Nr. 43/2016
Wahrheitspflicht / Unterschlagen wichtiger Informationen / Identifikation

(Bassand c. «Neue Zürcher Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 27. Dezember 2016

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I. Sachverhalt

A. Am 25. April 2015 erschien in der «Neue Zürcher Zeitung» ein Artikel mit dem Titel «Bescheiden leben mit Familie Bassand». Die vierköpfige Familie, von der die Rede ist, wohnt in der «Kalkbreite», einem Zürcher Wohnkomplex, der sich ganz der Nachhaltigkeit verpflichtet hat. Die Mutter, SP-Politikerin Françoise Bassand, habe in einer SP-Quartierzeitung verkündet, dass die 140 Quadratmeter grosse 5½-Zimmer-Wohnung etwa dem mittleren Bedarf einer Familie in den 1950er-Jahren entspreche. Der Flächenverbrauch pro Kopf liege damit nur bei 35 Quadratmetern, wogegen dieser in der Schweiz durchschnittlich 45 betrage. Der Autor des Artikels weist darauf hin, dass dieser Schnitt nur so hoch sei, weil er von den Einzel- und Zweipersonenhaushalten markant nach oben getrieben werde. Ausserdem sei der Mietpreis von 2660 Franken (bei einem Richtpreis von 1900 Franken pro 100 Quadratmeter) ein Sonderangebot, wenn man bedenke, dass eine Wohnung dieser Grösse auf dem freien Markt weit über 3000 Franken koste. Vielleicht sei es angesichts dieser Privilegien besser, zu geniessen und zu schweigen.

B. Am 23. Oktober 2015 beschwerten sich Martin Furler Bassand und Françoise Bassand beim Schweizer Presserat gegen die «NZZ». Sie sehen im kritisierten Artikel in erster Linie das Wahrheitsgebot der Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt. Ihre Wohnung habe keine Wohnfläche von 140, sondern von 126,7 Quadratmetern; es handle sich nicht um eine «SP-Quartierzeitung», sondern um ein Informationsblatt für Mitglieder der SP 4; und schliesslich betrage die Miete nicht 2660 Franken, sondern 2915 Franken netto bzw. 3101 Franken brutto, dazu komme das Anteilscheinkapital von 33’000 Franken.

Des Weiteren sei Ziffer der 3 der «Erklärung» dadurch verletzt, dass wichtige Elemente von Informationen unterschlagen worden seien. So unterschlage der Autor, dass es sich bei einem Richtpreis von 1900 Franken pro 100 Quadratmeter um eine generelle Annahme handle und nicht um einen tatsächlichen Mietpreis, insbesondere da der Richtpreis mit einer nicht verifizierten Quadratmeterzahl berechnet wurde. Weiter sei unterschlagen, dass Genossenschafts-mitglieder durch Anteilscheinkapital an der Finanzierung des Gebäudes beteiligt seien und deshalb die Miete tiefer ausfalle als auf dem freien Wohnungsmarkt. Der Autor des Artikels habe die Anhörungspflicht bei schweren Vorwürfen gemäss Richtlinie 3.8 der «Erklärung» verletzt. Er habe die Beschwerdeführer nicht kontaktiert; sie hätten somit keine Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt. Keine der Ausnahmen laut Richtlinie 3.9 treffe auf sie zu. Weder gebe es amtliche Quellen zu den verwendeten Zahlen, noch sei der Vorwurf, die Beschwerde-führer würden eine zu grosse oder zu billige Wohnung bewohnen, je öffentlich geäussert worden. Auch ein überwiegendes öffentliches Interesse sei nicht auszumachen.

Die Beschwerdeführer beanstanden schliesslich die Verletzung der Ziffer 7 der «Erklärung», welche die Privatsphäre einzelner Personen schützt und anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen verbietet. Der Autor verwende falsche und nicht verifizierte Zahlen und suggeriere dem Leser, die Beschwerdeführer würden in einer durch die Stadt subventionierten Wohnung leben und sich dadurch einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen. So würde die Familie die Wohnung «besetzen», das Mietverhältnis sei ein «Sonderangebot» und es handle sich um «Privilegien». Dadurch werde die ganze Familie Bassand sachlich nicht gerechtfertigten Anschuldigungen ausgesetzt. Die Wohnung in der privaten Genossenschaft werde nicht subventioniert und die Familie habe sich wie alle anderen für die Wohnung beworben. Doch durch die missverständlichen Formulierungen lasse der Autor es zu, dass seine Leser falsche Schlüsse ziehen. Dies würden die Online-Kommentare auf «nzz.ch» zeigen. Insbesondere sei Richtlinie 7.2 (Identifizierung) der «Erklärung» verletzt. Die Beschwerdeführer seien zwar in Bezug auf die «Kalkbreite» öffentlich aufgetreten, jedoch habe sich keiner dieser Auftritte auf ihr konkretes Mietverhältnis und ihre finanzielle Situation bezogen. Auch stehe der Medienbericht in keiner Weise in Verbindung mit dem politischen Amt der Beschwerdeführerin in der lokalen Schulbehörde. Bereits durch den Familiennamen im Titel in Verbindung mit dem Wohnort Stadt Zürich sei die Familie klar identifizierbar, im Artikel werde dann auch noch Vorname und Parteizugehörigkeit der Frau genannt. Die Familie habe bereits einen unangenehmen Anruf erhalten und auch Online-Kommentare sprächen eine deutliche und zuweilen hasserfüllte Sprache. Es sei unzulässig, die Beschwerdeführer als ein-zelne Familie herauszupicken und an den Pranger zu stellen, zumal in der «Kalkbreite» auch weitere Politiker wohnen würden.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 26. Januar 2016 beantragt die anwaltlich vertretene «NZZ», auf die Beschwerde nicht einzutreten und falls doch, sie abzuweisen. Die «NZZ» habe am 28. April 2015 auf «nzz.ch» und am 29. April 2015 in ihrer Print-Ausgabe ein Korrigendum publiziert, worin die Beanstandungen der Beschwerdeführer berücksichtigt und korrigiert worden seien. Aus diesem Grund bestehe weder ein rechtliches noch ein tatsächliches Interesse an der Beschwerde und es sei nicht darauf einzugehen.

Sollte der Presserat trotzdem auf die Beschwerde eintreten, antwortet die «NZZ» wie folgt: Die Grundfläche der Wohnung von Familie Bassand habe der Autor auf Grundlage der Aus-sage berechnet, sie hätten pro Person 35 Quadratmeter zur Verfügung. Diese Aussage von Françoise Bassand sei im Informationsorgan der SP Kreis 4 publiziert worden. Der Autor habe keinen Grund gehabt, an dieser Eigenaussage zu zweifeln und es habe deshalb auch keiner Nachfrage bei den Beschwerdeführern bedurft. Die Mietkosten habe der Autor gestützt auf die Weisung des Stadtrates berechnet und es treffe somit nicht zu, wenn die Beschwerdeführer behaupten, es gebe keine amtlichen Quellen zu den von der «NZZ» verwendeten Zahlen. Auch hier habe der Autor davon ausgehen dürfen, dass diese Angaben zutreffen. Die Differenz zum gemäss Angaben der Beschwerdeführer korrekten Mietzins bedeute eine Abweichung vom effektiven Mietzins von weniger als 9 Prozent, was von geringfügiger Relevanz sei. Aus diesen Gründen sei das Wahrheitsgebot der Ziffer 1 der «Erklärung» nicht verletzt worden. Zum Vorwurf, das Mitteilungsblatt der SP 4 an ihre Mitglieder sei als «SP-Quartierzeitung» bezeichnet worden, stellt die «NZZ» fest, dass auch das Mitteilungsblatt online frei verfügbar sei. Die Ungenauigkeit sei deshalb derart geringfügig, dass kein Verstoss gegen die Ziffer 1 der «Erklärung» vorliegen könne. Die Quelle sei ausserdem inzwischen im Korrigendum richtig angeführt. Die «NZZ» streitet weiter ab, dass dem Leser suggeriert werde, es handle sich bei der «Kalkbreite» um subventionierten Wohnraum. Vielmehr werde klar gemacht, dass es bei der Überbauung um ökologische Ziele und Nachhaltigkeit gehe. Von Subventionen werde weder gesprochen noch darauf angespielt.

Die «NZZ» bestreitet, wichtige Elemente unterschlagen zu haben. Das Anteilscheinkapital von 33’000 Franken, welches die Beschwerdeführer zeichnen mussten, sei mit Blick auf den Mietzins von untergeordneter Bedeutung, so dass Ziffer 3 der «Erklärung» nicht verletzt sei. Ausserdem sei dem Leser allgemein bekannt, dass bei Genossenschaftswohnungen jeweils Anteilscheine zu zeichnen seien. Zum Vorwurf, die «NZZ» habe nicht klar deklariert, dass es sich bei den 1900 Franken pro 100 Quadratmeter um eine generelle Annahme handle, bringt die Redaktion vor, dass dies schon unmissverständlich aus der Bezeichnung «Richtpreise» hervorginge. Bei einem Richtpreis handle es sich per D
efinition um eine generelle Annahme. Die «NZZ» bestreitet auch eine Verletzung von Richtlinie 3.8 der «Erklärung», welche eine Anhörung bei schweren Vorwürfen verlangt. Zunächst lägen gar keine schweren Vorwürfe vor. Ausserdem stütze sich der Artikel auf die von der Beschwerdeführerin selbst veröffentlichten Aussagen und auf offizielle Angaben in der Weisung des Stadtrates. Dies stelle eine Ausnahme der Anhörungspflicht gemäss Richtlinie 3.9 der «Erklärung» dar, denn es handle sich um öffentlich zugängliche Quellen.

Kein Verstoss gegen die «Erklärung» liege im kritischen Unterton bezüglich der Frage nach dem nachhaltigen Verhalten und des Bewohnens einer im Vergleich eher günstigen Wohnung. Gemäss ständiger Praxis des Presserats sei aus der «Erklärung» keine Pflicht zu ausgewogener, «objektiver» Berichterstattung abzuleiten. Wie oben ausgeführt, sei auch nie behauptet worden, die Beschwerdeführer wohnten in einer subventionierten Wohnung. Somit sei der Autor des «NZZ»-Beitrags nicht in den Privatbereich der Beschwerdeführer eingedrungen und habe Ziffer 7 der «Erklärung» (Privatsphäre) nicht verletzt. Ein identifizierender Bericht hingegen rechtfertige sich, da beide Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der Überbauung Kalkbreite öffentlich aufgetreten seien. Die Beschwerdeführerin habe zudem selbst in dem online jederzeit frei abrufbaren Infoblatt der SP 4 zu ihrer eigenen Wohnung Ausführungen gemacht. Sie sei ausserdem Kandidatin für die Kantonsratswahlen gewesen zur Zeit, als die Überbauung konzipiert und erstellt wurde und habe von 2012 bis 2014 der Geschäftsleitung der SP des Kantons Zürich angehört. Sie selbst präsentiere sich ausserdem auf der Website der SP der Stadt Zürich als sehr aktives SP-Mitglied und sitze in vielen politischen Gremien. Deshalb sei die Beschwerdeführerin eine relative Person der Zeitgeschichte in der Stadt Zürich. Damit dürfe über sie gemäss der Richtlinie 7.2 der «Erklärung» identifizierend berichtet werden. Der Beschwerdeführer wiederum sei nur vier Tage vor der Veröffentlichung des «NZZ»-Beitrags selbst an die Öffentlichkeit gelangt, indem er dem «Sonntagsblick Magazin» über das Leben in der «Kalkbreite» berichtet habe. Damit habe auch die «NZZ» sechs Tage später die Namen der Beschwerdeführer nennen dürfen, denn wer selbst an die Öffentlichkeit gelange, könne umgekehrt nicht auf Anonymität bestehen. Im Übrigen sei es den Beschwerdeführern nicht wirklich ernst damit, dass sie unerwähnt bleiben wollten. So hätten sie keine solchen Forderungen gestellt, als sie wegen des Korrigendums an die «NZZ» gelangten seien und hätten die Affäre weiter über das Internet verbreitet.

D. Am 19. August 2016 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 27. Dezember 2016 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Vorab zu klären ist die Frage des Eintretens. Die «NZZ» macht geltend, sie habe am 28. April 2015 auf «nzz.ch» und am 29. April 2015 in ihrer Print-Ausgabe ein Korrigendum publiziert, weshalb auf die Beschwerde nicht einzutreten sei. Dieses Korrigendum betrifft die von den Beschwerdeführern bewohnte Wohnfläche, den Mietzins und die genaue Bezeichnung des Publikationsorgans der SP Kreis 4, somit Rügen, welche Ziffer 1 der «Erklärung» betreffen. In ihrer Beschwerde machen die Beschwerdeführer darüber hinaus jedoch auch eine Verletzung von Ziffer 3 und 7 der «Erklärung» geltend. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.

2. Die Beschwerdeführer machen eine Verletzung des Wahrheitsgebots der Ziffer 1 der «Erklärung» geltend. Demnach halten sich Journalistinnen und Journalisten an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen. Sie lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren. Die Beschwerdeführer beanstanden, dieses Gebot sei mehrfach verletzt worden: durch die Angabe einer zu grossen Grundfläche ihrer Wohnung, durch einen zu tiefen Mietzins und durch das Bezeichnen des Mitteilungsblatts der SP 4 als «Quartierzeitung».

Zur Grundfläche der Wohnung: Die Beschwerdeführer machen geltend, die Fläche der Wohnung betrage nicht 140 Quadratmeter, sondern deren 126,7. Die «NZZ» hält fest, die Grundfläche der Wohnung habe der Autor auf Grundlage der Aussage von Françoise Bassand im Informationsorgan der SP Kreis 4 berechnet. In dieser Publikation habe Françoise Bassand angegeben, die Familie hätte pro Person 35 Quadratmeter zur Verfügung. Bei einer vierköpfigen Familie ergibt dies eine Fläche von 140 Quadratmeter. In der Ausgabe Nr. 1/2014 vom Juli 2014 der «SP 4 Info» stellt «Françoise Bassand den gemeinschaftlichen Wohnungsbau in der Kalkbreite vor» und hält u.a. fest: «Am 30. Juni 2014 bin ich zusammen mit meinem Mann und unseren beiden Kindern (10 und 14 Jahre) in eine Fünfeinhalbzimmerwohnung eingezogen. Wir haben pro Person 35 m2 zur Verfügung. (…)». Das Informationsorgan ist bezeichnet «Für die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Zürich 4» und ist auch auf der Webseite der SP der Stadt Zürich abrufbar. Françoise Bassand hat somit in einem öffentlich zugänglichen Informationsorgan Aussagen zu ihrer Wohnsituation und insbesondere zur bewohnten Fläche gemacht. Die «NZZ» durfte sich somit auf die Eigenaussage von Françoise Bassand stützen und war nicht verpflichtet, sich diese Aussage von ihr bestätigen zu lassen bzw. zu relativieren, dass es sich allenfalls um eine grobe Schätzung und nicht um eine Berechnungsgrundlage handelte. Die Abweichung beträgt 13 Quadratmeter und ist zudem auf die Aussagen der Beschwerdeführerin zurückzuführen. Aus diesem Grund hat die «NZZ» das Wahrheitsgebot nicht verletzt.

Zur Höhe des Mietzinses: Der «NZZ»-Autor berechnet den Mietpreis auf 2660 Franken, wobei er sich auf einen «Richtpreis von 1900 Franken pro 100 Quadratmeter» stützt. Die Beschwerdeführer machen geltend, sie bezahlten 2915 Franken netto bzw. 3101 Franken brutto, dazu komme das Anteilscheinkapital von 33’000 Franken hinzu. Der «NZZ»-Autor führt im Artikel nicht näher aus, um was für einen Richtpreis es sich handelt. In der Beschwerdeantwort führt die «NZZ» aus, dass sich der Autor auf die Weisung des Zürcher Stadtrates an die Liegenschaftsverwaltung für die Erstellung einer gemeinnützigen Wohn- und Gewerbeüberbauung auf dem Areal Kalkbreite vom 17. März 2010 gestützt habe. Dabei handelt es sich um eine amtliche Quelle. Der Autor durfte von deren Richtigkeit ausgehen. Im Artikel wird aufgezeigt, dass die Berechnung mithilfe eines Richtpreises durchgeführt wurde und es sich deshalb um eine Schätzung handelt. Auch hier kann deshalb nicht von einer Verletzung des Wahrheitsgebots gesprochen werden.

Was die Bezeichnung des Mitteilungsblatts der SP 4 für ihre Mitglieder als «Quartierzeitung» angeht, so handelt es sich um eine journalistische Ungenauigkeit. Dieses Mitteilungsblatt ist für die SP-Parteimitglieder des Stadtkreises 4 bestimmt. Diese Ungenauigkeit vermag jedoch keine Verletzung der Wahrheitspflicht zu begründen.

3. Ziffer 3 der «Erklärung» verbietet Journalistinnen und Journalisten, wichtige Elemente von Informationen zu unterschlagen und Tatsachen, Dokumente, Bilder, Töne oder von anderen geäusserte Meinungen zu entstellen. Die Beschwerdeführer bringen vor, diese Bestimmung sei verletzt, da aus dem Artikel nicht klar hervorgehe, dass es sich bei dem Mietpreis nur um eine generelle Annahme handelt und dass Genossenschaftsmitglieder durch Anteilscheine an der Finanzierung des Gebäudes beteiligt sind. Der Presserat sieht keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen. Durch die Bezeichnung «Richtpre
is» wird dem Leser klar, dass es sich um eine generelle Annahme handelt. Auch kann als bekannt vorausgesetzt wer-den, dass bei einer Genossenschaftswohnung Anteilscheine gezeichnet werden müssen. Der «NZZ»-Autor war deshalb nicht gehalten, dies der Leserschaft explizit zu erklären.

Die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 3.8 hält Journalisten dazu an, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören. Die Beschwerdeführer beanstanden eine Verletzung dieser Richtlinie, da sie keine Gelegenheit bekommen hätten, zu dem Artikel und insbesondere zum Vorwurf des Bewohnens einer «zu grossen» oder «zu billigen» Wohnung Stellung zu beziehen. Laut gängiger Praxis des Presserats wiegt ein Vorwurf schwer, wenn damit jemandem ein illegales oder damit vergleichbares Verhalten vorgeworfen wird. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Bericht ist in einem kritischen Ton gehalten und hinterfragt die – vom Autor geltend gemachte – Selbstdarstellung von Bewohnern der genossenschaftlichen Siedlung Kalkbreite und insbesondere den Begriff «Verzicht». Dies ist nicht zu beanstanden, einen schweren Vorwurf vermag der Presserat im kritisierten Artikel nicht zu erkennen, eine Anhörung war deshalb nicht zwingend und Richtlinie 3.8 der «Erklärung» somit nicht ver-letzt. Handelt es sich jedoch nicht um schwere Vorwürfe, sind auch allfällige Ausnahmen von der Anhörungspflicht gemäss Richtlinie 3.9 nicht zu prüfen.

4. Ziffer 7 der «Erklärung» schützt die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen sind zu unterlassen. Die Beschwerdeführer sehen sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen in folgenden Aussagen: Sie würden die Wohnung «besetzen», das Mietverhältnis sei ein «Sonderangebot» und es handle sich um «Privilegien». Dem Leser werde suggeriert, die Beschwerdeführer würden in einer durch die Stadt subventionierten Wohnung leben. Für den Presserat lässt die vom Autor gewählte Wortwahl klar dessen kritische Haltung hinsichtlich dieses Wohnprojekts erkennen. Ein Journalist ist jedoch gemäss Praxis des Presserats nicht zu Objektivität verpflichtet und darf seine persönliche Sicht auf eine Angelegenheit verbreiten. Im vorliegenden Fall legt der «NZZ»-Autor kritisch seine Sicht der Dinge dar, sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen sind im Artikel jedoch nicht zu finden. Wenn von «Sonderangebot» und Privilegien die Rede ist, so will der Autor damit der Darstellung von Françoise Bassand widersprechen, was nicht zu beanstanden ist. Dass mit dem Text suggeriert werde, die Beschwerdeführer lebten in einer subventionierten Wohnung, ist für den Presserat nicht nachvollziehbar. Ziffer 7 der «Erklärung» ist demnach nicht verletzt.

Schliesslich rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Richtlinie 7.2, welche den Rahmen umschreibt, unter welchen Umständen Namensnennung und/oder identifizierende Berichterstattung zulässig sind. Es sei unzulässig, die Beschwerdeführer als einzelne Familie herauszupicken und an den Pranger zu stellen, zumal in der «Kalkbreite» auch weitere Politiker wohnen würden. Die «NZZ» argumentiert unter anderem mit dem Fakt, dass Françoise Bassand in der Öffentlichkeit allgemein bekannt sei und zudem ein politisches Amt innehabe. Die Tatsache allein, dass Françoise Bassand ein politisches Amt innehat, ist für den Presserat keine ausreichende Rechtfertigung für eine namentliche Identifizierung. Dazu wäre laut Richtlinie 7.2 ein Zusammenhang mit dem Medienbericht nötig, welcher hier fehlt. Deren private Wohnsituation hat nichts mit ihrer aktiven Mitgliedschaft in der SP oder ihrer Tätigkeit in politischen Gremien zu tun. Anders verhält es sich mit dem Argument, die Beschwerdeführer seien im Zusammenhang mit dem Gegenstand des Medienberichts öffentlich aufgetreten. Richtlinie 7.2 erlaubt eine Identifizierung dann, wenn die betroffene Person im Zusammenhang mit dem Gegenstand des Medienberichts öffentlich auftritt. Beide Beschwerdeführenden haben sich über ihre Wohnsituation in der «Kalkbreite» im online frei abrufbaren Infoblatt der SP 4 geäussert, der Beschwerdeführer zusätzlich am 19. April 2015 im Magazin des «Sonntagsblick». Bei diesen öffentlichen Auftritten ging es u.a. um die gleiche Thematik, wie sie der «NZZ»-Autor in seinem Artikel aufgegriffen hat – er stützte sich denn auch auf Aussagen der Beschwerdeführerin. Aus diesem Grund kann sich Familie Bassand nicht anschliessend auf ihre Anonymität berufen. Ihr Verhalten ist als eine Form von Einwilligung zu werten. Richtlinie 7.2 ist somit nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «NZZ» hat mit ihrem Artikel «Bescheiden leben mit Familie Bassand» vom 25. April 2015 Ziffer 1 (Wahrheitsgebot), Ziffer 3 (Unterschlagung wichtiger Informationen; Anhörung bei schweren Vorwürfen) und Ziffer 7 (Identifizierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.