I. Sachverhalt
A. Der «Tages-Anzeiger» brachte am 6. August 2004 einen Beitrag des Aviatikjournalisten Sepp Moser über die Fluggesellschaft Swiss mit dem Titel «Ein neuer Strohhalm für die Swiss». In der kritischen Einschätzung der Lage der Swiss war unter anderem die Passage zu lesen:
«Auch bei diversen Treibstofflieferanten ist Unruhe festzustellen. Konkret geht es um Zahlungsrückstände. Ein Manager einer grossen Mineralölfirma sagt: ÐAngenommen, einer von uns verliert die Nerven und erklärt, dass er beispielsweise in Hongkong ab morgen nur noch gegen Bargeld liefern werde. Dann geht diese Nachricht via Buschtelefon innert weniger Stunden um die Welt und das Schlamassel ist da.? Bei Shell Schweiz hat man laut dem ÐBlick? hingegen Ðkeine Probleme mit der Swiss?.»
B. Tags darauf publizierte das Zürcher Blatt eine Gegendarstellung, welche Swiss verlangt hatte. Sie lautete:
«Die anonymen Quellen zugewiesenen Behauptungen von Autor Sepp Moser ÐAuch bei diversen Treibstofflieferanten ist Unruhe festzustellen. Konkret geht es um Zahlungsrückstände? sind falsch. Richtig ist: Swiss hat mit keinerlei Lieferanten Probleme wegen Zahlungsmodalitäten und kommt ihren sämtlichen Verpflichtungen korrekt nach.»
Die Gegendarstellung schloss mit dem redaktionellen Zusatz, dass der «Tages-Anzeiger» an seiner Darstellung festhalte.
C. Am 29. November 2004 erhob die anwaltlich vertretene Swiss beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen Sepp Moser wegen Verletzung der Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten») und der Anhörungspflicht bei schweren Vorwürfen (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung»).
Zur Verletzung der Wahrheitspflicht macht die Beschwerdeführerin geltend, der wahrheitswidrige Vorwurf, sie habe Zahlungsrückstände bei Treibstofflieferanten, könne für sie als Airline gravierende Folgen haben, indem Lieferanten nurmehr gegen Vorauskasse liefern würden oder gar einen Lieferboykott aussprächen. Dann müsste Swiss ihren Betrieb wohl in kürzester Zeit einstellen. Das habe man aus ähnlichen Gründen beim Zusammenbruch der Swissair gesehen. Der Autor untermauere seine Falschaussage zudem durch das Zitat eines anonymen Managers.
Die Verletzung der Wahrheitspflicht wiegt nach Ansicht von Swiss besonders schwer, weil sie ein anerkannter Experte für Luftfahrt begehe. Dessen Vertrauensstellung in der Öffentlichkeit müsste ihn zu besonderer Sorgfalt in der Recherche, Unvoreingenommenheit in seinen Aussagen und Transparenz in seiner Berichterstattung verpflichten.
Die Anhörungspflicht verletzt sieht Swiss, weil Moser einen erheblichen Vorwurf erhoben und auch Zeit gehabt habe, eine Stellungnahme einzuholen.
Swiss beantragt einerseits, die beiden genannten Verletzungen der Journalistenpflichten festzustellen, andererseits, der Presserat solle Sepp Moser auffordern, bei der Berichterstattung über Swiss erhöhte Sorgfalt walten zu lassen, wie es seinem Status als Experte zukomme.
Neben der Verletzung der beiden eben genannten journalistischen Pflichten führt die Beschwerde eine Reihe weiterer Berichte von Sepp Moser in anderen Printmedien ins Feld, bei denen dieser ihrer Ansicht nach unsachgemäss, falsch oder voreingenommen berichtet hat.
D. In der Folge entspann sich eine Kontroverse darüber, gegen wen sich die Beschwerde richte und wer zu ihr Stellung zu nehmen habe. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2004 hatte Swiss vorerst darauf beharrt, ihre Beschwerde richte sich ausschliesslich gegen Sepp Moser als Aviatikexperten und selbstständigen Publizisten, nicht aber gegen den «Tages-Anzeiger».
E. Der Presserat lud demgegenüber am 14. Dezember 2004 unter Hinweis auf seine Praxis in jüngerer Zeit sowohl die für die Publikation letztlich verantwortliche Redaktion des «Tages-Anzeiger» wie auch den Autor Sepp Moser (via Redaktion «Tages-Anzeiger») zur Stellungnahme ein.
F. Der «Tages-Anzeiger» nahm, vertreten durch den Rechtsdienst der Tamedia, am 25. Februar 2005 Stellung. Er beantragte, die Beschwerde abzulehnen beziehungsweise auf jenen Punkt der Beschwerde nicht einzutreten, der Moser als Experten ins Auge fasse und nicht den «Tages-Anzeiger». Zur beanstandeten Textpassage sagt die Redaktion, dort werde gar nicht ausdrücklich behauptet, die Swiss sei bei diversen Treibstofflieferanten im Zahlungsrückstand. Der «Tages-Anzeiger» räumt aber ein, der Passus sei wohl von zahlreichen Lesern so verstanden worden, wie die Beschwerdeführerin vorbringe. Daher habe der «Tages-Anzeiger» die Gegendarstellung akzeptiert. Allerdings interpretiere Autor Sepp Moser die Passage anders und zwar als unverfänglich. Moser weise zudem darauf hin, der Satz «Konkret geht es um Zahlungsrückstände» stamme nicht von ihm, sondern sei nachträglich von der Redaktion «Tages-Anzeiger» eingefügt worden.
Der «Tages-Anzeiger» habe sodann der Swiss eine Klarstellung in der Zeitung angeboten, worauf diese aber am 23. Februar 2005 verzichtet habe. Zudem enthalte die elektronische Archivkopie des Artikels seit dem 24. Februar 2005 beim Wort Zahlungsrückstände einen Doppelstern, der auf folgende Klarstellung verweist:
«Diese Formulierung konnte den Eindruck erwecken, die Swiss weise Zahlungsrückstände bei Treibstofflieferanten auf. Dieser Eindruck wäre falsch. Dem TA liegen keinerlei Hinweise dafür vor, dass sich die Swiss bei Treibstofflieferanten in Zahlungsrückstand befindet.»
Die Beschwerdeführerin habe diese Klarstellung begrüsst und zusätzlich darum gebeten, im Online-Archiv auch den Zusatz zur Gegendarstellung, wonach der «Tages-Anzeiger» an seiner Darstellung festhalte, zu entfernen. Auch diesem Anliegen habe der «Tages-Anzeiger» unverzüglich stattgegeben. Die Beschwerdeantwort belegt diese Korrekturen mit dem entsprechenden Ausdruck.
Auf den Vorwurf, der Artikel sei unwahr gewesen, entgegnet der «Tages-Anzeiger», hier sei es nicht um eine Tatsachendarstellung gegangen, sondern um den Eindruck, den eine Darstellung erweckt haben konnte. Und da gingen eben die Interpretationen des Autors und jene der Swiss, die auch für den «Tages-Anzeiger» die naheliegendere sei, auseinander: «Lässt ein Text mehrere Interpretationen zu, und entspricht wenigstens eine davon der Wahrheit, so liegt keine Verletzung der Wahrheitspflicht vor.» Zudem habe die Redaktion ihre Sorgfaltspflicht nicht verletzt, weil es bei einem erfahrenen, anerkannten Journalisten wie Moser nicht üblich sei, dessen Beitrag nachzurecherchieren.
Abschliessend geht die Beschwerdeantwort auf den Vorwurf ein, der Autor hätte Swiss zum Vorwurf des Zahlungsrückstands bei Treibstofflieferungen anhören müssen. Weil der Autor aus seiner Sicht diesen Vorwurf aber nicht erhoben habe, «so war er auch nicht gehalten, einen solchen der Beschwerdeführerin vorzuhalten».
G. Sepp Moser machte in zwei Schreiben vom 15. Februar und 1. April 2005 darauf aufmerksam, dass ihm die Beschwerde bis dahin nur unautorisiert, mit zwei Monaten Verzug und eher zufällig über eine Drittperson zugegangen sei. Materiell verwies er wie oben unter Punkt F referiert darauf, der Satz von den Zahlungsrückständen sei vom «Tages-Anzeiger» hinzugefügt worden. Moser belegte das mit seinem Originalmanuskript vom 5. August 2004.
H. Mit Schreiben vom 6. April 2005 ergingen alle Beschwerdeunterlagen direkt an Sepp Moser mit der Bitte, sich materiell falls nötig bis zum 22. April ergänzend zu seinen bisherigen Stellungnahmen zu äussern.
I. Am 3. Mai 2005 teilte der Presserat den Parteien mit, dass er das Verfahren auf die Beurteilung des am 6. August 2004 erschienenen Artikels von Sepp Moser mit dem Titel «Ein neuer Strohhalm für die Swiss» beschränke. Hingegen äussere er sich nicht zu den von der Beschwerdeführerin vorgelegten weiteren Beiträgen von Sepp Moser, welche dessen nach Auffassung der Swiss gen
erell zu beanstandende Arbeitsweise illustrieren sollen.
J. Mit Stellungnahme vom 26. Mai 2005 beantragte Sepp Moser, die Beschwerde sei abzuweisen. Materiell könne er sich mit einer Ausnahme der Stellungnahme des «Tages-Anzeiger» anschliessen. Beim Satz «Es geht um Zahlungsrückstände» lehne er die Urheberschaft nicht nur ab, sondern könne dies darüber hinaus mit dem Originalmanuskript belegen.
L. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener Morscher als Präsidentin an sowie Judith Fasel, Peter Liatowitsch, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann. Die per Ende April 2005 zurückgetretene Gina Gysin wurde per 1. Mai 2005 durch Claudia Landolt Starck ersetzt. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihren Sitzungen vom 28. April und 30. Juni 2005 sowie auf dem Korrespondenzweg. Daniel Suter («Tages-Anzeiger») und Peter Liatowitsch traten in den Ausstand.
II. Erwägungen
1. Der Presserat beschränkt sich bei seiner Beurteilung wie oben begründet auf den Artikel «Ein neuer Strohhalm für die Swiss» im «Tages-Anzeiger» vom 6. August 2004. Er prüft dabei die gerügten Verletzungen der Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten») sowie der Anhörungspflicht (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung»).
2. a) Dass sich der «Tages-Anzeiger» hinsichtlich der Verletzung der Wahrheitspflicht der Problematik bewusst wurde, geht aus den (veröffentlichten) Reaktionen von Redaktion und Rechtsdienst Tamedia nach der Publikation hervor. Nicht nur hat er die von Swiss noch am Tag der Publikation verlangte Gegendarstellung, in der Swiss konkrete Zahlungsrückstände bei Treibstofflieferanten dementiert, sofort akzeptiert und umgehend am nächsten Tag publiziert, wenn auch noch mit dem redaktionellen Zusatz, der «Tages-Anzeiger» halte an seiner Darstellung fest. In der Folge kam der Rechtsdienst Tamedia der Beschwerdeführerin zudem in dreierlei Hinsicht weit entgegen: Erstens bot er eine Klarstellung in der Zeitung an, worauf Swiss, weil inopportun, verzichtete. Zweitens sorgte er dafür, dass im elektronischen Archiv unverzüglich eine Klarstellung zum Artikel gestellt wurde, die eindeutiger nicht sein könnte, indem sie festhält, dem «Tages-Anzeiger» lägen keinerlei Hinweise vor, dass Swiss bei Treibstofflieferanten im Zahlungsrückstand sei. Drittens schliesslich entfernte Tamedia auf Begehren der Beschwerdeführerin hin im Online-Archiv sofort den relativierenden Zusatz zur Gegendarstellung, wonach die Redaktion an ihrer Darstellung festhalte.
b) Trotz diesen Reaktionen verneint der «Tages-Anzeiger» eine Verletzung der Wahrheitspflicht. Er argumentiert, dass der fragliche Artikel vom externen Autor Moser stammt. Es sei in der strittigen Passage nicht um eine Tatsachendarstellung gegangen, «sondern um den Eindruck, den eine Darstellung erweckt haben konnte». Und spricht von vier möglichen Interpretationen: jener von Swiss; jener ziemlich anderen, unverfänglichen des Autors, die aber deshalb nicht einfach abwegig sein müsse; jener der Redaktion, die der Sichtweise von Swiss zuneige; und dem Eindruck, welchen die Leserschaft habe.
c) Gerade Letzteres aber ist für den Presserat allein entscheidend, denn für die Leserschaft ist der Artikel ja schliesslich gedacht. Dazu räumt der «Tages-Anzeiger» ein, dass der Passus «wohl von zahlreichen Lesern so verstanden worden sein dürfte, wie die Beschwerdeführerin vorbringt». Wenn aber ein Gutteil der Leserinnen und Leser dem Artikel entnimmt, die Swiss sei bei diversen Treibstofflieferanten mit ihren Zahlungen im Rückstand, die Redaktion aber in ihrer späteren Klarstellung selbst festhält, für diesen Anwurf fehle ihr jeder Hinweis, dann hat der «Tages-Anzeiger» diese Leser nicht wahrhaftig informiert.
Mit dem bei der redaktionellen Bearbeitung hinzugefügten Satz «Konkret geht es um Zahlungsrückstände» und dem offenbar ebenfalls von der Redaktion hinzugefügten letzten Satz der Passage «Bei Shell Schweiz hat man laut dem ÐBlick? hingegen Ðkeine Probleme mit der Swiss?» fällt die Argumentation in sich zusammen, es sei im Text gar nicht ausdrücklich behauptet, Swiss sei bei Treibstofflieferanten im Zahlungsrückstand, sondern die Rede sei nur von Unruhe bei diversen Treibstofflieferanten und Zahlungsrückständen, Swiss aber werde ja gar nicht genannt. Denn im zitierten letzten Satz des fraglichen Abschnitts ist mit Shell ein konkreter Lieferant benannt, und der hatte laut redaktioneller Ergänzung offenbar mit Swiss keine Probleme; der Leser folgert daraus doch wohl zu Recht im Umkehrschluss, andere Lieferanten hätten sehr wohl Probleme zu meistern gehabt.
Im Ergebnis hat die für die Publikation des Artikels vom 6. August 2004 ungeachtet der Urheberschaft des Textes letztlich verantwortliche Redaktion des «Tages-Anzeiger» gegen die berufsethische Wahrheitspflicht verstossen, weil dieser Medienbericht bei der Leserschaft den Eindruck konkreter Zahlungsrückstände der Swiss bei ihren Treibstofflieferanten erweckte.
3. a) Die Beschwerde moniert des Weiteren, Swiss sei zu den im Artikel enthaltenen schweren Vorwürfen nicht angehört worden. Die entsprechende Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» lautet: «Aus dem Fairnessprinzip und dem ethischen Gebot der Anhörung beider Seiten (ÐAudiatur et altera pars?) leitet sich die Pflicht der Journalistinnen und Journalisten ab, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören. Deren Stellungnahme ist im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Ausnahmsweise kann auf die Anhörung verzichtet werden, wenn dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Der von schweren Vorwürfen betroffenen Partei muss nicht derselbe Umfang im Bericht zugestanden werden wie der Kritik. Aber die Betroffenen sollen sich zu den schweren Vorwürfen äussern können.» Die Dringlichkeit einer Publikation kann jedenfalls kein Grund sein, eine zwingend gebotene Anhörung sein zu lassen. Darauf hat der Presserat in konstanter Praxis immer wieder hingewiesen (vergleiche zuletzt die Stellungnahmen 1/2004 i.S. X.-Schule c. «Cash», 66/2004 i.S. X. c. «Kreuzlinger/Weinfelder Nachrichten», im Jahr zuvor 27/2003 i.S. Canton du Jura c. «Le Matin» und 39/2003 i.S. Schweizerische Flüchtlingshilfe c. «Weltwoche»).
b) Die abgedruckte Textpassage erhebt also tatsächlich einen schweren Vorwurf. Letztlich trägt die Redaktion die Verantwortung für die Publikation. Somit hat der «Tages-Anzeiger» auch die Anhörungspflicht gemäss Richtlinie 3.8. zur «Erklärung» der Journalistenpflichten verletzt. Die Verletzung der Anhörungspflicht wiegt in diesem Fall schwer, denn es ist für ein Unternehmen in der Tat nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, wenn seine Fähigkeit, Rechnungen rechtzeitig zu begleichen, verneint, in Frage gestellt oder auch nur leise bezweifelt wird. Schon Zweifel können bei Kreditgebern, Lieferanten oder Kunden einen Flächenbrand auslösen, der die Existenz der Firma bedrohen kann. Eine Anhörung ist bei einem derart harten Vorwurf zwingend. Der Dienstredaktor hätte deshalb den Autor fragen müssen, ob er denn Swiss zur Frage der Treibstoffzahlungen angehört habe. Sodann hätte er, nachdem Moser das offensichtlich nicht für nötig gefunden hatte, selbst an die Swiss gelangen sollen. Schliesslich wäre es an ihm gelegen, notfalls die Publikation aufzuschieben.
c) Dass eine Anhörung in diesem Fall geboten war, bestätigt übrigens der «Tages-Anzeiger» in seiner Beschwerdeantwort selbst. Er schreibt nämlich: «Hat der Autor den Vorwurf des Treibstoffzahlungsrückstandes aus seiner Sicht nicht erhoben, so war er auch nicht gehalten, einen solchen der Beschwerdeführerin vorzuhalten. Hätte der Autor der Swiss konkrete Zahlungsrückstände vorwerfen wollen, hätte er diese selbstverständlich der Beschwerdeführerin zur Stellungnahme vorlegen müssen.» Der Presserat kann dem nicht folgen. Denn Autor Moser agiert ja nicht im luftleeren Raum, sondern er hat einen
Artikel für den «Tages-Anzeiger» geschrieben. Es geht nicht an, die Frage, ob Swiss hier anzuhören war oder nicht, losgelöst vom publizierenden Medium zu diskutieren und zu entscheiden. Auch hier steht der «Tages-Anzeiger» in der Verantwortung.
4. a) Nachdem damit festgestellt ist, dass der im «Tages-Anzeiger» veröffentlichte Text die Wahrheitspflicht verletzt hat sowie Swiss die zwingend gebotene Anhörung vorenthalten wurde, ist noch der Frage nachzugehen, ob und wieweit Autor Sepp Moser eine verminderte Verantwortlichkeit trifft, weil, worauf er pocht, sein Ursprungstext vom Dienstredaktor verändert worden ist.
b) Hinsichtlich der Verletzung der Wahrheitspflicht ist dies nach Auffassung des Presserates zu bejahen. Aufgrund des Vergleichs des vom «Tages-Anzeiger» veröffentlichten Texts mit dem von Sepp Moser eingereichten Originalmanuskript ist davon auszugehen, dass der Satz «Konkret geht es um Zahlungsrückstände» erst auf der Redaktion eingefügt worden ist. Ebensowenig im Originalmanuskript enthalten ist zudem der offenbar ebenfalls bei der redaktionellen Bearbeitung eingeschobene Satz: «Bei Shell Schweiz hat man laut dem ÐBlick? hingegen Ðkeine Probleme mit der Swiss?.»
Zwar ist auch bei Weglassung der beiden Sätze nicht ganz auszuschliessen, dass ein Teil der Leserschaft trotzdem fälschlicherweise von konkreten Zahlungsrückständen der Swiss ausgegangen wäre. Dennoch erscheint es wahrscheinlicher, dass die Leserschaft das im anonymen Zitat dargestellte Szenario ohne die Zusätze lediglich als theoretisch denkbar verstanden hätte. Dies in dem Sinn, wonach diverse Treibstofflieferanten beunruhigt seien, dass falls sich die (laut dem Autor) bereits äusserst prekäre Liquiditätslage der Fluggesellschaft weiter verschlechtere, ein erneutes Grounding eintreten könnte. Bei alleiniger Betrachtung des Originalmanuskripts von Sepp Moser ist daher eine Verletzung der Wahrheitspflicht nicht erstellt. Vielmehr muss der Presserat die Frage offen lassen, da er aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen nicht überprüfen kann, ob die im Originalmanuskript enthaltene Aussage, bei diversen Treibstofflieferanten herrsche Unruhe, den Tatsachen entspricht.
c) Anders fällt die Beurteilung des Presserates hingegen hinsichtlich der Verletzung der Anhörungspflicht aus. Eine Anhörung der Swiss wäre auch dann bereits zwingend gewesen, wenn es wie im Originalmanuskript von Sepp Moser «lediglich» um die im Artikel behauptete «extrem prekäre» Liquiditätslage und die «Unruhe» bei Treibstofflieferanten gegangen wäre. Denn bereits diese Aussagen kombiniert mit dem theoretischen Szenario eines erneuten Groundings konnten sich für die Swiss erheblich nachteilig auswirken.
In der Gesamtbetrachtung mutet es zudem merkwürdig an, wenn einerseits – ausgehend von der nach wie vor «extrem prekären» Finanzlage – zwei namentlich genannte (Unique-Finanzchef Beat Spalinger und Gewerkschafter Daniel Vischer) sowie zwei anonyme Quellen (ein Manager einer grossen Mineralölfirma, ein Finanzkadermann) zitiert werden. Anderseits kommt die Swiss selber an keiner Stelle des Beitrags zu Wort. Ihre Anhörung wäre bereits für Sepp Moser zwingend gewesen. Eine Verletzung der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» ist dementsprechend nicht nur der Redaktion des «Tages-Anzeiger», sondern auch Sepp Moser vorzuwerfen.
5. a) Zum Schluss ist noch kurz auf das Begehren der Swiss einzugehen, der Presserat möge besondere, erhöhte journalistische Sorgfaltspflichten für Expertinnen und Experten definieren und festsetzen. Solche fachlich spezialisierten Medienschaffenden hätten besonders sorgfältig zu recherchieren. Besonders bedeutsam für die Glaubwürdigkeit sei, dass sie unvoreingenommen seien, und für die Meinungsbildung sei Transparenz besonders wichtig.
b) Der Presserat lehnt es aus grundsätzlichen Erwägungen ab, eine solche Zweiklassengesellschaft für Medienschaffende zu postulieren. Die berufsethischen Standards der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten», die sich die Medienschaffenden der Schweiz gegeben haben, gelten für alle Journalistinnen und Journalisten und für alle Medien. Diese Standards sind hoch. Und alle Journalistinnen und Journalisten sollen sie einhalten. Für sorgfältig arbeitende Berufsangehörige, die sich einen Expertenstatus erschaffen haben, braucht es keine Sonderregeln. Die Einhaltung der geltenden «Erklärung der Pflichten und Rechte» samt der zugehörigen Richtlinien genügt vollauf.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird grösstenteils gutgeheissen, soweit der Presserat darauf eintritt.
2. Der «Tages-Anzeiger» hat im Beitrag «Ein neuer Strohhalm für die Swiss» vom 6. August 2004 die Wahrheitspflicht gemäss Artikel 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt, indem er bei der Leserschaft den nicht belegten Eindruck erweckte, Swiss befinde sich bei einzelnen Treibstofflieferanten im Zahlungsrückstand.
3. Die Redaktion des «Tages-Anzeiger» und Sepp Moser haben die Pflicht zur Anhörung bei schweren Vorwürfen gemäss Richtlinie 3.8 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte» verletzt, weil sie unterliessen, die Swiss zu den im obigen Beitrag enthaltenen schweren Vorwürfen vor der Publikation anzuhören.
Reaktion von Sepp Moser zur Stellungnahme 24/2005 |