I. Sachverhalt
A. Am 29. Juni 2023 veröffentlichten die «Bodensee Nachrichten» einen Text von Claudia Eugster unter dem als Zitat gekennzeichneten Titel «Autoposer sind Ausdruck verweigerter Integration». Darin wird mit einer grösseren Anzahl von Zitaten geschildert, was der ehemalige Stadtpräsident von Rorschach, Thomas Müller, von den eben angeordneten Massnahmen des Stadtrates gegen das Autoposing, gegen die lärmverursachenden Angebereien mit speziell präparierten, lauten Autos hält. Massnahmen wie Tempo 30 oder die Sperrung der Hauptstrasse seien ungeeignet, weil sie sich gegen alle Verkehrsteilnehmer richteten, nicht nur gegen die Gruppe der Autoposer. Diese seien vor allem ausländischer Herkunft. «Fragt man anhand der Kontrollschilder die Fahrzeughalter ab, fällt auf, dass man die allermeisten Namen kaum aussprechen kann», wird Müller zitiert. Ob es sich um Leute mit Schweizerpass, aber ausländischer Herkunft handle oder um Ausländer, mache keinen Unterschied, beide demonstrierten mit ihrem Verhalten, dass «ihnen unsere traditionellen Werte wie Anstand und Rücksicht wenig bis nichts bedeuten». Darüber müsse man reden. Das Dulden von rücksichtslosem Verhalten seitens von Minderheiten führe zur Bildung von Parallelgesellschaften, wie es deutsche Städte und Schweden aktuell erlebten, zitiert die Autorin den ehemaligen Stadtpräsidenten. Es brauche keine «idealisierte Integrations-Industrie», sondern klare Worte. Dazu gehöre das Trockenlegen von Poser-Treffpunkten, etwa der einschlägig bekannten Restaurants. Diese gehörten geschlossen, falls sie sich dauerhaft als Anziehungspunkt für dauernde Belästigungen erwiesen. Das Verfügen von Tempo 30 in bestimmten Gebieten nütze nichts, denn Autoposer, die «mit Lärm imponieren und ihre intellektuellen Defizite mit Rücksichtslosigkeit zeigen wollen», könnten dies «auch bei Tempo 30 tun», indem sie ihre Motoren aufheulen lassen, zitiert Autorin Eugster den ehemaligen Stadtpräsidenten.
B. Am 7. September 2023 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Sie macht geltend, der Artikel verletze die Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»).
Sie begründet ihre Beschwerde damit, dass die oben zitierten Äusserungen Müllers stark verallgemeinernd seien. Mit dem Anprangern der Fahrpraxis einiger weniger Autobesitzer und deren Zuordnung zu einer bestimmten ethnischen Herkunft werde diese Ethnie in rechtswidriger Weise herabgewürdigt. Müllers Argumentation spiegle einen «unverblümt rassistischen Standpunkt», indem er auf Namen verweise, die man kaum aussprechen könne. Stadtpräsident Müller und der Artikel machten weiter auch unzulässig verallgemeinernde Äusserungen über den vermeintlich mangelnden Integrationswillen und die Missachtung «unserer traditionellen Werte wie Anstand und Rücksichtnahme».
C. Mit Beschwerdeantwort vom 18. Dezember 2023 beantragte Claudia Eugster namens der Redaktionsleitung der «Bodensee Nachrichten», auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Eventualiter sei diese abzuweisen.
Den Antrag auf Nichteintreten begründet sie ausschliesslich mit der Feststellung, dass der Artikel die Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot) der «Erklärung» nicht verletze. Inhaltlich fordert sie die Abweisung der Beschwerde. Sie macht dazu geltend, ihr Interviewpartner Müller habe als Reaktion auf die vom Rorschacher Stadtrat vorgeschlagenen Massnahmen gegen die Autoposer nicht nur verkehrstechnische Überlegungen vorgebracht, sondern auch einen neuen Ansatzpunkt für das Vorgehen gegen die Verursacher von Autolärm. Der Wert der Medien in der direkten Demokratie bestehe darin, die Vielfalt der Meinungen abzubilden. Weiter verweist sie auf die ihrer Antwort beiliegende Stellungnahme ihres Interviewpartners Müller. Der ehemalige Stadtpräsident schreibt darin, seine Äusserungen in den «Bodensee Nachrichten» seien rein faktenbasiert und in keiner Weise rassistisch. Der Lärm der Poser sei rücksichtslos und unanständig. Wenn man Kontrollschilder abfrage, komme man – jedenfalls vergangenen Sommer – darauf, dass die Halter der lärmenden Fahrzeuge den gleichen Migrationshintergrund hätten. Seine Aussagen bezögen sich ausschliesslich auf Autoposer und nicht allgemein auf Menschen mit Migrationshintergrund, einen solchen habe seine Familie in Teilen auch (Brasilien). Fakt sei, dass die Einwohner von Rorschach griffige Massnahmen gegen den Autolärm forderten und dass die vorgeschlagenen Massnahmen dazu nicht taugten. Auch sei bekannt, wo die Treffpunkte der Poser sich befänden und dass die Zusammenkünfte dort nicht verhindert würden.
D. Gestützt auf Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements des Presserats behandelt das Präsidium des Presserats Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder die von untergeordneter Bedeutung erscheinen.
E. Am 13. Februar 2024 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.
F. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 27. Mai 2024 verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein. Es wurde keine Begründung für das beantragte Nichteintreten angeführt.
2. Die Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot) zur «Erklärung» besagt Folgendes: «Die Nennung der ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit, der Herkunft, der Religion, der sexuellen Orientierung und/oder der Hautfarbe kann diskriminierend wirken, insbesondere wenn sie negative Werturteile verallgemeinert und damit Vorurteile gegenüber Minderheiten verstärkt. Journalistinnen und Journalisten wägen deshalb den Informationswert gegen die Gefahr einer Diskriminierung ab und wahren die Verhältnismässigkeit.»
Im vorliegenden Fall kritisiert ein Interviewpartner das seiner Ansicht nach rücksichtslose und unanständige Verhalten einer bestimmten Gruppe von Mitgliedern einer nicht explizit genannten, aber bei genauem Hinsehen erkennbaren Ethnie. Kritik an einer klar definierten Gruppe muss zulässig sein, solange damit nicht negative Werturteile gegen die gesamte Ethnie verstärkt werden. Die negativen Werturteile, die hier verstärkt werden könnten und wohl auch werden, betreffen nicht die Ethnie als solche, sondern eine spezifische Gruppe, die nicht primär durch die Ethnie, sondern durch ihren bewusst verursachten Lärm, durch ihre entsprechend umgebauten Autos gekennzeichnet ist. Kritik am Verhalten von Gruppen, welcher Art auch immer, muss möglich sein, solange es um dieses Verhalten und nicht um suggerierte Eigenschaften der ganzen Ethnie geht. Sonst wäre – um ein anderes Beispiel zu nennen – eine Kritik an den Machenschaften der sizilianischen Mafia nicht zulässig, weil sie riskiert, negative Werturteile gegen SizilianerInnen zu verallgemeinern. Der Presserat sieht in der Zusammenfassung des Interviews mit dem ehemaligen Stadtpräsidenten Müller entsprechend keinen Verstoss gegen die Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot).
3. Ob es wirklich zutrifft, dass es sich bei den Lärmproduzierenden ausschliesslich oder fast ausschliesslich um Angehörige der erwähnten Ethnie handelt, wie der Interviewpartner behauptet, muss offenbleiben, die Beschwerdeführerin hat keinen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») geltend gemacht.
Der Presserat ruft abschliessend in Erinnerung, dass die Verantwortung für ein Interview allein bei der Redaktion liegt und nicht delegiert werden kann, dies unabhängig davon, dass die Autorin, die ja auch die Redaktionsleitung innehat, nur rudimentär zu den monierten Punkten der Beschwerde Stellung nimmt und stattdessen ihren Interviewpartner bittet, eine Stellungnahme zu verfassen.
III. Feststellungen
1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.
2. Die «Bodensee Nachrichten» haben mit dem Artikel «Autoposer sind Ausdruck verweigerter Integration» vom 29. Juni 2023 die Ziffer 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.