Nr. 32/2014
Wahrheitspflicht

(Rroma Contact Point c. «Weltwoche») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 17. November 2014

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I. Sachverhalt

A. Am 31. Oktober 2013 berichtete die «Weltwoche» unter dem Titel «Geschäftsmodell: Kinderhandel» über Minderjährige, die von ihren Eltern an Roma-Sippen verkauft oder vermietet werden. Ausgehend von der Geschichte über das blonde Mädchen Maria, welches in einem Roma-Lager der griechischen Stadt Farsala aufgegriffen worden war und von seinen richtigen Eltern in Bulgarien an das Paar in Griechenland verkauft oder verschenkt worden sein soll, schrieben Philipp Gut und Lucien Scherrer, das Netzwerk der Kinderhändler-Sippen reiche von Osteuropa bis in die Schweiz. Auch hier sähen sich die Behörden mit Minderjährigen konfrontiert – Knaben, Mädchen, Babys, Zwölf-, Dreizehn-, Vierzehnjährige –, die von ihren Eltern verkauft, vermietet, ausgeliehen wurden. Sie würden zum Betteln angehalten, auf Diebestour geschickt oder in die Prostitution gedrängt. Zitiert wird der Schweizerische Städteverband, der in einem Massnahmenpapier zum Thema vom Oktober 2011 folgendes festgehalten hatte: «Regelmässig treten in Schweizer Städten ausländische Kinder und Jugendliche als Bettelnde und als Strassenmusikanten in Erscheinung; mitunter betteln auch Frauen mit (oft behinderten) Kleinkindern in den Armen in den Strassen. Meist handelt es sich hierbei um Roma.» Zitiert wird auch ein Kriminalpolizist, der seit zehn Jahren im Roma-Milieu ermittelt: «Die Schweiz ist der Honigtopf Europas.» Der Artikel hält weiter fest, der Städteverband sehe die minderjährigen Bettler und Einbrecher nicht primär als Täter, sondern als «Opfer des vernetzten Menschenhandels». Dieser Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sei besonderes stossend, und die Schweiz habe aufgrund internationaler Abkommen und des eigenen Rechts die Pflicht, die Minderjährigen zu schützen. Organisationsformen und Vorgehensweise der Roma-Netzwerke seien den Schweizer Behörden und Kinderschutzvereinigungen bekannt. Man habe es mit hochprofessionellen, spezialisierten und hierarchisch geführten Sippen zu tun, die ihr Handwerk seit Generationen ausüben und weitervermitteln. Oft finde die Ausbeutung innerhalb eines Familienclans statt. Der Artikel schildert die Vorgehensweise der Clans und wie diese Kinder in der Schweiz eingesetzt werden. Ein Beamter von der Fremdenpolizei Bern kommt zu Wort, der schildert, wie solche Kinder in Bern eingesetzt werden. Beispiele aus Lausanne, dem Genferseebecken und Basel ergänzen den Bericht. Laut Bundesamt für Statistik seien noch nie so viele Verurteilungen vorgenommen worden wie letztes Jahr. Verantwortlich dafür sei vor allem der Kriminaltourismus. Eindrückliche 41,5 Prozent der Verurteilten bei Vermögensdelikten hätten keinen Wohnsitz in der Schweiz. Die Roma seien unter den Vermögensdelinquenten stark vertreten, wie viele es genau seien, schlüssle die Statistik nicht auf. Der Artikel endet mit der Frage, ob der Teufelskreis durchbrochen werden könne. Die Aufgabe, Jugendliche aus der oft von Kindesbeinen an antrainierten Kriminalität herauszuholen, mute herkulisch an.

B. Am 13. Dezember 2013 beschwerte sich Stéphane Laederich im Namen des Rroma Contact Point über den Artikel der «Weltwoche». Er macht eine Verletzung von Ziffer 3 (Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen und Entstellen der von anderen geäusserten Meinungen) geltend und von Ziffer 8 (Missachtung der Menschenwürde und Diskriminierung). Das Folio auf der internen Seite, welches das 2012 von der «Weltwoche» veröffentlichte Bild eines Roma-Jungen evoziere, der mit einer Spielzeugpistole auf den Fotografen ziele, unterschlage, dass die «Weltwoche» wegen dieses Bildes und dessen Missbrauch vom Presserat gerügt worden sei. Der Artikel selbst unterschlage wichtige Elemente, indem wichtige wissenschaftliche Arbeiten nicht genannt würden, beispielsweise die Studie des Lausanner Soziologieprofessors Jean-Pierre Tabin, die die Thesen der Autoren vollständig in Frage stellen würden. Die Schlagzeile auf dem Titelblatt laute: «Verkaufte Roma-Kinder», der Untertitel «Das Netzwerk krimineller Sippen in der Schweiz». Im Artikel selbst finde sich folgender kurzer Exkurs: «Auch in der Schweiz blüht das Geschäft mit Minderjährigen, die von ihren Eltern an Roma-Sippen verkauft oder vermietet werden. Kriminelle Clans missbrauchen Babys zum Betteln, schicken Mädchen auf Diebestour und drängen Knaben in die Prostitution.» Die Autoren würden jedoch keinerlei Nachweise für einen Kinderhandel in der Schweiz erbringen, sondern zitierten lediglich den Fall der kleinen Maria, die auf dem Titelbild erscheine, sowie den Fall einer «Rromini», die ein Kind für 250 Euro gemietet habe. Die Argumentation der Autoren baue fast ganz auf Behauptungen, Unterstellungen und fragwürdige polizeiliche Einschätzungen. Die zitierten Stellungnahmen des Schweizerischen Städteverbands, von Vertretern der Polizei, Fremdenpolizei und Staatsanwaltschaft würden als harte Fakten präsentiert, obwohl sie alles andere als auf klaren Fakten beruhten. Für die Aussagen des Städteverbandes gäbe es keine Beweise. Der Artikel unterdrücke zudem Fakten, indem er nirgends eine Zahl von Roma nenne, über die berichtet wird. Damit entstehe eindeutig der Eindruck, dass man hier über alle Roma spreche und es sich um eine erhebliche Anzahl von Personen in der Schweiz handle – dies sei keineswegs der Fall. Bei den zitierten Wohnungseinbrüchen handle es sich zudem nicht um Vermögensdelikte. Die Autoren projizierten die Roma in die Zahlen des Bundesamts für Statistik, ohne dafür genügend Quellen zu haben. Auch wie viele Roma in der Schweiz lebten, werde nicht erwähnt. Der Artikel entstelle die Meinungsäusserungen Dritter, beispielsweise die Aussagen der Sprecherin der Lausanner Polizei, indem ihr unterstellt werde, sie kenne sich nicht genügend mit den Familienstrukturen der Roma aus. Auch das Zitat, wonach der Städteverband die minderjährigen Bettler nicht primär als Täter, sondern als Opfer des vernetzten Menschenhandels sehe, sei im Original wesentlich differenzierter, womit dargestellt werde, der Städteverband unterstütze die Aussage der Autoren. Anstelle eigentlicher Tatsachen äussere der Artikel vielmehr einen Verdacht gegenüber bettelnden Kindern und Delikte verübenden Jugendlichen, die alle zu Roma gemacht würden, aufgebläht zu imaginierten Bettelnetzwerken mit Clanstrukturen. Damit werde die gängige Vorstellung von Wirtschaftsmigranten bedient, die zur finanziellen Bereicherung ein Land aufsuchen würden. Durch die diffamierende Feststellung, dass es unter den Roma eine kulturell bedingte Kriminalität gebe, die die Kinder zu Delinquenten erziehe und sie in die Prostitution treibe, machten sich Gut und Scherrer des Rassismus und der Volksverhetzung schuldig. Der angeprangerte Menschenhandel sei alles andere als ein Normalfall, sondern eine Ausnahmeerscheinung. So seien die Quellen für den Artikel denn auch nach instrumentellen Kriterien gewählt. Die Autoren würden zudem Stereotypen verwenden und erzeugen, indem sie implizierten, Roma hätten stets eine dunkle Haut.

C. In ihrer Beschwerdeantwort vom 22. April 2014 beantragte die anwaltlich vertretene «Weltwoche», die Beschwerde abzuweisen. Auslöser für den Bericht vom 31. Oktober 2013 sei der Fall des Roma-Mädchens Maria gewesen, welches in einem Roma-Lager in Griechenland bei Zieheltern aufgegriffen wurde. Dieser Fall habe in den europäischen Medien ein grosses Echo gefunden, die «Weltwoche» selbst habe im beanstandeten Artikel den Akzent auf die Ausbeutung von Kindern und minderjährigen Roma in der Schweiz gelegt. Was den Vorwurf der Unterschlagung von wichtigen Elementen im Bericht angeht, so macht die «Weltwoche» geltend, der Beschwerdeführer verkenne, dass es sich nicht um eine wissenschaftliche Arbeit handle. Eine journalistische Pflicht, sämtliche Arbeiten über ein Thema zu konsultieren und zu berücksichtigen, bestehe nicht. Es beste
he keine Pflicht zu ausgewogener oder objektiver Berichterstattung. Der Artikel stütze sich auf eine breite Quellenbasis, welche der Leserschaft transparent aufgezeigt werde. Der Beschwerdeführer unterlasse es zudem, anzuführen, welche Elemente im Artikel unterschlagen worden sein sollen, indem er den Vorwurf erhebe, im Bericht könne der Beweis für das Bestehen von Kinderhandel in der Schweiz nicht erbracht werden und es sei journalistisch fragwürdig, wenn man den Massnahmenbericht des Städteverbands als einzige Quelle verwende. Solche Kinderhändler-Netzwerke bestünden tatsächlich und die Behörden hätten erhebliche Schwierigkeiten, die Drahtzieher zu finden und sie dafür zu bestrafen. Was die Seriosität der Quelle betreffe, so hätten amtliche Communiqués einen höheren Stellenwert als Meldungen anerkannter Agenturen. Zwar handle es sich beim Städteverband nicht um ein Amt im eigentlichen Sinne. Durch die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe, bei welcher die Teilnehmer mehrheitlich führende Amtspositionen innehätten, dürfe sich die Autorenschaft auf Richtigkeit und Wahrheitsgehalt der Ausführungen verlassen.

In Bezug auf den Vorwurf, es entstehe der Eindruck, dass sämtliche Roma in kriminelle Machenschaften verwickelt seien, macht die «Weltwoche» geltend, dies sei absurd. Es gehe im Artikel nicht darum, konkrete Zahlen zu nennen, zumal dies auch gar nicht möglich sei. Der Beschwerdeführer verkenne, dass es sich bei den Delinquenten aus dem Roma-Milieu nicht ausschliesslich um hier angesiedelte Roma-Angehörige handle, sondern diese oft in Lagern in Grenznähe des benachbarten Auslands angesiedelt seien, was aus dem Text auch klar ersichtlich werde und sich im Übrigen auch mit den Aussagen des Städteverbands decke. Der Vorwurf, es werde der Eindruck erweckt, in der Schweiz seien die meisten Roma kriminell, habe vor diesem Hintergrund keinen Bestand. Die vom Beschwerdeführer angerufene Passage «Meist handelt es sich dabei um Roma» beziehe sich nicht auf die Gesamtdelinquenz in der Schweiz, sondern auf den Einsatz von Kindern und Jugendlichen als Strassenmusikanten oder Bettler.

Bezüglich des Vorwurfs des Entstellens der Aussagen der Sprecherin der Lausanner Polizei sowie des Zitats des Städteverbands macht die «Weltwoche» geltend, die Aussagen seien wortwörtlich wiedergegeben worden. Auch der Vorwurf, der Artikel suggeriere, dass es unter den Roma eine kulturell bedingte Kriminalität gebe, könne im ganzen Artikel nicht ausgemacht werden und ergebe sich auch nicht aus dem Kontext, ebenso wenig wie eine kollektive Herabsetzung der Roma.

D. Am 11. November 2014 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 17. November 2014 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. a) Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung». Der Artikel unterschlage wichtige Elemente, indem er wesentliche Quellen ausschliesse und eine höchst selektive Quellenwahl vornehme. Er verweist dabei insbesondere auf eine Studie aus dem Kanton Waadt, welche zum Schluss komme, es bestehe kein Zusammenhang zwischen bettelnden Kindern und organisierten Netzwerken. Mehrere Untersuchungen und auch ihre eigene Studie seien zur Erkenntnis gelangt, dass man in der Schweiz mit Betteln auf einen durchschnittlichen Betrag von 15 bis 20 Franken pro Tage komme. Demgegenüber stünde die Aussage der Berner Fremdenpolizei und der Koordinationsstelle gegen Menschenhandel, ein Kind könne bis zu 600 Franken pro Tag erbetteln, worauf sich auch die «Weltwoche»-Autoren bezögen.

Dazu ist folgendes auszuführen: Der kritisierte Artikel stützt seine Aussagen schwergewichtig auf das Massnahmenpapier des Städteverbands von Oktober 2011, daneben auf Aussagen der Berner Polizei, eines Vertreters der Fremdenpolizei der Stadt Bern, der Sprecherin der Lausanner Polizei, des Sprechers der Staatsanwaltschaft Basel, Zahlen des Bundesamts für Statistik, eines Polizeikommissars aus der Innerschweiz, des Genfer Polizeisprechers sowie der Leiterin der Fachstelle gegen sexuelle Ausbeutung und Kinderhandel. Dies ist nicht zu beanstanden. Von einer höchst selektiven Quellenwahl kann deshalb nicht die Rede sein. Auch werden die Quellen jeweils angegeben. Ziffer 3 verpflichtet Journalisten nicht, alle möglichen Quellen zu zitieren, noch dazu, ausgewogen zu berichten. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist den Journalisten nicht vorzuwerfen, die vom Beschwerdeführer erwähnte Studie nicht zitiert zu haben, ganz abgesehen davon, dass diese lediglich die Situation in Bezug auf das Betteln im Kanton Waadt untersucht.

b) Der Beschwerdeführer sieht eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» auch darin begründet, dass im Titel eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Kinderhandel suggeriert werde und wesentliche Fakten in Bezug auf das genannte Ausmass der behaupteten Delinquenz der Roma in Verbindung mit der Zahl der hier integriert lebenden Roma unterdrückt würden. Der einzige beschriebene Fall einer «Rromini», die ein Kind für 250 Euro gemietet habe, möge zwar stimmen, die Tragik der Geschichte aber als pars pro toto für die These organisierter Banden zu nehmen, halte Rroma Contact Point für journalistisch und wissenschaftlich unhaltbar.

Demgegenüber hält die «Weltwoche» fest, laut Experten handle es sich nicht um Einzelfälle. Sowohl die Arbeitsgruppe des Städteverbands als auch die Strafverfolgungsbehörden gingen von organisierter Kriminalität und insbesondere von systematischem Kinderhandel aus. Es handle sich um ein ernstzunehmendes Problem, welches publizistisch aufzuarbeiten sei.

Fronttitel «Verkaufte Roma-Kinder» und Untertitel «Das Netzwerk krimineller Sippen in der Schweiz» sind zwar naturgemäss verkürzend formulierte Schlagzeilen. Sie weisen einerseits auf Kinderhandel, andererseits auf organisierte Kriminalität hin, beides Aspekte, die im Artikel beschrieben werden. Die beiden Autoren des Beitrags führen genügend Quellen an, um diese These zu stützen. Der Beschwerdeführer führt denn auch nicht weiter aus, weshalb die Ausführungen des Städteverbands sowie die diversen polizeilichen Einschätzungen falsch sein sollten. Der Artikel ist auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden.

Dasselbe gilt für den Vorwurf mangelnden Zahlenmaterials. Der Vorwurf, die Autoren versuchten bewusst den Eindruck zu erwecken, die meisten Kriminellen in der Schweiz seien Roma, ist nicht haltbar. Die Autoren nennen Zahlen aus der Stadt Basel in Bezug auf Einbrüche und Taschendiebstähle und zitieren dazu die Basler Polizei, die festhielt, es sei davon auszugehen, dass eine Vielzahl der Taten von auswärtigen Personen begangen werde. Es folgen Zahlen des Bundesamts für Statistik für die ganze Schweiz, diesmal mit der genauen Anzahl der Verurteilten bei Vermögensdelikten, die keinen Wohnsitz in der Schweiz haben. Dazu hält der Artikel fest: «Die Roma sind unter den Vermögensdelinquenten stark vertreten, wie viele es genau sind, schlüsselt die Statistik nicht auf. Von den Wohnungseinbrüchen gingen die Hälfte bis zwei Drittel auf das Konto von Roma-Banden, schätzt ein Polizeikommissar aus der Innerschweiz.» Auch hier belegen die Autoren, weshalb sie zu diesem Schluss kommen. An anderer Stelle des Artikels schreiben die Journalisten: «Ausgangspunkt für Beutezüge in die Schweiz sind häufig Roma-Camps im Elsass, im Vorarlbergischen und in der Region Mailand.» Diese Aussagen stimmen mit denjenigen des Städteverbands überein. Im Artikel geht es demnach auch um Roma, die grenzüberschreitend agieren. Zudem äussert er sich nur zu Vermögensdelikten. Der Vorwurf, der Artikel wolle bewusst den Eindruck erwecken, dass die meisten Kriminellen in de
r Schweiz Roma seien, entbehrt letztlich jeglicher Grundlage, dies umso mehr, als sich die vom Beschwerdeführer zitierte Passage «Meist handelt es sich dabei um Roma» nicht auf die Gesamtdelinquenz in der Schweiz bezieht, sondern auf den Einsatz von Kindern und Jugendlichen als Strassenmusikanten oder Bettler. Auch unter diesen Umständen ist eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» (Entstellen und Unterdrücken von Tatsachen) nicht erstellt.

c) Der Beschwerdeführer sieht eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» auch darin, dass Meinungsäusserungen Dritter, beispielsweise die Aussagen der Sprecherin der Lausanner Polizei entstellt würden, indem ihr unterstellt werde, sie kenne sich nicht genügend mit den Familienstrukturen der Roma aus. Auch das Zitat, wonach der Städteverband die minderjährigen Bettler nicht primär als Täter, sondern als Opfer des vernetzten Menschenhandels sehe, sei im Original wesentlich differenzierter wiedergegeben, womit dargestellt werde, der Städteverband unterstütze die Aussage der Autoren.

Der kritisierte Passus über die Pressesprecherin lautet: «Laut Anne Plessz, Sprecherin der Lausanner Polizei, stammen die meisten Bettler aus drei oder vier Dörfern in Rumänien. Es handle sich um ‹Familien›, nicht um ‹organisierte Gruppen›. Als ob diese Grossfamilien nicht auch organisiert wären.» Einerseits veränderten die Autoren so das Wort «Familie» ohne zu kommentieren in «Grossfamilie», andererseits unterstellten sie Anne Plessz, sie würde sich nicht genügend mit den Familienstrukturen der Roma auskennen, wenn sie das Gefühl habe, eine Familie sei bei den Roma etwas anderes als das, was bei uns eine organisierte Gruppe ist. Damit versuchten sie, die Quelle zu entkräften. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, die Polizeisprecherin sei falsch zitiert. Er stösst sich am kommentierenden Nachsatz. Dieser ist jedoch nicht zu beanstanden, ist er doch klar ersichtlich ein Kommentar der Autoren.

Eine weitere Entstellung einer Meinung erkennt der Beschwerdeführer im Zitat, wonach «der Städteverband (…) die minderjährigen Bettler nicht primär als Täter, sondern als ‹Opfer› des vernetzten Menschenhandels» sieht. Das volle Zitat laute jedoch wie folgt: «Bestehen nach sorgfältiger Beurteilung der Sachlage Hinweise darauf, dass Erwachsene oder Minderjährige zu Bettelei oder Diebstahl gezwungen werden, ist davon auszugehen, dass sie Opfer von Menschenhandel sind». Dieses vollständige Zitat ist zweifelsohne differenzierter, als das im Artikel leicht abgekürzt wiedergegebene. Darin eine Entstellung der Meinung des Städteverbands zu erblicken, geht jedoch nicht an. Auch hier liegt demnach keine Verletzung von Ziffer 3 vor.

2. Der Beschwerdeführer macht auch eine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» geltend. Durch die diffamierende Feststellung, unter den Roma gebe es eine kulturell bedingte Kriminalität, die Kinder zu Delinquenten erziehe und in die Prostitution treibe, machten sich die Autoren des Rassismus und der Volksverhetzung schuldig. Der angeprangerte Menschenhandel sei alles andere als der Normalfall, sondern die Ausnahme. So seien die Quellen des Artikels denn auch instrumentell gewählt. Die Autoren verwendeten zudem Stereotypen, indem sie implizierten, Roma hätten stets dunkle Haut.

Die «Weltwoche» führt dazu aus, eine kollektive Herabsetzung der Roma finde sich im ganzen Artikel nicht, weder bezogen auf konkrete Passagen noch im Gesamtzusammenhang.

Richtlinie 8.2 hält fest, dass die Nennung der ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit, der Herkunft, der Religion, der sexuellen Orientierung und/oder der Hautfarbe diskriminierend wirken kann, insbesondere wenn sie negative Werturteile verallgemeinert und damit Vorurteile gegenüber Minderheiten verstärkt. Journalistinnen und Journalisten wägen deshalb den Informationswert gegen die Gefahr einer Diskriminierung ab und wahren die Verhältnismässigkeit. Diskriminierung liegt laut Praxis des Presserats vor, wenn eine – meist schon benachteiligte – Gruppe kollektiv herabgesetzt wird. Das Unwerturteil muss eine gewisse Schwere haben. Für den Presserat lässt sich die Feststellung, dass die Roma kulturell bedingt kriminell sind, im Artikel nicht ausmachen, sie ergibt sich auch nicht aus dem Kontext. Der Artikel setzt sich mit der organisierten Ausbeutung von Jugendlichen und Kindern auseinander, welche gezielt eingesetzt werden, Gelder zu erwirtschaften oder zu erbeuten. Der Artikel fokussiert dabei auf diese Kinder als Opfer und beschreibt die Ohnmacht der Strafverfolgungsbehörden in Bezug auf die Drahtzieher im Hintergrund. Nicht ersichtlich ist auch, inwiefern die Autoren Stereotypen erzeugt und verwendet haben sollen. Eine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» liegt demnach nicht vor.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Weltwoche» hat mit dem Artikel «Geschäftsmodell: Kinderhandel» vom 31. Oktober 2013 die Ziffern 3 (Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen und Entstellen von Tatsachen) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.