Nr. 14/2016
Wahrheitspflicht / Kommentarfreiheit / Unterschlagen wichtiger Informationen / Entstellen von Tatsachen

X. c. «Neue Zürcher Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 2. Juni 2016

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 10. Juli 2014 reichte X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen die Berichterstattung der «NZZ» über den Ukraine-Konflikt, ihre generelle Berichterstattung über Russland und dessen Präsidenten Wladimir Putin sowie die Orthodoxe Kirche ein. Sie sieht damit die Ziffern 1, 2, 3, 5 und 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt. Im Einzelnen macht sie geltend, der Leserschaft würden absichtlich Informationen vorenthalten, wodurch die Zeitung ein einseitiges Bild verbreite. X. nennt dafür folgende Beispiele: Die «NZZ» habe nie Bilder oder ausführlichere Berichte veröffentlicht über die enormen Zerstörungen an Zivilanlagen, Wohnbauten, Schulen, Spitälern, die die ukrainischen Streitkräfte in der Ostukraine angerichtet hätten. Sie habe nie gemeldet, dass die ukrainischen Streitkräfte Verwundeten¬transporte beschossen und Kriegsverwundete erschossen hätten und auch nie Berichte wiedergegeben, wonach die Ukraine in der Ostukraine offenbar Brandbomben amerikanischer Herkunft einsetzte. Die «NZZ» habe auch nie gemeldet, auf welche menschenverachtende Art sich ukrainische Regierungsmitglieder und andere Persönlichkeiten öffentlich über die russischstämmigen Ostukrainer geäussert hätten, und auch nicht, dass in Kiew und anderen Städten im Osten der Westukraine orthodoxe kirchliche Institutionen schwer bedroht worden seien, die ukrainischen Streitkräfte in der Ostukraine gar orthodoxe Kirchen zerstört hätten. Nie sei ein fundierter und objektiver Hintergrundbericht über die historischen, kulturellen, religiösen, politischen und militärischen Verhältnisse in der Ukraine veröffentlicht worden, stattdessen habe die «NZZ» Präsident Putin verteufelnd und irreführend als Hauptursache der ganzen Krise hingestellt. Höchstens am Rand eine Meldung wert gewesen sei die grobe Verletzung der Pressefreiheit durch die Kiewer Regierung. Nicht gemeldet worden sei zudem, dass die Kiewer Regierung auf unlautere Weise enorme Mengen russischen Gases in ihre Reservoirs gepumpt habe ohne dafür zu bezahlen. Weiter macht X. geltend, die «NZZ» habe einseitige, diffamierende, diskreditierende und verleumderische Darstellungen über die Ukraine-Krise veröffentlicht. Die Berichte der «NZZ» bezüglich dieser Krise seien ausgeprägt Russland-feindlich. Russlands Regierung werde jede Glaubwürdigkeit abgesprochen. Die «NZZ» habe alle Informationen von russischer Seite zu den Ereignissen des Bürgerkriegs in der Ukraine diskreditiert und als «Propaganda des Kremls» bezeichnet. Die NZZ-Korrespondenten in Prag, Rudolf Hermann, in Moskau, Daniel Wechlin, sowie der NZZ-Mitarbeiter und Blogger Christian Weisflog schrieben stets in einem höhnischen, diffamierenden und verleumderischen Ton über Russland und machten ihre persönliche Abneigung gegen dessen Präsidenten zum leitenden Kriterium ihrer journalistischen Arbeit.

Nach dieser allgemeinen Einleitung nennt die Beschwerdeführerin eine Reihe von Meldungen vorab russischer Medien über Vorgänge in der Ostukraine, welche die «NZZ» überhaupt nicht beachtet habe. Dies stelle eine Vorenthaltung von Informationen dar. X. führt diverse von der Agentur Itar-Tass verbreitete Meldungen an sowie solche auf www.pravoslavie.ru in englischer Sprache verbreitete, wie etwa Fotos und Berichte über von den ukrainischen Streitkräften beschossene orthodoxe Kirchen in der Ostukraine.

Zur Frage der Kreml-Trolle führt die Beschwerdeführerin zwei Artikel vom 4. März 2014 sowie vom 2. Mai 2014 von Rainer Stadler an, in denen sich dieser über die vielen Kommentare zugunsten Russlands und Putins bzw. über die Flut von Protesten gegen die «NZZ»-Berichterstattung über die Ukraine-Krise wundert. Im Artikel von Christian Weisflog vom 16. Juni 2014 über angeblich erwiesene «Kreml-Trolle» habe es geheissen: «Lange war es Vermutung. Jetzt ist es gewiss.» Im Artikel selbst müsse Weisflog allerdings zugeben, dass bisher kein einziger dieser «Kreml-Trolle» eindeutig identifiziert werden konnte.

Mit Hinweis auf «NZZ-Berichte, die als einseitig, die Tatsachen verzerrend, entstellend oder verhüllend und diffamierend einzustufen sind» führt die Beschwerdeführerin den Artikel von Cyrill Stieger vom 13. März 2014 «Die Mär vom Faschismus in Kiew» an. Der Autor widerlege sich selbst, denn wenn es wahr sei, dass sich unter den Regierungsgegnern auf dem Maidan rechtsextreme und nationalistische Gruppen befanden, die zum Teil bewaffnet und gewaltbereit waren und dass der sogenannte Rechte Sektor, ein paramilitärisch organisierter Zusammenschluss nationalistischer und rechtsextremer Splittergruppen im Soge der Revolution und der russischen Bedrohung an Zugkraft gewonnen habe, dann sei eben der Faschismus in Kiew nicht eine Mär.

Danach folgen zehn weitere angeblich einseitige, die Tatsachen entstellende Artikel. Auf sie geht der Presserat in den Erwägungen ab 3. a) im einzelnen ein.

B. Am 27. Oktober 2014 nahmen der Chefredaktor der «NZZ», Markus Spillmann, sowie die Rechtskonsulentin der «NZZ», Claudia Schoch, zu den Vorwürfen Stellung. Sie beantragten, auf die Beschwerde nicht einzutreten bzw. diese allenfalls vollumfänglich abzuweisen. Auf pauschale Vorwürfe sei nicht einzutreten. Die Beschwerdeführerin berufe sich einerseits auf zahlreiche Meldungen der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass. Bei ihr handle es sich um die zentrale staatliche Nachrichtenagentur Russlands. Andererseits werde als Quelle die weitgehend unbekannte und wohl orthodox konservativen Kreisen zuzuordnende Website www.pravoslavie.ru angeführt, ergänzt heisse es auf der Website dazu (aus dem Russischen übersetzt): «russisch orthodoxe Informationsressource des 3. Jahrtausends». Informationen, die diese beiden Quellen verbreiten, könnten nicht als unabhängig gelten und seien sorgfältig und kritisch zu bewerten. Weiter führt die «NZZ» aus, im Ukraine-Konflikt finde ein heftiger «Medienkrieg» bzw. «Meinungskrieg» statt. So tummelten sich sogenannte Trolle in den sozialen Netzwerken. Bezahlte Manipulatoren versuchten weltweit die Meinungen zugunsten der russischen Seite zu beeinflussen, indem sie sich in die sozialen Netze mit Kommentaren und Falschinformationen einschlichen. Aufgrund der Umstände der Beschwerde liege der Gedanke nahe, dass die Beschwerdeführerin vorgeschoben und von dahinter stehenden Kreisen benutzt worden sein könnte. Auf mehr als sechs Monate zurückliegende Beiträge sei zudem nicht einzutreten. Ebenso wenig auf pauschale, nicht substantiierte Beanstandungen wie den von der Beschwerdeführerin unter dem Titel «Vorbemerkung» erhobenen absolut pauschalen Vorwurf, die «NZZ» berichte einseitig und tendenziös über die Ukraine und Russland und ihre Berichterstattung sei von «Russophobie» geprägt und diffamierend.

Unter dem Titel «Der Leserschaft absichtlich vorenthaltene Informationen» erhebe die Beschwerdeführerin weitere neun pauschale Vorwürfe, ohne sie näher zu belegen. Diese erfüllten die Pflicht gemäss Art. 9 Geschäftsreglement des Presserats zur Begründung der Beschwerde und Darstellung des massgeblichen Sachverhalts nicht.

Unter dem Titel «Die Veröffentlichung von einseitigen, diffamierenden, diskreditierenden und verleumderischen Darstellungen über die Ukraine-Krise» wiederhole die Beschwerdeführerin ihre pauschal erhobenen Beanstandungen der «Russland-Feindlichkeit» und der Unterdrückung von Informationen, wobei sie ihre Vorwürfe wiederum nirgends belege. Auch darauf sei nicht einzutreten.

Unter «Belege zur vorliegenden Beschwerde» führe die Beschwerdeführerin Agenturmeldungen der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass sowie Meldungen der konservativ-orthodoxen Website www.pravoslavie.ru an, um der «NZZ» vorzuwerfen, dass sie diese nicht beachtet und auch nicht publiziert habe. Es werde nicht belegt, in welchen Beiträgen die konkrete Berichterstattung der Beschwerdegegnerin nicht korrekt war. Auch auf diese Beanstandungen sei deshalb nicht einzutreten.

Unter dem Titel «Zur Frage der ‹Kreml-Trolle›» nehme X. zwar Bezug auf einzelne Artikel der Autoren Rainer Stadler und Christian Weisflog in der «NZZ», sie sage aber nicht, was sie in diesen Beiträgen beanstandet, weshalb auch darauf nicht einzutreten sei.

Unter «Einige Beispiele von NZZ-Berichten, die als einseitig, die Tatsachen verzerrend, entstellend oder verhüllend und diffamierend einzustufen sind» führe die Beschwerdeführerin zwar wiederum einzelne Artikel der «NZZ» an, mache jedoch bei keinem deutlich, welche Punkte der «Erklärung» verletzt worden seien. Ebenso wenig lege sie den massgeblichen Sachverhalt dar. Sie behaupte lediglich ihre eigene Sichtweise als die einzig richtige. Mangels Begründung sei auch auf diese Vorwürfe nicht einzutreten.

Sollte der Presserat dennoch auf die Beschwerde eintreten, sei diese aus folgenden Gründen abzuweisen: Der Vorwurf, die «NZZ» habe nie Hintergrundberichte und Analysen zum Ukraine-Konflikt veröffentlicht, sei geradezu absurd. Die «NZZ» führt dafür drei Beispiele zwischen März und Juni 2014 an. Ebenso haltlos sei der Vorwurf der Nichtweiterverbreitung von Meldungen der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass oder aus orthodoxen konservativkirchlichen Kreisen (www.pravoslavie.ru). Es sei kein gegen die journalistischen Sorgfaltspflichten verstossendes Unterschlagen von Informationen, wenn man Informationen bestimmter Quellen nicht verwende. Die «Erklärung» verpflichte nicht dazu, sämtliche verfügbaren Informationen unbesehen der Glaubwürdigkeit der Quelle weiterzuverbreiten. Dies könne weder aus der Verpflichtung zur Wahrheit noch aus dem Verbot der Unterschlagung wichtiger Elemente von Informationen abgeleitet werden. Im Gegenteil, diese Grundsätze verpflichteten unter anderem dazu, die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit der Quellen zu prüfen. Gerade in bewaffneten Konflikten, die von einem Propagandakrieg begleitet sind, sei dabei besonders hohe Sorgfalt und Vorsicht angebracht. Bei den russischen Nachrichtenagenturen wie Itar-Tass, Ria-Nowosti und Russia Today handle es sich um Medien, die unter voller russischer Kontrolle, einer kriegsführenden Partei, stünden. Im Krieg würden regelmässig Medien, die eine Partei unter Kontrolle hat, zu Propagandazwecken eingesetzt. Sie könnten nicht als grundsätzlich zuverlässige Quellen gelten. Dennoch nehme sie die «NZZ» zur Kenntnis und habe auch schon von diesen Agenturen mit der geforderten Zurückhaltung Gebrauch gemacht. Die «NZZ» führt dazu ein Beispiel an, in welchem sowohl die Meldung von Itar-Tass als auch von Lifenews.ru verwendet wurde. Weiter habe die Beschwerdegegnerin auch direkt Personen, die Russland vertreten, zu Wort kommen lassen, etwa mit einem vom russischen Botschafter in der Schweiz verfassten Beitrag. Die Beschwerdeführerin werfe der «NZZ» vor, dass sie nie Berichte wiedergegeben habe, wonach die ukrainischen Streitkräfte Brandbomben amerikanischer Herkunft eingesetzt und Kriegsverwundete erschossen hätten. Da sich diese Berichte nicht aus unabhängigen Quellen bestätigen liessen, halte die «NZZ» die Weiterverbreitung solcher unüberprüfter Informationen nicht für gerechtfertigt. Der sorgfältige Umgang mit Quellen gehöre zu den Pflichten der Journalisten. Komplett absurd sei zudem der Vorwurf der Beschwerdeführerin, die «NZZ» habe nicht über die Behinderung russischer TV-Kanäle durch das Kiewer Regime berichtet. Auch hier führt sie einen Bericht des NZZ-Korrespondeten mit dem Titel «Fallstricke der Medien-Propaganda» vom 3. Juli 2014 an.

Zu Frage der Kreml-Trolle führt die «NZZ» aus, sie habe nie behauptet, dass sämtliche oder auch nur eine Mehrheit der russlandfreundlichen Leserkommentare das Werk sogenannter Trolle seien. Sie habe vielmehr auf die Schwierigkeit hingewiesen, die Autorenschaft jeweils zu klären. Es treffe auch nicht zu, dass die Redaktion fast alle negativen Kommentare zu ihrer Russlandberichterstattung blockiere. Sie verweist diesbezüglich auf zwei Beiträge von Rainer Stadler, welcher ausdrücklich vor einfachen Erklärungsmodellen warne und eine «grosse Putin-PR-Strategie» in die Nähe einer Verschwörungstheorie rücke. Die Vorwürfe der Beschwerdeführerin, es liege allein am von der «NZZ» verwendeten Moderations-System, dass von ein und derselben IT-Adresse mehrere Profile bedient würden, weist die «NZZ» energisch zurück. Das von ihr verwendete Moderations-System DISQUS sei kein hauseigenes System, sondern das eines Drittanbieters, das beispielsweise auch CNN verwende. Was die «NZZ» eindeutig festgestellt habe, sei, dass gerade bei den Kommentaren unter den Artikeln zu Ukraine/Russland die Verwendung von mehreren Accounts unter derselben IP-Adresse im Vergleich zu sonst relativ oft vorgekommen sei.

Die Argumentation der «NZZ» zu den von der Beschwerdeführerin konkret beanstandeten Beiträgen findet sich unter Ziffer 3 der Erwägungen.

Zusammenfassend hält die «NZZ» fest, sie habe in keinem der beanstandeten Artikel gegen die «Erklärung» verstossen. Die Beschwerdeführerin mache in ihren Beanstandungen der einzelnen Beiträge nicht deutlich, worin jeweils die Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflichten liegen soll.

C. Am 19. Februar 2015 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 2. Juni 2016 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Art. 9 des Geschäftsreglements verlangt, dass Beschwerden zu begründen sind. Die Begründung muss den massgeblichen Sachverhalt umreissen und ausführen, inwiefern der beanstandete Medienbericht einzelne Bestimmungen der «Erklärung» verletzt. Insofern die Beschwerdeführerin der «NZZ» einseitige und tendenziöse Information über die Ukraine und Russland sowie Russophobie vorwirft, ist auf diese Vorwürfe nicht einzutreten. Dasselbe gilt für die unter dem Titel «Der Leserschaft absichtlich vorenthaltene Informationen» in neun Abschnitten aufgeführten Vorgänge, über welche die «NZZ» angeblich nie berichtet hat. Mangels Substantiierung ist auch auf diese Vorwürfe nicht einzutreten. Unter dem weiteren Titel «Die Veröffentlichung von einseitigen, diffamierenden, diskreditierenden und verleumderischen Darstellungen über die Ukraine-Krise» begründet die Beschwerdeführerin ihre Vorwürfe ebenfalls nicht näher, auf diese ist deshalb ebenfalls nicht einzutreten. Dasselbe gilt für die unter dem Titel «Zur Frage der ‹Kreml-Trolle›» erhobenen Vorwürfe. X. fügt hier zwei Artikel von Rainer Stadler sowie einen von Christian Weisflog an, führt jedoch in keiner Weise aus, inwiefern diese gegen die «Erklärung» verstossen sollen.

Soweit die Beschwerdeführerin zudem festhält, der Umstand, dass von ein- und derselben IP-Adresse mehrere Profile bedient würden, liege im elektronischen System der «NZZ» für diese Kommentarplattform, so besteht für den Presserat kein Anlass, an den Ausführungen der «NZZ» zu zweifeln, wonach sie selbst festgestellt hat, dass gerade bei den Kommentaren unter den Artikeln zu Ukraine und Russland die Verwendung von mehreren Accounts unter derselben IP-Adresse im Vergleich zu sonst relativ oft vorgekommen sei. Letztlich ist auch dieser Vorwurf der Beschwerdeführerin nicht substantiiert, weshalb auf ihn nicht einzutreten ist. Dasselbe gilt für den Vorwurf einer Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» (Diskriminierung). Die Beschwerdeführerin begründet eine angebliche Verletzung nirgends.

2. Unter dem Titel «Belege zur vorliegenden Beschwerde» führt die Beschwerdeführerin insgesamt elf Beispiele von Meldungen an, welche von der «NZZ» überhaupt nicht beachtet worden seien. Dabei geht es insbesondere um solche der Agentur Itar-Tass sowie von pravoslavie.ru und ria.ru. Zwar dürfen sich Journalisten bei amtlichen Verlautbarungen und Meldungen anerkannter Nachrichtenagenturen auf die Richtigkeit des Inhalts verlassen. Hingegen lässt sich aus der «Erklärung» keine Pflicht ableiten, gewisse Meldungen zu verbreiten. Bei den russischen Nachrichtenagenturen Itar-Tass und Ria-Nowosti handelt es sich um regierungsamtliche Agenturen, die unter staatlicher Kontrolle stehen. Russland ist im Ukraine-Konflikt eine kriegführende Partei. Umso mehr Vorsicht ist bei diesen Quellen geboten. Jedenfalls kann daraus, dass die «NZZ» gewisse Quellen kaum verwendet hat, kein gegen die «Erklärung» verstossendes Unterschlagen von Informationen abgeleitet werden. Dies lässt sich auch nicht aus der Verpflichtung zur Wahrheit ableiten.

3. a) Zu den einzelnen Artikeln: «Die Mär vom Faschismus in Kiew», «NZZ» vom 13. März 2014: Die Beschwerdeführerin wirft dem Verfasser Widersprüchlichkeit vor, denn wenn es wahr sei, dass «sich unter den Regierungsgegnern auf dem Maidan rechtsextreme und nationalistische Gruppen befanden, die zum Teil bewaffnet und gewaltbereit waren (…)», dann sei eben Faschismus in Kiew keine Mär. Die «NZZ» macht geltend, die Beschwerdeführerin würde nicht die Tatsachendarstellung des Autors beanstanden, sondern dessen im Titel des Artikels zum Ausdruck kommende Beurteilung. Es handle sich um einen Kommentar, der als solcher gekennzeichnet sei und welcher das Phänomen des radikalen Nationalismus in Kiew weder bestreite noch aufbausche.

Wenn die Beschwerdeführerin geltend macht, Faschismus in Kiew sei eben gerade keine Mär, so macht sie sinngemäss eine Verletzung der in Ziffer 1 der «Erklärung» festgelegten Wahrheitspflicht geltend. Beim in Frage stehenden Kommentar handelt es sich um eine Analyse des Propagandakriegs um die Ukraine und insbesondere des radikalen Nationalismus in Kiew. Dieser bestreitet der Autor nicht. Er kommt aber zum Schluss, es handle sich bei der Aussage, Faschisten, Nationalisten und Banditen hätten im Februar in Kiew die Macht übernommen, um eine Mär. Diese seine Meinung äussert sich im Titel des Kommentars. Dieser ist klar als solcher gekennzeichnet. Insofern ist der Artikel nicht zu beanstanden.

b) «Tauziehen im Donbass», «NZZ» vom 7. Juli 2014: Die Beschwerdeführerin moniert, der Korrespondent vermerke in hämischem Ton, dass den Separatisten, in die Defensive gedrängt, nun plötzlich etwas am Waffenstillstand liege. Der Artikel zeige deutlich den Widerschein der amerikanischen Kriegstreiberei und übergehe schweigend, wie die Rebellion in der Ostukraine begann. Die «NZZ» macht geltend, X. beanstande wiederum nicht die Darstellung der Tatsachen und führe nicht aus, inwiefern der Beitrag gegen die «Erklärung» verstosse. Den Vorwurf der amerikanischen Kriegstreiberei weist sie in aller Form zurück.

Der Presserat äussert sich nicht zu Fragen des Tons und auch nicht zum unbelegten Vorwurf der Kopie amerikanischer Kriegstreiberei. Soweit X. beanstandet, der Ursprung des Konflikts werde ausgeblendet, ist festzuhalten, dass die Wahrheitspflicht nicht verlangt, dass sämtliche Aspekte eines Konflikts in jedem einzelnen Artikel von Neuem zu beleuchten sind. Umgekehrt kann daraus aber auch kein Unterschlagen wichtiger Informationen abgeleitet werden. Eine Verletzung der «Erklärung» ist demnach nicht erstellt.

c) «Kiew kündigt Waffenstillstand auf», «NZZ» vom 1. Juli 2014: Die Beschwerdeführerin bemängelt, zwar werde von der Wiederaufnahme der ukrainischen Luftangriffe auf Stützpunkte der prorussischen Separatisten berichtet, doch von den Luftangriffen auf zivile Ziele, von der Zerbombung ganzer Dörfer und Stadtteile melde die «NZZ» nichts. Sie führt hierzu zwei Berichte der Agentur ria.ru an. Diesbezüglich kann auf das oben unter 2. Gesagte verwiesen werden. Der Autor ironisiere zudem den Protest Moskaus gegen Kiews Entscheid, in der Ostukraine eine «Endlösung» durch militärische Macht zu erzwingen, was der Kreml als Torpedierung einer politischen Lösung betrachte. Die «NZZ» hält fest, aus dem Beitrag gehe klar hervor, dass Kiew die Kämpfe wieder aufgenommen habe, auch seien zivile Opfer erwähnt. Ebenso sei die Erklärung des russischen Aussenministers Lawrow sachlich angeführt und ebenso korrekt auf die Reaktion der EU verwiesen worden.

Die «Erklärung» untersagt Journalisten Ironie keineswegs, allerdings erschliesst sich dem Presserat vorliegend nicht, inwiefern im Artikel ein ironischer Ton angeschlagen worden sein soll. Die Beschwerdeführerin belegt keine weiteren Verletzungen der «Erklärung», sie sind auch für den Presserat nicht ersichtlich.

d) «Russland will Dialog mit Ukraine weiterführen», «NZZ» vom 30. Juni 2014: Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass der Autor den Bruch des Waffenstillstands ausschliesslich den Separatisten zuschiebe. Die «NZZ» hält dagegen, der Autor erwähne konkrete Vorfälle, die nach der Informationslage als gesichert gelten konnten. Er berichte, wie sich ihm nach genauer Prüfung der Quellen die Sachlage darstellte. Die Beschwerdeführerin führe keinen Vorfall an, der auf das Konto Kiews gegangen wäre und auch keine Belege, dass die Waffenruhe auch von der Gegenseite gebrochen wurde.

Der Presserat stellt fest, dass die Beschwerdeführerin ihren Vorwurf nicht weiter belegt, weshalb der Presserat darauf nicht eintritt.

e) «Putin zeigt sein wahres Gesicht», «NZZ» vom 3. März 2014: Die Beschwerdeführerin stört, dass der Autor Putin vorwerfe, er missachte skrupellos internationale Normen, den Beweis dafür aber schuldig bleibe. Die «NZZ» ihrerseits macht geltend, es handle sich um einen Kommentar. Die Redaktion halte an der Aussage, Putin missachte skrupellos internationale Normen, fest, zumal die durch Russland bei der Eingliederung der Krim und den bewaffneten Übergriffen auf die Ostukraine gut dokumentiert seien.

Der Beitrag vom 3. März 2014 ist für den Leser klar ersichtlich als Kommentar gekennzeichnet, der Autor kritisiert darin den Umgang Putins mit Normen, mithin auch mit völkerrechtlichen Normen. Dass Völkerrechtsverletzungen gut dokumentiert sind, steht für den Presserat nicht in Frage, die Beschwerdeführerin selbst legt keine Gegenbeweise vor. Eine Verletzung der Wahrheitspflicht liegt demnach nicht vor.

f) «Putins braune Lehrmeister», «NZZ» vom 22. April 2014: Die Beschwerdeführerin beanstandet, im Artikel werde Putin mit Hitler verglichen. Der Artikel lasse unerwähnt, dass die Maidan-Revolution direkt von der US-Regierung unterstützt worden sei. Die «NZZ» führt dazu aus, es handle sich um eine analytische Abhandlung zum Vorgehen Putins und den unterschiedlichen Reaktionen darauf. Der Autor erwähne dazu auch das Vorgehen Hitlers und Stalins und ziehe die europageschichtlichen grossen Linien des 20. Jahrhunderts nach, setze aber Putin nicht mit den beiden Diktatoren absolut gleich. Die Beanstandung der Beschwerdeführerin, dass die Rolle der USA nicht erwähnt werde, sei nicht berechtigt.

Der Presserat konstatiert, dass die «NZZ» die Krim-Politik des Kremls als Spiegelbild von Hitlers Raubzügen vor dem Zweiten Weltkrieg nachzeichnet. Der Autor macht Vergleiche zum Vorgehen Hitlers und zur Reaktion Europas bzw. der OSZE. Er setzt dabei Putin in keinem Moment mit Hitler gleich. Dieses Vorgehen und der gesamte Inhalt des Artikels ist im Sinne des Journalisten-Kodex nicht zu beanstanden.

g) «Das Lügen-Karussell dreht immer schneller», «NZZ» vom 16. April 2014: Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Autor übernehme unüberprüft die gehässige und verunglimpfende Sprache der russischen Opposition und stelle Putin konsequent als armseligen Lügner hin. Im selben Artikel werde zudem die Zusicherung des Westens aus dem Jahr 1990, dass sich die Nato nicht nach Osten erweitern werde, als Legende bezeichnet. Die Massenflucht von Ostukrainern nach Russland werde als Mythos dargestellt. Die «NZZ» ihrerseits macht geltend, der Artikel thematisiere den von der russischen Propaganda verbreiteten Mythos der Massenflucht aufgrund der aktuellen Situation im April 2014. Die Beschwerdeführerin beziehe sich in ihrer Kritik allerdings auf die Uno-Zahlen vom Juli, als sich der Konflikt in der Ostukraine bereits zu einem Krieg ausgeweitet hatte. Die russische Propaganda habe indessen bereits von einer grossen Fluchtwelle berichtet, als es diese noch gar nicht gab. Als angeblichen Beleg dafür habe das russische Staatsfernsehen einen Übergang an der ukrainisch-polnischen Grenze gezeigt. Ein verbindliches Versprechen der Nato-Mitglieder habe es nicht gegeben, die Nato nicht nach Osten zu erweitern, sondern lediglich Absichtserklärungen einzelner westlicher Politiker. Im Übrigen sei die Behauptung der Beschwerdeführerin falsch, die «NZZ» habe nie über die im Verlauf des Konflikts ausgelöste Massenflucht nach Russland berichtet. Die Redaktion verweist dazu auf den Artikel «Politisierte Flüchtlingsnot in Südrussland» vom 31. Juli 2014 sowie den Artikel «Geisterstadt Donezk» vom 10. September 2014.

Der Presserat stellt fest, dass der «NZZ»-Bericht im April die Existenz einer grossen Fluchtwelle als Lüge darstellt, die Beschwerdeführerin sich in ihrer Kritik jedoch auf Zahlen von Anfang Juli 2014 bezieht. Insofern nicht Gleiches mit Gleichem verglichen wird, kann sich der Presserat zu einer allfälligen Verletzung der Wahrheitspflicht nicht äussern. Auch in Bezug auf allfällige Zusicherungen des Westens, dass sich die Nato nicht nach Osten erweitern werde, steht Aussage gegen Aussage, weshalb sich der Presserat dazu nicht äussert.

h) «Der Endzeitherrscher Putin», «NZZ» vom 27. März 2014: Die Beschwerdeführerin macht geltend, in der Rezension eines Buchs über einen Putin-Hasser vermisse man eine Gegendarstellung, die dem Leser Vergleichsmöglichkeiten geben würde. Die «NZZ» hält dazu fest, es handle sich um eine Buchbesprechung, in der der Autor das Werk präsentiere und sich mit ihm auseinandersetze. Der Vorwurf, es hätte einer Gegendarstellung bedurft, gehe fehl. Zudem sei die Besprechung keineswegs unkritisch.

Der Presserat befindet, dass die Buchbesprechung wie von der «NZZ» geltend gemacht durchaus kritisch mit dem Autor und dessen Thesen umgeht. Soweit die Beschwerdeführerin findet, es hätte einer Gegendarstellung bedurft, so ist für den Presserat nicht nachvollziehbar, auf welche Bestimmung der «Erklärung» die Beschwerdeführerin sich beruft. Eine Rezension referiert und wertet den Inhalt eines Buchs; eine Gegenmeinung dazu einzuholen, ist nicht üblich. Der Kodex ist nicht verletzt.

i) «Russlands Schwäche, Putins Stärke», «NZZ» vom 4. Juni 2014: Die Beschwerdeführerin kritisiert, dem NZZ-Leser werde beigebracht, Putin sei Russlands Ruin. Dessen Popularität beim Volk sei hingegen nie grösser gewesen als heute. Die «NZZ» argumentiert, der Autor habe den Beitrag in der «NZZ» als Gast veröffentlicht, seine Funktion sei klar deklariert worden, eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflichten liege nicht vor.

Der Presserat stellt fest, dass der Artikel unter dem Obertitel «Seitenblick» veröffentlicht wurde. Gezeichnet ist er von Ulrich Speck, am Schluss des Beitrags wird dessen Funktion wie folgt deklariert: «Ulrich Speck ist Visiting Scholar bei Carnegie Europe in Brüssel». Für den Leser ist klar, dass es sich um einen Gastbeitrag handelt und dass der Autor seine eigene Meinung äussert. Die in Ziffer 2 der «Erklärung» festgehaltene Kommentarfreiheit schützt die individuelle Meinungsäusserung und dient einem lebendigen politischen Diskurs. Die Wertungen des Autors sind für das Publikum erkennbar. Eine Verletzung von Ziffer 2 der «Erklärung» liegt demnach nicht vor.

k) «Eine präventive Konterrevolution», «NZZ» vom 2. April 2014: X. beschwert sich darüber, der von einem Kulturhistoriker geschriebene Artikel sei ungewöhnlich polemisch und diffamierend gehalten: Putins Herrschaft sei in absurdem Mass korrupt, seine Regierung habe Angst vor dem eigenen Volk. Und einmal mehr werde behauptet, Russland habe die Krim besetzt. Die «NZZ» führt an, auch bei diesem Artikel handle es sich um einen Gastbeitrag. Der Autor und seine Funktionen würden dabei genau angegeben. Der Beitrag sei auf der für Gastautoren vorgesehenen Seite «Meinung und Debatte» erschienen. Die «NZZ» pflege zu den verschiedensten Themen eine offene Debatte, so auch zum Ukraine-Konflikt. In den Positionsbezügen des Autors lägen keine journalistischen Sorgfaltspflichtverletzungen.

Der Presserat verweist hier auf die Ausführungen unter i). Der Autor ist Gastautor und wird als international führender russischer Kulturwissenschaftler eingeführt. Zudem werden zwei seiner Werke namentlich aufgeführt. Dessen kritische Haltung bewegt sich im durch die Kommentarfreiheit geschützten Rahmen.

l) «Schützenhilfe Gottes für Putin», «NZZ» vom 26. Juli 2013: Dieser Artikel wurde am 26. Juli 2013 und damit mehr als sechs Monate vor Einreichen der Beschwerde publiziert. Auf diesen Beschwerdepunkt ist deshalb nicht einzutreten.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «NZZ» hat mit ihrer Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt zwischen Mai und Juli 2014 die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 2 (Kommentarfreiheit) sowie Ziffer 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen/Entstellen von Tatsachen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.