Nr. 5/2019
Informationsfreiheit / Meinungspluralismus / Leserbriefe

(Bardill c. «Südostschweiz», «Bündner Tagblatt», «Radio Südostschweiz» und Somedia)

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Zusammenfassung

Liedermacher Linard Bardill hat nach den Bündner Regierungsratswahlen vom Juni 2018 beim Schweizer Presserat Beschwerde eingereicht. Er wirft darin der Mediengruppe Somedia und besonders der «Südostschweiz» vor, fast nur negative Leserbriefe zu seiner Person veröffentlicht und seine Kandidatur weitgehend totgeschwiegen zu haben. Zudem sei ihm als Kandidat für den Regierungsrat die politische Ernsthaftigkeit und Kompetenz abgesprochen worden. Bardill spricht von Gesinnungs- und Hetzjournalismus der Somedia.

Der Presserat kann keinen der von Bardill erhobenen Vorwürfe nachvollziehen. In der «Südostschweiz» sind seit Bardills Eintritt in den Wahlkampf fast jeden Tag Artikel erschienen, in denen er Thema war. Es ist offensichtlich auch nicht korrekt, dass die «Südostschweiz» fast nur negative Leserbriefe zu Bardill veröffentlichte.

Die «Südostschweiz» hat in Graubünden eine regionale Vormachtstellung. Medien in einer solchen Position sind laut dem Journalistenkodex verpflichtet, den Meinungspluralismus zu ermöglichen. Dies gilt besonders in Abstimmungs- und Wahlkämpfen. Aber auch Medien in einer solchen Vormachtstellung müssen nicht ausgewogen berichten und müssen auch nicht den Standpunkten aller Kandidaten gleich viel Platz bieten, wie es Bardill verlangt. Medien in einer monopolartigen Stellung dürfen journalistisch gewichten, wenn sie dabei fair bleiben.

Der Presserat hat Bardills Beschwerde in allen Punkten abgewiesen.

Résumé

Le chansonnier Linard Bardill a adressé une plainte au Conseil suisse de la presse après les élections au gouvernement grison de juin 2018. Il reproche au groupe Somedia, et plus particulièrement à la «Südostschweiz», de n’avoir publié pratiquement que des lettres de lecteur négatives à son sujet et d’avoir largement passé sa candidature sous silence. De plus, le sérieux de sa candidature et ses compétences pour le poste de Conseiller d’Etat auraient été mis en doute. Linard Bardill parle de journalisme partisan et dénigrant.

Le Conseil de la presse ne comprend aucun des reproches émis par Linard Bardill. La «Südostschweiz» a publié presque tous les jours un article parlant de lui dès son entrée en campagne. Selon lui, il n’est de toute évidence pas correct non plus d’affirmer que la «Südostschweiz» n’a publié pratiquement que des lettres de lecteur négatives sur Linard Bardill.

La «Südostschweiz» occupe une position dominante dans les Grisons. Les médias dans cette position sont tenus par le code de déontologie des journalistes de permettre au pluralisme des opinions de s’exprimer. Cela vaut tout particulièrement lors de campagnes de votation et d’élection. Mais ces mêmes médias ne sont pas obligés de rendre compte des événements de manière équilibrée ni d’offrir la même place à l’opinion de tous les candidats, comme le demande Linard Bardill. Les médias occupant une position monopolistique ont le droit d’avoir des préférences pour autant qu’ils restent justes.

Le Conseil de la presse a rejeté la plainte de Linard Bardill sur tous ses points.

Riassunto

Discriminato durante la campagna per le elezioni cantonali del giugno 2018: tale l’addebito mosso dal narratore e cantante popolare Linard Bardill al gruppo editoriale «Somedia», e in particolare a «Südostschweiz». Il giornale è in particolare accusato di aver pubblicato lettere quasi solo negative sulla sua candidatura e di averlo ampiamente boicottato. Sarebbe stata contestata in particolare la serietà della sua candidatura e negata la sua competenza: una vera e propria caccia alle streghe da parte di «Somedia».

Il Consiglio della stampa non condivide questi suoi appunti. Dal momento in cui Badrill ha posto la sua candidatura egli risulta citato quasi tutti i giorni negli articoli pubblicati. Non è esatto neppure che quasi tutte contro di lui fossero le lettere di lettori pubblicate.

La «Südostschweiz» gode nel Cantone dei Grigioni di un monopolio regionale che la impegna, secondo il codice deontologico dei giornalisti, a rispettare il pluralismo delle opinioni, specialmente nel caso di votazioni popolari e di elezioni. I media che godono di tale posizione non sono però tuttavia tenuti a trattare tutti i candidati allo stesso modo, né a pesare con il bilancino le lettere a favore o contro. Il criterio cui sono tenuti è un criterio giornalistico, che li impegna a dimostrare equità e correttezza.

Il reclamo è respinto su tutti i punti.

I. Sachverhalt

A. Am 4. Juli 2018 reichte Linard Bardill gegen die «Südostschweiz», das «Bündner Tagblatt», «Radio Südostschweiz» und andere Medien der Somedia-Gruppe Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Und zwar wegen «tendenziöser Berichterstattung, unausgewogener Behandlung und Missbrauch des Pressemonopols» im Zusammenhang mit seiner Kandidatur für den Regierungsrat des Kantons Graubünden bei den Wahlen vom 10. Juni 2018. Bardill erhebt folgende Vorwürfe:

– Am 19. Mai 2018 sei er in einer Kolumne von Somedia-CEO Andrea Masüger in der «Südostschweiz» unter dem Titel «Die ganz andere Omertà» zum Abschuss freigegeben worden. Insbesondere kritisiert Bardill die auf ihn bezogene Frage in der Kolumne: «Hat wirklich niemand den Schneid, diesen Kinderliederkomponisten in den Senkel zu stellen?» Dies sei ein typischer Fall von Gesinnungs- und Hetzjournalismus. Nach dem Erscheinen dieser Kolumne seien fast nur noch negative Leserbriefe zu seiner Person veröffentlicht worden, schreibt Bardill. Positive Leserbriefe zu ihm hätten es nicht mehr in die Printversion der «Südostschweiz» geschafft. Zu anderen Kandidaten seien dagegen viele Leserbriefe gedruckt worden. Wohl auf Druck von Masüger sei seine Kandidatur offensichtlich boykottiert worden. Dies verletze die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörenden Richtlinien 2.1 (Informationsfreiheit), 2.2 (Meinungspluralismus) und 5.2 (Leserbriefe).

– Eine Zeitung, die sich in einer Monopolstellung befinde, sei verpflichtet, ausgewogen über Kandidaten zu berichten und habe diesen gleichmässig Raum für ihre Standpunkte einzuräumen, schreibt Bardill. Sie habe auch Leserbriefe zu den Kandidaten in ausgewogener Zahl zu publizieren. All dies sei krass missachtet worden.

– Er sei in der «Südostschweiz» als «politischer Underdog», «Bänkelsänger», «Clown» und als «Beppe Bardillo» bezeichnet worden. Damit habe man ihm die politische Ernsthaftigkeit und Kompetenz abgesprochen.
– Er sei zuerst zum Abschuss freigegeben worden, dann als Underdog stigmatisiert und dann totgeschwiegen worden.

– Auch in der Berichterstattung von Radio Südostschweiz, das ebenfalls zur Somedia-Gruppe gehört, gebe es Beispiele für eine tendenziöse Berichterstattung. So hätten Bewohner eines Altersheims in einem Radio-Beitrag erklärt, weshalb sie Bardill nicht wählen würden. Eine Gegenstimme habe es dazu nicht gegeben.

– Weiter erhebt Bardill Vorwürfe gegen Somedia, die er nicht mit konkreten Beispielen belegt. So könne an seinem Fall exemplarisch aufgezeigt werden, wie weit die vierte Gewalt in Graubünden korrupt, tendenziös und von Fremdinteresse gesteuert sei.

Bardill legte seiner Beschwerde 85 PDF-Dateien und 3 MP3-Dateien bei.

B. Am 1. November 2018 nahm Silvio Lebrument, der Geschäftsführer Medien, für die Somedia in einer ausführlichen Beschwerdeantwort Stellung. Somedia weist die Beschwerde in allen Punkten zurück.

– Der Vorwurf der Nichtberichterstattung sei schlicht falsch. Bardill sei vor den Wahlen praktisch in jeder Zeitungsausgabe thematisiert worden. Ab der Bekanntgabe seiner Kandidatur seien allein in den Printausgaben der Somedia-Tageszeitungen (vor allem «Südostschweiz» und «Bündner Tagblatt») über 50 Artikel, Kommentare und Leserbriefe zu Bardill erschienen. Auch nach dem 19. Mai, dem angeblichen Beginn des Boykotts, seien rund 25 Texte erschienen, in denen Bardill vorkomme.

– Es habe zu keinem Zeitpunkt eine Vorgabe an die Redaktionen gegeben, wie Kandidaten oder Parteien zu behandeln seien. Die Somedia-Medien hätten stets frei und unabhängig berichtet. Kandidaten seien weder bevorzugt behandelt noch benachteiligt worden.

– Die «Südostschweiz» hat für Bardill die Begriffe «politischer Underdog», «Bänkelsänger», «Politclown» und «Beppe Bardillo» verwendet. Dazu schreibt Lebrument: Bardill bezeichne sich selbst als Liedermacher und sei ein politischer Aussenseiter. Die Begriffe «politischer Unterdog» und «Bänkelsänger» seien nicht nur negativ besetzt. Deshalb seien sie nicht zu beanstanden. Der Begriff «Politclown» sei in zwei Kommentaren benutzt worden und als Meinungsäusserung zulässig. «Beppe Bardillo» sei ebenfalls in einem Kommentar zu lesen gewesen, der die Kandidatur von Linard Bardill mit dem politischen Aufstieg des italienischen Komikers Beppe Grillo verglich.

– Zu den Leserbriefen: Somedia habe 18 Leserbriefe zu Bardill erhalten. Acht von diesen seien im Print veröffentlicht worden. Vier davon hätten sich positiv mit der Kandidatur Bardill auseinandergesetzt. Von diesen vier seien zwei von Bardill selbst geschriebene Leserbriefe in der gedruckten Zeitung veröffentlicht worden. Die Redaktion habe sich bemüht, möglichst viele der zahlreichen Leserbriefe zu den Wahlen im Print oder Online unterzubringen. Es habe Regierungsratskandidaten gegeben, zu denen weniger Leserbriefe veröffentlicht worden seien als zu Bardill.
– Im von Bardill als tendenziös kritisierten Beitrag von «Radio Südostschweiz» mit Interview-Tönen aus einem Altersheim hätten die drei Personen ihre Meinung zur Regierungsratswahl geäussert. Es handle sich dabei um die Äusserungen von Privatpersonen.

– Bardills Aussagen dienten einzig dem Zweck, fehlenden Argumenten mit polemischen Mitteln Gewicht zu verleihen. Dabei erhebe er auch strafrechtlich relevante Vorwürfe gegen Verantwortliche von Somedia.

C. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Marianne Biber, Jan Grüebler, Barbara Hintermann, Markus Locher und Simone Rau an.

D. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2018 kritisierte Somedia die Zusammensetzung der Kammer wie des Gesamt-Presserats, die nicht ausgewogen sei. Somedia fordert eine ausgewogene Berücksichtigung der ländlichen Gebiete und der Bergregionen sowie der Medienhäuser im Presserat. Ohne diese Berücksichtigung sei der Presserat nicht in der Lage, lokale, regionale oder kantonale Beschwerden in diesen Regionen zu beurteilen.

E. Art. 14 des Geschäftsreglements des Presserats hält fest, dass einem Ablehnungsbegehren stattzugeben ist, wenn bei Mitgliedern eine besondere Nähe zu einer der Parteien oder zum Beschwerdegegenstand besteht, die ihre Fähigkeit zu einer unbefangenen Stellungnahme als wesentlich eingeschränkt erscheinen lässt. Solche Gründe macht Somedia aber nicht geltend. Das Präsidium des Presserats hat das Ablehnungsbegehren von Somedia aus diesem Grund am 19. Februar 2019 abgelehnt.

F. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 7. März 2019 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Linard Bardill führt Beschwerde gegen 88 Print-, Online- und Radiobeiträge der Somedia-Mediengruppe. Konkret rügt er aber nur einige wenige Formulierungen und Passagen einzelner Berichte. Der Presserat hat nicht die Aufgabe, Dutzende Artikel und Leserbriefe von sich aus im Detail zu prüfen und darauf durchzuforsten, ob sie den Journalistenkodex verletzen oder nicht. Zumal wenn der Beschwerdeführer nur vereinzelt angibt, welche Bestimmungen des Kodex an welchen Stellen in welchem Artikel verletzt worden sein sollen. Weil die Beschwerde Bardill aber ein medienethisch wichtiges Thema anspricht, nämlich die regionale Vormachtstellung einer Mediengruppe, hat das Präsidium des Presserats beschlossen, den Fall trotzdem von einer seiner Kammern behandeln zu lassen. Die Stellungnahme des Presserats beschränkt sich aber auf einige konkrete Vorwürfe des Beschwerdeführers, wie dies das Geschäftsreglement (Art. 17.2) erlaubt: Der Presserat «ist frei, sich in seinen Stellungnahmen auf die wesentlichen Beschwerdegründe zu beschränken».

2. Somedia hat im Kanton Graubünden zweifellos eine regionale Vormachtstellung. In immer mehr Schweizer Regionen haben Medienhäuser eine solche monopolartige Stellung. Diese Entwicklung beobachtet der Presserat mit Sorge, da ein Medienmonopol dem Ideal der freien Meinungsbildung widerspricht. In Richtlinie 2.2 zur «Erklärung» heisst es: «Der Meinungspluralismus trägt zur Verteidigung der Informationsfreiheit bei. Er ist notwendig, wenn sich ein Medium in einer Monopolsituation befindet.» Dies ist in einem Abstimmungs- oder Wahlkampf besonders wichtig. Das heisst, Medien mit regionaler Vormachtstellung haben besonders darauf zu achten, dass sie Kandidaten und Meinungen fair abbilden. Aus der Bestimmung kann aber auch bei Medien mit einer regionalen Vormachtstellung keine Verpflichtung zu ausgewogener und neutraler Berichterstattung abgeleitet werden (vergleiche die Stellungnahmen 13/2016 und 11/2017). Auch nicht, dass sie, wie von Bardill verlangt, allen Kandidaten «gleichmässig Raum» für ihre Standpunkte einzuräumen hätten. Oder dass sie Leserbriefe «in ausgewogener Zahl» zu publizieren hätten. Auch Medien mit regionaler Vormachtstellung dürfen journalistisch gewichten – wenn sie dabei fair bleiben.

Somedia und die «Südostschweiz» haben mit ihren Artikeln und den veröffentlichten Leserbriefen die verschiedenen Kandidaten und Themen berücksichtigt und damit den Meinungspluralismus ermöglicht.

3. Aus den Unterlagen, die der Presserat erhalten hat (sowohl aus jenen des Beschwerdeführers wie denen von Somedia), geht in keiner Weise hervor, dass Bardill in der Berichterstattung oder bei den Leserbriefen von der «Südostschweiz» oder anderen Somedia-Medien boykottiert worden ist. Offensichtlich sind fast täglich Artikel erschienen, in denen er zumindest erwähnt wird. Zudem wurden mehrere Leserbriefe veröffentlicht, in denen Bardill ein Thema ist. Der Presserat hält in seiner langjährigen Praxis daran fest, dass es im Ermessen der Redaktion liegt, ob sie einen bestimmten Leserbrief veröffentlicht oder nicht. Das gilt auch für Medien mit regionaler Vormachtstellung (Entscheide 59/2004, 5/2008, 11/2012). Die Richtlinie 5.2 (Leserbriefe) ist nicht verletzt.

4. Der Presserat hat keinen Beleg dafür, dass es von der Geschäftsleitung von Somedia bezüglich der Kandidatur Bardill Anweisungen an die Redaktionen gegeben hat, weder implizit noch explizit. Ziffer 11 der «Erklärung», die journalistische Weisungen nur redaktionell Verantwortlichen erlaubt, ist nicht verletzt.

5. Bardill wird in der «Südostschweiz» als «politischer Underdog» und «Bänkelsänger» bezeichnet. Beide Begriffe können negativ aufgefasst werden, müssen aber nicht. Auch wenn die Begriffe negativ aufgefasst werden, sind sie nicht in einem unzulässigen Mass abwertend.

Die Begriffe «Politclown» und «Beppe Bardillo» werden von der «Südostschweiz» in redaktionellen Kommentaren benutzt. Ein Kandidat für ein politisches Amt muss sich solche Begriffe gefallen lassen, insbesondere in Texten, die als Kommentare erkennbar sind.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Somedia und insbesondere die «Südostschweiz» haben mit ihrer Berichterstattung zum Regierungsratskandidaten Linard Bardill die Ziffern 2 (Meinungspluralismus) und 5 (Leserbriefe) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.