Nr. 49/2016
Wahrheitspflicht

(Hauseigentümerverband Schweiz c. «Kassensturz») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 29. Dezember 2016

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I. Sachverhalt

A. Am 19. Januar 2016 strahlte SRF die Sendung «Kassensturz» mit dem Titel «Mietärger Nebenkosten: Sind hohe Nachforderungen erlaubt?» aus. Darin werden zwei Mieter porträtiert, deren Nebenkosten um ein Vielfaches höher ausfielen als die im Vertrag vorgesehenen Akontozahlungen. Zu Wort kommt Felicitas Huggenberger vom Mieterinnen- und Mieterverband. Sie bestätigt, dass Nachzahlungen in dieser Höhe laut Bundesgericht erlaubt seien, so-fern Akontozahlungen vereinbart worden seien. Nur bei einer bewussten Täuschung durch den Vermieter könnten Mieter die Nachzahlungen anfechten. Sie empfiehlt deshalb bei der Unterzeichnung eines Mietvertrages, genau zu überprüfen, welche Nebenkosten vom Mieter getragen werden müssen und sich beim Vermieter zu erkundigen, ob die Akontozahlungen reichen würden, diese Kosten abzudecken. Später in der Sendung wurde Huggenberger noch einmal einbezogen, um mietrechtliche Fragen, welche im Online-Chat des «Kassensturz» gestellt wurden, zu beantworten.

B.
Am 28. Januar 2016, mit Ergänzung vom 5. Februar 2016, reichte der Hauseigentümerverband Schweiz (HEV) Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen den Beitrag des «Kassensturz» ein. Die Berichterstattung von SF1 sei unausgewogen, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb im Beitrag des «Kassensturz» der Schweizer Mieterverband mehrfach zum Thema Mietrecht zu Wort komme, ohne dass sich eine angemessene Entgegnung des HEV im Beitrag finde. Dies, obwohl das Mietrecht Kerngebiet sowohl des Mieterverbands als auch des HEV sei. In der Sendung seien der Vermieterschaft nicht tragbare Fehler bei der Berechnung der Nebenkosten vorgeworfen worden. Die Moderatorin habe behauptet, die Anwältin des Mieterverbands wisse, dass Vermieter häufig die Nebenkosten zu tief ansetzten und hohe Nachzahlungen verlangen würden. Dies bedeute eine versteckte Mieterhöhung. Ein Mieter habe moniert, die Nebenkosten seien zu tief angesetzt, da die Nebenkosten immerzu gestiegen seien. Die Anwältin des Schweizerischen Mieterverbands sei im Beitrag live zweimal zu Wort gekommen und sie habe konkrete Informationen gegeben, wie man sich dagegen wehren könne, wenn ein Vermieter die Nebenkosten absichtlich zu tief angesetzt habe. Und schliesslich sei den Zuschauern ein Experten-Chat zur Verfügung gestellt worden, in dem vier «Experten», allesamt vom Mieterverband, Fragen beantworteten. Der HEV rügt eine Verletzung des Wahrheitsgebots, da die schwankenden Nebenkosten von «Kassensturz» als anstössig und treuwidrig dargestellt würden, obwohl Akontozahlungen vom Gesetz vorgesehen seien. Auch Vermieter würden den Schwankungen bei den Nebenkosten unterliegen. Dem werde im Beitrag, wenn überhaupt, zu wenig Rechnung getragen. Eine Stellungnahme des HEV hätte sich auch diesbezüglich aufgedrängt. Somit werde auch der Grundsatz des Meinungspluralismus verletzt. Es läge in der Natur der Sache, dass die Kosten über die Jahre steigen würden. Aufgrund von Mieterschutzbedingungen sei es für Vermieter kompliziert, die Akontozahlungen im laufenden Mietverhältnis anzupassen. Dass dies der Grund für steigende Nachzahlungen sei, habe «Kassensturz» den HEV nicht erläutern lassen. Falsch sei zudem die Aussage, dass es sich bei den höheren Nebenkosten um eine Mieterhöhung handle, vielmehr würden nur effektive Kosten auf den Mieter überwälzt. Es sei nicht fair, wenn dem Mieter der Mieterverband zur Seite gestellt werde und der Vermieterschaft nicht der entsprechend geschulte HEV als Vermietervertreter und als Widersacher des Mieterverbands. Es sei journalistisch nicht korrekt, stets die Vermieter schlechter zu stellen. Man komme nicht darum herum, darin ein politische Einstellung zu erblicken, die sich höchst bedenklich auf die Qualität der Beiträge auswirke.

C. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 29. Dezember 2016 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
 

II. Erwägungen

1. Soweit der HEV eine unausgewogene Berichterstattung moniert, ist darauf hinzuweisen, dass sich aus der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») weder eine ausdrückliche Pflicht zur «Ausgewogenheit» noch eine solche zu «objektiver Berichterstattung» ableiten lässt. Aus berufsethischer Sicht ist nicht zu beanstanden, wenn sich ein Beitrag auf die Sicht der Mieter fokussiert und darauf, diese über die Rechtslage bezüglich eines Themas zu informieren, das wiederholt zu Ärger führt. Diese Rüge ist somit offensichtlich unbegründet. Dasselbe gilt für den Vorwurf, der Grundsatz des Meinungspluralismus werde dadurch verletzt, dass die Sicht des HEV nicht in den Beitrag einfliesse und lediglich der Mieterverband zu Wort komme. Richtlinie 2.2 zur «Erklärung» hält fest, dass der Meinungspluralismus zur Verteidigung der Informationsfreiheit beiträgt. Er ist notwendig, wenn sich ein Medium in einer Monopolsituation befindet. Dass sich SRF in einer Monopolsituation befindet, behauptet der HEV richtigerweise nicht. Richtlinie 2.2 ist demnach im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

2. Weiter macht der HEV geltend, Vermietern seien in der Sendung nicht tragbare Fehler bei der Berechnung der Nebenkosten vorgeworfen worden: So behaupte die Anwältin des Mieterverbands, dass Vermieter häufig die Nebenkosten zu tief ansetzten und hohe Nachzahlungen verlangen würden. Dies bedeute eine versteckte Mieterhöhung. Dies sei falsch, vielmehr würden nur effektive Kosten auf die Mieter überwälzt. Ein weiterer Mieter habe behauptet, die Nebenkosten seien zu tief angesetzt, da die Nebenkosten immerzu gestiegen seien. Der HEV sieht mit diesen Aussagen die Wahrheitspflicht verletzt.

Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen halten und sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Der Beitrag des «Kassensturz» beleuchtet aus Sicht der Mieterinnen und Mieter die Mietnebenkosten bzw. die Höhe der in Rechnung gestellten Akonto-Beiträge. Er geht dabei von der These aus, dass Akonto-Beiträge oft zu niedrig angesetzt seien, was für Mieter mehr oder weniger grosse Nachzahlungen zur Folge hat. Diese These wird von der Mietrechtsexpertin des Mieterverbands bestätigt. Dabei wird nicht behauptet, alle Vermieter würden die Nebenkosten zu tief ansetzen. Und es wird auch nicht gesagt, Vermieter hätten bezüglich Nebenkosten getrickst, betrogen oder sich treuwidrig verhalten, wie dies der Beschwerdeführer behauptet. Es wird vielmehr erklärt, dass das Bundesgericht Nachzahlungen schützt, es sei denn, Vermietern könne eine bewusste Täuschung nachgewiesen werden. Vor diesem Hintergrund ist für den Presserat nicht ersichtlich, inwiefern die Wahrheitspflicht verletzt sein soll.

3. Der HEV hält weiter fest, er hätte zu diesen Vorwürfen angehört werden müssen. Es hätte ihm insbesondere die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, darzulegen, dass auch Vermieter Schwankungen in den Nebenkosten unterliegen. Die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 3.8 verlangt, dass Journalisten Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anhören. Deren Stellungnahme ist im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Laut Praxis des Presserats ist von einem schweren Vorwurf auszugehen, wenn jemandem ein illegales oder damit vergleichbares unredliches Verhalten vorgeworfen wird. Der HEV unterlässt es, zu präzisieren, worin die schweren Vorwürfe lieg
en. Dem HEV bzw. Vermietern generell wird im Beitrag des «Kassensturz» gerade kein illegales Verhalten vorgeworfen, sondern es wird ausdrücklich auf die Praxis des Bundesgerichts hingewiesen, welches Akontozahlungen stützt, sofern keine Täuschung vorliegt. Es geht im Beitrag des «Kassensturz» vielmehr da-rum, Mietern zu erklären, wie die gesetzliche Regelung bezüglich Akontozahlungen für Mietnebenkosten aussieht und sie zu beraten, wie sie sich vor unangenehmen Überraschungen bzw. hohen Nachzahlungen schützen können. Wird – wie erwähnt – kein schwerer Vorwurf erhoben, so musste der HEV auch nicht angehört werden. Auch diese Rüge ist somit offensichtlich unbegründet.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.