Nr. 25/2023
Schutz der Privatsphäre bei Kindern

(X. c. Schweizer Radio und Fernsehen SRF)

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 21. September 2022 sendete «SRF-Reporter» einen Dokumentarfilm von Christof Schneider mit dem Titel «Der lange Weg des Star-DJs ins Gefängnis». Der Film begleitet über zweieinhalb Jahre lang den Berner Christoph Spörri, der wegen Anstiftung zu Brandstiftung und versuchtem Versicherungsbetrug zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Der Beitrag beginnt mit dem Gefängniseintritt und blendet dann zurück in den Dezember 2019. Christoph Spörri weckt frühmorgens seine Söhne. Er flüstert dabei den Namen des 13-jährigen Y., dessen Hinterkopf einige Sekunden lang zu sehen ist. Dann frühstücken sie, wobei Y. wieder mehrere Sekunden im Bild ist, diesmal von der Seite. In einer weiteren Einstellung am Küchentisch ist Y. von Weitem zu sehen. Ein letztes Mal sieht man den Buben bei der Verabschiedung an der Türe, wobei er ebenfalls nicht in die Kamera schaut und eine Mütze trägt.

Im Dokumentarfilm beteuert Christoph Spörri seine Unschuld. 2016 wurde er für Brandstiftung verurteilt, worauf mehrere Medien über den bekannten DJ berichteten. Dabei wurde sein DJ-Name Christopher S. mehrfach genannt, die Artikel mit seinem Bild illustriert. Spörri wehrte sich bis vor Bundesgericht gegen seine Verurteilung. Doch dieses lehnte Spörris Beschwerde im September 2019 ab. In der ungefähren Hälfte des Dokumentarfilms ist Sohn Y. erneut von der Seite am Esstisch zu sehen. Und später wenige Sekunden lang beim Gamen auf dem Sofa mit seinem Bruder, gefilmt aus mehreren Metern Entfernung. Es folgt ein Rückblick auf die Karriere von Christopher S., wobei mehrere Presseausschnitte eingeblendet werden, in denen auch seine Familie ein Thema ist (soweit ersichtlich nur der jüngere Sohn, nicht aber Y.).

Im Februar 2020 soll Spörri seine Freiheitsstrafe antreten. Er kann den Haftantritt verschieben, bis ein Sorgerechtsstreit um «seinen älteren Sohn» (der hier nicht namentlich erwähnt wird) entschieden ist.

Im letzten Drittel des Films ist Y. wieder am Tisch beim Essen zu sehen. Das Gespräch mit dem Vater dreht sich darum, dass die Kinder informiert wurden: Es sei in der Presse gestanden – währenddessen gibt es auch eine längere Grossaufnahme von Y. Noch einmal ist der ungelöste Sorgerechtsstreit ein Thema, weil deswegen der Haftantritt erneut verschoben wird. Spörri erwähnt, dass das Obergericht Zug entschieden habe, dass der Sohn bei Spörri, seiner Frau und dem Halbbruder bleiben dürfe, das Sorgerecht werde mit der Mutter geteilt. Im Schlussteil ist Spörri in seiner Gefängniszelle zu sehen, eingeblendet sind auch alte Fotos der beiden Kinder.

B. Am 20. Dezember 2022 reichte X. Beschwerde gegen den Beitrag von «SRF-Reporter» beim Schweizer Presserat ein. Sie macht geltend, dass sie im Kontakt mit Regisseur Christof Schneider mehrfach klargestellt habe, dass sie nicht wolle, dass Y., dessen Mutter sie ist, im Dokumentarfilm gezeigt werde. Der Regisseur habe sie per WhatsApp über die Pläne informiert und sie antwortete ebenfalls per WhatsApp, dass Kinder in einer solchen Dokumentation nichts zu suchen hätten. Y. komme nächstes Jahr aus der Schule und müsse dann eine Lehrstelle suchen. Sie befürchte negative Konsequenzen und sei deswegen nicht einverstanden, dass ihr Sohn im Film gezeigt werde. Der Regisseur versprach ihr, dass der Name des Jugendlichen im Sendebeschrieb nicht erwähnt werde. Er schrieb auch, dass sich Y. sehr explizit wünsche, Teil des Films sein zu können. Die Beschwerdeführerin betont daraufhin in mehreren WhatsApp-Nachrichten, dass sie nicht damit einverstanden sei und ihre Meinung dazu auch nicht ändern werde. Ihr Sohn sei erst 15 Jahre alt und könne die Konsequenzen des Films nicht abschätzen – er fände es natürlich toll und cool, im TV gezeigt zu werden. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Privatsphäre ihres Sohnes sei verletzt. Für den Presserat geht daraus hervor, dass die Beschwerdeführerin Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt sieht.

C. Am 20. Februar 2023 nahm SRF Stellung zur Beschwerde und beantragte deren Abweisung. Y., der gemeinsame Sohn von Christoph Spörri und der Beschwerdeführerin, lebe seit April 2019 ausschliesslich bei seinem Vater, dessen Frau und seinem Halbbruder und sei unter alleiniger Obhut des Vaters. Zum Zeitpunkt, als der beanstandete Dokfilm ausgestrahlt wurde, war Y. fast 16 Jahre alt. Es sei sein ausdrücklicher Wunsch gewesen, als Teil der Familie gezeigt zu werden. Er habe seit drei Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter, weshalb die Redaktion es übernommen habe, diese zu informieren. Das Recht am eigenen Bild sei ein höchstpersönliches, welches von Urteilsfähigen selbst ausgeübt werden kann, auch wenn sie nicht volljährig sind. Es habe keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der knapp 16-Jährige nicht habe abschätzen können, welche Tragweite seine Entscheidung, im Film mitzumachen, habe. Diese Einwilligung habe er schriftlich gegeben (per WhatsApp). Daher habe die Redaktion seinen Wunsch, mitzumachen stärker gewichtet als den Wunsch der Mutter, dies nicht zu tun. Die DOK-Redaktion ist der Ansicht, dass es gar das Selbstbestimmungsrecht des Sohnes verletzt hätte, wenn der Wille der Mutter durchgesetzt worden wäre. Aus Rücksicht auf deren Bedenken habe aber die Redaktion den Namen von Y. nirgends erwähnt, weder im Sendungsbeschrieb noch im Online-Artikel oder auf Social Media.

D. Am 31. März 2023 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde gemäss Artikel 13 Abs. 1 seines Geschäftsreglements vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident und Ursina Wey, Geschäftsführerin.

E. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 14. September 2023 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Richtlinie 7.1 (Schutz der Privatsphäre) zur «Erklärung» besagt, dass jede Person Anspruch auf den Schutz ihres Privatlebens hat. Journalistinnen und Journalisten dürfen im Privatbereich keine Ton-, Bild- oder Videoaufnahmen ohne Einwilligung der Betroffenen machen (Recht am eigenen Bild und Wort). Gemäss Richtlinie 7.2 (Identifizierung) ist eine Namensnennung und/oder identifizierende Berichterstattung dann zulässig, wenn die betroffene Person in die Veröffentlichung einwilligt. Gemäss «SRF-Reporter» lag die Einwilligung von Y. vor, ein Screenshot einer WhatsApp-Nachricht war der Stellungnahme beigelegt. Damit sind die Richtlinien 7.1 und 7.2 grundsätzlich nicht verletzt. Allerdings ist zu prüfen, ob die Einwilligung von Y. aufgrund seines Alters als gültig zu erachten ist.

2. Die Richtlinie 7.3 (Kinder) der «Erklärung» präzisiert den Umgang von Medienschaffenden mit Kindern. Sie lautet folgendermassen: «Besonders zu schützen sind Kinder, auch Kinder von Prominenten und von weiteren im Fokus der Medien stehenden Personen.» Die Frage lautet demnach, ob Y. diese Einwilligung selber geben konnte oder die Kompetenz dazu bei seinen Eltern lag. Wann genau Y. die Nachricht mit der Einwilligung verschickte, steht nicht fest. Beim Screenshot fehlen sowohl die Telefonnummer wie auch das Datum bzw. die Uhrzeit.

Ende 2019, als SRF mit dem Filmen des Porträts von Christoph Spörri begann, war Y. 13 Jahre alt. Bei den letzten Aufnahmen war er 15-jährig. Und als der Dokumentarfilm gesendet wurde, fast 16 Jahre alt. Ein Kind oder Jugendlicher gilt als urteilsfähig, wenn er oder sie in der Lage ist, vernunftgemäss zu handeln. Eine Frage, die immer situationsbedingt zu beantworten ist. Dabei spielen zwei Aspekte eine Rolle: Kann die Person die fragliche Situation verstehen, und die Wirkungen einer Handlung abschätzen? Kann sie also einen eigenen Willen bilden? Und kann sie diesen Willen auch selber umsetzen?

Sowohl zu Beginn der Filmarbeiten wie auch an deren Ende war Y. von seinem Alter her in der Lage, die Wirkung der Filmaufnahmen einzuschätzen. Die Aussage der SRF-Redaktion, dass er im Film als Teil der Familie habe auftreten wollen, ist einleuchtend. Er hätte auch jederzeit seine Zustimmung zurückziehen können. Dass er sich auch nach zwei Jahren Filmarbeiten bereitwillig filmen lässt, spricht dafür, dass er seine Meinung im Verlauf der Dreharbeiten nicht änderte. Indem er seine schriftliche Zustimmung gibt, zeigt Y., dass er seinen Willen auch selbst umsetzen konnte.

Laut einem Presserat-Entscheid aus dem Jahr 2007 können Medien ohne Weiteres urteilsfähige Jugendliche ab der Pubertät befragen, und zwar auch ohne Einverständnis der Eltern. «Ein Jugendlicher von 12 bis 14 Jahren ist in der Lage, sein Verhalten angemessen einzuschätzen» heisst es in Stellungnahme 8/2007. Allerdings obliegt den Medienschaffenden eine Verantwortung, das Kind, welches die Folgen einer Publikation nicht abschätzen kann, vor unbedachten Eigenaussagen zu schützen (Stellungnahme 25/2016). Das ist vorliegend geschehen: Y. ist nur im Bild zu sehen, meistens von hinten oder von der Seite und nur einmal frontal, wobei er nichts sagt. Weiter wird sein Name in der Filmbeschreibung, in den Untertiteln oder in ergänzenden Informationen nicht genannt. Die Richtlinie 7.3 (Kinder) zur «Erklärung» ist nicht verletzt worden. Der Presserat hält jedoch fest, dass eine Zustimmung per WhatsApp nicht ideal ist. Ein entsprechendes Formular auf Papier hätte auch symbolisch mehr Gewicht.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. «SRF-Reporter» hat mit dem Film «Der lange Weg des Star-DJs ins Gefängnis» vom 21. September 2022 die Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.