Nr. 1/2017
Wahrheitspflicht / Meinungspluralismus / Illustrationen / Anhören bei schweren Vorwürfen / Berichtigung

(International Christian Fellowship c. «Blick.ch»)

Drucken

Zusammenfassung

«Blick.ch» hat die Freikirche International Christian Fellowship (ICF) in einem Beitrag zumindest in die Nähe einer Sekte gerückt. Die Online-Plattform hat sich dabei an den Journalistenkodex gehalten, urteilt der Schweizer Presserat.
Unter dem Titel «Gefährliche Gurus» und der Spitzmarke «So mächtig sind Sekten in der Schweiz» zählte «Blick.ch» am 22. Oktober 2016 vierzehn Gruppierungen auf. Darunter die Zeugen Jehovas, Scientology, Fiat Lux und die Freikirche ICF. ICF beschwerte sich darauf beim Schweizer Presserat gegen diese Berichterstattung. Mehrere Richtlinien des Journalistenkodex seien verletzt worden. Insbesondere werde den ICF-Teilnehmern eine verunglimpfende und herabsetzende Sektenzugehörigkeit unterstellt.

«Blick.ch» zitierte, zusätzlich zur Liste mit den 14 Gruppierungen, Aussagen der Sektenberatungsstelle Infosekta, wonach der Begriff «Sekte» nicht eindeutig definiert sei und eine Einstufung schwierig sei. Man spreche von einem breiten Spektrum von Gruppierungen. Diese Aussagen helfen nach Ansicht des Presserats den Leserinnen und Lesern, sich ein eigenes Urteil über den Sektenbegriff zu machen.

Zusätzlich richtete sich die Beschwerde gegen die Aussage von «Blick.ch», durch starke emotionale Bindung werde der Austritt aus der ICF erschwert. ICF argumentiert: Sie kenne gar keine Mitgliedschaft und deshalb gebe es auch keine Ein- und Austritte. Diese Aussage von «Blick.ch» verletze deshalb die Wahrheitspflicht. Der Presserat kann dagegen nachvollziehen, dass eine emotionale Bindung den Austritt aus einer religiösen Gemeinschaft erschweren kann, auch wenn es keine formale Mitgliedschaft gibt.

Der Presserat weist die Beschwerde von ICF gegen «Blick.ch» in allen Punkten ab.

Résumé

Un article publié par «Blick.ch» a apparenté l’Eglise International Christian Fellowship (ICF) à la mouvance sectaire. La plateforme en ligne s’en est tenue au code de déontologie des journalistes, estime le Conseil suisse de la presse.
Dans un article intitulé «Gefährliche Gurus» (des gourous dangereux) et sous-titré «So mächtig sind Sekten in der Schweiz» (la puissance des sectes de Suisse), publié le 22 octobre 2016, «Blick.ch» a recensé pas moins de 14 groupements, parmi lesquels les Témoins de Jéhovah, l’Eglise de Scientologie, Fiat Lux et l’International Christian Fellowship (ICF). ICF s’est plaint de ce compte rendu auprès du Conseil suisse de la presse, estimant que plusieurs directives du code de déontologie des journalistes avaient été violées. Les participants d’ICF seraient notamment présumés appartenir à une secte, une présomption injurieuse et dévalorisante.

«Blick.ch» a cité, outre la liste des 14 groupements, les déclarations du bureau de consultation sur les sectes Infosekta, selon lequel le terme de «secte» n’est pas défini de manière univoque et il est difficile de faire des catégories. Il parle d’un large éventail de groupements. Selon le Conseil de la presse, ces déclarations aident le lecteur à se faire une opinion propre sur le terme de secte.

De plus, la plainte portait sur l’affirmation faite par «Blick.ch» qu’un lien émotionnel fort rendrait difficile tout départ d’ICF. ICF argumente: l’Eglise n’a pas d’adhérents et il n’y a par conséquent ni entrée ni sortie. Cette affirmation de «Blick.ch» porte donc atteinte au devoir de rechercher la vérité. Le Conseil de la presse répond qu’un lien émotionnel peut rendre difficile la sortie d’une communauté religieuse même s’il n’y a pas d’adhésion formelle. Le Conseil de la presse rejette la plainte d’ ICF contre «Blick.ch» sur tous les points.

Riassunto

Il Consiglio della stampa ha respinto un reclamo presentato dalla «International Christian Fellowship» (ICF) contro «Blick.ch». Il sito online aveva annoverato ICF tra le sette. Il codice deontologico non risulta violato.

Il 22 ottobre 2016, sotto il titolo «Guru pericolosi» («Gefährliche Gurus») e il sottotitolo: «Sono assai potenti le sette in Svizzera» («So mächtig sind Sekten in der Schweiz»), il sito online «Blick.ch» enumerava 14 denominazioni, tra cui i Testimoni di Geova, Scientology, Fiat Lux e la «chiesa libera» ICF. Quest’ultima si è rivolta al Consiglio della stampa denunciando una serie di violazioni del codice deontologico. Associandola al concetto di setta, il «Blick.ch» si sarebbe comportato in modo ingiurioso e denigratorio.

«Blick.ch» si difende citando il Servizio di informazioni «InfoSekta», il quale ritiene che il concetto di «setta» è generico e difficile da applicare, per cui si presterebbe a definire un ampio spettro di situazioni. Al Consiglio della stampa questo basta al lettore comune perché capisca di che si tratta. ICF critica anche un’affermazione del «Blick.ch», nel senso che l’uscita dalla comunità sarebbe ostacolata da pressioni psicologiche. Poiché non esiste una lista di associati, non si può parlare di entrate e di uscite: quel che afferma «Blick.ch» non corrisponde dunque al vero. Il Consiglio della stampa ritiene al contrario che l’adesione o l’uscita da una comunità religiosa può essere gravata di pressioni emozionali anche se non esiste un’adesione formale. Il reclamo è dunque respinto su ogni punto.

I. Sachverhalt

A. Am 22. Oktober 2016 veröffentlichte «Blick.ch» einen Beitrag mit dem Titel «Gefährliche Gurus». In der Spitzmarke hiess es: «So mächtig sind Sekten in der Schweiz», im Lead: «Von Jesus-Hardlinern über Tantra bis UFO-Gläubigen. Blick hat zusammen mit der Fachstelle Infosekta die auffälligsten Glaubens-Splittergruppen zusammengetragen.» Im Beitrag werden vierzehn verschiedene Gruppierungen kurz beschrieben. Illustriert ist der Artikel mit einem Bild von «Uriella», dem Oberhaupt der Fiat-Lux-Bewegung. Gezeichnet ist der Beitrag von Shamiran Stefanos. Unter Punkt drei steht: «International Christian Fellowship, Zürich. Daran glauben sie: In der Schweiz ist die International Christian Fellowship (ICF) die bekannteste Jugend- und Familienkirche der Evangelikalen. Durch starke emotionale Bindung in sogenannten Small Groups (6 bis 8 Mitglieder) wird der Austritt erschwert. Der Kopf dahinter: Pfarrer Leo Bigger (48) gründete die ICF 1996 in Zürich. Mitgliederzahl: 3200 Besucher pro Woche (Zürich), Tendenz steigend.» Nach den vierzehn Kurzbeiträgen wird erklärt, was unter einer Sekte zu verstehen ist. Der Begriff werde selbst von der Fachstelle Infosekta als schwierig eingestuft, da er nicht eindeutig definiert sei. Sektenhafte Strukturen seien dann zu erkennen, wenn sie einen ausbeuterischen Charakter und dogmatische und absolute Inhalte aufwiesen. 3 Prozent der von Infosekta verzeichneten Beratungen würden die ICF betreffen. (Angaben aus dem Ausdruck des Beschwerdeführers. Allfällige spätere Änderungen des Online-Beitrags sind nicht berücksichtigt.)

B. Gegen diesen Beitrag von «Blick.ch» lässt ICF Zürich am 7. November 2016 anwaltlich vertreten Beschwerde beim Schweizer Presserat führen. Sie sieht die Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche), 2.2 (Meinungspluralismus), 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar), 3.4 (Illustrationen), 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 5.1 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt.

In den letzten Jahren hätten die Medien den Begriff «Sekte» zurückhaltend verwendet und dies nur im Zusammenhang mit einer kontradiktorischen Diskussion, in welcher den betroffenen Gruppierungen – wie der ICF – stets die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden sei. Mit dem beanstandeten Beitrag gehe «Blick.ch» aber einen neuen Weg. Die ICF werde geradeheraus als Sekte bezeichnet, «sogar als mächtige Sekte mit gefährlichen Gurus, die sich zwischen Hardlinern, Tantra und UFO-Gläubigen bewege». Der Beitrag unterstelle den Teilnehmern der ICF eine verunglimpfende und herabsetzende Sektenzugehörigkeit. Der Begriff «Sekte» umfasse heute ein starkes, negatives Werturteil, welcher eine kleine, extreme Gruppierung beschreibe, deren Methoden krass gegen die gesellschaftsethischen Werte verstiessen, einen ausbeuterischen Charakter aufwiesen, Angstpädagogik betreiben würden, den Weltuntergang erwarteten, ein Schwarz-Weiss-Denken und Feindbilder indoktrinieren würden, autoritär von einem Guru geleitet seien und/oder nicht mit Kritik umgehen könnten. Der Begriff «Sekte» sei klar definiert. Das Eidgenössische Polizei- und Justizdepartement habe klare Indikatoren aufgezeigt, bei deren Vorhandensein tendenziell die Einordnung einer Gruppierung als Sekte gerechtfertigt sei. Solche Indikatoren seien auch dem Webauftritt von Infosekta und gängigen Definitionsplattformen wie Wikipedia und Duden zu entnehmen. Keiner der genannten Indikatoren könne auch nur ansatzweise ICF zugeschrieben werden. Zudem habe der im Titel benutzte Begriff «Guru» im westlichen Sprachgebrauch eine abwertende, spöttische Bedeutung und bezwecke einzig die Verunglimpfung und Herabsetzung der damit betitelten Person.

Mit der extremen Meinung, die ICF sei eine gefährliche Sekte, verstosse «Blick.ch» gegen das Gebot des Meinungspluralismus (Richtlinie 2.2) und der Trennung von Fakten und Kommentar (Richtlinie 2.3). Entgegen der Behauptung von «Blick.ch» gebe es bei der ICF keine Ein- und Austritte. Deshalb sei das Wahrheitsgebot verletzt (Richtlinie 1.1). Mit dem Bild von «Uriella» werde die ICF mit spirituellen, abergläubischen, heilungsversprechenden Praktiken in Verbindung gebracht. Dies stehe in keinem Zusammenhang mit der ICF. Damit sei auch Richtlinie 3.4 (Illustrationen) verletzt. Die Vorwürfe gegen die ICF seien schwerwiegend. Trotzdem sei man dazu nicht angehört worden (Richtlinie 3.8 Anhörung bei schweren Vorwürfen). Zudem sei «Blick.ch» zu einer Berichtigung aufgefordert worden. Eine Berichtigung sei aber nicht erfolgt (Richtlinie 5.1 Berichtigungspflicht).

C. Am 7. Dezember nahm die anwaltlich vertretene Chefredaktion von «Blick.ch» Stellung: Auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, allenfalls sei sie vollumfänglich abzuweisen. «Blick» macht geltend, dass der Sektenbegriff nur an einem Ort, in der Spitzmarke, benutzt worden sei. Im Untertitel werde klar gemacht, dass es um «Glaubens-Splittergruppen» gehe. Es gehe um Glaubensfragen und es gehe um eine «Abspaltung» aus einer grösseren Gemeinschaft. Dass die ICF so gesehen eine christliche Sekte sei, müsse sie als Folge eines gewöhnlichen Sprachgebrauchs hinnehmen. Im Artikel werde unter dem Stichwort «Wann spricht man von einer Sekte?» klargemacht, dass es keine verlässliche Definition von «Sekte» gebe.

Bezüglich des Vorwurfs, die Wahrheitspflicht verletzt zu haben, verweist «Blick» darauf, dass er nicht über formelle Austritte geschrieben habe. «Blick» behaupte auch nicht, der Austritt werde verunmöglicht oder ausgeschlossen, sondern, dass durch die emotionale Bindung in den Small Groups der Austritt erschwert werde. Damit werde auf den Gruppendruck angespielt, der durch die emotionale Bindung in den Small Groups auf der Hand liege.

Der Artikel habe auch keine schweren Vorwürfe erhoben, die zwingend eine Anhörung verlangen würden. Zudem habe «Blick» weder die Richtlinien 2.2 (Meinungspluralismus), 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) noch 3.4 (Illustrationen) verletzt.

D. Der Presserat wies die Beschwerde der 3. Kammer zu, der Max Trossmann (Kammerpräsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Barbara Hintermann, Seraina Kobler und Markus Locher angehören. Matthias Halbeis trat gestützt auf Artikel 14 Absatz 2 des Geschäftsreglements des Presserats von sich aus in den Ausstand.

E. Die 3. Kammer des Presserats behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 26. Januar 2017 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Unbestritten ist, dass «Blick.ch» die ICF mit dem Beitrag vom 22. Oktober 2016 zumindest indirekt als Sekte bezeichnet. Die von der Beschwerdeführerin angegebenen Quellen definieren zwar den Begriff «Sekte». Die Definitionen lassen aber viel Raum für Interpretationen. Es ist aber nicht die Aufgabe des Presserats, zu beurteilen, welche Gruppierung eine Sekte ist und welche nicht. Aufgabe des Presserats ist es, zu beurteilen, ob «Blick.ch» die medienethischen Regeln eingehalten hat.

Auch bei Beiträgen in Form einer Aufzählung (so genannte Listicals) gelten die Regeln der Medienethik. Werden verschiedene Gruppierungen in einen Topf geworfen, sollten Journalistinnen und Journalisten genau darauf achten, dass die allgemeinen Beschreibungen zu allen Gruppierungen passen.

Im beanstandeten Artikel heisst es in der Spitzmarke: «So mächtig sind Sekten in der Schweiz». Die Leserinnen und Leser können also davon ausgehen, dass «Blick.ch» die nun folgenden vierzehn Gruppierungen als Sekten betrachtet. Im Zusatzartikel unter dem Stichwort «Wann spricht man von einer Sekte?» wird festgehalten, dass laut der Fachstelle Infosekta die Definition des Sektenbegriffs nicht eindeutig sei. Man spreche von einem breiten Spektrum. Es gebe fragwürdige Heiler, problematische Freikirchen und fundamentalistische Gruppierungen unterschiedlicher Couleur. Diese Informationen helfen dem Publikum, sich ein eigenes Bild über den nicht eindeutigen Sektenbegriff zu machen.

2. ICF macht geltend, dass es bei ihr weder Ein- noch Austritt gebe. Deshalb sei die Formulierung «wird der Austritt erschwert» wahrheitswidrig. «Blick.ch» schrieb jedoch, durch eine emotionale Bindung werde der Austritt erschwert. Nach Ansicht des Presserats kann dies tatsächlich auch ohne formelles Ein- und Austrittsverfahren der Fall sein. «Blick.ch» hat das Gebot der Wahrheitssuche (Richtlinie 1.1) nicht verletzt.

3. Gemäss der Praxis des Presserats muss bei schwerwiegenden Vorwürfen eine Anhörung der Betroffenen erfolgen. Ein Vorwurf wiegt schwer, wenn jemandem ein illegales oder damit vergleichbares besonders unredliches Verhalten vorgeworfen wird. Der ICF wird vorgeworfen, eine Sekte zu sein und dass der Austritt aus der ICF durch starke emotionale Bindungen erschwert werde. Beides dürften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an ICF-Anlässen als schwerwiegende Vorwürfe empfinden. Aber beide Aussagen werfen der ICF weder ein illegales noch ein besonders unredliches Verhalten vor. Die Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) ist somit nicht verletzt.

4. Die Beschwerdeführer machen eine Verletzung der Richtlinie 2.2. (Meinungspluralismus) geltend, weil der Artikel eine einzige, extreme Meinung schüre. Aus der Richtlinie lässt sich jedoch weder eine Pflicht zur Ausgewogenheit noch eine solche zur objektiven Berichterstattung ableiten. Auch 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) ist nicht verletzt, da es sich weder um eine kommentierende noch um einschätzende Berichterstattung handelt. Da die Wahrheitspflicht nicht verletzt worden ist, bestand auch keine Pflicht zur Berichtigung (Richtlinie 5.1).

5. Die Illustration eines Artikels, der von vierzehn Glaubensgruppierungen handelt, mit einer prominenten Person einer dieser Gruppierungen, erachtet der Presserat als unproblematisch. Es ist offensichtlich, dass kein direkter Zusammenhang zwischen «Uriella» und der ICF besteht (Richtlinie 3.4 Illustrationen).

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «Blick.ch» hat mit dem Artikel «Gefährliche Gurus» die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 2 (Meinungspluralismus), 3 (Illustrationen / Anhörung bei schweren Vorwürfen), 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.