Ziffer 1 der «Erklärung» beinhaltet, wird der Fall unter dem Aspekt der Ziffer 3 untersucht. Der Artikel von «Medinside» entspricht in den ersten drei Vierteln einer teilweise wörtlich übernommenen, gekürzten Fassung des Artikels des WB vom gleichen Tag, dem 12. August 2022. Die Passage über den Beschwerdeführer selber mit den darin enthaltenen Vorwürfen: Verzögerung des Bauprojekts durch Einsprachen, Mehrkosten, die Forderung von zwei Millionen Franken gegen den Rückzug der Beschwerden, bezieht sich – so deklariert – auf einen früheren Artikel des WB vom 16. Oktober 2021.
2. Was die Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Inhalte betrifft, so moniert der Beschwerdeführer, «Medinside» habe falsche Angaben des WB ohne Überprüfung wiedergegeben. So sei unter anderem das Beschwerdeverfahren falsch geschildert worden. Dieses habe sich bis anhin nicht um Elemente der Baubewilligung gedreht, sondern ausschliesslich um die Frage der aufschiebenden Wirkung seiner Einsprache. «Medinside» nimmt zu diesem Vorhalt nicht Stellung. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass gemäss der ständigen Praxis des Presserates Textelemente von professionellen journalistischen Medien bei entsprechender Quellenangabe ohne Nachrecherche übernommen werden dürfen (Stellungnahme 3/1992), solange keine Widersprüchlichkeiten oder andere Anlässe dazu bestehen, einzelne Elemente nachzuprüfen (Stellungnahmen 72/2020, 91/2020). In dieser Hinsicht ist «Medinside» kein Vorwurf zu machen, auch wenn der Presserat in einem Entscheid zum gleichen Sachverhalt (der zur Zeit der Publikation des vorliegenden Artikels aber noch nicht publiziert war: 46/2022) den «Walliser Bote» gerügt hat, weil er den Inhalt der vom Beschwerdeführer geführten Verfahren in der Tat falsch wiedergegeben hat.
Dennoch: Ein Anlass, die Quelle «Walliser Bote» in dieser Sache zu hinterfragen, hat zum Zeitpunkt des Erscheinens des «Medinside»-Berichts nicht bestanden, mit der Zitierung des WB per se hat «Medinside» nicht gegen die Ziffer 3 der «Erklärung» verstossen.
3. Anders sieht es aus, wenn ein schwerer Vorwurf übernommen wird, ohne dass der Beschuldigte dazu hat Stellung nehmen können. Im konkreten Fall ist ein schwerer Vorwurf gegeben: Die behauptete Forderung von zwei Millionen Franken gegen die Einstellung von Beschwerden entspricht der bisherigen Definition des Presserates von «schweren Vorwürfen», nämlich einem illegalen oder vergleichbaren Verhalten (Fussnote: Die neue Regelung von Richtlinie 3.8, die seit 1. Mai 2023 in Kraft ist, setzt die Schwelle sogar tiefer: «wenn sie gravierendes Fehlverhalten beschreiben oder sonstwie geeignet sind, jemandes Ruf schwerwiegend zu schädigen»). Entsprechend hätte der Beschwerdeführer zwingend angehört werden müssen, zumal er mit vollem Namen identifiziert worden ist. Dabei hätte sich herausgestellt, dass dieser einen Liegenschaftsabtausch im Wert von zwei Millionen vorgeschlagen hat, nicht eine reine Abgeltung. Dass «Medinside» nachträglich davon ausgeht, dass der Name des Beschwerdeführers überhaupt keine Rolle spiele, dass dieser seine Leserschaft nicht interessiere und dass nur ganz wenige Personen den Artikel überhaupt gelesen hätten, ändert nichts an der Anhörungspflicht. Dass der Name nach der Reklamation des Beschwerdeführers unverzüglich entfernt wurde, war ein begrüssenswerter, richtiger Schritt, wobei die vorgenommene Korrektur gleichzeitig hätte erwähnt werden müssen. Dennoch: Die Schilderung eines schweren Vorwurfs gegen eine klar identifizierbare Person ohne Anhörung verstösst gegen die Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und damit gegen die Ziffer 3 der «Erklärung».
III. Feststellungen
1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.
2. «Medinside» hat mit dem Artikel «Eine Einsprache kommt das Spital in Brig teuer zu stehen» gegen die Ziffer 3 (Anhören bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.
3. In den übrigen Punkten wird die Beschwerde abgewiesen.