Nr. 42/2019
Identifizierung / Menschenwürde

(Akin c. «Schweiz am Wochenende»)

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 23. September 2017 veröffentlichte die «Schweiz am Wochenende» (nachfolgend SaW) einen Artikel mit dem Titel «Der Spion zur rechten Zeit», gezeichnet von Annika Bangerter und Christian Mensch. Der Lead lautete: «Wie in Basel aus einem Polizeiassistenten ein Erdogan-Spitzel wurde – und es blieb, obwohl Nachrichtendienst und Staatsanwaltschaft die Vorwürfe gründlich prüften und keinerlei Hinweise fanden. Eine Spurensuche.» Im Artikel wird erläutert, ein Sicherheitsassistent der Basler Polizei, Y.S., soll gemäss der Basler Staatsanwaltschaft 160 Personenabfragen ohne dienstlichen Auftrag getätigt haben. Y.S. sei ein früheres Mitglied der Union der Europäisch-Türkischen Demokraten UETD, des umstrittenen Lobbyvereins Erdogans, gewesen, weswegen man davon ausgegangen sei, er habe die abgefragten Daten vermutlich an eine Erdogan-nahe Institution weitergeleitet. Der Artikel zeichnet den Spitzel-Vorwurf nach, welchen insbesondere die «Basler Zeitung» prominent erhoben hatte und hält fest, dass dieser Vorwurf von den Untersuchungsbehörden nicht erhärtet werden konnte. Die Staatsanwaltschaft habe zwar einen Strafbefehl gegen Y.S. erlassen, weil er in 160 Fällen ohne Auftrag Personendaten abgefragt habe. Eine Weitergabe von Daten sei jedoch nicht sanktioniert worden. Im Artikel wird auch auf einen Enrico Akin eingegangen. Es wird angedeutet, dass dieser die Quelle der Anschuldigungen gegen Y.S. gewesen sein könnte, unter anderem geschieht dies mit der Formulierung: «Auf Anfrage verwahrt sich Akin gegen die kursierende Vermutung, er habe die Verdächtigung gegen Y.S. losgetreten.» Über Akin wird weiter berichtet, er habe sich als Filmemacher wiederholt auf die Suche nach Geldquellen gemacht und habe erfolglos auch die UETD angefragt, weil er einen Film über Erdogan habe drehen wollen. In der Folge sei er eine der beiden treibenden Kräfte hinter einem Putsch bei der UETD gewesen, als er einen separaten Basler UETD-Verein habe gründen wollen. Er sei jedoch daraufhin aus der UETD ausgeschlossen worden und habe die Migrantenorganisation «Mitenand» mitbegründet. Über diese habe er 2016 zum Boykott der Basler Wahlen aufgerufen, dabei habe es sich auch um einen persönlichen Rachefeldzug Enrico Akins gehandelt, dies, weil die Basler Regierung seine Filme nicht mehr mitfinanziert habe. Nach diesem Aufruf sei es still um den Filmemacher geworden. Zuletzt habe er sich in der «Basler Zeitung» als Opfer von Scientology in einem Mietstreit inszeniert.

B. Am 13. November 2017 reichte Enrico Akin Beschwerde gegen den Artikel vom 23. September 2017 beim Schweizer Presserat ein. Die «Schweiz am Wochenende» habe ihn in Zusammenhängen genannt, die entweder unzutreffend oder schlichtweg falsch seien.

Der Beschwerdeführer sieht die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» gehörende Richtlinie 7.2 (Identifizierung) als verletzt an. Ebenso rügt er Richtlinie 8.1 als verletzt und somit die Menschenwürde. Er sei im Zusammenhang mit der Spitzelaffäre um Y.S. als möglicher Informant aufgeführt, der den Fall ins Rollen gebracht haben soll. Dies habe er bereits schriftlich gegenüber der Redakteurin Annika Bangerter bestritten. Dennoch habe diese und ihr Arbeitskollege Christian Mensch ihn mit dieser heiklen Affäre in Zusammenhang gebracht. Die «Schweiz am Wochenende» habe ihren Vorwurf aber nicht mit Beweisen belegt, sondern auf eine anonyme Quelle verwiesen. Zudem sei er als Mitglied der UETD, die dem Regime Erdogans nahestehe, bezichtigt worden und habe dieser gemäss SaW ein Filmgesuch eingereicht. Enrico Akin gibt an, zu keiner Zeit seines Lebens Mitglied der UETD gewesen zu sein. Ihn basierend auf einer anonymen Quelle als Mitglied der UETD zu bezeichnen, sei rufschädigend. Ihm sei von den Redakteuren auch keine Möglichkeit gegeben worden, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.

Bezüglich des Vorwurfs er habe sich als Opfer von Scientology inszeniert, legt Enrico Akin dar, er inszeniere sich nirgends, weshalb er diese Textstelle als beleidigend empfinde. Sein Vermieter, der Chef der Scientology Basel, habe ihm seinen Alltag in der Mietwohnung sehr schwer gemacht. Auch diesbezüglich sei er von der «Schweiz am Wochenende» nicht befragt worden. Insgesamt werde sein Ruf als Journalist und Filmemacher geschädigt und sein Leben in Gefahr gesetzt, da er durch die Namensnennung zur Zielscheibe verschiedener Communities worden sei.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 19. Dezember 2017 beantragte Patrik Müller, Chefredaktor der «Schweiz am Wochenende», die Beschwerde vollumfänglich abzuweisen.

Der Beschwerdegegner führt aus, der Beitrag «Der Spion zur rechten Zeit» sei das Resultat einer umfassenden Recherche zum Thema, wie es dazu habe kommen können, dass ein Polizeiassistent der Basler Polizei in der Öffentlichkeit als Erdogan-Spitzel dargestellt worden sei. Es sei eine kritische Auseinandersetzung mit den staatlichen Instanzen und auch mit der Medienberichterstattung. Die von Enrico Akin kritisierten Passagen bildeten einen wesentlichen, aber kleinen Teil der Gesamtdarstellung.

Zum Bezug des Beschwerdeführers zur UETD legt Patrik Müller dar, Enrico Akin wie auch seine Frau seien in einem öffentlich zugänglichen UETD-Facebook-Profil als Teilnehmer einer UETD-Sitzung erkennbar gewesen. Um dies zu beweisen, legte die «Schweiz am Wochenende» die entsprechenden Bilder (Screenshots von Videos) ihrer Beschwerdeantwort bei. Mehrere damalige Mitglieder der UETD hätten bestätigt, dass Akin nicht nur als Gast an den Sitzungen teilgenommen habe. Auch das Gesuch um einen finanziellen Beitrag für einen Film über Erdogan liege vor; es ist als Beleg beigefügt. Zudem habe die SaW an keiner Stelle behauptet, Enrico Akin sei formelles Mitglied der UETD (gewesen). Eine Nähe zur UETD könne per se nicht rufschädigend sein, da die Erdogan-nahe Bewegung in der Schweiz keinerlei Restriktionen unterliege. Eine UETD-Nähe könne allerdings für eine Person wie den Beschwerdeführer durchaus rufschädigend wirken, da er sich in der Vergangenheit vor allem als Unterstützer für die kurdische Bewegung PKK hervorgetan habe.

Zum Vorwurf, Enrico Akin werde der Anteilnahme an einer heiklen Affäre beschuldigt, mit welcher er nichts zu tun habe, bringt die Beschwerdegegnerin vor, der «Schweiz am Wochenende» liege ein halbes Dutzend Aussagen vor, die Akin in direkten Zusammenhang dazu setzten. Dennoch habe die SaW trotz dieser Informationslage nicht geschrieben, dass er die Quelle sei, sondern lediglich, dass Vermutungen kursierten, er sei die Quelle. Der Beschwerdeführer habe Gelegenheit gehabt, diesbezüglich Stellung zu beziehen. Dies habe er getan und sein explizites Dementi sei zitiert. Er sei noch vor dem Mailaustausch vom 4. September 2017 in telefonischem Kontakt mit den Redaktoren der «Schweiz am Wochenende» gewesen, wobei er ihm gestellte Fragen nicht beantwortet habe. Er habe durchaus Kenntnis von den breit angelegten Recherchen gehabt und hätte bis zur Publikation rechtzeitig intervenieren können. Auch sei ein letzter telefonischer Versuch zur Kontaktaufnahme kurz vor Publikation gescheitert. Eine Gelegenheit zur Stellungnahme beim Thema «Scientology» sei hingegen obsolet gewesen, da es sich lediglich um einen Hinweis zu Enrico Akins letztem grösseren Medienauftritt handle und keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Geschichte stattfinde.

Die «Schweiz am Wochenende» habe weder gegen Richtlinie 7.2 (Identifizierung) noch 8.1 (Achtung der Menschenwürde) verstossen. Enrico Akin sei zweifellos eine Person von öffentlichem Interesse. Dies, weil er einerseits als Kulturschaffender und Regisseur wie als Politaktivist öffentliche Funktionen innehabe. Andererseits weil er selbst als Privatperson die Öffentlichkeit suche. Er sei auch zeitweise bei der SP Basel-Stadt engagiert gewesen.

D. Am 26. Januar 2018 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 2. September 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Richtlinie 8.1 bezüglich Achtung der Menschenwürde. Diese sei dadurch verletzt worden, dass er in Verbindung mit dem Sachverhalt bezüglich Y.S. gebracht worden sei, obwohl er damit nichts zu tun habe. Die Beschwerdegegnerin wiederum legt dar, genügend Quellen zu haben, die eine Nähe zur UETD und auch zur «Spitzel-Affäre» schriftlich bestätigt hätten. Die vorgebrachten Tatsachenbehauptungen reichen nicht aus, um eine Verletzung von Richtlinie 8.1 oder allenfalls von – vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht – Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Verpflichtung zur Wahrheit) zu rechtfertigen, da eine «gewisse Nähe» zur UETD durch die angefügten Fotos nicht zu bestreiten ist. Die Formulierungen zu Akins Bezug zur «Spitzel-Affäre» sind zudem klar abmildernd und erkennbar spekulierend.

2. Enrico Akin macht im Weiteren eine Verletzung der Richtlinie 7.2 (Identifizierung, Schutz der Privatsphäre) geltend. Journalistinnen und Journalisten sollen demnach die beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) sorgfältig gegeneinander abwägen. Namensnennung und/oder identifizierende Berichterstattung ist dann zulässig, wenn die betroffene Person in der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist und der Medienbericht damit im Zusammenhang steht. Zu beantworten ist somit die Frage, ob Enrico Akin eine Person ist, die der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist. Der Beschwerdeführer ist seit Jahren als Journalist und Regisseur tätig. In Basel fiel er durch ein Engagement in der SP sowie als Gründer der Migrantenorganisation «Mitenand» auf. Zudem sind bereits mehrere Artikel über Enrico Akin erschienen. Diese Auftritte kumuliert lassen darauf schliessen, dass Enrico Akin zumindest in Basel eine Person ist, die der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist. Er wurde von der «Schweiz am Wochenende» telefonisch und schriftlich zu einer Stellungnahme aufgefordert und sein Dementi wurde im Artikel berücksichtigt, weshalb der Schweizer Presserat Richtlinie 7.2 nicht als verletzt erachtet.

Auch wenn keine Verletzung der Richtlinien und somit auch der «Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten» vorliegt, ist anzumerken, dass eine Namensnennung Enrico Akins nicht zwingend hätte erfolgen müssen, da das meiste, was über ihn im Artikel steht, nichts mit der Affäre um den mutmasslichen Spitzel Y.S. zu tun hat und somit kein wesentlicher Zusammenhang zum Hauptthema des Artikels besteht.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Die «Schweiz am Wochenende» hat mit dem Artikel «Der Spion zur rechten Zeit» vom 23. September 2017 die Ziffern 7 (Identifizierung/Privatsphäre) und 8 (Achtung der Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.