Nr. 5/2005
Wahrheits- und Berichtigungspflicht / Anhörung bei schweren Vorwürfen

(X. c. «Zuger Woche») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 27. Januar 2005

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I. Sachverhalt

A. Am 27. April 2005 erschien in der «Zuger Woche» unter dem Titel «Missbrauch bei SF DRS?» ein kritischer Bericht zu einem am 11. März 2005 von der SF-Fernsehsendung «Quer» ausgestrahlten Beitrag – koproduziert mit dem «Beobachter» – über einen Rechtsstreit rund um den Verkauf eines Occasion-Motorrads der Marke Harley Davidson. Der Untertitel lautete: «SF DRS und ‹Beobachter› schwärzen Zuger Gerichte an und missachten die minimalen journalistischen Grundsätze.» Thema der beiden Medienberichte bildet die Auseinandersetzung zwischen dem Autosattler Y. und dem Motorradjournalisten X. Letzterer habe beim Autosattler Y. im Dezember 2000 eine Harley Davidson 1952 gekauft. Eineinhalb Jahre später habe er den Kaufvertrag rückgängig machen wollen, da er von einem Kaufinteressenten darauf aufmerksam gemacht worden sei, dass es sich nicht um eine Originalmaschine handle. «Was folgte war klar: Forderung, Betreibung und Rechtsvorschlag und Vermittlungsverhandlung beim Friedensrichteramt. Eine Einigung gab es keine.» Zuger Kantons- und Obergericht hätten in der Folge eine Klage von X. wegen absichtlicher Täuschung und Grundlagenirrtum abgewiesen. Eine Berufung ans Bundesgericht sei zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts Ende April 2005 noch hängig. Der Autor des Berichts, Redaktor Charly Keiser, kritisierte, X. und sein Anwalt würden mit Hilfe einer Rechtsschutzversicherung – und damit auf Kosten der Allgemeinheit – risikolos prozessieren. SF habe X. zur besten Sendezeit eine Plattform gegeben, um Y. anzuschwärzen, ohne dabei die grundlegende journalistische Pflicht der Anhörung beider Seiten zu respektieren. Schliesslich hätten weder SF noch X. die kritischen Fragen der «Zuger Woche» beantwortet.

B. Am 18. Mai 2005 reichte X. beim Presserat Beschwerde gegen den Artikel der «Zuger Woche» ein. Entgegen den Ausführungen der «Zuger Woche» habe er keine Rechtsschutzversicherung. Obwohl er die «Zuger Woche» mehrmals auf diesen Fehler aufmerksam gemacht habe, sei nie eine Berichtigung erschienen. Ebensowenig habe es eine Betreibung und einen Rechtsvorschlag gegeben. Der ganze Text sei einseitig und schlecht recherchiert und zeige nur das, was zugunsten von Y. ausgelegt werden könne. Zwar habe ihn der Autor für eine Stellungnahme angefragt, hätte diese aber «sowieso» nicht veröffentlicht. Weiter enthalte der Artikel sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen (Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»). Der Autor, Charly Keiser, sei zudem als Verantwortlicher des Internetauftritts der Firma von Y. und als langjähriger Freund in dieser Angelegenheit befangen.

C. Mit Urteil vom 24. Juni 2005 wies das Bundesgericht die Berufung von X. gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug vom 21. Dezember 2004 ab.

D. Mit Schreiben vom 28. Juni 2005 wies Charly Keiser die Beschwerde von X. namens der «Zuger Woche» als unbegründet zurück. Der Beschwerdeführer habe nie den Abdruck einer Gegendarstellung gefordert. Wie der Bundesgerichtsentscheid zeige, sei die Sachverhaltsdarstellung von X. und von SF nicht haltbar. Da üblicherweise vor einem Termin beim Friedensrichter eine Betreibung und ein Rechtvorschlag erfolgten, habe er «mangels anderer Dokumente» diesen Sachverhalt so beschrieben. Y. und dessen Anwalt hätten dies beim Gegenlesen des Artikels offenbar übersehen. Die Aussage sei aber für den Beschwerdeführer weder ehrenrührig noch diffamierend und damit nicht relevant. Der Anwalt von X. habe vor Gericht wahrscheinlich aus prozesstaktischen Gründen bei den Vergleichverhandlungen ausgeführt, sein Mandant habe eine Rechtsschutzversicherung. X. habe diese für ihn ebenso wenig nachteilige Aussage seines Anwalts vor Gericht nicht korrigiert, weshalb sie ihm anzurechnen sei. Die weiteren Vorwürfe des Beschwerdeführers seien abstrus und beleidigend.

E. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

F. Am 5. Juli 2005 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher, behandelt.

G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 27. Januar 2006 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Beschwerdegegenstand ist der am 27. April 2005 in der «Zuger Woche» erschienene Artikel mit dem Titel «Missbrauch bei SF DRS?» Entsprechend hat sich der Presserat einzig zu diesem Bericht und nicht zu dem darin kritisierten Beitrag der Fernsehsendung «Quer» zu äussern.

2. a) Gemäss Ziffer 5 der «Erklärung» sind Journalistinnen und Journalisten verpflichtet, jede von ihnen veröffentlichte Meldung zu berichtigen, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist. Die Richtlinie 5.1 zur «Erklärung» verdeutlicht hierzu, dass die Berichtigungspflicht von den Medienschaffenden von sich aus wahrzunehmen ist. Die Berichtigungspflicht erstreckt sich auf sämtliche relevanten Fakten eines Artikels, auch wenn diese nicht zentral für dessen Aussage erscheinen. Soweit die «Zuger Woche» geltend macht, der Beschwerdeführer habe keine Gegendarstellung verlangt, schliesst dies deshalb eine Pflicht zur Berichtigung einer Falschmeldung nicht von vornherein aus. Zumal X. in seinem E-Mail-Verkehr mit Charly Keiser eine Richtigstellung in Bezug auf die Punkte «Betreibung und Rechtsvorschlag» bzw. «Rechtsschutzversicherung» mehrfach verlangte.

b) Allerdings hat der Presserat in seiner neueren Praxis (vgl. z.B. die Stellungnahme 10 und 26/2005) darauf hingewiesen, dass nicht jede formale oder inhaltliche Ungenauigkeit bereits eine Verletzung dieser berufsethischen Norm begründet. Vielmehr verlangt das Prinzip der Verhältnismässigkeit, dass eine Unkorrektheit eine gewisse Relevanz aufweist. Soweit die «Zuger Woche» fälschlicherweise schrieb, dem Gerichtsverfahren sei eine Betreibung und ein Rechtsvorschlag vorangegangen, ist die erforderliche Relevanz nach Auffassung des Presserates zu verneinen. Hingegen erscheint der Vorwurf, X. prozessiere risikolos auf Kosten einer Rechtsschutzversicherung und damit der Prämienzahler zwar nicht als sehr gravierend, aber auch nicht gerade als unbedeutend. Deshalb wäre die «Zuger Woche» hier zum Abdruck einer Berichtigung verpflichtet gewesen.

3. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus eine ungenügende Recherche, die Verletzung der Anhörungspflicht, die Veröffentlichung sachlich ungerechtfertigter Anschuldigungen sowie eine Befangenheit des Autors des beanstandeten Artikels rügt, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Wie sich aus dem E-Mail-Verkehr der Parteien ergibt, hat Charly Kaiser den Beschwerdeführer ebenso vor der Veröffentlichung seines Artikels zur Einholung einer Stellungnahme kontaktiert wie die Redaktion der kritisierten Fernsehsendung und des «Beobachters». Weiter verfügte er gemäss seinen Angaben über ihm von Y. und dessen Anwalt vorgelegte Unterlagen zur rechtlichen Auseinandersetzung. Ingesamt hat er sich damit genügend um die Anhörung beider Seiten und die Überprüfung der Fakten bemüht. Wenn sich der Beschwerdeführer, SF DRS sowie der «Beobachter» auf Anfrage der «Zuger Woche» nicht oder nicht einlässlich zum Fall äusserten, kann ihm dies nicht angelastet werden. Eine Befangenheit, die einen Ausstand oder zumindest eine Offenlegung von Interessenbindungen zwingend erforderlich gemacht hätte, lässt sich schliesslich weder aus einer guten Bekanntschaft noch aus einer einmaligen Geschäftsbeziehung ableiten, die soweit ersichtlich in keinerlei Zusammenhang mit dem Gegenstand der Ber
ichterstattung steht (vgl. z.B. die Stellungnahmen 8/1996, 31/2001 und 51/2001). Ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass auch eine einseitige, parteiergreifende Berichterstattung mit den berufsethischen Pflichten vereinbar ist, jedenfalls so lange die Pflicht zur Anhörung der Betroffenen bei schweren Vorwürfen respektiert wird.

4. Auf die pauschalen Vorwürfe, wonach Charly Keiser im beanstandeten Bericht mehrmals vorsätzlich lüge und gegenüber SF und «Beobachter» sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen erhebe, ist mangels näherer Begründung nicht einzutreten. Die entsprechende Kritik an den beiden Medien ist ebenso als kommentierende Wertung für die Leserschaft erkennbar wie die Fakten, die dieser Kritik zugrunde liegen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Die «Zuger Woche» wäre verpflichtet gewesen, eine kurze Berichtigung zu veröffentlichen, wonach X. entgegen ihrer Darstellung über keine Rechtsschutzversicherung verfüge und entsprechend nicht risikolos auf Kosten einer Rechtsschutzversicherung und deren Prämienzahler prozessiere. Mit dieser Unterlassung hat die Zeitung Ziffer 5 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.