I. Sachverhalt
A. Am 8. Mai 2008 veröffentlichte der «Stadt-Anzeiger Opfikon» auf der Frontseite einen Artikel über die Sitzung des Gemeinderats von Opfikon vom 5. Mai. Die Berichterstatterin Christa Huber beschreibt darin ausführlich die Inhalte und Abläufe der Sitzung. Ein Abschnitt unter dem Zwischentitel «Alle Macht dem Staat?» gilt einem Postulat des Gemeinderats X., das die Schaffung einer Strategiekommission beantragt, die sich künftig um die raumplanerischen, verkehrs-, wirtschafts- und finanzpolitischen Herausforderungen der Stadt kümmern soll. Die Journalistin sieht eine Ablehnung dieses Postulats voraus, da dies nicht Aufgabe der Legislative sei, sondern wenn schon eine solche des Stadtrats (Exekutive), wenn nicht gar des Kantons. Generell zeuge manches Postulat der jungen SP-Gemeinderäte vom Glauben an die «Allmacht des Staates» und trage darin «irgendwie kommunistische Züge». «Die Gemeinderäte mit einem eigenen Migrationshintergrund kämpfen zwar unermüdlich für eine bessere Welt, aber manchmal hat man den Eindruck, dass sie das Prinzip der Legislative und der Exekutive nicht ganz verstanden haben.»
B. Mit E-Mail vom 13. Mai 2008 verlangte X. den Abdruck einer «Gegendarstellung» durch den «Stadt-Anzeiger». Diese erschien am 15. Mai in vollständigem Wortlaut unter dem Titel «Gegendarstellung», allerdings in der Leserbriefrubrik. X. beklagt sich darin über die Wertungen der Journalistin, sein Postulat trage «kommunistische Züge», er habe angeblich «das Prinzip von Exekutive und Legislative» nicht verstanden und gehe von einer «Allmacht des Staats» aus. Darlegung «triftiger Gründe für diese Behauptungen», eine «sachliche Diskussion des Postulats» sowie eine sorgfältige Recherche zum Thema sei die Berichterstatterin ihrer Leserschaft allerdings schuldig geblieben. «Schade, denn es wäre interessant gewesen, zu erfahren, was an einer Schaffung einer Strategiekommission, wie sie beispielsweise in der Stadt Baden seit Jahren existiert, unrealistisch ist.»
C. Am 5. Juni berichtete Christa Huber über die Gemeinderatssitzung vom 2. Juni 2008. Zum Auftakt erwähnt sie, das Postulat von X. sei mit 28 gegen 6 Stimmen abgelehnt worden. Dies obwohl er noch einmal betonte, die von ihm vorgeschlagene Strategiekommission habe sich in der Stadt Baden bewährt. Am Ende des Artikels erwähnt die Journalistin unter dem Zwischentitel «Der Mann in den Wolken», X. habe zum Schluss der Sitzung eine persönliche Erklärung abgegeben. Die Formulierung «eingebürgerte Ausländer» (anstatt «Schweizer») im Protokoll der Sitzung vom 5. Mai habe er als beleidigend kritisiert. «Auch den Kommentar zu seinem Postulat zur Schaffung einer Strategiekommission der Berichterstatterin im ‹Stadt-Anzeiger› hat er nicht ganz zu Unrecht als Affront empfunden, wie er mit einem Leserbrief zum Ausdruck brachte. Richtigerweise hätte man wohl schreiben müssen, dass der SP-Mann die Verantwortung und die finanziellen Möglichkeiten der Stadt Opfikon masslos überschätzt. So hatte man auch an der letzten Sitzung den Eindruck, er schwebe irgendwo ganz hoch oben in seinen idealistischen Wolken und verweigere sich dem nüchternen Alltag.»
D. Am 15. September 2008 gelangte X. mit einer Beschwerde gegen die beiden Artikel an den Presserat. Christa Huber habe ihn im Bericht vom 8. Mai 2008 als unwissend, realitätsfremd und als Kommunist disqualifiziert. Fakten, welche diese Behauptungen und Werturteile stützen könnten, würden weder in diesem Bericht noch in jenem vom 5. Juni dargelegt. Die Autorin habe ihre Thesen zudem weder eingehend recherchiert, ihn um Erklärungen gebeten, noch eine Stellungnahme eingeholt. Obwohl dies ohne Weiteres möglich und angezeigt gewesen wäre. Zumal die gegen ihn erhobenen Vorwürfe schwer wögen. Letztlich sei es der Berichterstatterin darum gegangen, ihn in unfairer Weise vor der Leserschaft herabzusetzen und lächerlich zu machen. Unfair sei die Redaktion zudem auch mit seiner Gegendarstellung umgegangen. Diese sei nicht wie der beanstandete Text auf der Frontseite, sondern in der Leserbriefspalte erschienen. Mit ihrem Verhalten habe die Autorin und die Redaktion des «Stadt-Anzeiger» gegen die Ziffern 1 (Wahrheitssuche), 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen), 5 (Leserreaktionen), 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) und 8 (Diskriminierung, Verletzung der Menschenwürde) verstossen.
E. Am 14. Oktober 2008 wies Christa Huber die Beschwerde als unbegründet zurück. Sie berichte seit sieben Jahren für den «Stadt-Anzeiger» über die Gemeinderatssitzungen. Ihre Beschreibung des Beschwerdeführers fusse auf guter Kenntnis. Er politisiere innerhalb der SP Opfikon klar links der Mitte. Dies sei zwar sein gutes Recht, doch habe dies innerhalb der Partei zu Differenzen geführt. «So ist die renommierteste SP-Gemeinderätin aus der Partei ausgetreten und hat sich der SVP angeschlossen. Dass dieser Wechsel mit dem politischen Kurs ihrer jungen Parteikollegen zu tun hatte, ist auch der Öffentlichkeit nicht entgangen. (…) Mit seinen Postulaten und Interpellationen erinnert er immer mehr an Don Quichotte im Kampf gegen die Windmühlen. Entweder hat er überhaupt kein Gespür für das Machbare oder seine Vorstösse zielen nur darauf ab, sich bei seinen Wählerinnen und Wählern zu profilieren.» X. erweise sich immer wieder als Selbstdarsteller, der in den Sitzungen in erster Linie seine eigenen Interessen verfolge und sich für andere Fragen im Gremium nicht interessiere. Wenn er mit seinen vielen Vorstössen im eher rechtspolitischen Umfeld abblitze, reagiere er beleidigt – wie mit der Beschwerde an den Presserat. Aber wer wie er in seinen aus Juso-Sicht geschriebenen Kolumnen tüchtig austeile, sollte auch einstecken können.
F. Das Präsidium des Presserates übertrug die Beschwerde zur Behandlung an die 1. Kammer. Diese setzt sich zusammen aus Edy Salmina (Kammerpräsident), Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Dr. Philip Kübler, Klaus Lange, Sonja Schmidmeister und Francesca Snider (Mitglieder).
G. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 15. Januar 2009 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Der «Stadt-Anzeiger Opfikon» ist nicht nur das Amtsblatt der Gemeinde Opfikon, sondern auch eine Lokalzeitung. Die Berichterstattung über die Gemeindeangelegenheiten und die Ratssitzungen erfolgt deshalb nicht nur in protokollarischer Form, beispielsweise mit der blossen, verkürzten Auflistung der verschiedenen Voten, sondern unterliegt auch redaktionellen Ansprüchen wie gute Lesbarkeit, Interesse und Erzeugung von Aufmerksamkeit.
Die Artikel, in denen der Beschwerdeführer die ihn betreffenden Stellen beanstandet, lesen sich auch für Aussenstehende leicht und flüssig. Die Informationen und Fakten sind gut verständlich eingebettet in einen Lauftext, der auch die politische Stimmung und die emotionalen Befindlichkeiten zu vermitteln sucht, die an solchen Sitzungen herrschen.
2. a) Die Grenze zwischen einer (ohnehin illusionären) rein objektiven Wiedergabe einer Ratssitzung einerseits und journalistisch kommentierenden Ausführungen und Einschätzungen andererseits ist schwer zu ziehen bei atmosphärischen Gegebenheiten und Stimmungsbildern, die eine Gremiumssitzung eben auch abgeben und die sie in ihren Sachgeschäften wiederum prägen und motivieren. Der Presserat fordert in seiner Richtlinie 2.3 zur «Erklärung» denn auch keine formale Trennung von Fakten und Kommentar. Journalistinnen und Journalisten sollten aber zumindest darauf achten, «dass das Publikum zwischen Fakten und kommentierenden kritisierenden Einschätzungen unterscheiden kann». In seiner Praxis zur Kommentarfreiheit verlangt der Presserat zudem, dass sowohl die Wertung als auch die ihr zugrundeliegenden Fakten für das Publikum erkennbar sein müssen und sich die Wertung zudem auf eine genügende Grundlage stützen sollte (vgl. die St
ellungnahme 14/2006 mit weiteren Hinweisen).
b) Im konkreten Fall macht die Journalistin eine Unterscheidung zwischen Fakten und Kommentar mit ihrer Wortwahl durchaus möglich. So schreibt sie beispielsweise, «manchmal hat man den Eindruck, dass sie das Prinzip der Legislative und der Exekutive nicht so ganz verstanden haben», «so hatte man auch an der letzten Sitzung den Eindruck, er schwebe ganz hoch oben in seinen idealistischen Wolken und verweigere sich dem nüchternen Alltag» oder «so trägt manches Postulat der jungen SP-Gemeinderäte irgendwie kommunistische Züge, da sie anscheinend von einer Allmacht des Staates ausgehen». Diese Wortwahl – manchmal, den Eindruck haben, irgendwie, anscheinend – lässt ein Lesepublikum sofort erkennen, dass es sich hier um eine leicht ironische Kommentierung der Voten handelt und nicht um ihre blosse Wiedergabe. Der Bericht nennt zudem auch die faktische Grundlage dieser Wertungen: das Postulat des Beschwerdeführers zur Schaffung einer Strategiekommission. Wie Christa Huber in ihrem zweiten Bericht vom 5. Juni 2008 sinngemäss selber einräumt, wirkt die Kritik für Aussenstehende zwar etwas hart und zum Teil (etwa die kommunistischen Züge) weit hergeholt. Die Grenzen der Kommentarfreiheit übersteigen diese Wertungen aber nach Auffassung des Presserates bei weitem nicht, ist doch auch harsche, einseitige Kritik mit der Berufsethik vereinbar.
3. Ebenso wenig wie die Kommentarfreiheit sieht der Presserat durch die beanstandeten Berichte die Ziffern 1 (Wahrheitssuche), 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen), 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) und 8 (Diskriminierung, Respektierung der Menschenwürde) der «Erklärung» verletzt. Der «Stadt-Anzeiger» erhebt keine schweren Sachvorwürfe gegen den Beschwerdeführer, die eine Anhörung vor der Publikation zwingend gemacht hätten. Kritische Wertungen wie «realitätsfremd» oder «Abschweifungen in unrealistische Gefilde», die sich ausschliesslich auf die politische Tätigkeit des Beschwerdeführers beziehen, wirken zudem weder besonders disqualifizierend noch beleidigend. Geschweige denn verletzen sie die Menschenwürde. Vielmehr gehören sie zum politischen Alltag.
4. Schliesslich ist auch die Rüge des Beschwerdeführers abzuweisen, der «Stadt-Anzeiger Opfikon» habe seine Gegendarstellung zu Unrecht in der Leserbriefspalte veröffentlicht. Der Presserat hat in der Stellungnahme 31/2000 zwar festgestellt, eine Gegendarstellung dürfe ohne vorgängige Einwilligung des Gesuchstellers nicht als Leserbrief abgedruckt werden. Der Sachverhalt, der dieser Stellungnahme zu Grunde lag, lässt sich jedoch nicht mit dem aktuellen Fall gleichsetzen. Die betroffene Redaktion veröffentlichte damals ohne Rücksprache mit dem Gesuchsteller lediglich einige Auszüge aus einem Gegendarstellungsbegehren und setzte einen eigenen Kommentar darunter. Vorliegend hat der «Stadt-Anzeiger Opfikon» den vom Beschwerdeführer zugestellten Gegendarstellungstext integral und unter dem Titel «Gegendarstellung» abgedruckt. Damit ist die Gegendarstellung – auch wenn sie in der Leserbriefrubrik abgedruckt wurde – für die Leserschaft als solche erkennbar.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Der «Stadt-Anzeiger Opfikon» hat mit der Veröffentlichung der Berichte vom 8. Mai und 5. Juni 2008 über Sitzungen des Gemeinderats von Opfikon und mit dem Abdruck der «Gegendarstellung» des Beschwerdeführers am 15. Mai 2008 Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen), 5 (Leserreaktionen), 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) und 8 (Achtung der Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.