Nr. 45/2013
Wahrheits- und Berichtigungspflicht

(X. c. «Tages-Anzeiger»); Stellungnahme vom 23. August 2013

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I. Sachverhalt

A. Am 27. Juni 2013 veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» einen Artikel von Christian Schmidt mit dem Titel «Ein Pfünderli Apartheid». Darin erzählt der Autor über eine Begebenheit, die sich bei einem Besuch einer befreundeten Anwältin aus Namibia bei ihm in der Schweiz ereignet habe. Als guter Gastgeber habe er für das Morgenessen ein dunkles Pfünderli mit schöner Kruste gekauft. Zu seiner Überraschung habe sein Gast abgelehnt, davon zu essen. Nach einer peinlichen Stille habe sie erklärt, «ob wir nicht wüssten, dass während der Apartheid helles Brot den Weissen vorbehalten gewesen sei, das Dunkle den Schwarzen. Und da die Rassentrennung in Namibia weiterhin herumgeistere, dürfe ich ihr kein solches Brot anbieten.» Der Bericht schildert danach ausführlich, wie die beiden in den folgenden Tagen immer wieder über das «Apartheid-Pfünderli» diskutiert hätten.

B. Am 18. Juli 2013 beschwerte sich X. beim Presserat, der «Tages-Anzeiger» habe mit der Veröffentlichung des obengenannten Artikels die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagung und Entstellung von Informationen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Ein Verbot, Weissbrot an Schwarze zu verkaufen, habe es während der Apartheid-Zeit nie gegeben. Darauf habe er die Redaktion mit einem Leserbrief aufmerksam gemacht. Schwarzes Brot sei in Südafrika/Südwestafrika eine Delikatesse und dementsprechend teuer gewesen. «Die meisten Weissen konnten sich das nicht leisten, erst recht nicht die Schwarzen. Zudem war der Genuss von Dunkelbrot eine Essgewohnheit aus Zentraleuropa, in der angelsächsischen Welt (zu der Südafrika als ehemalige englische Kolonie zumindest in Bezug auf gewisse kulturelle Aspekte ebenfalls dazugehörte) wurde primär nur Weissbrot konsumiert.» Schon aus dieser Perspektive habe es nie eine Diskussion über Schwarz- und Weissbrot gegeben. «Irgendwelche Behinderungen, Einschränkungen oder Verbote beim Verkauf von Lebensmitteln hat es nie gegeben. Darum ist die Behauptung, Weissbrot sei nur den Weissen vorbehalten gewesen, nicht nur frei erfunden, sondern schlichtweg absurd.»

Hinzu komme, dass die Dame, die das angeblich erzählt habe, 38 Jahre alt sei. In ihrem Geburtsjahr seien Verhandlungen darüber geführt worden, Südwestafrika in die Unabhängigkeit zu entlassen. Und der Eckstein der Apartheidgesetze, der «Immortality Act», sei im Oktober 1977 offiziell aufgehoben worden. Selbst wenn es also ein «derart wahnwitziges» Gesetz gegeben hätte, hätte es die Anwältin nicht mehr erlebt.

C. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 23. August 2013 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.


II. Erwägungen

1. Gemäss Artikel 10 Absatz 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn sie offensichtlich unbegründet erscheint.

2. Zunächst stellt der Presserat fest, dass er gestützt auf die Beschwerde nicht in der Lage ist, festzustellen, ob die Behauptung der Besucherin aus Namibia der Wahrheit entspricht oder ob im Gegenteil der Beschwerdeführer mit seinen Einwänden Recht hat. Der Presserat ist kein Wahrheitstribunal. Es gehört nicht zu seinen Aufgaben, umstrittene Behauptungen gestützt auf das Wahrheitskriterium nachzuprüfen (Stellungnahmen 32/2001, 27/2011, 32/2012). Ohnehin erscheint es aber unverhältnismässig, im konkreten Fall vom Autor des Berichts zu erwarten, dass er die Behauptung seiner Besucherin vor der Publikation seiner «Geschichte» nachrecherchiert. Im beanstandeten Bericht geht es nicht primär um das Thema «Apartheid» sondern um die Schilderung einer Alltagsepisode. Im Zentrum steht nicht die vom Beschwerdeführer bestrittene Behauptung der Anwältin aus Namibia, sondern die für den Journalisten zunächst überraschende, beleidigte Reaktion seiner Besucherin auf das Anbieten von schwarzem Brot und wie er mit dieser Reaktion umgeht. Und entgegen der Interpretation des Beschwerdeführers ist im beanstandeten Bericht nirgends von einem angeblichen «Verbot» die Rede, welches es gemäss seiner Darstellung nie gegeben hat.


III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.