I. Sachverhalt
A. Am 30. Oktober 2005 war auf Aushängen der «SonntagsZeitung» zu lesen: «Bischof droht Sabo-Anhängern mit Kirchenverbot» und «Bischof droht Anhängern von Sabo». Auf der Frontseite titelte die Zeitung: «Bistum droht Sabo-Anhängern mit Kirchenverbot – Sanktionen gegen Röschenzer Katholiken auf der Website des Bistums Basel». Laut dem Bericht von Jean-François Tanda und Marco Morell drohe das Bistum Basel im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung rund um den suspendierten Pfarradministrator Franz Sabo im Internet der Kirchgemeinde von Röschenz Sanktionen an. Das von einem Kirchenrechtler verfasste Dokument auf der Website trage den harmlosen Titel «Begriffserklärungen in der Angelegenheit Sabo und Röschenz». «Zwei der Strafen würden alle Röschenzer Katholiken betreffen: das Interdikt und die Exkommunikation, gewissermassen die mildere und die schärfere Variante des Ausschlusses aus der Kirche. (…) Die Veröffentlichung des Strafenkatalogs im Internet kommt einer offenen Drohung gegen die römisch-katholische Landeskirche von Baselland gleich.»
Auf Seite 17 der gleichen Ausgabe veröffentlichte die «SonntagsZeitung» einen weiteren, von Jean-François Tanda verfassten zweiseitigen Artikel zum Kirchenstreit von Röschenz. Der Titel lautete «Unversöhnliche Männer Gottes», der Untertitel: «Der Kirchenstreit von Röschenz ist vor allem ein Streit zwischen Sabo und Trauffer». Zwar hätten sich die beiden Hauptakteure des Röschenzer Kirchenstreits, Franz Sabo und Roland Trauffer, Generalvikar des Bistums Basel, noch nie persönlich getroffen, sondern nur über die Medien kommuniziert. Aufgrund von Vorwürfen eines anonymen Denunzianten habe das Bistum Basel Franz Sabo vor einigen Jahren psychiatrisch begutachten lassen. Das Gutachten habe jedoch keinerlei Hinweise ergeben, die den Verdacht des Kindsmissbrauchs erhärtet hätten. «Pater Trauffer sei geradezu besessen vom aufmüpfigen Priester, sagen Stimmen im Bistum. Sind es Erkenntnisse Sabos wie ‹Die Kirche hat sich an eine Scheinmoral gewöhnt: Die gelebte Sexualität eines Pfarrers wird akzeptiert, solange sie nicht auffällt›? (…) Pater Trauffer wollte Fragen der ‹SonntagsZeitung› nicht beantworten. Als fröhlichen Katholiken bezeichnet sich Trauffer gerne. Andere sagen: Der Dominikaner Trauffer lebt im Widerspruch. Dominikaner sind ursprünglich Bettelmönche, Trauffer liebt den Luxus. Früher fuhr er einen BMW, heute einen Lexus.» Im Mittelalter habe man Dominikaner häufig für den Vorsitz der Inquisition gewählt. Probleme mit dem polarisierenden Trauffer habe es schon in seiner Zeit als Sekretär der schweizerischen Bischofskonferenz gegeben. Schliesslich veröffentlichte die «SonntagsZeitung» unten auf der zweiten Seite des Artikels ein Interview mit dem Psychologen Udo Rauchfleisch, worin dieser den Umgang des Bistums Basel mit Franz Sabo als «perfid» bewertet.
B. Am 4. November 2005 wandte sich das durch seinen Generalvikar Roland B. Trauffer und den Informationsbeauftragten Hans E. Ellenberger vertretene Bistum Basel mit einer Beschwerde gegen die «SonntagsZeitung» an den Presserat. Die «unrichtige und tendenziöse Berichterstattung», die verständlicherweise zu Kirchenaustritten, massiven Protesten, Enttäuschungen und Verwirrungen geführt habe, beruhe auf «wenig seriöser und mangelhafter» Recherche. Die Beschwerde führte in 27 Punkten aus, inwiefern die Berichterstattung der «SonntagsZeitung» vom 30. Oktober, «unrichtige Sachverhalte, Darstellungen und Zusammenhänge bzw. zum Teil Unterschiebungen» enthalte.
C. Nach entsprechender Aufforderung durch den Presserat legte das Bistum Basel in einer Beschwerdeergänzung am 10. November 2005 dar, aus seiner Sicht habe die «SonntagsZeitung» die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Entstellung von Informationen), 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
D. Am 6. Januar 2006 beantragten die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretenen Beschwerdegegner, die Beschwerde sei abzulehnen. Die «SonntagsZeitung» habe das auf der Website des Bistums Basel veröffentlichte Dokument mit «Begriffserklärungen» im «Zusammenhang mit der Angelegenheit Sabo und Röschenz» korrekt umschrieben. Die «SonntagsZeitung» habe zudem nirgends behauptet, es gehe um einen persönlichen Konflikt zwischen Trauffer und Sabo. Eine Unversöhnlichkeit könne sich auch ohne persönliche Begegnung aus öffentlich bekannten, unvereinbaren Positionen ergeben. Im weiteren wies die «SonntagsZeitung» in ihrer Beschwerdeantwort die vom Bistum Basel in der Beschwerde erhobenen Vorwürfe Punkt um Punkt als unzutreffend zurück.
E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu. Ihr gehören Esther Diener Morscher als Präsidentin an sowie Thomas Bein, Judith Fasel, Claudia Landolt Starck, Peter Liatowitsch, Daniel Suter und Max Trossmann.
F. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 23. März 2006 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Beschwerdegegenstand ist die Berichterstattung der «SonntagsZeitung» vom 30. Oktober 2005. Soweit das Bistum Basel in seinem Schreiben vom 4. November 2005 zusätzlich auf einen Bericht vom 4. Juli 2004 hinweist, ist darauf wegen Zeitablaufs nicht einzutreten. Die Beschwerde gegen die am 30. Oktober 2005 veröffentlichten Berichte enthält zwei Schwerpunkte. Einerseits beanstandet sie die Bewertung und Darstellung des auf der Website www.bistum-basel.ch veröffentlichten Dokuments mit dem Titel «Begriffserklärungen. In der Angelegenheit Sabo und Röschenz» durch die «SonntagsZeitung». Andererseits richtet sie sich gegen die personifizierende Darstellung des Konflikts zwischen dem Bistum Basel und der Kirchgemeinde Röschenz: Dieser werde fälschlicherweise als persönliche Auseinandersetzung zwischen dem Pfarradministrator Sabo und dem Generalvikar Trauffer dargestellt.
2. a) An der Bewertung und Darstellung des Dokuments «Begriffserklärungen» rügt die Beschwerde vor allem dreierlei: 1. Das Dokument stehe nicht nur unter einem hamrlosen Titel; es sei als Ganzes harmlos. Das Bistum Basel habe nie gedroht und werde nie in dieser Weise einer Kirchgemeinde drohen. 2. Das Dokument sei «streng genommen» nicht auf der Website des Bistums Basel zu finden. Vielmehr habe es das Bischofsvikariat St. Urs in Eigenverantwortung veröffentlicht. 3. Die Bewertung der «SonntagsZeitung», die Veröffentlichung des Strafkatalogs im Internet komme einer offenen Drohung gegen die römisch-katholische Landeskirche von Baselland gleich, sei unhaltbar und unverantwortlich. Mit dieser unwahren und entstellenden Darstellung des Dokuments habe die Zeitung die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 3 (Entstellung von Informationen) der «Erklärung» verletzt.
b) Titel und Einleitung des Dokuments lauten: «Begriffserklärungen. In der Angelegenheit Sabo und Röschenz. Um die Aussagen und Berichterstattungen besser zu verstehen, welche im Zusammenhang mit dem Konflikt rund um Herrn Franz Sabo, die Kirchgemeinde Röschenz und die Leitung des Bistums Basel gemacht werden, sollen hier die wichtigsten Fachausdrücke in allgemein verständlicher Form erklärt werden.» Die Erläuterungen des Kirchenrechtlers Urs Brosi sind in vier Kapitel gegliedert (1. Rechtsbereiche, 2. Kirchliches Personal, 3. Missio canonica und 4. Strafen). Das Kapitel «Strafen» erläutert die Sanktionsmöglichkeiten der katholischen Kirche, die üblicherweise erst dann verhängt würden, «wenn Gespräch und Ermahnung keinen Erfolg bringen». «Strafen, die alle katholischen Gläubigen treffen können, sind das Interdikt und die Exkommunikation.»
c) Zwar ist dem Bistum Basel zuzugestehen, dass das in nüchterner Sprache abgefasste Dokument «Begriffserklärungen» von einem Aussenstehenden nicht zw
ingend als konkrete Drohung des Bistums an die Kirchgemeinde Röschenz oder die Landeskirche zu interpretieren ist. Für die Beurteilung der Beschwerde ist aber nicht entscheidend, inwiefern das Bistum Basel der Kirchgemeinde Röschenz und der römisch-katholischen Kirche von Baselland tatsächlich droht oder gedroht hat. Der Presserat hat einzig zu prüfen, ob sich die Interpretation des umstrittenen Dokuments durch die «SonntagsZeitung» im Rahmen der durch die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 2 (Kommentarfreiheit) und 3 (Entstellung von Informationen) der «Erklärung» gezogenen berufsethischen Grenzen hält.
Dazu ist festzustellen, dass sich der Text in Titel und Einleitung auf den konkreten Kirchenstreit bezieht und so weite Spielräume für Interpretationen, auch für diejenige der «SonntagsZeitung» öffnet. Der Presserat hält in konstanter Praxis daran fest, dass aus der «Erklärung» keine Pflicht zu «objektiver» Berichterstattung abgeleitet werden kann. Vielmehr ist auch einseitiger, parteiergreifender Journalismus mit den berufsethischen Regeln vereinbar (vgl. zuletzt die Stellungnahme 29/2005 mit weiteren Hinweisen). In Bezug auf kommentierende Wertungen fordert der Presserat zudem, dass die Wertung als solche ebenso wie ihre faktische Grundlage für die Leserschaft erkennbar sein muss (8/2006, Richtlinie 2.3 zur «Erklärung»).
Dem Lauftext des Artikels auf der Frontseite der «SonntagsZeitung» vom 30. Oktober 2005 konnten die Leserinnen und Leser entnehmen, dass auf der Website des Bistums Basel ein Dokument mit dem Titel «Begriffserklärungen in der Angelegenheit Sabo und Röschenz» aufgeschaltet worden war. Der Bericht wies zudem darauf hin, dass dieses Dokument einen «Katalog» von weiteren «Strafen» (neben der bereits erfolgten Suspendierung von Sabo) anführe, «die dem Bischof zur Wiederherstellung der kirchlichen Ordnung zur Verfügung stehen», darunter das Interdikt und die Exkommunikation. Ebenso wurde ersichtlich, dass die «SonntagsZeitung» die Veröffentlichung dieses harmlos scheinenden Textes als offene Drohung gegen die Kirchengemeinde Röschenz und die römisch-katholische Landeskirche von Baselland bewertete. Auch wenn die «SonntagsZeitung» damit stark verkürzte und zuspitzte, erachtet der Presserat sowohl die Wertung wie auch den dieser zugrundeliegenden Sachverhalt als genügend kenntlich gemacht. Dies gilt auch für die Schlagzeilen in Titel und Aushängen. Da die auf der Website des Bistums veröffentlichten «Begriffserklärungen» immerhin auf den konkreten Fall Sabo hinweisen und damit die darin erläuterten kirchlichen Sanktionen zumindest als Möglichkeit in den Raum stellen, ist eine unzulässige Überspitzung einer Wertung zu einer Tatsache zu verneinen.
d) Schliesslich macht es aus Sicht des Publikums keinen wesentlichen Unterschied aus, ob das auf einer Unterseite von www.bistum-basel.ch veröffentlichte Dokument von der Bistumsleitung selber oder unter der Verantwortung der für die beiden Basel und den Kanton Aargau zuständigen Bistumsregion St. Urs veröffentlicht worden ist. Auch im letzteren Fall ist es nicht zu beanstanden, einen auf einer Unterseite von www.bistum-basel.ch veröffentlichten Text dem Bistum zuzuordnen.
3. a) Beim Artikel «Unversöhnliche Männer Gottes» rügt das Bistum Basel eine ganze Reihe von Falschinformationen, tendenziösen Vermutungen und sachlich nicht gerechtfertigten Anschuldigungen. Der Presserat verzichtet darauf, auf sämtliche Detailbeanstandungen – soweit diese berufsethisch überhaupt relevant erscheinen – näher einzugehen. Ohnehin sieht er sich ausserstande, die bereits in der Darlegung der Fakten und erst recht bei den Wertungen weit auseinanderliegenden Positionen der Parteien auf der Grundlage der ihm von den Parteien eingereichten Urkunden zu klären. Die in der Beschwerdeergänzung gerügte Verletzung der Ziffern 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) und 8 (Verletzung der Menschenwürde) ist damit nicht erstellt.
b) Offenkundig wird Pater Trauffer im Artikel als polarisierender, machtbewusster Vertreter der Kirchenhierarchie mit einem Hang zum Luxus dargestellt, der wenn nötig auch zu zweifelhaften Methoden greife. Die «SonntagsZeitung» macht dabei gar einen indirekten Vergleich mit der Inquisition. Zu diesem schweren Vorwurf ebenso wie zum Vorwurf des perfiden Umgangs mit Sabo war die Einholung einer Stellungnahme des Generalvikars vor der Publikation des Artikels zwingend. Wie das Bistum in der Beschwerde und die «SonntagsZeitung» im Artikel festhalten, wollte Pater Trauffer auf entsprechende Anfrage zum Thema Sabo / Kirchgemeinde Röschenz aber offensichtlich nicht Stellung nehmen. Eine Verletzung der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» (Anhörungspflicht) wird in der Beschwerde denn auch nicht ausdrücklich gerügt. Beanstandet wird einzig, die Position der Aussage «Pater Trauffer wollte Fragen der ‹SonntagsZeitung› nicht beantworten» unmittelbar nach einem Zitat von Professor Rauchfleisch sei tendenziös gewesen. Sie habe den falschen Eindruck erwecken können, Trauffer habe sich einzig zu dieser Aussage Rauchfleischs nicht äussern wollen. Auch wenn es – wie es das Bistum Basel fordert – wohl für die Leserinnen und Leser mehr Klarheit geschaffen hätte, die generelle Verweigerung einer Stellungnahme durch Trauffer am Anfang oder Ende des Artikels zu platzieren, würde es aber ohnehin zu weit führen, aus der Richtlinie 3.8 konkrete Handlungsanweisungen in Bezug auf die Positionierung einer Stellungnahme (bzw. deren Verweigerung) innerhalb eines Textes abzuleiten. Angesichts der unzweideutigen Formulierung («wollte Fragen dieser Zeitung nicht beantworten») erhielt die Leserschaft entgegen der Auffassung des Bistums Basel – und trotz der Wiedergabe früherer Aussagen des Generalvikars am Ende des Texts – auch so kaum einen falschen Eindruck.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die SonntagsZeitung» hat in ihrer Berichterstattung vom 30. Oktober 2005 bei ihrer Darstellung und Bewertung des auf der Website des Bistums Basel veröffentlichten Dokuments «Begriffserklärungen» zwar stark zugespitzt. Die Wertung der Zeitung und der dieser zugrundeliegende Sachverhalt waren aber für die Leserschaft genügend erkennbar.
3. Der vom Bistum Basel erhobene Vorwurf der Veröffentlichung persönlichkeitsschädigender Halbwahrheiten über den Generalvikar des Bistums Basel lässt sich auf der Basis der Beschwerdeakten nicht erhärten.